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MELDUNG/2208: Alle Wege führen nach London (SB)



Hearn und Joshua setzen die Maßstäbe im Schwergewicht

Der führende britische Promoter Eddie Hearn geht davon aus, daß Anthony Joshua bis zum Ende seiner Profikarriere bei Matchroom Sport bleiben wird. Die Auftritte des Weltmeisters füllten die größten Arenen und verkauften sich bestens bei Sky Box Office, persönlich habe er ein sehr gutes Verhältnis zu dem 28jährigen Schwergewichtler, so Hearn in einer aktuellen Stellungnahme. [1] Er glaube nicht, daß Joshua es vorziehen werde, die Promotion in die eigenen Hände zu nehmen. Sollte das dennoch eines Tages der Fall sein, werde er ihm die Hand schütteln und alles Gute auf dem weiteren Weg wünschen. Für eine erfolgreiche Selbstvermarktung prominenter Boxer lassen sich diverse Beispiele anführen, allen voran natürlich Floyd Mayweather, aber auch die Brüder Klitschko. Andererseits herrscht auch an Beispielen des Scheiterns kein Mangel.

Theoretisch könnte Anthony Joshua natürlich noch mehr Geld verdienen, wenn er sich nach Ablauf seines Vertrages von Hearn trennt und den Anteil des Promoters in die eigene Tasche steckt. Voraussetzung wäre allerdings, daß er nicht nur weiter gewinnt, sondern auch sehr schnell im Netzwerk verflochtener Beziehungen des Boxgeschäfts Fuß faßt. Gegenwärtig spricht nichts dafür, daß es der Champion auf eigene Faust besser richten könnte als unter der sehr erfolgreichen Regie seines Promoters. Dieser hat ihm nicht nur einen Höhenflug in Aussicht gestellt, sondern ihn auch mit großer Umsicht auf den Gipfel geleitet, wo er nun als weltweit führender Akteur der Königsklasse gehandelt wird. Anders als vor ihm Audley Harrison, Olympiasieger des Jahres 2000 in Sydney, ist der britische Goldmedaillengewinner 2012 in London nicht im Profilager an der Überlast der Vorschußlorbeeren gescheitert und zur tragischen Figur geworden. Ganz im Gegenteil hat ihn Hearn dank einer sorgsamen Auswahl paßförmiger Gegner zum unbesiegten Champion aufgebaut, der jeden seiner 20 Kontrahenten vorzeitig bezwingen konnte. Wenngleich Joshua natürlich mit Hingabe zu diesem Aufstieg beigetragen hat, profitiert er doch in ganz erheblichem Maße vom Einfluß seines Promoters, an dem weltweit zumindest im Schwergewicht niemand mehr vorbeikommt.

Charles Martin ist aus den USA nach London gereist, wo er nach einer desolaten Vorstellung Joshua den IBF-Titel überlassen mußte. Wladimir Klitschko trat im Wembley-Stadion zum Kampf um den vakanten WBA-Titel gegen den Briten an. WBO-Weltmeister Joseph Parker aus Neuseeland will sich in der britischen Hauptstadt mit Joshua messen. WBC-Champion Deontay Wilder aus Tuscaloosa in Alabama schweben zwei Duelle vor, von denen eines auf jeden Fall in einer Londoner Arena ausgetragen werden soll. Wer heute im Schwergewicht viel Geld verdienen will, strebt einen Auftritt in UK an, vorzugsweise im Geschäft mit dem 38jährigen Eddie Hearn. Verglichen mit ihm sind Frank Warren oder Mick Hennessy regelrechte Fossile, die ihrem eine Generation jüngeren Konkurrenten das Kerngeschäft zunehmend überlassen müssen, der einen Exklusivvertrag mit Sky Sports bis 2021 abgeschlossen hat.

Wie einflußreich Eddie Hearn längst geworden ist, unterstreichen auf internationaler Bühne seine Verhandlungen mit Joseph Parkers Promoter David Higgins. Da es sich um einen Kampf zweier Weltmeister zur Zusammenführung ihrer Titel handelt, schwebte dem Neuseeländer ursprünglich eine Aufteilung der gesamten Erlöse im Verhältnis 50:50 vor. Über 60:40 zugunsten Joshuas ging es schließlich auf 65:35 herunter, was für Higgins eine rote Linie, für Hearn hingegen immer noch inakzeptabel ist. Er will Parker nur 30 Prozent zugestehen und verweist darauf, daß der Gast bei dieser Marge mit 7 bis 8 Millionen Dollar nach Hause zurückkehren würde. Gäbe er dem WBO-Champion hingegen die verlangten 35 Prozent, bekäme Joshua nur soviel wie zuletzt bei der Titelverteidigung gegen den Pflichtherausforderer Carlos Takam. Wie sollte er Joshua vermitteln, daß er im Kampf gegen einen anderen Weltmeister nicht mehr als im Falle Takams erhielte?

Umgekehrt kann Joseph Parker natürlich darauf pochen, daß er als Champion einen größeren Anteil als Carlos Takam bekommen müßte. Davon abgesehen hat Hearn jüngst erklärt, Joshua habe finanziell ausgesorgt und wolle künftig vor allem sein Lebenswerk vollenden. So gesehen wäre der WBO-Gürtel geradezu unverzichtbar, um die Trophäensammlung auszubauen. Dagegen könnte man einwenden, daß dem Briten dieser Titel nicht wegliefe und er ihn sich auch später holen könne, sollten die aktuellen Verhandlungen an der finanziellen Frage scheitern. Es mehren sich jedoch die Anzeichen, daß Joshua den Zenit seines Könnens bereits überschritten hat und aufgrund seiner Physis nachzulassen beginnt. Der Ankündigung, er wolle die überbordende Muskelmasse reduzieren, um agiler zu werden, folgte das Gegenteil, brachte er doch vor seinem letzten Kampf mehr denn je auf die Waage. Daher steht zu erwarten, daß er künftig noch langsamer und unbeweglicher boxen wird, weshalb er sich beeilen muß, will er alle vier maßgeblichen Gürtel im Schwergewicht vereinen.

WBC-Champion Deontay Wilder hat bereits angekündigt, daß ein Kampf gegen ihn nur zu haben ist, wenn die Einkünfte zu gleichen Teilen an die beiden Lager gehen. Eddie Hearn wird sich darauf wohl nicht einlassen und argumentieren, Joshua bringe mehr Titel in dieses Geschäft ein als der US-Amerikaner und sei ohnehin die größere Zugnummer beim Publikum. Wilder und sein New Yorker Promoter Lou DiBella werden dem Briten dann abermals vorwerfen, er habe Angst und schütze finanzielle Forderungen vor, um sich zu drücken. Die Zweifel des WBC-Weltmeisters entspringen einerseits ihrem Konkurrenzkampf, sind andererseits aber auch nicht ganz aus der Luft gegriffen. Charles Martin galt als sehr schwacher IBF-Champion, dem der vakante Titel mehr oder minder in den Schoß gefallen war. Joshua hatte dann vor heimischem Publikum ausgesprochen leichtes Spiel, dem wie gelähmt agierenden US-Amerikaner den Gürtel abzunehmen.

Der bereits 41jährige Wladimir Klitschko hatte zuletzt 2014 einen Kampf gewonnen und seit zwei Jahren nicht mehr im Ring gestanden, als er in Wembley auf Anthony Joshua traf. Obgleich Joshua und Hearn den Ukrainer zu einem für sie idealen Zeitpunkt verwerten wollten, da sein Können weit hinter den noch immer intakten Ruf und Namen zurückgefallen zu sein schien, schrammte dieses Manöver nur um Haaresbreite an der Katastrophe vorbei. Klitschko bot eine gute Vorstellung und hatte den Kampf gegen den erschöpften Briten in der sechsten Runde so gut wie gewonnen, setzte aber nicht entschieden nach. Da dieses Duell erheblich spannender und anspruchsvoller als befürchtet verlaufen war, setzte sich die Deutung durch, es habe sich um eine Sternstunde des Schwergewichtsboxens gehandelt, aus der Joshua als unangefochtener Star hervorgegangen sei.

Um den Kampf zwischen Joshua und Parker unter Dach und Fach zu bringen, schlägt Eddie Hearn dem Promoter des Neuseeländers, David Higgins, vor, nach England zu kommen, wo man dann unter vier Augen die letzten offenen Fragen klären könne. Sollte das wider Erwarten nicht gelingen, kämen für Anthony Joshuas nächsten Auftritt im März oder April 2018 als Alternativen Dillian Whyte oder Jarrell Miller in Frage, die beide ebenfalls bei Matchroom unter Vertrag stehen. In sportlicher Hinsicht wäre Miller zweifellos die attraktivere Option, doch dürfte Hearn im Zweifelsfall eher nicht geneigt sein, den massiven und schlagfreudigen US-Amerikaner vorzuziehen. [2]

Unterdessen hat Higgins postwendend geantwortet, er werde keinesfalls nach London reisen, bevor die Gegenseite konkrete Zusagen gemacht hat. Parker wäre in der Tat besser beraten, sich nicht unter Wert zu verkaufen und statt dessen noch einmal den Australier Lucas Browne als möglichen Herausforderer und Druckmittel ins Gespräch zu bringen. Da Hearn bereits Termine für einen Kampf zwischen Anthony Joshua und Deontay Wilder entweder im Sommer oder November/Dezember 2018 sondiert, wäre der WBO-Weltmeister Joseph Parker im Frühjahr nach wie vor die favorisierte Option. So gesehen verfügt der Neuseeländer über ein Faustpfand, um das zu pokern sich auszahlen dürfte.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/11/hearn-believes-joshua-will-work-matchoom-rest-career/#more-248831

[2] http://www.boxingnews24.com/2017/11/hearn-says-joshua-parker-deal-done-2-weeks/#more-248765

1. Dezember 2017


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