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MELDUNG/2236: Mittelgewicht - Fleisch vom Fleische Mexikos (SB)



Dopingverdacht gegen "Canelo" schlägt hohe Wellen

Im Vorfeld der für den 5. Mai in der T-Mobile Arena in Las Vegas anberaumten Revanche zwischen Gennadi Golowkin und seinem Erzrivalen Saul "Canelo" Alvarez schlägt derzeit eine Dopingkontroverse tagtäglich hohe Wellen. Der 27jährige Mexikaner wurde bei Kontrollen der Antidopingagentur VADA am 17. und 20. Februar positiv auf die verbotene Substanz Clenbuterol getestet. Er führt diesen Befund auf den Verzehr von verunreinigtem Fleisch in Mexiko zurück und weist den Verdacht einer gezielten Einnahme des Wirkstoffs entschieden zurück. Bei einem erneuten Test am 2. März wurden bei Alvarez keine Spuren von Clenbuterol mehr nachgewiesen. Das will insofern nichts besagen, als diese Substanz eine kurze Halbwertzeit von 28 bis 36 Stunden im menschlichen Organismus hat und somit rasch verstoffwechselt wird. Allerdings können unter Umständen geringfügige Rückstände noch ein bis zwei Wochen später im Urin nachgewiesen werden.

Promoter Bob Arum, der mit keinem der beiden Boxer geschäftlich verbunden ist, hat sich jüngst mit der Einlassung zu Wort gemeldet, er wisse so wenig wie irgendein anderer Außenstehender, worauf der positive Befund zurückzuführen ist. Er habe jedoch die Standardausrede verunreinigten Fleisches gründlich satt. Es sei schließlich kein Geheimnis, daß viele mexikanische Trainer Clenbuterol verwenden, um die Muskulatur ihrer Akteure zu verschlanken und die Funktionsfähigkeit des Herz-Kreislauf-Systems zu verbessern. Der Wirkstoff werde vor dem Trainingslager abgesetzt, da dann die Phase der Kontrollen beginne. Das wisse jeder, der sich in diesem Geschäft auskennt. [1]

Das Problem ist in der Tat bekannt, da in der Vergangenheit diverse mexikanische Boxer, darunter Erik Morales, Luis Nery and Francisco Vargas, positiv auf Clenbuterol getestet wurden. Bob Arum wirft "Canelo" wohlgemerkt nicht vor, solche Präparate verwendet zu haben, zumal der Beweis in die eine oder andere Richtung schlichtweg nicht erbracht werden kann und somit die Entscheidung davon abhängt, ob dem Mexikaner Glauben geschenkt wird oder nicht. Was der Promoter einfordert, ist eine klare Vorgabe seitens der zuständigen Sportkommission von Nevada, deren Reglement eine automatische Schuldzuweisung im Falle einer positiven Dopingprobe bislang nicht vorsieht.

Da beim Kampf zwischen Golowkin und "Canelo" mehr Geld als bei jedem anderen auf dem Spiel steht, der gegenwärtig auf die Beine gestellt werden könnte, ist damit zu rechnen, daß der Mexikaner grünes Licht bekommt und das spektakuläre zweite Duell der Kontrahenten über die Bühne gehen kann. Erfreulich ist diese Situation nicht, da zwangsläufig mit zweierlei Maß gemessen wird. Der prominente Weltergewichtler Tim Bradley erinnert daran, daß Lucas Browne den Titel der WBA im Schwergewicht zurückgeben mußte, nachdem beim Kampf gegen Ruslan Tschagajew in Grosny Spuren von Clenbuterol in seiner Probe gefunden worden waren. Auch der Australier berief sich damals auf verunreinigtes Fleisch als mutmaßliche Ursache, was ihm aber nichts half. "Canelo" werde hingegen höchstwahrscheinlich davonkommen, da er für die Branche viel zu wichtig sei, so Bradley. [2]

Was "Canelo" in dieser Kontroverse schlecht aussehen läßt, sind zwei Aspekte seiner körperlichen Verfassung. Zum einen trat er beim ersten Kampf gegen Golowkin mit einer ausgeprägt muskulösen Statur an, wie man sie nie zuvor bei ihm gesehen hatte. Das gibt nun rückblickend Anlaß zu Spekulationen, er habe damals womöglich pharmazeutisch nachgeholfen. Zum anderen legte er wie schon bei früheren Auftritten gravierende Konditionsprobleme an den Tag und konnte nur eine Minute pro Runde mit vollem Tempo boxen. Der acht Jahre ältere Kasache wirkte im Vergleich mit "Canelo" wie ein junger Mann, da er wesentlich frischer zu Werke ging. Da Clenbuterol auch die Funktionstüchtigkeit des Herz-Kreislauf-Systems steigert, wäre es theoretisch möglich, daß man im Team das Mexikaners darauf verfallen sein könnte, auf diese Weise eine bessere Kondition zu erwirtschaften.

Ein Wort mitzureden hat auch der Verband WBC, dessen Titel Gennadi Golowkin neben jenen der WBA, IBF und IBO hält. WBC-Präsident Mauricio Sulaiman schenkt "Canelos" Version Glauben, sei doch mit Clenbuterol belastetes Fleisch ein verbreitetes Problem in Mexiko. Er erinnert in diesem Zusammenhang daran, daß im Jahr 2011 nicht weniger als 109 mexikanische Fußballspieler positiv auf diesen Wirkstoff getestet wurden. "Canelo" werde sicher die Auflage erhalten und akzeptieren, sich fortan häufiger testen zu lassen, so daß dem Kampf am 5. Mai wohl nichts mehr im Weg stehen dürfte. Interessant ist am Rande, daß Sulaiman und "Canelo" ihre frühere Kontroverse kürzlich beigelegt haben. Der Mexikaner hat versichert, er werde den WBC-Titel im Falle seines Sieges annehmen und nicht zurückgeben, wie er das in der Vergangenheit getan hat, um Golowkin aus dem Weg zu gehen. [3]

Die Geschichte entbehrt auch in anderer Hinsicht nicht einer unfreiwilligen Ironie, die Golowkins mexikanischer Trainer Abel Sanchez kürzlich publik gemacht hat. Er wies genüßlich darauf hin, daß "Canelos" Trainer Chepo Reynoso früher ein Schlachter gewesen sei und schon aus diesem Grund mit dem Problem belasteten Fleisches vertraut sein müßte. Sollte der Befund seines Boxers tatsächlich aus dieser Quelle herrühren, habe der Coach nicht gerade die allergrößte Umsicht an den Tag gelegt. Er sei enttäuscht, daß das Team des Gegners vor einem derart wichtigen Kampf nicht sorgsamer darauf geachtet habe, alle Fallstricke zu meiden.

Man kann wohl davon ausgehen, daß Golowkin und sein Trainer Wert auf die Revanche legen und keineswegs geneigt sind, die aktuellen Verwerfungen zum Anlaß eines Ausstiegs zu nehmen. Der Kasache war schon im September der bessere Boxer, auch wenn die Punktrichter "Canelo" ein Unentschieden schenkten. Er wird auch im Mai dominieren, zumal er nun weiß, daß er sich in Las Vegas nicht auf das Kampfgericht verlassen kann. Deshalb dürften die aktuellen Äußerungen des Weltmeisters und seines Teams zu einem gewissen Anteil strategischer Natur sein, bietet sich doch die günstige Gelegenheit, den Gegner schon vorab zu verunsichern und in die Enge zu treiben.

Der Mexikaner hat bislang von seiner enormen Popularität profitiert, zumal ihm seine Landsleute alle Tricks nachsahen, sich mit grenzwertigen Methoden körperliche Vorteile zu verschaffen. "Canelo" hat es insbesondere verstanden, nach dem offiziellen Wiegen vermutlich durch nächtliche Infusion derart zu rehydrieren, daß er am folgenden Tag nicht selten zwei Gewichtsklassen schwerer als sein Gegner anzutreten schien. Sollte ein Nachwiegen am Morgen des Kampftags stattgefunden haben, wie es bei einigen Verbänden eigentlich obligatorisch ist, so wurden in seinem Fall jedenfalls nie die Ergebnisse veröffentlicht. Sein Freibrief, sich hier und da gewohnheitsmäßig Vorteile zu sichern, könnte nun ausgelaufen sein.

Gennadi Golowkin zeigt sich in seinen Äußerungen tief verärgert und zieht "Canelos" Version als wenig glaubwürdig in Zweifel. Der Mexikaner sei als Profi erfahren und sein Team klug genug, um des Problems gewahr zu sein, das seit geraumer Zeit herumspuke. Diese Verwerfung füge dem Boxsport schweren Schaden zu und werte ihn in den Augen der Öffentlichkeit ab. Wie Abel Sanchez wohl nicht ganz zu Unrecht anmerkt, werde "Canelo" den Makel zeit seiner Karriere nicht mehr loswerden. Man könne 100 Dinge richtig machen, ohne daß das irgend jemand kümmert. Unterlaufe einem jedoch ein Fehler, vergesse die Öffentlichkeit das nie. Jedenfalls ist der Mexikaner derzeit in der Bredouille: Wächst er im Kampf gegen Golowkin über sich hinaus, werden böse Zungen behaupten, Clenbuterol wirke eben Wunder. Geht er hingegen baden, wird es ebenfalls nicht an Kritikern fehlen, die seine Schwäche auf die unterbundene Zufuhr verbotener Hilfsmittel zurückführen.

Das Hauptproblem besteht jedoch darin, daß damit eine lange schwelende Widerspruchslage hochgekocht ist und alle Welt nach Klarheit ruft. Die kann jedoch nur darin bestehen, die Unschuldsvermutung endgültig auszuhebeln und die Beweislast umzukehren: Der Dopingtest als Gottesurteil, dessen Schiedsspruch unanfechtbar ist.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2018/03/sanchez-canelos-legacy-is-tarnished-forever/#more-258858

[2] www.boxingnews24.com/2018/03/canelo-alvarez-now-testing-negative-for-clenbuterol/#more-258824

[3] www.boxingnews24.com/2018/03/canelos-drug-positive-test/#more-258814

12. März 2018


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