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KOMMENTAR/009: Eunice Barber - mißhandelte Athletin für hysterisch erklärt (SB)



Der Fall der ehemaligen französischen Siebenkampf- und Weitsprung-Weltmeisterin Eunice Barber, die im März 2006 bei einer Verkehrskontrolle in Paris von der Polizei mißhandelt wurde, scheint die menschliche Wahrnehmung buchstäblich auf den Begriff zu bringen: Für wahr wird genommen, was einem vorgegeben wird, und zwar selbst dann, wenn die eigenen Augen zuvor etwas ganz anderes gesehen haben wollen.

Hatte die Süddeutsche Zeitung (08.08.06) das im Internet zu sehende Amateurvideo über das damalige polizeiliche Vorgehen noch als "ein bedrückendes Zeugnis falsch verstandener Staatsgewalt" bezeichnet und die "Brutalität" der sechs Beamten, die die Leichtathletin überwältigten, als "erschütternd" dargestellt, so weint das Blatt heute, zumindest im Internet, der aus Sierra Leone stammenden schwarzen Sportlerin keine Träne mehr nach. Denn es gilt, was ein Pariser Strafgericht am 2. Dezember verlauten ließ und was die Medien für wahr nehmen und weitertransportieren: Wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und einer "Beiß-Attacke" gegen einen Polizisten wurde Eunice Barber zu einer Geldstrafe von 5000 Euro verurteilt. Das Gericht verdonnerte die 34jährige außerdem zu Ausgleichszahlungen zwischen 350 und 1050 Euro an die sechs beteiligten Polizisten. Sie muß darüber hinaus Prozeßkosten in Höhe von 700 Euro tragen. Die Anklage hatte eine zweijährige Bewährungsstrafe gefordert. Barber will gegen das Urteil, das sie als "schlimme Ungerechtigkeit" bezeichnet, Berufung einlegen.

Die Polizeistrategie scheint somit aufgegangen, die Medien berichten unisono über eine "bissige" Athletin, gelegentlich wird noch ein Foto gereicht, das sie in aggressiver Pose mit aufgerissenem Mund - vermutlich hat sie sich bei irgendeinem Wettkampf den Frust von der Seele geschrien - zeigt. Hier werden nicht nur rassistische Vorurteile bedient, einmal mehr schreibt sich die bekannte Geschichte fort, daß eine einst gefeierte Spitzenathletin in der Versenkung verschwindet, sobald die sportlichen Leistungen nicht mehr stimmen und Privates politisch unkorrekt zu werden droht. Drei Monate konnte Barber nach dem Trauma mit der französischen Polizei nicht mehr trainieren, später sorgten Verletzungen für weitere Rückschläge in ihrer sportlichen Vita. Die Leichtathletik-EM 2006 mußte die Siebenkämpferin wegen einer Hüftblessur vorzeitig abbrechen, auch als Weitspringerin blieb ihr eine Rückkehr an die Weltspitze versagt. Bei der WM 2007 in Osaka schied Barber in der Qualifikation aus, für die Olympischen Spiele in Peking vermochte sie sich nicht zu qualifizieren.

Nicht nur über die rabiaten Polizisten und eine mißhandelte Athletin, wie von den Medien vor knapp zwei Jahren noch berichtet, sondern auch über die gesellschaftlichen Umstände in Frankreich hat sich der Schleier des Vergessens gelegt. Allenfalls ist zu lesen, daß im März 2006 der Pariser Stadtteil St. Denis, der Ort, wo Barber in eine Verkehrskontrolle geriet, von Unruhen erschüttert wurde. Kein Wort davon, daß der französische Staat sich fast in einem Kriegszustand insbesondere mit den in den Armutsghettos lebenden Menschen nord- oder schwarzafrikanischer Herkunft befand - genaugenommen heute noch befindet, wie die bloße Existenz der Ghettos verdeutlicht. Als im Oktober 2005 in Paris drei Jugendliche aus Furcht vor polizeilichen Nachstellungen in ein Transformatorenhäuschen geflüchtet waren, woraufhin sich zwei tödlich und einer schwer verletzte, kam es in der Folge zu weiteren heftigen Unruhen mit zahlreichen in Flammen aufgehenden Autos und Festnahmen von Jugendlichen.

Der damalige französische Innenminister und heutige Staatspräsident Nicolas Sarkozy, für seine Law-and-Order-Politik weithin berüchtigt, hatte die Jugendlichen als "Gesindel" und "Abschaum" bezeichnet, den man "wegkärchern", also mit einem "Hochdruckreiniger wegspritzen" müsse. Insbesondere für die in den Trabantenstädten lebenden nordafrikanischen Jugendlichen wurde Sarkozy zur Symbolfigur für soziale Diskriminierung und Repression. Anfang November 2005 verhängte die französische Regierung sogar den Ausnahmezustand, was die Polizei ermächtigte, auch präventive Maßnahmen zu ergreifen, die zwangsläufig oft mit reiner Willkür einhergingen.

Um sich das aufgeheizte gesellschaftliche Klima in Frankreich, auch im Zusammenhang mit Eunice Barber, zumindest ahnungsweise zu vergegenwärtigen, sei erwähnt, daß sich nicht nur Jugendliche mit Migrantenhintergrund auf "Sonderbehandlungen" durch die Polizei gefaßt machen mußten, sondern alle Jugendlichen, die sich beispielsweise im März 2006 auf der Straße befanden und sich nach wochenlangen Protesten zum Teil gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Gandarmerie lieferten. So hatten vorwiegend Schüler und Studenten zu Hunderttausenden gegen den umstrittenen Erstanstellungsvertrag (CPE), den der französische Premier Dominique de Villepin durchsetzen wollte und wonach innerhalb der ersten beiden Berufsjahre eine Kündigung ohne Nennung von Gründen möglich sein sollte, protestiert, was zu einer weiteren Mobilisierung repressiver Kräfte führte. Der Polizeiknüppel saß zu dieser Zeit lockerer denn je, was insbesondere ausländisch aussehende Jugendliche in Frankreich handfest zu spüren bekamen.

Das gilt auch für Leichtathletik-Star Eunice Barber, die am 18. März 2006 vor dem Stade de France bei Paris festgenommen wurde, als sie am Steuer ihres Autos nach links in eine vorübergehend gesperrte Straße abbog. Einer der Polizisten habe wohl angedeutet, sie solle nach rechts abbiegen, "aber ich habe nicht verstanden, was er von mir will", erzählte Barber auf einer Pressekonferenz. Dann hätten die Beamten auf ihr Auto geschlagen. "Ich ließ die Fensterscheibe herunter, und einer schlug mir ins Gesicht." Den Mann habe sie gebissen, um ihren Körper, der ihr Kapital sei, zu schützen, erklärte Barber, während die Anklage davon spricht, sie sei "hysterisch" geworden.

Man frage sich selbst, wie man reagieren würde, wenn ein Polizist einen bei einer Verkehrskontrolle durch das Fenster ohrfeigt - gelassen und ruhig, oder wohl eher erregt, weil "gedemütigt", wie Barber, die sich in Begleitung ihrer Mutter und ihres einjährigen Neffen befand, über die Absicht des Beamten mutmaßte. Hinzu kommt noch, daß sich der Vorfall an einem der "sozialen Brennpunkte von Paris, in dem die Polizei dafür bekannt ist, nicht zimperlich zu sein" (SZ, 8.8.06), ereignete.

"Eunice hätte sich nie erlaubt, einen Polizisten zu beißen, wenn sie nicht Schläge hätte einstecken müssen. Das eigentliche Problem ist, dass man sich darüber bewusst wird, dass einige Polizisten Rassisten sind", brach die aus Guadelopue stammende Weltklasse-Sprinterin Christine Arron eine Lanze für ihre Kollegin (SZ, 8.8.06).

Als Barber aus dem Wagen stieg, tauchten vier bzw. sechs weitere Polizisten auf - alles auf einem Amateurvideo zu sehen, das sogar landesweit von einem TV-Sender in Frankreich ausgestrahlt wurde. "Auf den Bildern ist zu sehen, wie bis zu sechs Polizisten die 31-jährige (...) brutal auf die Motorhaube ihres Wagens drücken", berichtete "Der Spiegel". Anschließend wurde sie von den Männern zwei Mal "wie eine Puppe zu Boden gestoßen", sagte ihr Anwalt Emmanuel Daoud. Das Video zeigt deutlich, daß Barber deshalb zu Boden ging, weil ihr Bewegungsraum von den sechs Polizisten stark eingeschränkt wurde. Ein Polizist stellte den Fuß auf ihr Genick.

Auch auf ihrer Hand sei herumgetrampelt worden, beschrieb Barber den Grund für ihre einwöchige Arbeitsunfähigkeit. Danach sei sie in einen Polizeitransporter gebracht worden, hieß es in einem weiteren Bericht von eurosport.de (jw, 31.3.08). "Dort stellten sich zwei Frauen auf meine Hände und meinen Kopf. Sie fragten mich, ob ich glauben würde, daß ich mich in Afrika auch so benehmen könnte", erzählte Barber später auf einer Pressekonferenz. "Sie sagten mir, ich könne froh sein, daß Leute zusehen würden, ansonsten würde es mir schlechter ergehen und ich bräuchte Krücken, wenn sie mit mir fertig wären."

Nach einem Bericht der französischen Zeitung "Le Nouvel Observateur" (24.2.07) kam eine unabhängige Untersuchungskommission Anfang 2007 zu dem Ergebnis, daß die Version der Polizisten unglaubwürdig sei. Statt ein Ermittlungsverfahren gegen die beteiligten Polizisten einzuleiten, drehte die französische Justiz den Spieß jedoch um und statuierte an Eunice Barber ein Exempel. Einmal mehr zeigt sich, daß Bürgerinnen und Bürger, die sich gegen Polizeiübergriffe zur Wehr setzen, kaum Chancen gegen die Gesetzeshüter haben. Steht Aussage gegen Aussage, dann glauben die Gerichte in der Regel den Ordnungshütern, erst recht, wenn sie sich in der Mehrzahl befinden. Selbst Videoaufnahmen können sowohl in die eine wie die andere Richtung interpretiert werden. Die Geldstrafe, die Prozeßkosten sowie die "Ausgleichszahlungen" an die sechs beteiligten Polizisten, zu welchen Barber von einem Pariser Gericht nun verurteilt wurde, sprechen den Bildern des Amateurvideos in frappanter Weise Hohn. Zugespitzt könnte man sagen, für wahr wird immer das genommen, was die stärksten Kräfte in einem Konflikt durchzusetzen in der Lage sind. Der Schachzug von Nicolas Sarkozy, sich der Macht seines Apparates vollauf bewußt, scheint somit aufgegangen: Der frühere Innenminister hatte damals in der Zeitung "Le Parisien" ein hartes Vorgehen gegen die Polizisten angekündigt - sofern sich die Vorwürfe bestätigten.

10. Dezember 2008