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MELDUNG/1727: Die Weichen sind gestellt (SB)



Miguel Cotto und Saul "Canelo" Alvarez auf Kollisionskurs

Der Kampf zwischen dem WBC-Weltmeister im Mittelgewicht, Miguel Cotto, und seinem australischen Herausforderer Daniel Geale am vergangenen Wochenende wurde beim Sender HBO von durchschnittlich 1,589 Millionen und in der Spitze 1,621 Millionen Fernsehzuschauern verfolgt. Nach Angaben Dan Rafaels von ESPN war dies das bislang drittbeste Ergebnis des Jahres. Berücksichtigt man, daß Geale im vergangenen Jahr von Gennadi Golowkin in nur drei Runden besiegt worden war und auch diesmal als klarer Außenseiter galt, war es eine beachtliche Quote. Auch Cotto machte kurzen Prozeß und brauchte lediglich eine Runde länger, um den Kampf für sich zu entscheiden.

Für gewöhnlich kommen derart einseitige Duelle bei den Zuschauern nicht allzu gut an, doch in diesem Fall schienen viele Fans vergessen zu haben, was dem Australier zuvor widerfahren war. Möglicherweise verfügt der Puertoricaner über ein treues Stammpublikum, das ihn auf jeden Fall sehen will. Hinzu kam vermutlich auch, daß man dem erheblich größeren und schwereren Herausforderer zutraute, den Weltmeister länger zu beschäftigen. Wie Golowkin schickte auch Cotto den Gegner zweimal auf die Bretter, bevor es schließlich zum Abbruch kam. [1]

Daß Miguel Cotto schon bei einem vergleichsweise schwachen Herausforderer so viele Zuschauer interessieren konnte, läßt darauf schließen, daß der geplante Kampf gegen den gleichermaßen populären Mexikaner Saul "Canelo" Alvarez, der dann im Bezahlfernsehen vermarktet wird, eine erstklassige Quote einfahren wird. Allerdings bleibt abzuwarten, ob die beteiligten Promoter auf die Idee verfallen, die Preise der Eintrittskarten vor Ort und die Gebühren für die Fernsehübertragung in eine ähnlich astronomische Dimension hochzutreiben, wie dies beim Kampf zwischen Floyd Mayweather und Manny Pacquiao Anfang Mai der Fall war.

Dieses als "Kampf des Jahrhunderts" apostrophierte Duell, das ausnahmsweise von den konkurrierenden Sendern Showtime und HBO gemeinsam angeboten wurde, verlangte den Zuschauern zwischen 100 und 110 Dollar für die Übertragung ab. Sollte das der Türöffner zu einer inflationären Preisgestaltung gewesen sein, schlösse es weite Teile der Bevölkerung von vornherein aus, die sich angesichts sinkenden Lebensstandards solche Eskapaden nicht leisten können. Da weder Mayweather noch Pacquiao beteiligt ist, dürfte die Grenze von einer Million Buchungen kaum erreicht werden.

Seit seiner Niederlage gegen Austin Trout im Jahr 2012 hat Cotto die gefährlichsten Gegner gemieden und sich statt dessen Delvin Rodriguez, Sergio Martinez und Daniel Geale ausgesucht, die noch einen guten Namen, aber den Zenit ihres Könnens und der körperlichen Verfassung deutlich überschritten hatten. Diese Strategie, an der sein Trainer Freddie Roach nicht unmaßgeblich beteiligt war, bescherte dem Puertoricaner drei Siege wie auch den Ruf, er erlebe derzeit einen zweiten Frühling und kämpfe besser denn je. Träte er gegen Tureano Johnson, Peter Quillin, Andy Lee, Billy Joe Saunders oder Gennadi Golowkin an, wäre es vermutlich schnell um den neuen Nimbus Cottos geschehen.

Unterdessen verdichten sich die Hinweise, daß Cotto und Alvarez erst im Oktober oder November aufeinandertreffen werden. Damit würde der Mexikaner erneut einen Rückzieher machen und Floyd Mayweather das Feld überlassen, der regelmäßig Anfang Mai und Mitte September in den Ring steigt, um von den beiden wichtigsten mexikanischen Feiertagen zu profitieren. "Canelo" hatte bereits im Frühjahr lange geltend gemacht, ihm stehe der Termin angesichts seiner Herkunft sehr viel mehr als dem US-Amerikaner zu. Erst relativ kurzfristig ließ er sich von dem halsbrecherischen Vorhaben abbringen und trat eine Woche später gegen James Kirkland an.

Da sein Haussender HBO beim Kampf zwischen Mayweather und Pacquiao mit Showtime zusammenarbeitete, hatte der 24jährige Mexikaner gar keine andere Wahl, als nachzugeben. Floyd Mayweather tritt mit Sicherheit am 12. September bei Showtime im Bezahlfernsehen an, was HBO und die Promoter von Cotto und Alvarez zweifellos davon abhält, ihm zu eigenen Lasten an diesem Termin Konkurrenz zu machen. Kaum jemand könnte oder würde es sich leisten, für zwei Veranstaltungen am selben Abend zu bezahlen. Und da Mayweather die mit Abstand größere Zuschauerbindung für sich geltend machen kann, wäre es ein fruchtloses und törichtes Unterfangen, sich ausgerechnet an dieser Stelle mit ihm messen zu wollen.

Da Floyd Mayweather den letzten Kampf bestreitet, den sein hochdotierter Vertrag mit Showtime über insgesamt sechs Auftritte vorsieht, könnte er sogar eine etwas geringere Zuschauerzahl verschmerzen, die dennoch deutlich über der Cottos und "Canelos" läge. Die beiden hätten dabei noch erheblich mehr zu verlieren als der mutmaßlich scheidende beste Boxer aller Gewichtsklassen und warten daher erst einmal ab, bis dieser seinen nächsten Auftritt offiziell angekündigt hat. [2]

Längst machen erste Mutmaßungen die Runde, wie Cotto gegen den körperlich überlegenen Alvarez kämpfen wird. Der Puertoricaner hatte enorme Probleme mit Gegnern wie Antonio Margarito, Ricardo Mayorga und Manny Pacquiao, die unablässig Druck machen und gefährlich zuschlagen können. In solchen Kämpfen pflegte er sich ständig umherzubewegen, mit dem Jab zu arbeiten und auf Einzeltreffer zu setzen. Zudem hat er im Laufe seiner Karriere schon so viele Schläge einstecken müssen, daß das Narbengewebe an seiner Augenpartie leicht aufzureißen droht. Dies ist ein weiterer Grund, warum Cotto kaum den Schlagabtausch mit Alvarez suchen wird, der umgekehrt vor dem Problem stehen dürfte, dem entweichenden Gegner nachzusetzen, ihn zu stellen und in Bedrängnis zu bringen. Langweilig sollte es jedenfalls nicht werden, zumal keiner von beiden mit kühlem Kopf und scharfer Präzision zu boxen pflegt, sondern im Eifer des Gefechts eher zur Brechstange greift.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/06/cotto-geale-averages-1-589m-viewers-on-hbo/#more-194458

[2] http://www.boxingnews24.com/2015/06/cotto-vs-canelo-to-take-place-in-october-or-november/#more-194441

10. Juni 2015


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