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MELDUNG/1735: Im Niemandsland nebulöser Phantasien (SB)



Carl Frochs Wege sind unerforschlich

Carl Froch, der am 2. Juli seinen 38. Geburtstag feiert, scheint sich endgültig im Niemandsland seiner Phantasien von einem allerletzten weltbewegenden Auftritt verlaufen zu haben. Nachdem er vor einiger Zeit darauf verfallen war, sich zum krönenden Abschluß seiner Karriere ausgerechnet mit Gennadi Golowkin zu messen, ist er inzwischen wieder in der Versenkung verschwunden. Der Ankündigung des Briten, er werde in der ersten Juniwoche bekanntgeben, ob er seine Laufbahn fortsetze oder die Boxhandschuhe an den Nagel hänge, sind keine Taten gefolgt. Der Monat geht zu Ende, ohne daß man etwas von dem früheren Weltmeister der WBA und IBF im Supermittelgewicht gehört hätte. Als habe er sich mit seiner Unentschlossenheit ins Abseits manövriert, aus dem er nicht mehr herauskommt, droht der Brite endgültig zu einer skurrilen Randnotiz des aktuellen Boxgeschäfts zu verkommen.

Ob in Carl Froch die Einsicht gereift ist, daß es ein gravierender Fehler war, Golowkins Namen zu nennen, bleibt ungewiß. Der ehemalige Champion aus Nottingham hat George Groves, Yusuf Mack, den alternden Mikkel Kessler und Lucian Bute geschlagen, die eines gemeinsam haben: Sie können dem Kasachen ebensowenig das Wasser reichen wie Froch selbst. Vor den genannten Kontrahenten hatte der Brite im Finale des Super-Six-Turniers gegen Andre Ward verloren, der schlichtweg eine Nummer zu groß für ihn war.

Möglicherweise quält Froch der nagende Zweifel am sportlichen Gehalt seiner beiden Siege über den jungen Landsmann George Groves, der sich selber zum kommenden Champion großgeredet hatte und dann zweimal auf den Brettern gelandet war. Bei seinem letzten Auftritt im Mai 2014 schickte er den Heißsporn vor 80.000 Zuschauern im Londoner Wembley-Stadion wiederum zu Boden. Seither hat der Brite, für den 33 Siege und zwei Niederlagen zu Buche stehen, allen weiteren Möglichkeiten, seine Gürtel zu verteidigen, eine Absage erteilt. Inzwischen haben ihm die Verbände beide Titel aberkannt, so daß er nichts als einen inzwischen recht ramponierten Ruf und die Aussicht auf eine wohlgefüllte Arena samt einer entsprechenden Börse für sich und seinen Gegner ins Feld führen kann.

Frochs letzte Äußerungen wirkten fahrig und in sich widersprüchlich. Er gehe mit gutem Beispiel voran und keinem Gegner aus dem Weg. Boxen müsse in wirtschaftlicher Hinsicht einen Sinn machen, doch habe ihn Geld nie motiviert. Ihm sei es stets um den Sport gegangen, weshalb er nie nach seinen Einkünften gefragt habe, so der Brite. Wie es zusammenpassen soll, daß er nicht wegen des Geldes kämpfe, aber die Kasse stimmen müsse, bleibt wohl sein Geheimnis. Auch die Behauptung, er scheue keinen Gegner, hat nach seiner mehr als einjährigen Untätigkeit jede Glaubwürdigkeit eingebüßt. Froch könnte sich mit Gennadi Golowkin, Andre Ward, Andre oder Anthony Dirrell und im Halbschwergewicht mit Sergej Kowaljow, Adonis Stevenson, Bernard Hopkins oder Jean Pascal messen. Auch andere mögliche Kandidaten wie James DeGale, George Groves, Sakio Bika und Artur Beterbijew wären wohl bereit, gegen ihn anzutreten, wenn er sich denn entscheiden könnte. [1]

Seine Obsession galt jedoch Julio Cesar Chavez jun., mit dem er im Lichterglanz von Las Vegas aufzutreten hoffte. Beide hatten seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr im Ring gestanden, beide schlugen dadurch millionenschwere Einkünfte in den Wind, beide waren auf dem absteigenden Ast, ohne das wahrhaben zu wollen. Als sich der Brite im Training eine Verletzung zugezogen hatte, mußte das angedachte Duell verschoben werden. Die unvorhergesehene Niederlage des Mexikaners in einem Aufbaukampf gegen Andrzej Fonfara enthob Froch aller Gründe, sich mit Chavez zu messen. Dieser sei im Halbschwergewicht überfordert und könne sich künftig vielleicht noch gegen schwächere Akteure im Supermittelgewicht durchsetzen. Er gehöre jedoch nicht mehr der Weltklasse an, weshalb ein Sieg über ihn bedeutungslos wäre, so Frochs späte Einsicht.

Anschließend wollte der Brite plötzlich doch gegen den Sieger des Kampfs um den vakanten IBF-Titel zwischen Andre Dirrell und James DeGale antreten, die Ende Mai in Boston aufeinandertrafen. Wenngleich Froch in der Vergangenheit eine Titelverteidigung gegen den Pflichtherausforderer DeGale mit der Begründung abgelehnt hatte, dieser müsse sich seine Sporen erst noch verdienen, blieb er seit dem unverhofften Titelgewinn seines Landsmanns diesbezüglich stumm. Ob Froch ernsthaft auf diese Option setzt, ist daher so ungewiß wie seine gesamte Motivlage. Er hat die günstige Ausgangsposition des umworbenen Champions zweier Verbände, der unter diversen Kandidaten wählen kann, durch sein langes Zögern längst abgewirtschaftet und dürfte für die Mehrzahl der Boxfans schlichtweg nicht mehr relevant sein.

Seinem Promoter Eddie Hearn schwebte im Sommer 2014 vor, Carl Froch lukrative Auftritte in England gegen ebenso handhabbare wie zur Vermarktung geeignete Gegner wie James DeGale, Mikkel Kessler oder George Groves in dritter Auflage zu verschaffen. Dies hätte beiden in finanzieller wie sportlicher Hinsicht weit mehr gedient, als Frochs unablässiges Schwanken zwischen Rücktritt und krönendem Abschluß seiner Karriere. Da Hearn insofern die Hände gebunden waren, als Froch mit dem endgültigen Abschied drohte, gab der Promoter sein Bestes, um den ausgefallenen Wunsch eines Kampfs gegen Chavez in Las Vegas zu erfüllen. Ob die Verhandlungen tatsächlich so weit gediehen waren, daß nur Frochs Trainingsverletzung der Austragung dieses Duells im Wege stand, wird man wohl nie erfahren.

Irgendwann muß Carl Froch endlich Farbe bekennen und entweder Nägel mit Köpfen machen, was einen mutmaßlich letzten Auftritt betrifft, oder sich unwiderruflich aus dem Boxgeschäft verabschieden. Es steht zu befürchten, daß seine Entscheidung dann buchstäblich niemanden mehr interessiert.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/06/froch-not-making-a-peep-about-golovkin-fight/#more-195273

26. Juni 2015


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