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MELDUNG/1769: Schatten des Scheiterns sollen weichen (SB)



Anthony Dirrell trifft auf Marco Antonio Rubio

Am 6. September treffen im texanischen Corpus Christi zwei Boxer aufeinander, die nach bitteren Niederlagen wieder auf die Siegerstraße zurückkehren wollen. Anthony Dirrell war Weltmeister des Verbands WBC im Supermittelgewicht, bis ihn Badou Jack im April mit hauchdünnem Vorsprung nach Punkten besiegte und ihm überraschend den Gürtel abnahm. Marco Antonio Rubio erging es insofern noch schlimmer, als er im Oktober 2014 von Gennadi Golowkin, dem Superchampion der WBA im Mittelgewicht, bereits in der zweiten Runde vernichtend auf die Bretter geschickt wurde. Während für Dirrell 27 Siege, eine Niederlage und ein Unentschieden zu Buche stehen, hat der Veteran Rubio 59 Auftritte gewonnen, sieben verloren sowie einen unentschieden abgeschlossen.

Wie sich bei Rubios Niederlage gegen Golowkin rasch herausstellte, hatte der Mexikaner dem Titelverteidiger nichts entgegenzusetzen. Dennoch stellte er sich ihm zum direkten Schlagabtausch, was den Kampf erheblich verkürzte. Andere Herausforderer des Kasachen suchen ihr Heil in beständiger Flucht oder hinter einer Doppeldeckung, so daß es einige Runden länger dauert, bis auch sie vorzeitig geschlagen sind wie alle Gegner des Kasachen in den letzten sechs Jahren.

Anthony Dirrell ging als Favorit in den Kampf gegen Badou Jack, den er mit einer besseren Taktik auch gewonnen hätte. Statt häufiger zu schlagen und mit Kombinationen zu arbeiten, begnügte sich der Titelverteidiger mit wuchtigen Einzelschlägen. Als zweifle er nicht daran, den Außenseiter früher oder später niederzuschlagen, wich er auch dann nicht von seiner Vorgehensweise ab, als ihm sein Bruder Andre dringend zu verstärkter Aktivität riet, weil er das Verhängnis heraufziehen sah. Allerdings zeigte sich der Herausforderer in diesem Kampf auch deutlich verbessert und übte fortgesetzt Druck auf den Champion aus. Dadurch trug Jack maßgeblich dazu bei, daß Dirrell durchweg beschäftigt blieb und nicht zur Entfaltung kam.

Anthony Dirrells gewohnte Kampfesweise, auf wuchtige Einzeltreffer zu setzen, zwischen denen er beträchtliche Pausen einlegt, könnten auch Rubio für eine gewisse Frist zugute kommen. Gegen Golowkin, der unablässig angreifen und gefährliche Kombinationen schlagen kann, ging der Mexikaner unter. Dirrell boxt jedoch längst nicht so unerbittlich wie der Kasache, so daß Rubio wahrscheinlich eine längere Frist mithalten kann. Gewinnen wird der 35jährige jedoch höchstwahrscheinlich nicht, zumal er aus dem Mittelgewicht aufsteigt und deshalb unter den Schlägen des Amerikaners schon aus Gründen der körperlichen Voraussetzungen mehr zu leiden hat als umgekehrt.

Wie Dirrell bei der Ankündigung des Kampfs versicherte, sei er bereit, in den Ring zurückzukehren und den Beweis anzutreten, daß er noch immer zu den gefährlichsten Akteuren der gesamten Branche gehöre. Rubio sei zwar ein zäher Bursche, werde aber unweigerlich auf den Brettern landen. Im übrigen sei dieser Gegner für ihn nur eine Durchgangsstation auf dem Weg, sich den verlorenen Gürtel zurückzuholen.

Beide Boxer brauchen unbedingt einen Sieg, um ihre angeschlagene Karriere wieder in Schwung zu bringen. Wer diesen Kampf verliert, muß sich fortan mehr oder minder weit hinten anstellen. Sollte Rubio eine Niederlage beziehen, könnte er immerhin zu seiner Entlastung anführen, sich mit einem talentierten und körperlich überlegenen Kontrahenten in dessen Gewichtsklasse gemessen zu haben. Für Dirrell wäre ein Scheitern gegen den kleineren Mittelgewichtler hingegen um so peinlicher, zumal dies zwangsläufig Spekulationen auslösen würde, ob man seine Qualitäten womöglich weit überschätzt hat.

Auch Rubio kann gehörig zuschlagen und wird nichts unversucht lassen, dem prominenteren Kontrahenten das Nachsehen zu geben. Dirrell muß auf der Hut sein und wäre gut beraten, aktiver und mit höherer Schlagfrequenz als gegen Badou Jack zu boxen. Das sollte ausreichen, um den Mexikaner zu dominieren. Vor seinem Titelverlust hatte Dirrell zwei erbitterte Kämpfe gegen Sakio Bika absolviert, in denen auch er eine Menge einstecken mußte, ehe er sich durchsetzen konnte. Wenngleich er bei der Revanche etwas leichteres Spiel als bei ihrem ersten Aufeinandertreffen hatte, mußte er sich den Sieg über den in Kamerun geborenen und in Australien lebenden Widersacher doch mit harter Arbeit verdienen.

Anthony Dirrell will Rubio auch deswegen schlagen, um in der Rangliste wieder so weit aufzusteigen, daß er den Sieger des Kampfs zwischen Badou Jack und George Groves herausfordern kann, die am 12. September aufeinandertreffen. Behält Jack die Oberhand, könnte Dirrell zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, indem er an ihm Revanche nimmt und sich zugleich den Gürtel zurückholt. Sollte der Brite überraschend gewinnen, hätte er als neuer Weltmeister natürlich Vorrang für Anthony Dirrell. [1]

George Groves und dessen britischer Landsmann James DeGale, der Andre Dirrell im Kampf um den vakanten IBF-Titel besiegt hat, wären paßförmige Gegner für Anthony Dirrell. Sie sind langsamer als er und setzen ebenfalls auf Einzeltreffer, so daß er sie in seinem angestammten Metier in die Schranken weisen könnte. Kontrahenten wie Badou Jack, die beweglich und mit hoher Schlagfrequenz boxen, liegen ihm hingegen nicht, sind aber derzeit in den oberen Rängen des Supermittelgewichts auch Mangelware. So wurde die gemeinsame Regentschaft der Brüder Dirrell zwar durch die beiden unverhofften Niederlagen fürs erste verhindert, doch spricht vieles dafür, daß sie Versäumtes nachholen und über kurz oder lang doch noch den Ton angeben werden.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/08/anthony-dirrell-takes-on-marco-antonio-rubio-on-september-6th-on-cbs/#more-197188

7. August 2015


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