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KOMMENTAR/005: Was in Peking Täuschung ist, ist in Chicago PR (SB)



Die Olympischen Spiele in Peking sind keine drei Monate alt, da scheint ein neuer Fieberwahn in der westlichen Medienwelt ausgebrochen zu sein. Die gleichen Berichterstatter, die China im Verlauf der Sommerspiele schlechteste Noten in Sachen freier Internetzugang, Menschenrechte und Demokratie gegeben hatten, überschlagen sich nun darin, den neu gewählten Präsidenten der Vereinigten Staaten, Barack Obama, zum Hoffnungsträger eines auch die Sportwelt betreffenden Wandels der desaströsen US-Politik unter George W. Bush zu stilisieren. "Mit Obama ändert sich alles. Barack Obama ist die Chance, er könnte helfen, tiefe Gräben zu überwinden in der Politik wie im Sport", berichtete ein gewisser Jens Weinreich im Deutschlandfunk (5.11.08). Der sich kritisch gebende Netzwerk- Journalist, der während der Peking-Spiele, kurz nach den Bombenabwürfen der von den USA aufgerüsteten georgischen Streitkräfte auf die südossetische Hauptstadt Tschinwali, die irreführende Meldung von 35 georgischen Olympiateilnehmern lancierte, die eine Resolution verabschiedet hatten, "in der sie Russland aufriefen, das Bombardement in Südossetien einzustellen" (FR-online, 10.08.08) - ohne mit einem Wort zu erwähnen, daß die Bomben nicht von den Russen, sondern von den Georgiern kamen und 1.300 Tote unter der Bevölkerung Südossetiens forderten -, macht sich wie die Vielzahl seiner Kollegen zum Lautsprecher der US-Kampagne.

Hatte man in den hiesigen Medien die Olympischen Spiele als lupenreine Propaganda-Veranstaltung der chinesischen Regierung verspottet, ja sogar IOC-Präsident Jacques Rogge zum willfährigen Instrument der chinesischen Machthaber erklärt ("Er ließ sich von den KP-Führern um Hu Jintao am Nasenring durch die Manege führen" - Weinreich, Spiegel online, 24.8.08), so haben die Scharfmacher im Fall des demokratischen Präsidentschaftsgewinners Barack Obama, der sich im kapitalgesteuerten Zweiparteiensystem gegen seinen republikanischen Kontrahenten John McCain durchsetzte, auf einmal Kreide gefressen. Als ob die USA keine menschenverachtenden Kriege im Irak und Afghanistan führten, nicht tagtäglich schwerste Menschenrechtsverstöße u.a. in Folterlagern wie auf Guantánamo Bay oder an anderen geheimen Orten der Welt begingen, werden sie dennoch in der Presse zum hoffnungsreichen Kandidaten für die Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 2016 hochgejubelt. "Dank des neuen US-Präsidenten Barack Obama steigen Chicagos Chancen auf die Ausrichtung der Sommerspiele im Jahr 2016 - gegen die Mitbewerber Tokio, Madrid und Rio de Janeiro", titelte die Süddeutsche Zeitung (6.11.08).

Hatten der westlichen Medienwelt verbundene China-Kritiker ein ums andere Mal darauf verwiesen, daß man die Olympiade gar nicht erst ins Reich der Mitte hätte vergeben sollen, so scheinen ähnliche opportunistische Erwägungen nach dem Wahlsieg Obamas ohne publizistischen Nährwert zu sein. Statt dessen arbeitet man die Vorbehalte an Obamas Gegenspieler John McCain ab, der 1999, nachdem der IOC-Bestechungsskandal von Salt Lake City ruchbar geworden war, die IOC-Mitglieder "wie Schulbuben" vorgeführt habe. Der republikanische Senator hatte zwei Anhörungen im Handelsausschuß des US-Senats in Washington organisiert, beim zweiten Termin mußte auch der damalige IOC-Pate Juan Antonio Samaranch Rede und Antwort stehen. McCain drohte sogar, die milliardenschweren Sponsoren- und TV- Rechtezahlungen von US-Firmen einzufrieren und forderte zudem monatliche Finanzberichte vom Olympiakonzern.

Was damals als opportuner Akt der Korruptionsbekämpfung und als wichtiger Anstoß zu IOC-Reformen goutiert wurde, gilt heute als Pfund, mit dem der sportpolitisch noch unverbrauchte Barack Obama - sieht man einmal von seinem Appell an George W. Bush ab, die Olympiaeröffnungsfeier in China zu boykottieren - am 2. Oktober 2009 in Kopenhagen wuchern kann, wo das IOC den Olympiaausrichter 2016 bestimmt.

Wie sich doch alles ins Bild fügt: Sequenzen aus der Rede Obamas vor hunderttausenden Menschen im Grant Park von Chicago, der ersten Rede nach seinem Wahlsieg, könnten nun in jenes Video eingearbeitet werden, das die Olympiabewerber in Kopenhagen dem IOC präsentieren werden, schreibt Weinreich in der SZ. Chicago könne sich keine bessere Werbung für seine Offerte wünschen. "Die Augen der Welt ruhten auf Barack Obama und damit auch auf Chicago. Dadurch hatten die Menschen die Chance, unsere Stadt zu sehen und zu erleben, wie es bei den Olympischen Spielen sein würde", zitiert FAZ-online (7.11.08) Chicagos Bewerbungschef Patrick Ryan.

Die Inszenierung des Weltbeglückungs-Hypes um Obama durch die Medien könnte nicht augenfälliger sein. Hatte das Tochterblatt der FAZ, die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, die Spiele in Peking noch als grandioses Täuschungsmanöver bloßzustellen versucht - "Die Täuschungen und Verhüllungen begannen mit der Eröffnungsfeier, als Kinder in Trachten aus dem ganzen Land keine Kinder aus dem ganzen Land waren, sondern Schauspieler. Auch die Hymne kam vom Band, weil das Kind mit der schönsten Stimme den Organisatoren nicht schön genug war" (24.8.2008) -, so gilt die in das Bewerbervideo hineinmontierte "Acceptance Speech" von Obama im Grant Park von Chicago als absolut legitim. Was den Chinesen als "Täuschung" angekreidet wurde, etwa weil die leuchtenden "Fußspuren" des Feuerwerks über dem Olympiastadion nicht real vom Hubschrauber aufgenommen, sondern vom Computer simuliert waren, das gilt in der US-freundlichen Sportberichterstattung, sobald der "Obama-Faktor" ins Spiel kommt, als gelungener PR-Coup.

"Diese Olympischen Spiele werden nicht nur als die politischen, sondern auch als die gefälschten in die Geschichte eingehen", hatte FR- online (13.08.08) die Peking-Spiele resümiert. Ein ähnliches vernichtendes Urteil über die Chicago-Bewerbung ist indessen nicht zu erwarten, dürften die US-Olympiabewerber doch wohlweislich darauf verzichten, etwa die wachsenden Zeltstädte rund um die US-Metropolen von Los Angeles bis New York, in denen immer mehr Menschen aus Gründen der Armut und beruflichen Perspektivlosigkeit Zuflucht suchen, einzufangen. Allein im Juli dieses Jahres hatten 29,05 Millionen US- Bürger Lebensmittelmarken erhalten, um nicht am Hungertuch zu nagen.

Dann schon lieber ein Bewerbervideo mit der Skyline von Chicago, davor eine riesige Beifallkulisse, die einem frischgebackenen US-Präsidenten zujubelt, dem das Image eines einst talentierten schwarzen Basketballspielers anhaftet, der sich von unten bis in die Eliteliga hochgespielt hat - selbstverständlich mit der Protektion der Reichen und Superreichen. Die große Obama-Show verkauft sich prächtig, bereits im Juni versprach Bürgermeister Richard Daley: "Barack Obama wird dieses Land im olympischen Geist führen."

Bekanntlich wird der "olympische Geist" durch ein milliardenschweres Wirtschaftsunternehmen namens IOC gemanagt und promotet, das die globale Marktführerschaft nach der alten olympischen Devise "citius, altius, fortius" (schneller, höher, stärker) anstrebt und sich zu diesem Zweck des lustvollen Athleten als Manövriermasse bedient. Unter diesen Maximen, die sich im Beruf, im Alltag und in der Freizeit fortsetzen, ist bislang noch jeder freie Geist in die Flasche kapitalistischer Verwertungsordnung gezwungen worden.

18. November 2008