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MELDUNG/2269: Schwergewicht - Wiederkehr mit Fragezeichen ... (SB)



Tyson Fury trifft bei seinem Comeback auf Sefer Seferi

Der britische Schwergewichtler Tyson Fury kehrt nach langer Abwesenheit von zweieinhalb Jahren am 9. Juni in den Ring zurück. Bei seinem Comeback trifft der in 25 Auftritten ungeschlagene ehemalige Weltmeister in einem Kampf über zehn Runden, der in der Manchester Arena ausgetragen wird, auf den 39 Jahre alten Albaner Sefer Seferi, für den 23 Siege und eine Niederlage zu Buche stehen. Es liegt auf der Hand, daß es der frühere Titelträger nach einer derart langen Pause zunächst ruhig angehen läßt und sich keinen namhaften Gegner ausgesucht hat. Fury wird nach wie vor als Linearer Champion geführt, was im Unterschied zu den Titeln der Verbände eine Art inoffizieller Ehrenbezeugung ist. Da Wladimir Klitschko als der "wahre Champion" gehandelt wurde, obgleich ihm der Gürtel des WBC in der Sammlung fehlte, ist Fury in der Kette "der Mann, der den Mann besiegt hat". Behielte Seferi wider Erwarten die Oberhand, wäre er mithin der nächste Lineare Champion, was der Absurdität die Krone aufsetzen würde.

Daß sich Fury trotz seiner Inaktivität stets als "wahrer Champion des Schwergewichts" bezeichnet hat, war zwar abwegig, aber natürlich dem Zweck geschuldet, nicht in Vergessenheit zu geraten und Werbung in eigener Sache zu machen. Dementsprechend groß ist die Aufmerksamkeit, die seiner Wiederkehr gewidmet wird. Mit Seferi wurde ein Gegner verpflichtet, der auf dem Papier eine gute Bilanz vorzuweisen hat. De facto hat er jedoch seine Siege über ausgesucht schwache Kontrahenten davongetragen. Sein einzig anspruchsvoller Gegner war Manuel Charr, dem er sich im September 2016 nach Punkten geschlagen geben mußte.

Dessen ungeachtet versichert der Außenseiter, er rechne zwar mit einem harten Kampf, sei aber sehr diszipliniert und stets bereit, es mit jedem aufzunehmen. Er komme nach Manchester, um eine der Legenden des 21. Jahrhunderts zu besiegen. Fury sei groß und stark, aber nicht bereit für den Druck, unter den er ihn am 9. Juni setzen werde. Nach einer Pause von zweieinhalb Jahren sei ungewiß, ob dies noch derselbe Boxer ist, der Wladimir Klitschko vom Thron gestoßen hat. Er werde diese Gelegenheit jedenfalls mit beiden Händen ergreifen, so der Albaner.

Hingegen verkündet Furys Promoter Frank Warren, Tyson sei in phantastischer Verfassung und bereit, den ersten Schritt seiner Rückkehr auf den Gipfel zu bewältigen. Natürlich brauche er einige Aufbaukämpfe, um den Rost abzuschütteln, doch hege er keinerlei Zweifel, daß die Fans seinen Wiederaufstieg begleiten und genießen werden. Seferi sei nicht zu unterschätzen, da er mit einem Weltklasseboxer wie Manuel Charr über die volle Distanz gegangen ist. Er habe zwar den Großteil seiner Karriere im Cruisergewicht zugebracht, aber das gelte ebenso für Tony Bellew und David Haye vor deren Aufstieg ins Schwergewicht.

Die entscheidende Frage dürfte indessen sein, wie gut der 2,06 m große Tyson Fury die enorme Gewichtsreduzierung verkraftet hat. Er legte während der Unterbrechung seiner Karriere auf gut 180 kg zu und hat dem Vernehmen nach fast 70 kg abgenommen, um sich wieder in Form zu bringen. Diese Prozedur dürfte in ihrem Ausmaß wohl einzigartig im Leistungssport sein. Sie erinnert an James J. Jeffries, der von 1899 bis 1904 Schwergewichtsweltmeister war. Nach Ende seiner Karriere legte er von 102 kg auf 158 kg zu. In Juli 1910 wagte er ein Comeback gegen Jack Johnson, wofür er mit harter Arbeit und einer strengen Diät wieder sein altes Kampfgewicht erreichte. Er war dann aber im Ring so geschwächt, daß ihn Johnson furchtbar vermöbelte und in der 15. Runde durch K.o. besiegte. In den 1990er Jahren war es dann George Foreman, der nach einer Pause von zehn Jahren in den Ring zurückkehrte und dafür von 158 kg auf 113 kg herunterkam. Im November 1994 nahm er sensationell Michael Moorer die WBA/IBF-Titel ab. Allerdings machte Foreman seine fehlende Schnelligkeit durch eine gewaltige Schlagwirkung wett, mit der er Moorer in der 10. Runde auf die Bretter schickte.

Da Tyson Fury trotz seiner imposanten Statur über keine nennenswerte Schlagwirkung verfügt, muß er auf seine Größe und Reichweite vertrauen. Das dürfte kaum ausreichen, um es noch einmal mit den namhafteren Akteuren aufzunehmen. Deshalb wird er sich wohl solange mit schwächeren Gegnern abgeben, bis ihm eine Titelchance gegen Anthony Joshua oder Deontay Wilder winkt, mit der er zumindest noch einmal sehr viel Geld verdienen könnte. Er wird inzwischen von Ben Davison trainiert, der ihn bei seinem Gewichtsabbau angeleitet hat. Wieder in etwa soviel wie bei seinem Sieg über Wladimir Klitschko im November 2015 auf die Waage zu bringen bedeutet jedoch noch nicht, in der damaligen Form anzutreten. Beweglichkeit, Schnelligkeit und vor allem Kondition stehen nach langer Inaktivität auf einem anderen Blatt.

Der Außenseiter hat recht, wenn er bezweifelt, daß Tyson Fury noch derselbe Boxer wie 2015 ist. Das ist er mit Sicherheit nicht, wobei sich zeigen wird, wieviel ihm unterdessen abhanden gekommen ist. Im schlimmsten Fall hat Fury zu viel Substanz verloren, um einem allenfalls durchschnittlichen Gegner wie Seferi, der ständig Druck machen kann, über zehn Runden standzuhalten. Gelingt es dem Albaner, den riesigen Gegner fortgesetzt zu beschäftigen, könnte dem Favoriten im Laufe der Zeit die Luft ausgehen. [1]

Eine Boxlegende des 21. Jahrhunderts, zu der ihn Sefer Seferi hochstilisiert, ist Tyson Fury allerdings nicht. Er setzte sich gegen den damals 40jährigen Klitschko durch, weil der Ukrainer an diesem Abend noch schlechter boxte als er selbst. Der Titelverteidiger stand wie gelähmt herum und wollte einfach nicht loslegen, unerreichbar für seinen Trainer Johnathon Banks und seinen Bruder Vitali, die ihn vergeblich anspornten, endlich die Fäuste sprechen zu lassen. Seit dem Tod seines langjährigen Trainers Emanuel Steward war Klitschko nicht mehr derselbe Boxer. Er kämpfte in Eigenregie und folgte kaum den Anweisungen aus seiner Ecke, was angesichts seiner Erfahrung eine Zeitlang zu funktionieren schien. Indessen schlichen sich zunehmend Schwächen in seine Auftritte ein, die kaum noch zu beheben waren. Hätte Steward beim Kampf gegen Fury in seiner Ecke gestanden, wäre der Brite nicht Weltmeister geworden. Weit nach hinten auszupendeln und mit gestrecktem Arm vor dem Gesicht des Ukrainers herumzufuchteln hätte unmöglich gereicht, um Klitschko abzuhalten, wäre dieser von Emanuel Steward unnachgiebig in die Offensive geschickt worden.


Fußnote:

[1] www.boxingnews24.com/2018/05/tyson-fury-vs-sefer-seferi/

21. Mai 2018


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