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MELDUNG/2045: Ein Schwergewichtler ist kein Dauerläufer (SB)



Hughie Fury trifft in Manchester auf Andy Ruiz

Hughie Fury, der Cousin des Schwergewichtsweltmeisters Tyson Fury, bekommt einen Auftritt in dessen Vorprogramm. Während der Champion am 29. Oktober in der Manchester Arena versuchen will, die Rache Wladimir Klitschkos zu neutralisieren, trifft sein 21jähriger Verwandter auf den bislang anspruchsvollsten Gegner seiner Profikarriere. Wenngleich es der in 20 Auftritten ungeschlagene Hughie Fury nie im Leben zum Champion bringen wird, ist doch nicht ausgeschlossen, daß ihm ein Sieg über Andy Ruiz, der 28 Kontrahenten ohne Niederlage aus dem Feld geschlagen hat, einen Titelkampf bescheren könnte. Der erfahrenere Kalifornier wird in den Ranglisten der Verbände WBO (3), IBF (5) und WBC (7) an aussichtsreichen Positionen geführt, was seinen britischen Widersacher trotz dessen schlechteren Plazierungen bei der WBO (5) und IBF (13) aber nicht zwangsläufig zum Außenseiter degradiert, zumal er den Heimvorteil auf seiner Seite hat.

Sollte sich Hughie in Manchester durchsetzen, könnte er theoretisch Tyson Fury herausfordern, sofern der nicht von Klitschko abgestraft und entthront wird. Zu einem Duell der Cousins dürfte es aus Gründen des verwandtschaftlichen Zusammenhalts aber nicht kommen. Holt sich der Ukrainer die Gürtel zurück, sähe die Sache womöglich anders aus, da Hughie Fury eine leichte Beute für ihn wäre, die sich unter dem Motto einer familiären Revanche womöglich sogar recht gut vermarkten ließe.

Deontay Wilder, der gegenwärtig seine Verletzungen auskuriert und wohl erst 2017 in den Ring zurückkehren wird, hatte Hughie Fury vor einiger Zeit einen Titelkampf angeboten, was man im Lager des jungen Briten wohlweislich ausschlug. Dieser wäre chancenlos gegen den WBC-Champion gewesen, woran sich auch in Zukunft nichts ändern wird. Weder kann Wilder so schlecht noch Fury so gut werden, daß ein Duell auf gleicher Augenhöhe denkbar wäre.

Bliebe noch der IBF-Weltmeister Anthony Joshua aus London, der bislang 17 Gegner vorzeitig besiegt hat und mit Fury relativ kurzen Prozeß machen würde. Allenfalls könnte der Herausforderer solange davonlaufen, bis dem muskelbepackten Champion die Luft ausgeht, so daß sich das Ende über eine gewisse Frist hinauszögern ließe. Da jedoch auch Hughie Fury für seine Konditionsschwäche bei längerer Kampfdauer bekannt ist, spränge dabei kaum ein Auftritt heraus, an dem sich das Publikum erfreuen könnte.

Zudem ließen sich jede Menge anderer Kandidaten aufzählen, die der jüngere Fury erst einmal besiegen müßte, bevor er sich an einen Weltmeister heranwagen könnte. Denkt man an Kubrat Pulew, den mutmaßlichen Gegner Anthony Joshuas am 27. November in Manchester, oder dessen Pflichtherausforderer Joseph Parker aus Neuseeland, den Kubaner Luis Ortiz, den Briten David Haye oder den Russen Alexander Powetkin, stünde Hughie Fury durchweg auf verlorenem Posten. Gleiches dürfte für Bryant Jennings, Eric Molina, Lucas Browne, Jarrell Miller oder Johan Duhaupas gelten, womit die Liste der unüberwindlichen Hürden noch längst nicht komplett wäre. Warum der Brite unter diesen Umständen bei der WBO und mit Abstrichen bei der IBF dennoch recht gut plaziert ist, hängt wie immer damit zusammen, daß die Ranglisten viel über die Verbandspolitik und den Einfluß bestimmter Promoter, doch leider zumeist herzlich wenig über eine sachdienliche Reihenfolge der aufgeführten Akteure aussagen.

Legt man Hughie Furys letzten Kampf gegen Fred Kassi im April als Standortbestimmung zugrunde, konnte der Brite von Glück reden, den Ring als Sieger verlassen zu haben. Nachdem es anfangs nicht schlecht für ihn gelaufen war, wurde er in der sechsten Runde so müde, daß er wuchtige Treffer einstecken mußte. Da der US-Amerikaner noch einen recht frischen Eindruck machte und sichtlich Morgenluft witterte, drohte Fury ein vorzeitiges Ende. Im folgenden Durchgang stießen die beiden jedoch so heftig mit den Köpfen zusammen, daß Fury eine Rißwunde über dem linken Auge davontrug, die ihn an der Fortsetzung des Kampfes hinderte.

Der 27 Jahre alte Andy Ruiz kann kräftig zuschlagen, ist aber ansonsten ein relativ langsamer Boxer ohne ausgeprägte technische Qualitäten. Vor zwei Jahren gelang es ihm nur mit größter Mühe, sich gegen den früheren Weltmeister Sergej Liachowitsch durchzusetzen, der nur noch ein Schatten besserer Tage war. Der Weißrusse hat vier seiner letzten fünf Kämpfe verloren und ist definitiv auf dem absteigenden Ast. Seither hat der gebürtige Mexikaner nur gegen zweitklassige Gegner gekämpft und zuletzt Josh Gormley, Ray Austin, Raphael Zumbano Love und Joel Godfrey besiegt. Daß ihn sein Management nicht zügiger an die Spitze heranführt, läßt darauf schließen, daß man um die qualitativen Grenzen weiß und lieber eine weiße Weste behalten möchte als Risiken einzugehen. [1]

Andy Ruiz dürfte dennoch in der Lage sein, Hughie Fury auf die Bretter zu schicken, sollte er einige Volltreffer landen können. Der mit 1,98 m zehn Zentimeter größere Brite wird aller Voraussicht nach versuchen, dem Schlagabtausch aus dem Weg zu gehen, mit leichten Treffern zu punkten und sich sofort wieder zu entziehen. Um ihn zu stellen, müßte ihm Ruiz schon den Weg abschneiden und ihn beharrlich unter Druck setzen, wofür ihm jedoch die Beweglichkeit fehlen dürfte. Daher könnte die kampfentscheidende Frage lauten, wann Fury wie so oft die Luft ausgeht. Zum einen ist sein ständiges Umherlaufen recht aufwendig, zum anderen machen ihm dem Vernehmen nach Hautprobleme zu schaffen, die ihn rasch ermüden lassen.

Für einen Schwergewichtler seiner Statur, dem Muhammad Alis Leichtfüßigkeit ein Buch mit sieben Siegeln ist, macht seine Kampfesweise im Grunde wenig Sinn. Da es aber um seine Schlagwirkung schlecht bestellt ist, kann er einen anspruchsvollen Gegner nicht in der direkten Konfrontation beeindrucken. Selbst wenn es ihm gelingen sollte, schwere Treffer wegzustecken, fehlt es ihm an einer substantiellen Offensive, um einen robusten Kontrahenten wie Andy Ruiz auszukontern und vorzeitig zu besiegen. Daher wird Fury wohl darauf setzen, im Wettlauf mit einsetzenden Konditionsproblemen einen anfangs erwirtschafteten Punktvorsprung über die Zeit zu retten.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/09/hughie-fury-vs-andy-ruiz/#more-216260

7. September 2016


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