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KOMMENTAR/018: Initiative "Sportstandort Deutschland" wirft Nebelkerzen (SB)



Staat und Kapital gehen bei der politischen Lenkung und profitablen Zurichtung des Breiten- und Leistungssports in Deutschland eine immer engere Bindung ein. Ähnlich wie politische Parteien, die von mächtigen und gutvernetzten Think Tanks oder Stiftungen beraten oder gesteuert werden, wird künftig auch der vermeintlich "autonome Sport" die Dienste einer neuen Lobbyorganisation in Anspruch nehmen, in der Spitzenvertreter aus Politik, Wirtschaft und Sport bereits im Vorfeld und unter Umgehung demokratischer Entscheidungswege in den Sportorganisationen maßgeblichen Einfluß auf die Gestaltung der nationalen und internationalen Sport- und Kulturindustrie ausüben. Zu den vorrangigen Zielen dieser als "Beratungsinitiativen" getarnten Einflußnehmer gehört, bürokratische, fiskalische und rechtliche Hindernisse für ein ungehemmtes Sportsponsoring zu beseitigen, sprich für eine effiziente Renditewirtschaft des Kapitals, eine problemlose Verwertung der Humanressource Sport und eine Stärkung des neoliberalen Wettbewerbsstaates zu sorgen.

So haben am 9. Februar in Berlin Spitzenrepräsentanten aus Politik, Wirtschaft und Sport ein neues Langzeitprojekt vorgestellt, das unter dem Titel "Initiative Sportstandort Deutschland" firmiert. Offensichtlich haben sich die Sportführer von allzu plumpen PR-Kampagnen der Sorte "1. FC Deutschland 06" verabschiedet, mit der die Bundesregierung und der Bundesverband der Deutschen Industrie mit Unterstützung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages anläßlich der Fußball-WM 2006 für den "Wirtschafts-, Innovations- und Wissenschaftsstandort Deutschland" Werbung betrieben hatten. In der offiziellen Darstellung fand hierbei nicht etwa die Instrumentalisierung eines sportlichen Großereignisses für gesellschaftliche Propagandazwecke statt, wie man es etwa den Chinesen während der Olympischen Spiele 2008 wie selbstverständlich angekreidet hatte, sondern lediglich eine "Imagekampagne" des "Exportweltmeisters" Deutschland.

Auch bei der im Vorfeld der Fußball-WM von der Bertelsmann-Stiftung, dem führenden Think Tank Europas, initiierten Kampagne "Du bist Deutschland" - laut Eigenwerbung die größte "Social Marketing Kampagne in der Mediengeschichte der Bundesrepublik" - ging es natürlich nicht um die Durchsetzung neoliberaler Selbstverantwortungs-Politik und eines positiv gewendeten Patriotismus', mit dem das Protestpotential zunehmend verarmter und sozial deklassierter Menschen in die bewährten Bahnen nationalstolzer Gefühlsduseleien geleitet werden sollte. Nach offizieller Lesart ging es vielmehr um einen neuen, unverkrampften Umgang mit der Vaterlandsliebe und den Nationalsymbolen. Daß die Erzeugung nationaler Selbstwert- und Überlegenheitsgefühle auch der Gewöhnung an Bundeswehrsoldaten mit schwarz-rot-goldenen Fähnchen im Afghanistan-Einsatz gegolten haben könnte, fällt wohl nur Verschwörungstheoretikern ein - oder eben Werbestrategen, in deren Fetischwelt "Markenbrandings" und "Imagetransfers" keineswegs Phantasmen sind, sondern Techniken der Verhaltensmanipulation, die sich insbesondere bei Kindern und Jugendlichen in Markenhörigkeit und der Anpassung an habituelle Modetrends niedergeschlagen haben.

Ohne Zweifel gehört auch der Sportartikelkonzern Adidas zu den führenden Wegbereitern von Markenkult und professionellem Produkt-Placement in Deutschland, wenn nicht gar weltweit. Es verwundert daher nicht, daß Adidas-Chef Herbert Hainer zusammen mit Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), DOSB-Präsident Thomas Bach und Banker Dirk Huefnagels, Vorsitzender der Sponsorengruppe S20, in Berlin die neue "Initiative Sportstandort Deutschland" präsentierte.

Hier scheinen sich die wahren Macher des Sports in Deutschland gefunden zu haben. "In dem Gremium soll der Meinungsaustausch stattfinden, aber nicht Sportpolitik gemacht werden", behauptete DOSB-Chef Thomas Bach, der als junger Wirtschaftsanwalt einst seine sportpolitische Ausbildung bei Adidas erhielt und in Verkaufspsychologie bestens geschult ist. So ließ der IOC-Vizepräsident gleichwohl durchblicken, daß die neue Initiative drei regelmäßig tagende Arbeitsgruppen umfaße, die "entscheidungsvorbereitende Sachkunde" betreiben würden.

Mag sein, daß sich die Initiative nicht offiziell als sportpolitisches Gremium versteht. Doch die Worte von Adidas-Chef Herbert Hainer, zugleich Aufsichtsratsmitglied der Allianz Deutschland AG und der FC Bayern München AG, sprechen eine deutliche Sprache: Es biete sich die Chance für Politik, Wirtschaft und Sport, gemeinsam an aktuellen Problemen zu arbeiten, um der wichtigen gesellschaftlichen Bedeutung des Sports gerecht zu werden. "Allein schon deshalb", so Hainer in der DOSB-Presse (9.2.09), "weil wir alle relevanten Entscheider an einem Tisch und damit eine Plattform haben, die einen umfassenden und regelmäßigen Dialog bei konkreten Fragestellungen gewährleistet".

Daß die "relevanten Entscheider" keine Sportpolitik betreiben würden, ist so abwegig wie die Vorstellung, der Wirtschaft ginge es um den "Sport", wie ihn Otto Normal versteht. Wenn vom "Sportstandort Deutschland" die Rede ist, dann geht es in erster Linie darum, die Rendite des sportindustriellen Komplexes zu optimieren, selbst wenn dies zu Lasten einzelner Sportverbände geht. Erst kürzlich hatte beispielsweise Adidas dem Deutschen Schwimmverband (DSV) die Sponsorengelder entzogen, weil sich deutsche Spitzenschwimmer darüber mokiert hatten, daß der Ganzkörperanzug von Adidas gegenüber dem rekordträchtigen Speedo-Modell nicht konkurrenzfähig sei.

Wie welt-online vermeldete, hätten die "Wirtschaftsbosse" bereits eine klare Vorstellung von der Agenda der Initiative. Dabei gehe es nicht nur um die Unterstützung von Münchens Bewerbung um die Ausrichtung der Olympischen Winterspiele 2018, sondern vor allem um die Arbeitsfelder "Sportstrategie, Antidopingkampf und Rechtssicherheit etwa in Bezug auf Werbeverbote, Hospitality-Angebote", so die Aufzählung Huefnagels.

Um vom Gesetzgeber möglichst ungehindert "Vitamin B" spritzen und "kleine Geschenke" zur Geschäftsanbahnung verteilen zu können - was im von diversen Korruptionsskandalen gebeutelten internationalen Sport wohl eher die Regel, denn die Ausnahme sein wird -, hofft die hiesige Wirtschaft auf eine das Sportsponsoring absichernde Gesetzgebung. Hintergrund ist der im November 2007 ergangene Freispruch des ehemaligen EnBW-Chefs Utz Claassen im Gefolge der Ticket-Affäre bei der Fußball-WM 2006. Der Topmanager hatte sechs Mitglieder der baden-württembergischen Landesregierung sowie einen Staatssekretär des Bundes, die von Amts wegen in Verbindung mit der EnBW standen, persönlich zu Spielen der Fußball-WM eingeladen. Das Landgericht sprach Claassen frei, der das Urteil daraufhin als einen Sieg für den Sport, für das Sportsponsoring und dafür, daß auch künftig noch ein angemessener Kontakt und Diskurs zwischen Politik und Wirtschaft im gesellschaftlichen Rahmen möglich sei, bezeichnete.

Zum Mißbehagen der Bimbesfraktion hatte der Bundesgerichtshof, der das Urteil Claassens im vergangenen Oktober "trotz der den Angeklagten erheblich belastenden Indizien" endgültig bestätigte, dennoch klargestellt, daß Einladungen an Politiker "zur Klimapflege" ins Fußballstadion grundsätzlich als "Vorteilsgewährung" strafbar seien.

Wenn die Sportstandort-Initiative also auf bessere rechtliche Rahmenbedingungen des Sportsponsorings in Deutschland hofft, dann ist damit im Klartext gemeint, daß der meist fließende Übergang zwischen (erlaubter) Repräsentation und (unerlaubter) Einflußnahme zugunsten letzterer legalisiert werden soll. Davon ist in den die Sport-Standortkampagne verbreitenden Medien allerdings nirgendwo die Rede.

Genausowenig wird kritisch reflektiert, was sich hinter dem Allgemeinplatz "Antidopingkampf" verbirgt. Thomas Bach, Chef des größten Sportdachverbandes der Welt, ließ wohl nicht zufällig die Katze im Sack, als er in Berlin lediglich andeutete, daß damit Bestrebungen gemeint seien, zum Beispiel in die Athletenverträge aller Sponsoren Anti-Doping-Klauseln einzubauen. Mit diesem Knebelinstrument würden die Rechte insbesondere von Profisportlern, die schon aufgrund der verschärften Meldeauflagen ständig am Rande eines Dopingdeliktes stehen, weiter beschnitten. So versuchen Sportfunktionäre, -veranstalter und -sponsoren schon seit langem, zur Betriebskostensenkung umfassende finanzielle Regreßforderungen gegen Athleten durchzudrücken, die auf der Grundlage der "strict liability", also der strikten Haftung des Athleten ohne Verschuldensklärung, ans Doping-Kreuz genagelt werden.

Im Gegensatz zur PR läuft die Stärkung des "Sportstandortes Deutschland" nicht auf eine Besserstellung der Sportler hinaus, sondern auf eine Stärkung der Vorfeldentscheider des Sports in Politik und Wirtschaft, um vor dem Hintergrund der Finanz- und Wirtschaftskrise und damit verbundenen Sponsorenschwunds die sozialen Widersprüche mit Hilfe der Verfügungsmasse Athlet noch effizienter kitten zu können.

13. Februar 2009