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MELDUNG/1722: Im Zweifelsfall den Trainer feuern (SB)



Amir Khan sucht die Schuld bei Virgil Hunter

Der Kampf zwischen Amir Khan und Chris Algieri im Weltergewicht in New York brachte dem übertragenden Sender Spike TV eine Quote von durchschnittlich einer Million und in der Spitze 1,12 Millionen Zuschauern. Man kann davon ausgehen, daß die Zahlen noch erheblich höher gewesen wären, hätte NBC oder CBS mit einer deutlich größeren Reichweite das Duell ausgestrahlt. Veranstaltungsort war das Barclays Center in Brooklyn, dessen Fassungsvermögen um die Hälfte auf rund 7000 Plätze reduziert worden war.

Amir Khan, dem trotz seines Sieges eine eindrucksvolle Vorstellung mißlang, zeigt diese limitierte Resonanz beim US-Publikum die Grenzen seiner Popularität in den Staaten auf. Algieri, der gegenüber seinen früheren Auftritten körperlich zugelegt hatte und wirksamer schlug, setzte den Briten erheblich unter Druck und irritierte ihn sichtlich. Man sah Khan unverhofft häufig im Rückwärtsgang und auf der Flucht vor dem direkten Schlagabtausch. [1]

Wie schon mehrfach in der Vergangenheit scheint Khan die Probleme nicht bei sich selbst, sondern beim Trainer zu verorten. Er deutete jedenfalls an, daß ihn Virgil Hunter zwar auch bei seinem nächsten Kampf betreuen werde, jedoch nicht mehr die alleinige Kompetenz bei der Vorbereitung geltend machen könne. Nachdem der Brite 2008 von Breidis Prescott gleich in der ersten Runde auf die Bretter geschickt worden war, gab er Jorge Rubio den Laufpaß. Eine vorzeitige Niederlage gegen Danny Garcia veranlaßte Khan 2012, sich von Freddie Roach zu trennen. Nun scheint sich das Muster zu wiederholen, denn wie Khan erklärte, müsse er sein eigener Herr werden, da er sich und seinen Körper besser als irgend jemand sonst kenne. Er sei vierzehn Wochen im Trainingslager gewesen und habe 160 Runden Sparring absolviert. Manchmal könne man auch zu viel trainieren und die dringend benötigte Substanz im Gym verbrauchen. Deshalb sei es an der Zeit, wieder der alte Amir Khan zu werden.

Vermutlich hätte sich der Brite im Falle einer Niederlage sofort von Virgil Hunter getrennt, dem nun eine Galgenfrist bleibt. Offenbar haben die vier vorangegangenen Kämpfe gegen relativ leichte Gegner Khan in seiner Selbstüberschätzung bestärkt, wofür ihn Algieri um ein Haar bestraft hätte. Statt nach eigenen Schwächen Ausschau zu halten, um sie zu beheben, kritisiert er die Trainingsmethoden Hunters. Das wird sich rächen, sobald der Brite auf gefährlichere Kontrahenten wie Marcos Maidana, Kell Brook oder Keith Thurman trifft, die mit Wucht zuschlagen können. Entgegen allen Erwartungen erwies sich Chris Algieri als der talentiertere Boxer, dem nur die erforderliche Schlagwirkung fehlte, um den Kampf für sich zu entscheiden. [2]

Virgil Hunter, der damit rechnen muß, daß seine Tage mit Khan gezählt sind, machte aus seinem Herzen keine Mördergrube und redete Klartext, was die Fähigkeiten seines Schützlings betrifft. Khan müsse schon über sich hinauswachsen, um einem überragenden Boxer wie Floyd Mayweather das Wasser zu reichen. Damit räumte Hunter ein, daß es der 28 Jahre alte Brite weder in Hinsicht auf Talent noch sogenannte Ringintelligenz mit seinem erklärten Wunschgegner aufnehmen und allenfalls nicht mehr ganz jugendlichen Überschwang für sich ins Feld führen könne.

Virgil Hunter wäre natürlich nicht abgeneigt, an einem großen Zahltag teilzuhaben, sofern Mayweather überhaupt darauf verfallen sollte, Khan die Gunst seiner Abschiedsvorstellung im September zu gewähren. Sollte es tatsächlich dazu kommen, so keinesfalls, weil niemand den Briten als Herausforderer überträfe. Da jedoch diverse andere Kandidaten aufgrund eigener Kämpfe nicht in Frage kommen, ist nicht ganz auszuschließen, daß Khan unter diesen Umständen am Ende doch noch den Zuschlag bekommt.

Ob er allerdings über sich hinauswachsen kann, wie sein mutmaßlich scheidender Trainer es ausdrückt, ist eher eine Frage der Hoffnung als handfester Anhaltspunkte. Im Kampf gegen den vermeintlich paßförmigen Algieri konnte der Brite die schnelleren Schläge für sich verbuchen, fing aber die härteren Treffer ein. Hätte der New Yorker auch in der zweiten Hälfte des Kampfs fleißiger geboxt, statt auf einzelne Aktionen zu setzen, hätte Khan verloren. Eine Revanche wird Algieri nicht bekommen, zumal der Brite noch nie geneigt war, eine Scharte auszuwetzen. Es steht zu befürchten, daß man bereits das Beste gesehen hat, was Amir Khan unter den Umständen aufbieten konnte.

Ein sonderlich kluger Boxer ist er nie gewesen, zumal er sich immer wieder mit ungestümen Attacken, wilden Kombinationen und einer schwachen Deckung selbst in Schwierigkeiten gebracht hat. Da er auf dem Höhepunkt seiner Karriere angelangt sein dürfte, wird er wohl nichts Wesentliches mehr lernen, was er nicht schon kann. Virgil Hunter, der insbesondere als Experte einer ausgefeilten Deckungsarbeit gilt, hat sicher alles Menschenmögliche getan, um die Scheunentore halbwegs zu schließen, mit denen Khan gute Konterboxer einzuladen pflegt.

Nicht zu Unrecht singt Hunter ein Loblied auf Mayweather, um dann rasch hinzuzufügen, man müsse wie seinerzeit James "Buster" Douglas den haushohen Favoriten Mike Tyson überrumpeln. Daß das mit Ankündigung schlechterdings unmöglich ist, dürfte auch Khans Trainer klar sein, der sich behelfsweise zuversichtlich gibt, daß die Jugend und Schnelligkeit dem Briten dennoch zum Sieg verhelfen könnten. Da Mayweather nur noch einen Auftritt geben will und Khan sich als Herausforderer aufdrängt, zieht Hunter natürlich soweit mit. Die Risse in seiner Zusammenarbeit mit dem Briten zeichnen sich jedoch nach dessen jüngsten Äußerungen so deutlich ab, daß dieses Gespann aus Trainer und Boxer nicht mehr lange halten und Amir Khan den nächsten namhaften Experten suchen wird, der ein Wunder tun soll. [3]


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/06/khan-algieri-averages-1-million-viewers-on-spike-tv/#more-194069

[2] http://www.boxingnews24.com/2015/06/khan-to-have-long-talk-with-virgil-hunter-wants-to-become-his-own-boss/#more-194040

[3] http://www.boxingnews24.com/2015/06/hunter-khan-would-have-to-fight-on-another-level-to-have-chance-of-beating-mayweather/#more-194068

3. Juni 2015


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