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MELDUNG/1857: Zum Sportler des Jahres taugt der Rüpel nicht (SB)



Tyson Fury löst keine ungeteilte Begeisterung aus

Trotz seines spektakulären Sieges über Wladimir Klitschko, der in dem sprießenden britischen Boxboom die strahlendste Blüte aufgehen lassen könnte, ist Tyson Fury in England mitnichten ein populäres Idol. Zumindest scheiden sich die Geister an seinen Auftritten, mehr noch aber an den frauen- und schwulenfeindlichen Äußerungen des Briten. Nachdem 50.000 Landsleute deswegen in einer Petition Furys Streichung von der Nominierungsliste zum "BBC Sportler des Jahres" gefordert hatten, die von dem Formel-1-Champion Lewis Hamilton und dem schottischen Tennisstar Andy Murray angeführt wird, teilte der 27jährige Boxweltmeister in einem Videointerview kräftig gegen die Unterzeichner der Petition wie auch die prominenten Kollegen aus.

"Was braucht man denn an Persönlichkeit, um ein Auto hundertmal um einen Kurs zu fahren oder einen Ball hin und her zu schlagen? Nicht wirklich viel, oder?", höhnte Fury. "Ich weiß zu einer Million Prozent, dass ich mehr Persönlichkeit in der Spitze meines kleinen Fingers habe als sämtliche Nominierten zusammen", polterte er weiter. "Jeder im Land weiß das. Wenn es nach Persönlichkeit geht, gibt es nur einen Sieger. Und wenn es nach sportlichem Erfolg geht, dann gibt es auch nur einen Sieger", denkt Tyson Fury offenbar nicht im Traum daran, sich aus welchen Gründen auch immer zu zügeln. [1]

Fury, der am 28. November in Düsseldorf den elf Jahre unbesiegten Klitschko entthront hatte, wähnt sich offenbar auf dem Dach der Welt, wo ihm die Neider und Nörgler, worunter er jegliche Kritik subsumiert, nichts anhaben können. Sein Landsmann David Haye, der nach dreieinhalb Jahren Pause am 16. Januar in den Ring zurückkehren will, wundert sich unterdessen über etwas ganz anderes. Er hält es für einen Fehler, daß Fury, obgleich er das als Pflichtherausforderer nicht nötig gehabt hätte, der vertraglich vereinbarten Option eines Rückkampfs zugestimmt hat. Dabei sei keineswegs sicher, daß die Revanche wie erhofft im Wembley-Stadion über die Bühne gehen kann und nicht etwa erneut in Deutschland stattfindet.

Der inzwischen 35 Jahre alte Londoner meldet sich wohl vor allem deshalb zu Wort, weil er nach wie vor hofft, Fury vor die Fäuste zu bekommen. Dieser hat jedoch unmißverständlich klargestellt, daß es dazu nie kommen wird, nachdem Haye in der Vergangenheit zweimal einen bereits vereinbarten Kampf gegen ihn abgesagt hat. Wie der Champion aus Manchester erklärte, würde er lieber gegen seinen eigenen Cousin Hughie antreten, als David Haye einen Zahltag zu verschaffen.

Davon abgesehen macht Hayes Kritik an der Rückkampfklausel nicht viel Sinn. Rückblickend gesehen kann man sogar von einer weitsichtigen Entscheidung sprechen, dem Wunsch Klitschkos nach einer möglichen Revanche stattzugeben. Mit keinem anderen Kampf könnte der Brite derzeit mehr Geld verdienen, zumal er als amtierender Weltmeister diesmal einen größeren Anteil der Börse beanspruchen darf. Die einzige attraktive Alternative wäre ein Duell mit dem WBC-Champion Deontay Wilder, in dem Fury jedoch kläglich Schiffbruch erleiden würde.

Hingegen winkt Fury bei einem erneuten Aufeinandertreffen mit Wladimir Klitschko durchaus die Chance, seinen Vorgänger ein zweites Mal zu düpieren. Vermutlich hat der Brite den vorangegangenen Kampf Klitschkos gegen Bryant Jennings aufmerksam studiert. Die angekündigte triumphale Rückkehr des Weltmeisters in die USA fiel damals insofern ins Wasser, als der Titelverteidiger in New York zwar nach Punkten gewann, aber auf eine Weise boxte, als habe ihn eine Ladehemmung befallen. Dies traf dann um so mehr bei der Niederlage gegen Fury zu, als der Ukrainer wie paralysiert vor dem Gegner stand und nicht anzugreifen wagte.

Klitschko sei zum Brunnen gegangen und habe ihn trocken vorgefunden, brachte David Haye die mißliche Lage des entthronten Weltmeisters ins Bild. Bereits nach der ersten Runde sei klar gewesen, daß der Ukrainer nichts mehr aufzubieten hatte. Klitschko behage es überhaupt nicht, wenn er nicht größer und schwerer als sein Gegner ist. Da er Angst davor habe, getroffen zu werden, erstarre er beinahe zur Salzsäule, sobald er die körperliche Überlegenheit nicht mehr auf seiner Seite habe. Er habe jedenfalls noch nie einen Schwergewichtler gesehen, der so wenig wie Klitschko in diesem Kampf geschlagen hat, meint Haye.

Wenngleich man die Einschätzung durchaus teilen kann, daß sich Klitschko auf keinen Fall treffen lassen will, ist doch nicht auszuschließen, daß er angemessene Konsequenzen aus der verheerenden Niederlage zieht. Er ist sich zwangsläufig im klaren darüber, daß er bei der Revanche in wesentlich höherer Frequenz schlagen und um einiger Volltreffer willen bei seinen Angriffen ein Risiko eingehen muß. Fury gab keineswegs eine beeindruckende Vorstellung, sondern boxte im Grunde fast genauso schlecht wie der Titelverteidiger. Der einzige, aber wesentliche Unterschied bestand darin, daß der Brite dank seiner Größe und Reichweite häufiger traf als umgekehrt, ohne jedoch nennenswerte Wirkung zu erzielen. Wladimir Klitschko hat den Zenit seines Könnens offensichtlich überschritten, was jedoch nicht zwangsläufig bedeutet, daß er einen boxerisch limitierten Gegner wir Fury nicht mehr besiegen kann. Sollte es dem Ukrainer gelingen, auch nur halbwegs aggressiv zu kämpfen und dabei einige Schläge des Briten wegzustecken, könnte er den Spieß umdrehen. [2]


Fußnoten:

[1] http://www.focus.de/sport/boxen/boxen-fury-schiesst-gegen-hamilton-und-murray-habe-mehr-persoenlichkeit-im-kleinen-finger_id_5138988.html

[2] http://www.boxingnews24.com/2015/12/haye-doesnt-understand-why-fury-signed-rematch-clause-with-klitschko/#more-202990

9. Dezember 2015


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