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MELDUNG/2327: Schwergewicht - ein Prüfstein war das nicht ... (SB)



Joe Joyce besiegt Bermane Stiverne in der sechsten Runde

Der aufstrebende britische Schwergewichtler Joe Joyce hat sich in der Londoner O2 Arena in der sechsten Runde gegen den ehemaligen WBC-Champion Bermane Stiverne durchgesetzt. Damit ist der 33jährige Brite in acht Profikämpfen ungeschlagen, die er ausnahmslos vorzeitig gewonnen hat, und neuer Pflichtherausforderer des regulären WBA-Weltmeisters Manuel Charr aus Köln. Für den in Las Vegas lebenden 40 Jahre alten Kanadier Stiverne stehen nach seinem desolaten Auftritt 25 Siege, vier Niederlagen sowie ein Unentschieden zu Buche. [1]

Bermane Stiverne brachte mit fast 124 kg das höchste Gewicht seiner ausklingenden Karriere auf die Waage und wirkte im Ring so unmotiviert, als sei er lediglich für einen Zahltag angereist. Der mit 1,98 m zehn Zentimeter größere Brite nutzte seine überlegene Reichweite und hohe Schlagfrequenz, um den unbeweglichen Kontrahenten mit Kombinationen einzudecken, der diesen Angriffen wenig entgegenzusetzen hatte, wenn man einmal von seiner bekanntermaßen robusten Konstitution absieht. Nach einem schweren Treffer in der zweiten Runde war der Kanadier sichtlich benommen und bekam eine ganze Serie weiterer Schläge ab. Hätte Ringrichter Howard Foster den Kampf in dieser Phase abgebrochen, wäre das durchaus vertretbar gewesen.

Im nächsten Durchgang ging Stiverne dann nach einem weiteren Volltreffer zu Boden, doch kam er rechtzeitig wieder auf die Beine und überstand die verbliebene Zeitspanne bis zur Pause, indem er Joyce mit wuchtigen Schlägen zur Vorsicht mahnte. Das hinderte den Briten zwar nicht daran, ihn weiter anzugreifen, bremste aber seinen Tatendrang vorübergehend. Zudem schien der Favorit aus der Puste gekommen zu sein, da er es in der vierten Runde etwas ruhiger angehen ließ, um für den angestrebten vorzeitigen Erfolg Kraft zu schöpfen. Das Ende folgte schließlich in der sechsten Runde, als Joyce den Gegner unablässig traktierte, der kaum noch Widerstand leistete. Nun hatte der Referee genug gesehen, denn er ging dazwischen und brach den ungleichen Kampf nach 2:26 Minuten des Durchgangs ab. Der sichtlich gezeichnete Stiverne erhob keine Einwände und wirkte erleichtert, diesen schweren Gang aufrecht stehend hinter sich gebracht zu haben. [2]

In einer ersten Stellungnahme zollte Joe Joyce seinem Gegner Respekt, den er mit allem bearbeitet habe, was ihm zu Gebote stand. Stiverne sei sehr zäh, habe alles weggesteckt und zurückgeschlagen, doch am Ende sei es eben zu viel für ihn geworden. Daß es sechs Runden gedauert hatte, obwohl der Außenseiter in sichtlich schlechter Verfassung angetreten war, verdankte sich indessen nicht nur der Widerstandsfähigkeit des Kanadiers. Der amtierende WBC-Weltmeister Deontay Wilder hatte Stiverne im November 2017 bei ihrer Revanche gleich in der ersten Runde geschlagen auf die Bretter geschickt. Schon damals schien der Kanadier nicht gerade in Bestform anzutreten, doch war er mit 115 kg noch erheblich leichter als nun im Kampf gegen Joe Joyce.

Joyce, der bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro die Silbermedaille im Superschwergewicht gewonnen hat, teilt zwar gewaltig aus, schlägt dabei aber so langsam, daß er die Angriffe regelrecht telegraphiert. Zudem neigt er zu einer hohen Schlagfrequenz, die auf Kosten der Wirkung zu gehen scheint, so daß er Stiverne nur gelegentlich beeindrucken konnte. Der Kanadier hat jedoch inzwischen derart nachgelassen, daß er die Schläge kaum noch abblocken konnte, deren Summe ihn schließlich zermürbte. Wenngleich der Sieg des Briten zu keinem Zeitpunkt gefährdet war, konnte von einer beeindruckenden Vorstellung eher nicht die Rede sein, zumal sein Jab allenfalls Durchschnitt und die Deckung offen wie ein Scheunentor war. Das spielte zwar gegen Stiverne keine Rolle, der schlichtweg zu schwach für den körperlich klar überlegenen Gegner war. Gemessen am Anspruch des Briten, in absehbarer Zeit reif für einen bedeutenden Titelkampf zu sein, hat er aber noch jede Menge Arbeit vor sich.

Sein Trainer Abel Sanchez hat ihn vor wenigen Tagen mit dem jungen George Foreman verglichen, was man besser nicht auf die Goldwaage legen sollte. Sanchez, dessen prominentester Boxer bekanntlich Gennadi Golowkin ist, steht zu Recht im Ruf, nicht nur ein renommierter Trainer zu sein, sondern je nach Bedarf auch das Reden für seine Schützlinge zu übernehmen, um ordentlich Werbung für ihre Auftritte zu machen. Wollte man seine Aussage ernstnehmen, ließe sich boshaft erwidern, daß Foreman womöglich bei seinem zweiten Titelgewinn im Alter von 45 Jahren noch schneller war, als es Joy Joyce heute ist. Davon abgesehen verfügte George Foreman schon in jungen Jahren über einen großartigen Jab, einen gefährlichen Uppercut und einen gefürchteten Haken, die er mit enormer Wirkung schlagen konnte. Das alles kann man für Joe Joyce bislang kaum sagen, weshalb Abel Sanchez noch viel zu tun übrigbleibt.

Daß der Mexikaner nicht leichtfertig urteilt und handelt, läßt sich auch daran ablesen, daß er Luis Ortiz als Gegner abgelehnt hat. Der Kubaner zählt zwar bereits 39 Jahre, wobei er Gerüchten zufolge erheblich älter sein soll, doch ist er nach wie vor derart versiert, daß Joe Joyce gegen ihn vermutlich auf verlorenem Posten gestanden hätte. Ortiz hatte selbst Deontay Wilder einen hochklassigen Kampf geboten und ihn hart an den Rand einer Niederlage gebracht, ehe ihn der Champion aus Tuscaloosa in Alabama am Ende doch noch mit seiner gefürchteten Rechten niederstreckte. Bessere Aussichten hätte Joyce vermutlich gegen Jarrell Miller, der ihm in der Kampfesweise ähnelt, aber etwas kleiner ist. Der 30 Jahre New Yorker tritt am 1. Juni gegen Anthony Joshua an, den Weltmeister der Verbände WBA, WBO und IBF. Daß dessen Promoter Eddie Hearn weder Luis Ortiz noch Joe Joyce den Vorzug gegeben hat, von Deontay Wilder oder Tyson Fury ganz zu schweigen, gibt ein angemessenes Bild der Gefahrenlage wieder.

Der 34 Jahre alte Manuel Charr, dessen Bilanz 31 Siege und vier Niederlagen aufweist, hat den sekundären Titel des regulären WBA-Weltmeisters vor 15 Monaten durch einen Sieg über Alexander Ustinow gewonnen. Nachdem ihm der Gürtel wegen einer positiven Dopingprobe zunächst aberkannt worden war, wurde dem Einspruch des Kölners gegen diese Entscheidung stattgegeben. Eine geplante Titelverteidigung Charrs gegen Fres Oquendo fiel aufgrund der Absage des Puertoricaners ins Wasser. Da dieser seit Jahren nicht mehr im Ring gestanden hat und aller Voraussicht nach auch nicht mehr dorthin zurückkehren wird, steht zu erwarten, daß sein Anspruch auf einen Titelkampf, den ihm ein US-Gericht einst zugesprochen hatte, gestrichen wird.

Wie Joyce nun erklärt hat, wolle er sich zunächst Charrs Gürtel holen, dann noch einige Kämpfe wie den gegen Stiverne bestreiten und sich schließlich mit einem der namhaften Weltmeister, also Anthony Joshua oder Deontay Wilder messen. Wann es soweit sein könnte, ist ungewiß, wobei Abel Sanchez bereits angedeutet hat, daß dies nicht vor Ende des Jahres oder Anfang 2020 der Fall sein wird. Manuel Charr gilt zwar in dieser Konstellation als leicht lösbare Aufgabe für den Briten, doch ist der Kölner dafür bekannt, selbst als krasser Außenseiter über sich hinauszuwachsen.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2019/02/joe-joyce-stops-bermane-stiverne-results/

[2] www.boxingnews24.com/2019/02/joe-joyce-beats-bermane-stiverne-will-fight-for-wba-title-next/

25. Februar 2019


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