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MELDUNG/2294: Weltergewicht - schnelle Fäuste, schwaches Kinn ... (SB)



Amir Khan gegen Samuel Vargas offen wie ein Scheunentor

Amir Khan hat seine Karriere dank eines recht mühsamen Sieges gegen den Außenseiter Samuel Vargas über Wasser gehalten. Der britische Weltergewichtler setzte sich in der Birmingham Arena einstimmig nach Punkten (119:108, 119:109, 118:110) gegen den in Kanada lebenden Kolumbianer durch, mußte aber diverse brenzlige Situationen überstehen, bis er sein Schiff in den sicheren Hafen bugsiert hatte. Für den 31jährigen ehemaligen Weltmeister im Halbweltergewicht aus dem nordenglischen Bolton, der definitiv schon bessere Tage im Ring gesehen hat, stehen nun 33 Siege und vier Niederlagen zu Buche. Sein zwei Jahre jüngerer Gegner, der eine faustdicke Überraschung nur knapp verfehlte, hat 29 gewonnene, vier verlorene sowie zwei unentschieden gewertete Auftritte vorzuweisen. [1]

Nach seiner vorzeitigen Niederlage gegen den körperlich weit überlegenen Mittelgewichtler Saul "Canelo" Alvarez im Mai 2015 hatte Khan eine lange Pause eingelegt und sich einer Operation an der Hand unterzogen. Er wechselte den Trainer und meldete sich vor fünf Monaten überzeugend zurück, indem er den heillos überforderten Phil Lo Greco binnen 39 Sekunden zerlegte. Sollte der Brite gehofft haben, auch im zweiten Streich nach seinem Comeback kurzen Prozeß machen zu können, sah er sich angesichts des robusten Kontrahenten rasch eines Besseren belehrt. Khan boxte im wesentlichen so, wie man es von ihm kennt, nämlich mit blitzschnellen Fäusten, einem guten Timing, aber einem Glaskinn. Das fast schon geflügelte Wort, man dürfe bei seinen Auftritten niemals den Blick abwenden, da jederzeit auf die eine oder andere Weise etwas passieren könne, bestätigte sich auch in Birmingham. [2]

Als Khan seinen Widersacher in der zweiten Runde auf die Bretter schickte, schien alles nach Plan zu laufen. Doch noch vor der Pause lag die Sensation in der Luft, da sich Vargas mit einem Niederschlag revanchierte. Im folgenden Durchgang war es wieder der Kolumbianer, der nähere Bekanntschaft mit der Matte machen mußte, aber nur, weil ihm der Favorit einen streng verbotenen Nackenschlag versetzt hatte, den Ringrichter Terry O'Connor aus unerfindlichen Gründen übersah. In der fünften Runde kam Khan deutlich besser zur Geltung und deckte den Gegner mit heftigen Haken ein, doch Vargas gab sich nicht geschlagen. Wenngleich der Brite weiter dominierte, schien ihm doch von der achten Runde an allmählich die Luft auszugehen, wozu sicher auch die Körpertreffer beitrugen, die er einstecken mußte. Er wurde langsamer, und seinen Schlägen mangelte es an Wucht, wovon Vargas profitierte, der nun wieder häufiger traf. So auch kurz vor Ende der zehnten Runde, als Khan nach einem rechten Haken ans Kinn gerade noch in seine Ecke taumeln konnte und vom Gong gerettet wurde. Dem Außenseiter fehlten in dieser Szene nur wenige Sekunden, um alle Prognosen zur Makulatur zu machen. Der Brite kam also gerade noch einmal davon, boxte im nächsten Durchgang vorsichtig und erhöhte in der letzten Runde noch einmal das Tempo, um den Sieg sicher nach Hause zu bringen.

Ungeachtet seiner bedenklich schwachen Nehmerqualitäten, die selbst ein Aufbaugegner wie Samuel Vargas in aller Deutlichkeit aufzeigen konnte, beharrte Khan hinterher darauf, er sei sehr zufrieden mit seinem Auftritt. Er habe zuletzt vor drei Jahren über volle zwölf Runden gekämpft und daher die Gelegenheit gesucht, diesmal über die Distanz zu gehen. Deshalb habe er mehrere Gelegenheiten absichtlich verstreichen lassen, den Kolumbianer vorzeitig in die Kabine zu schicken. Das klang denn doch eher nach einem schwachen Versuch, die Zähigkeit seines Gegners auszublenden und die eigenen Probleme schönzureden, als habe er lediglich eine taktische Marschroute konsequent durchgetragen.

Seit Monaten kündigt Amir Khan an, er wolle die Elite im Weltergewicht aufmischen und noch einmal zum Champion aufsteigen, wozu es bald kommen werde. Legt man seine Vorstellung in Manchester zugrunde, brauchen sich die amtierenden Welteister Errol Spence, Shawn Porter, Keith Thurman, Terrence Crawford und Manny Pacquiao wie auch Danny Garcia keine Sorgen zu machen. Spence und Garcia haben Vargas vorzeitig besiegt, mit dem sich Khan zwölf Runden lang abmühen mußte. Auch konnten alle die eklatante Defensivschwäche und die Konditionsprobleme des Briten aus der Ferne verfolgen, der ihnen ganz gewiß keine schlaflosen Nächte bereiten wird.

Eigentlich schien ein Kampf zwischen Amir Khan und seinem Landsmann Kell Brook beschlossene Sache zu sein, zumal dieses Duell schon seit 2016 immer wieder diskutiert wurde und beide Akteure inzwischen bei Eddie Hearn unter Vertrag stehen. Brook saß denn auch in der Erwartung am Ring, daß ihn Khan in aller Öffentlichkeit auffordern werde, sich mit ihm zu messen, was auch die erklärte Absicht ihres gemeinsamen Promoters ist. Vordem IBF-Weltmeister im Weltergewicht, bezog Kell Brook gegen Gennadi Golowkin im Mittelgewicht und Errol Spence in seinem angestammten Limit schwere K.o.-Niederlagen, wobei er sich in beiden Fällen einen Bruch an der Augenhöhle zuzog. Zuletzt trat er im Halbmittelgewicht an, doch ist er erklärtermaßen bereit, sich mit Khan im Weltergewicht zu messen. Ob Brook und Hearn etwas ahnten oder sogar wußten, was dem Publikum unbekannt war, sei dahingestellt. Jedenfalls herrschte allgemeine Überraschung, als Amir Khan unmittelbar nach seinem Sieg verkündete, er wolle im nächsten Schritt gegen Manny Pacquiao und erst danach gegen Kell Brook antreten.

Er werde zuerst Pacquiao und dann Kell Brook besiegen, verkündete Khan noch im Ring. Nur wenn der Philippiner partout nicht zu bekommen sei, werde er gleich gegen seinen Landsmann antreten. Sollte Manny Pacquiao verfolgt haben, was sich in Manchester abgespielt hatte, dürfte es ihm in den Fäusten jucken, dem Briten eine rasche Abfuhr zu erteilen. Da der 39jährige jedoch als Senator politische Pflichten hat, die seine ohnehin ausklingende Karriere auf sorgsam ausgewählte Termine und Gegner begrenzen, dürfte Khan eher kein Thema für ihn sein. Kell Brook war vermutlich ziemlich sauer, in den zweiten Rang verwiesen zu werden, hob er doch im Interview mit Sky Sports genüßlich hervor, daß Khan nicht gerade das beste Kinn habe. Wäre er an Vargas' Stelle gewesen, hätte er den Sack frühzeitig zugemacht.

Pacquiaos Name fasziniere das Boxgeschäft, schwärmte Khan, der in früheren Jahren zweimal als möglicher Gegner des Philippiners im Gespräch gewesen war. Ihn wolle er haben, dies sei seine erste Wahl. Er werde sich umgehend mit Eddie Hearn zusammensetzen, um zu beraten, wie dieser Kampf auf den Weg gebracht werden könnte. Manny Pacquiao nach England zu holen wäre phantastisch und ihn zu besiegen geradezu legendär. Kell Brook habe sicher nichts dagegen, einige Monate länger zu warten, zumal er ihn ja auch gar nicht ausschließe, erweckt Amir Khan abermals den Eindruck, er gehe wie selbstverständlich davon aus, daß alles nach seiner Pfeife tanzen muß.

Das sieht Eddie Hearn ganz anders, der in einer ersten Reaktion unterstrich, daß Khans Kampf gegen Kell Brook jetzt oder nie stattfinden werde. Ginge es nach ihm, würden die beiden im Dezember gegeneinander antreten, das heimische Publikum begeistern und die Kasse füllen. Wenngleich dieses Duell 2015 oder 2016 der britische Renner gewesen wäre und angesichts der zwischenzeitlichen Niederlagen beider Boxer an Reiz verloren hat, wäre es immer noch einträglich und für den Promoter vergleichsweise einfach auf die Beine zu stellen. [3] Khan verweigerte sich damals mit der Einschätzung, Brook sei unter seinem Niveau, und zog nach vergeblichen Versuchen, Manny Pacquiao oder gar Floyd Mayweather für sich zu interessieren, schließlich Saul "Canelo" Alvarez vor. Heute dürfte sich das Verhältnis umgedreht haben, da Brook vermutlich nicht lange mit Amir Khan fackeln würde. Manny Pacquiao auf die Insel zu holen, wäre in der Tat traumhaft, würde jedoch Eddie Hearn enorme Aufwände bereiten und vermutlich mangels Interesse des Philippiners ohnehin nicht möglich sein. Man darf gespannt sein, ob es dem Promoter gelingt, Khan die hochfliegenden Pläne auszureden und ihn auf den Boden herunterzuholen.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2018/09/amir-khan-defeats-samuel-vargas-results/

[2] www.espn.com/boxing/story/_/id/24617699/boxing-amir-khan-dominates-samuel-vargas-wants-manny-pacquiao-next

[3] www.boxingnews24.com/2018/09/khan-surprised-referee-didnt-stop-vargas-fight/

12. September 2018


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