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KOMMENTAR/008: Wuppertal Titans - Sozialfolter im Volleyball (SB)



Man kennt die Militärtaktik aus der Kriegsberichterstattung: Einer mit überlegener Waffengewalt in Schach gehaltenen Dorfgemeinschaft wird mit willkürlichen Erschießungen gedroht, sollte sie den Besatzern nicht "Schuldige", für was auch immer, präsentieren. Das Perfide daran: Dem Anschein nach machen sich nicht die Aggressoren die Hände schmutzig, sondern die um ihr Leben fürchtenden Dorfbewohner, die selbst darüber bestimmen sollen - möglicherweise sogar durch "demokratische Wahl" -, wen sie opfern, damit es nicht alle trifft. In einer weiteren Zuspitzung dieser teuflischen Zwangslage muß ein Dorfbewohner selbst das Todesurteil vollstrecken. Dies soll weitere soziale Verwerfungen unter den Dorfbewohnern stiften und ihre Wehrbereitschaft gegenüber dem äußeren Feind ablenken und schwächen. Im günstigsten Fall verzichten die Militärs dann darauf, weitere "Schuldige" zu richten oder richten zu lassen. Verhalten sich die Dorfbewohner im Sinne der Militärs wohl, leisten keinen Widerstand und stellen die äußere Zwangslage nicht in Frage, werden sie möglicherweise sogar belohnt. Alles geht seinen Gang, wer sich mit dem Fremdregime arrangiert, der rettet seine Haut und kann sein normales Tageswerk wie bisher verrichten. Möglicherweise werden die Dorfbewohner sogar angetrieben sein, noch besser und schneller zu arbeiten, um den Militärs keinen Vorwand für weitere Sanktionen zu liefern.

Warum dieses drastische Beispiel? Nun, führt man sich die Vorkommnisse beim Volleyball-Bundesligisten "Wuppertal Titans" vor Augen, so wird man in weit abgeschwächter Form ähnliche Zwangslagen und sozial- repressive Mechanismen entdecken wie die eben beschriebenen. Zweifellos wird das achtköpfige Herrenteam nicht mit dem Tode bedroht, im übertragenen Sinne wurde ihm aber sehr wohl die Pistole auf die Brust gesetzt, und zwar vom Manager des abstiegsbedrohten Klubs Thorsten Westhoff. Der Unternehmensberater, der als Branchenfremder zum Volleyball kam, dafür aber nun ausgiebig seine langjährigen Erfahrungen in der "Wirtschafts- und Standortpolitik" an der Mannschaft austesten kann, kündigte nach der 0:3-Heimpleite am 23. November 2008 gegen Aufsteiger TV Rottenburg an, daß man sich von einem Spieler trennen und statt dessen Trainer Jens Larsen sein Comeback als Spielertrainer feiern werde. Das Management verlangte von der Mannschaft, daß sie nicht nur intern die störenden Umstände der mangelhaften Leistung klärt, sondern auch entscheidet, wer aus den eigenen Reihen gefeuert werden soll. "Ein im deutschen Sport einmaliger Vorgang, wenn ein Management die Entscheidung über einen Rausschmiss nach unten delegiert", berichtete die Süddeutsche Zeitung. Bis zu einer Pressekonferenz (26.11.08) drei Tage nach der verlorenen Partie, auf der der Öffentlichkeit das Ergebnis präsentiert werden sollte, wurde den Spielern zudem ein Redeverbot auferlegt.

Die Spieler waren somit aufgefordert, "das störende Glied in der Mannschaft zu entfernen", wird Manager Westhoff von FAZ.NET (26.11.08) zitiert. Wie der Internetanbieter weiter berichtete, hätten sich die Wuppertaler Spieler nach einer schlaflosen Nacht am nächsten Morgen getroffen, um einen aus den eigenen Reihen abzuwählen. Nacheinander habe jeder verkündet, wer warum nicht mehr zur Mannschaft gehören sollte. Damit es zu keinen "Retourkutschen" käme nach dem Motto "Du hast mich nominiert, jetzt nominier ich dich zurück", wie der Mannschaftskapitän Gergely Chowanski später in einem taz-Interview (27.11.08) verriet, habe jeder zuvor seine Wahl in einem Kurzgespräch dem Manager mitgeteilt. Später seien dann vor allen die Nominierungen vorgelesen worden.

"Es war wie im alten Rom: Wenn man den Schuldigen nicht kennt, muss einer gefunden werden, der Schuld hat. Und so war das auch bei uns", erklärte Chowanski in der taz. Er habe so etwas in dieser Schonungslosigkeit noch nie erlebt.

Die auf die "Titans" gerichteten Pistolen heißen ins Sportliche übersetzt Spielerkündigung sowie drohender Abstieg, erschwerte Sponsorenakquise, weniger Medienaufmerksamkeit, Zuschauerrückgang, Fanschelte etc. "Unser Manager hat von Anfang an gesagt, dass jeder mitmachen muss. Seine Drohung: Wer nicht nominiert, fliegt sofort", beschrieb Gergely Chowanski im taz-Interview die äußere Zwangslage.

Mit anderen Worten: Jeder hatte Angst, seinen Job zu verlieren. Das Gewaltverhältnis manifestierte sich bei den Wuppertal Titans vornehmlich in der Lohnabhängigkeit der Spieler. Wie im repressiven Spitzensport fast die Regel, nutzte das Management die Not, aber auch die grundsätzliche Bereitschaft der Akteure, sich über die Hebel von Konkurrenz und Leistung gegeneinander ausspielen zu lassen, und versetzte jeden einzelnen in die Lage, selbst einmal Herrscher spielen und den Daumen bezüglich der eigenen Kollegen nach oben oder unten halten zu können. Nicht das Management in Stellvertretung für die Kapital- und Produktionsmittelbesitzer, die den professionellen Volleyballbetrieb organisieren und finanzieren, wollte den Abzugshahn drücken, sondern die unter extremen Druck gesetzten Spieler sollten sich mit den im Mannschaftssport nicht unüblichen Mitteln der gegenseitigen Schuldzuweisung ans Messer liefern.

Erst nach Vollzug dieser sportiven Sozialfolter, die den Spielern gehörig an die Nieren gegangen sein mag, hat sich die Mannschaft, und zwar in Abwesenheit des Managers und des Trainers, dann doch noch zu einer Solidarhaltung durchgerungen und sich auf die eigene Stärke besonnen. Sie teilte der Klubführung in geradezu leistungssportwidriger Weise mit, daß entweder alle gehen würden oder keiner. Erst nach diesem Ultimatum, verbunden mit einem von allen unterzeichneten Kündigungsschreiben, entschied sich die Klubführung dafür, keinen Spieler zu entlassen.

"Das war der Punkt, an dem ein Neuanfang möglich war. Nur mit diesem Reset können wir jetzt in die Zukunft gehen und haben eine Grundlage für das Miteinander, aber das offene und ehrliche Miteinander, geschaffen", behauptet Thorsten Westhoff auf der Homepage der Wuppertal Titans, wo der Gewaltakt als produktiver Läuterungsprozeß schöngeredet wird. Die Behauptung des Managements, es wäre jeden Weg mitgegangen und hätte sich auch damit abgefunden, "dass das Projekt erste Volleyball-Bundesliga beendet sein könnte", wirkt wie eine nachgeschobene Rechtfertigung des nach wie vor bestehenden Machtverhältnisses, daß die Klubführung die im Leistungssport allseits akzeptierte Ausmusterung leistungsschwächerer Spieler jederzeit bewirken könnte. "Wenn die Konsequenz gewesen wäre", zitiert FAZ.NET Manager Westhoff, "dass das störende Glied hätte gehen müssen, dann wäre das auch in Ordnung gewesen". Lediglich die Waffe der Spieler - der Zusammenhalt auf Gedeih und Verderb - hält die Klubführung momentan in Schach. Sobald die Spieler wieder ihren ganz normalen Konkurrenzkampf untereinander austragen und sich über den Löffel des Leistungsvergleichs barbieren lassen, dürfte das aktuelle "Wir- Gefühl", das durch außergewöhnlich starken sozialen Druck aufgeschäumt wurde, in sich zusammenfallen. Nicht von ungefähr betont Trainer Larsen, ein "emotionaler Neustart" sei erreicht worden, statt einer kompromißlosen Spielersolidarität, die sich weigert, den Schwächsten auf dem Altar des sportlichen und wirtschaftlichen Erfolgsdrucks zu opfern, das Wort zu reden.

Auch bei den durch die Mangel gedrehten "Titanen", die meistenteils das leistungssportliche Selektionsprinzip mit der Muttermilch eingesogen haben, herrscht keine entschiedene, sondern eine ambivalente Haltung vor. Die lehrreichen zwei Tage, die einem selbst die Augen, aber auch die Augen für andere geöffnet hätten, wie Kapitän Chowanski erklärte, würde er nicht wiederholen wollen. Er hätte diesen Weg nicht gewählt, weil er andere Vorstellungen habe, bekannte der 27jährige Zuspieler im taz-Interview und merkte wolkig an: "Es war eine Erfahrung."

Bezeichnenderweise waren sich die Spieler wie auch die über den ungewöhnlichen Fall berichtende Presse, die ständig den gesellschaftlichen Konsens zu beleben pflegt, darin einig, daß sich im "Dschungel-Champ", bei "Big Brother" oder bei "Deutschland-sucht-den- Superstar" die Leute ja auch gegenseitig rauswählten. "Und jetzt hat es so etwas eben mal in der Volleyballszene gegeben", so Mittelblocker Lars Dinglinger gegenüber FAZ.NET.

Nichtsdestotrotz ging es den betroffenen Spieler mächtig gegen den Strich, sich vom Management zu bürokratischen Knipsern wider den Sportskollegen funktionalisieren zu lassen, ansonsten hätten sie sich nicht dagegen solidarisch erklärt. Sollten aber dennoch Unternehmerkonzepte, die den Produktionsfaktor Mensch ganz gezielt in soziale und gruppendynamische Zwänge treiben, um Leistungs- und Produktionssteigerungen zu erreichen - etwa beim "Teamwork" in der sogenannten Lean Production, wo "Mitverantwortung" und "Verbesserungsvorschläge" darauf hinauslaufen, daß die Arbeitnehmer selbst ein System zur Ausmusterung ineffektiver Mitarbeiter installieren - nun auch im professionellen Mannschaftssport verstärkt Fuß fassen? Spricht es nicht Bände, daß der Unternehmer und Manager Thorsten Westhoff, der die These vom Spitzensport "als weichem Standortfaktor" propagiert, der Mannschaft nun einen Sport-Psychologen zur Seite stellt? Welche "Blockaden" in den Köpfen und "Störungen" im Sozialverhalten der Spieler sollen da wohl beseitigt werden? Sicher wird nicht das repressive Leistungssportsystem in Frage gestellt werden, sondern die mangelhafte Anpassungsfähigkeit der Spieler, sich ohne Vorbehalt und Bedenken den Härten ihrer Leidenschaft zu überantworten.

3. Dezember 2008