Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → MEINUNGEN

KOMMENTAR/030: DDR-Dopingopfer wendepolitisch instrumentalisiert (SB)



Die wendepolitische Halse, Trainern der DDR eine Brücke zur beruflichen Weiterbeschäftigung im gesamtdeutschen Sport zu bauen, obwohl sie dopingbelastet sind, hat auf seiten der sogenannten DDR-Dopingopfer und ihnen nahestehender Interessensgruppen für einen Sturm der Entrüstung gesorgt.

Fünf Trainer des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) sowie später auch der zuvor geschaßte Wurftrainer Werner Goldmann, dessen Fall die politische Initialzündung der seit vielen Wochen geführten Diskussion um eine Weiterbeschäftigung gab, hatten sich 20 Jahre nach dem Mauerfall erstmals öffentlich zu ihrer Doping-Vergangenheit in der DDR bekannt. Um die sport- und verbandspolitische Absolution des Bundesinnenministeriums (BMI), des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und des DLV zu erhalten, mußten sich die Betroffenen zu ihren Verstrickungen bekennen und sie aufrichtig bedauern. "Wir waren im Einzelfall am Einsatz unterstützender pharmazeutischer Substanzen (Dopingmittel) beteiligt. Uns war bekannt, dass dies den Regeln des Sports widersprach, doch fühlten wir uns durch die Vorgaben des Staates legitimiert. Bei einer Weigerung, diese Mittel weiterzugeben, hätten uns der Ausschluss aus dem Leistungssport und damit erhebliche berufliche Nachteile gedroht. Trotz des systembedingten Drucks betrachten wir den Einsatz von Dopingmitteln aus heutiger Sicht als Fehler", heißt es in dem Brief der Trainer. "Soweit die Sportler durch den Einsatz von Dopingmitteln gesundheitliche Schäden davongetragen haben sollten, sind wir tief betroffen und bedauern dies sehr. Die daran beteiligten Trainer entschuldigen sich ausdrücklich dafür."

Mit weiteren Einlassungen, sich seit der Wiedervereinigung nichts mehr zuschulden kommen lassen sowie sich glaubhaft gegen Doping eingesetzt zu haben, sicherten sich die Trainer auch das Wohlwollen der "unabhängigen" Kommission zur Prüfung von Trainern mit Doping-Vergangenheit unter Vorsitz des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Udo Steiner, der die Erklärung geprüft und als "wichtigen sportethischen Schritt" begrüßt habe, heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung von DOSB und DLV. Das auch von Innen- und Sportminister Wolfgang Schäuble (CDU) als ein "Signal für die Übernahme von Mitverantwortung für das seinerzeitige systembedingte Doping und ein Beitrag zum Dialog mit den Opfern" sowie des Vorsitzenden des Bundestagssportausschusses Peter Danckert (SPD) mit Hinweis auf juristische Verjährungsfristen abgesegnete Entschuldungsverfahren wird anderen Sportarten und -verbänden zur Nachahmung empfohlen.

Die Verführung ist groß, in das Zeter und Mordio der DDR-Dopingopfer einzustimmen und über die unakzeptable "Entschuldungspauschale für Sportkriminelle", die "rückwirkende(n) Freifahrscheine für angetanes Unrecht" und über "Betrug am Sport und feiste Desinformationspolitik" namentlich der "illustre(n) Polittroika Schäuble/Bach/Danckert" zu protestieren, wie es elf staatlich anerkannte Opfer des DDR-Dopings taten, die aufgrund der Anabolikavergaben teilweise schwerste gesundheitliche Schäden davongetragen haben. "Das ist eine politische Perversion und ein Fall fürs Parlament", schimpfte die ehemalige Sprintstaffel-Weltrekordlerin Ines Geipel, für die die Erklärungen der DLV-Trainer "Supertexte" seien, "bei denen man aufpassen muss, dass man sich nicht übergeben muss". Heilige Empörung auch bei "Dopingaufklärer" Prof. Gerhard Treutlein aus Heidelberg, der in der Tageszeitung Die Welt meinte: "Wir legen uns seit 20 Jahren krumm, um die Vergangenheit aufzuklären - und nun wird mit einer Erklärung so getan, als ob man einen Schlussstrich ziehen könnte, ohne dass irgendwo mal irgendwelche Konsequenzen gezogen worden wären. Auf gut Deutsch gesagt: Ich fühle mich verarscht." Offensichtlich sei die Mentalität nach wie vor unvermindert: "Wir brauchen Medaillen, und der Zweck heiligt die Mittel." In einem offenen Brief des Dopingopferhilfevereins (DOH e.V.) heißt es zudem: "Pauschale Erklärungen zu akzeptieren und diese gegen den ausdrücklichen Willen der Geschädigten als 'Entschuldigungen' auszugeben, heißt nichts anderes, als die Opfer erneut zu missbrauchen."

Warum so bescheiden? Von einer herrschaftskritischen Position aus, die den Leistungs- und Spitzensport als Instrument der Ausbeutung und Entfremdung rundheraus ablehnt, wurden und werden die rund 200 staatlich anerkannten "DDR-Dopingopfer", die per definitionem "unwissentlich" pharmakologisch gedopt wurden, gleich in mehrfacher Hinsicht "mißbraucht", um in der Sprache der Opfer zu bleiben: Zum einen von der Partei- und Staatsführung der DDR, die es offensichtlich als legitim erachtete, daß bei der Entwicklung und Durchsetzung einer klassenlosen, sozialistischen Gesellschaft der Spitzensportler durchaus "Opfer" zu bringen habe. Neben den ganz "normalen" körperlichen Verschleißerscheinungen durch den Hochleistungssport also auch jene gesundheitlichen Schäden, die mit der Einnahme des Hormonpräparats Oral-Turinabol verbunden sind.

Zum anderen - und das wird von den "DDR-Dopingopfern", die in finanzieller Abhängigkeit vom staatlichen Wohlwollen stehen, leider verkannt oder aus Gründen der eigenen politischen Positionierung bewußt in Kauf genommen - durch die Bundesrepublik Deutschland, die nach der Wende bei der siegerjustiziellen Abrechnung mit der DDR einen Hebel benötigte, um sowohl das "Sportwunderland" als auch die politischen Errungenschaften der DDR in Bausch und Bogen dämonisieren zu können. Da die BRD-Eliten bei der Übernahme der DDR nicht Gefahr liefen, Journalisten oder Historikern ungehinderten Zugang zu ihren Geheimarchiven in den entsprechenden Ämtern, Diensten und Ministerien sowie Privat- und Universitätsdateien gewähren zu müssen, um etwaigen Missetaten während des "Kalten Krieges" auf die Spur zu kommen, sondern sich die "Aufarbeitung der DDR" allein auf die Plünderung der Stasi-Unterlagen beschränkte, waren einseitige Schuldzuweisungen von vornherein garantiert. Hatte die politische Blockkonfrontation dafür gesorgt, daß die Verfolgung von Dopingdelikten beiderseits des eisernen Vorhangs eher augenzwinkernd betrieben wurde, da die Sicherstellung von Wettbewerbsvorteilen und der Systemkonkurrenz allemal Vorrang genoß, so fielen mit der Mauer auch alle Schranken, den Doping-Legalismus zum Repressionsinstrument binnengesellschaftlicher wie globaler Verfolgung auszubauen. Im Sonderfall Deutschland dient er der herrschenden Klasse neben der Stasi-Keule auch dazu, das Gesellschaftssystem der DDR zu delegitimieren.

Es mag sich für die DDR-Dopingopfer schmerzlich anhören, doch die Bundesrepublik hat ihnen nicht wegen ihrer gesundheitlichen Schädigungen ein eigenes "Dopingopfer-Hilfegesetz" geschaffen, sondern ihnen wurde diese Gunst aus politischen Gründen gewährt. Erfahren etwa die jährlich bis zu 300.000 Geschädigten aufgrund von Neben- und Wechselwirkungen bei der Vergabe von Arzneimitteln und Medizinprodukten - bis zu 25.000 enden tödlich - auch nur annähernd eine solche Zuwendung, geschweige denn Medienaufmerksamkeit wie die rund 200 staatlich anerkannten Dopingopfer der DDR? Sollten z.B. nicht in Anbetracht dieser Beliebigkeit und Entscheidungsopportunität auch die Opfer des reinen und ungedopten Hochleistungssports mindestens die gleichen Ansprüche an jene gesellschaftlichen Instanzen erheben können, denen sie zu Lasten ihrer Gesundheit und körperlichen Unversehrtheit ökonomisch und politisch profitabel gedient haben? Weiß denn wirklich jedes Kind, was mit ihm angestellt wird, wenn es in die leistungssportliche Tretmühle von Trainingsfolter und Wettkampfmarter gerät? Stellt sich bei vielen ein Begreifen nicht erst dann ein, wenn hinter dem sportlichen Karriereende ein "austherapiert" steht?

Die Gunst indes, sich als Opfer des DDR-Dopings bezeichnen zu dürfen, hat ihren Preis. Sie setzt politische Willfährigkeit und Berechenbarkeit voraus. Wie erwünscht prangerte der Dopingopferhilfeverein jahrelang die Funktionsträger der "SED-Diktatur" und des "DDR-Unrechtsstaates" an, obwohl zweifelsohne auch westdeutsche Trainer, Funktionäre oder Mediziner ihre "Doping-Leichen" im Keller haben. Der staatliche Persilschein für eine Dopinghatz, die auch Arbeitshemmnisse und -verbote gegen ehemalige DDR-Trainer (mit Auswirkung auf deren Schützlinge) einschließt, scheint den DDR-Dopingopfern allerdings nun, nachdem ohnehin alle sport- und strafrechtlichen Verfolgungsfristen abgelaufen sind, entzogen zu werden. Es wäre naiv zu leugnen, daß nicht aus eben diesem Grunde sehenden Auges Ex-DDR-Trainer in diesem Ausmaß dem deutschen Leistungssport zugeführt wurden. Ganz gewiß diente die damit verbundene Leisetreterei keinem anderen Zweck, als daß sich die Abermillionen, die Exportweltmeister Deutschland in den Spitzensport steckte, auch im Medaillenspiegel oder in der Nationenwertung wiederfinden lassen. Dazu waren und sind DDR-Trainer offensichtlich gut genug.

Doch der Eindruck, daß der kapitalistische Siegerstaat nach fast zwanzig Jahren Anti-DDR-Kampagne keinen Bedarf mehr an einem Blitzableiter für die eigenen Unzulänglichkeiten hat und die Zügel lockert, täuscht. Denn hier wurde keine "Quasi-Generalamnestie" gewährt, wie die "Opfer" oft behaupten, sondern das genaue Gegenteil: Eine Weiterbeschäftigung ist für Trainer nur unter den eingangs erwähnten Bedingungen u.a. der Selbstbezichtigung zu haben, die wiederum auf das "Zwangssystems" der DDR zielt, dem man ausgeliefert gewesen sei, um keine beruflichen Nachteile zu erleiden, wie es in der Trainer-Erklärung heißt. Daß die Entschuldungspauschale ebenfalls auf einem staatlichen Erpressungsakt fußt, da die meisten DDR-Trainer in finanzieller und wohl auch existentieller Abhängigkeit von ihrem Job stehen, ist allerdings nicht allgemeiner Stein des Anstoßes, sondern daß die Trainer noch nicht reuig und schuldbeladen genug zu Kreuze kriechen.

Dem kann nachgeholfen werden, und hier kommen wieder die DDR-Dopingopfer ins Spiel, auf deren Dienstfertigkeit die "Polittroika Schäuble/Bach/Danckert" bauen kann. So kündigten die DDR-Dopingopfer an, die Leichtathletik-WM im August in Berlin zur Bühne von zahlreichen Protestaktionen zu machen. Außerdem wollen die Geschädigten erreichen, daß sich der Bundestag mit der Erklärung der ehemaligen DDR-Leichtathletik-Trainer zu ihrer Dopingvergangenheit befaßt und daß es zu einer tatsächlichen Einzelfallprüfung unter Einbeziehung der Opfer kommt. Damit dürften dem Opfer-Täter-Striptease mit einseitigen politischen Bezichtigungen der DDR vollends die Sporen gegeben sein.

11. Mai 2009