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KOMMENTAR/034: Vattenfall - Verkohlung der Bürger via Sportsponsoring (SB)



Wenn vom Sport als Plattform für die "Kommunikationsbotschaften" der Wirtschaft oder vom Sportsponsoring als "Kommunikationsinstrument" der Unternehmen die Rede ist, dann klingt das im ersten Moment so, als ob es sich hierbei um einen harmlosen Vorgang auf der Ebene sprachlicher Kommunikation handeln würde. Wohl die wenigsten würden mit der Verwirklichung unternehmerischer "Marketing- und Kommunikationsziele" im Sport öffentliche Stimmungsmache, Meinungsmanipulation oder gezielte politische Einflußnahmen in Verbindung bringen. Da hören sich branchentypische Termini wie "Markenkommunikation", "positiver Imagetransfer", "Corporate Branding" oder "Agenda Setting" schon viel weniger aggressiv an. Schnell gerät jedoch aus den Augen, daß der Sport, der hohe Anerkennung in der Bevölkerung genießt, emotional stark besetzt ist und eine breite Medienresonanz erzeugt, den Unternehmen nicht nur als Vehikel dient, die eigenen Produkte zum Zwecke der Profitmaximierung zu bewerben. Sportsponsoring hat keineswegs nur Kunden und Konsumenten im Visier, sondern zielt auch auf die Herzen und Hirne der Menschen, auf deren soziale Verhaltensweisen und politische Einstellungen, welche im Sinne des Unternehmens beeinflußt werden sollen.

Ein Beispiel von vielen ist der schwedische Energiekonzern Vattenfall, der zur Bewerbung seiner Absatzprodukte in Deutschland, der Propagierung seiner technologischen und energiepolitischen Ziele sowie zur Durchsetzung seiner Profitinteressen mittels Kultur-, Sozial- und Sportsponsoring massiven Einfluß auf die Bevölkerung ausübt. Jüngst wurde bekannt, daß der Atom- und Kohlestromversorger ab der kommenden Saison als neuer "Premiumsponsor" mit einem fünfstelligen Betrag beim Handball-Bundesligisten HSV Hamburg einsteigen wird.

"Ein Schwerpunkt soll auf der Jugendarbeit liegen, in der sich Vattenfall auch im Radsport hervorgetan hat", verlautete das Hamburger Abendblatt (10.6.09) in seiner Doppelfunktion als Berichterstatter und Werbeträger. Das Engagement bei Vattenfalls Weltcuprennen Cyclassics bleibe aber unangetastet, hieß es weiter. "Beim Eishockeyteam der Hamburg Freezers hingegen, dessen offizieller Hauptsponsor Vattenfall seit der Vereinsgründung 2002 war, will sich das Unternehmen künftig auf die Unterstützung des Nachwuchses beschränken."

Die Betonung der "Jugendarbeit", wie von den Medien unkritisch kolportiert, dient vorrangig dem Zweck, Vattenfall größere Akzeptanz- und Sympathiewerte in der Öffentlichkeit zu verschaffen. Um sich nicht dem latenten Vorwurf auszusetzen, nur die medienträchtigen und populären Sportarten bzw. -akteure finanziell zu unterstützen, sind Sponsoren zunehmend dazu übergegangen, ihre "partnerschaftlichen Engagements" sozial zu orchestrieren, etwa indem verstärkt darauf verwiesen wird, daß dies dem Breitensport oder dem Nachwuchs zugute käme. "Bereits in der laufenden Saison hatte sich das Unternehmen in der HSV-Jugendarbeit engagiert. So gab es u.a. den Vattenfall-Jugendtag sowie das erfolgreiche Vattenfall Jugend-TryOut mit über 160 begeisterten Handball-Talenten", berichtete der HSV Handball im Dienste des Sponsoren auf seiner Website.

Auch der Generalbevollmächtigte der Vattenfall Europe AG, Dr. Rainer Schubach, unterstrich die Jugendförderung, die "ein Schwerpunkt unseres gesamten Engagements in Hamburg" sei. "Darüber hinaus möchten wir mit dem Sponsoring des HSV Handball den Spitzensport in Hamburg weiter stärken und einen gesellschaftlichen Beitrag für die Stadt und ihre Bürger leisten, denn Sport verbindet Menschen."

Mit diesen Gemeinplätzen geht Vattenfall nicht nur in der Hansestadt auf Kundenfang, denn seit den eklatanten Störfällen in den Atomkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel im Juni 2007 sowie vor dem Hintergrund der auffälligen Leukämie-Erkrankungen in Geesthacht und der Elbmarsch sollen dem Betreiber deutschlandweit etwa 300.000 Strom-Kunden - davon allein 100.000 in Hamburg - davongelaufen sein. Auch die Website des HSV Handball verwandelte sich flugs zu einer von jedweden kritischen Mißtönen freien Zone der "Corporate Social Responsibility" (CSR), wie es im Fachjargon der Werbetreibenden heißt: "Das Unternehmen ist auf allen Ebenen der Stromerzeugung aktiv, von der Braunkohleförderung, über die Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen, Kernkraft und regenerativen Energien, bis hin zur Stromverteilung und zum Handel und Verkauf von Energie. Das Unternehmen übernimmt eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz und investiert zum Beispiel erheblich in den Ausbau der Offshore-Windenergie."

Hinter Corporate Social Responsibility-Strategien verbergen sich Unternehmens- und Werbekonzepte, die über das platte markengetriebene Sportsponsoring hinausgehen und "glaubwürdig" zu positivem sozialen Wandel und gesellschaftlicher Entwicklung beitragen sollen. Oder anders ausgedrückt: Die "Corporate Identity" eines kapitalistischen Unternehmens, also das Erscheinungsbild einer Firma nach innen ("Wir-Gefühl") wie außen (Image), wird noch stärker nach außen verlagert, so daß sich möglichst die gesamte Gesellschaft mit den "Kommunikationszielen" des Unternehmens identifiziert und in seinem Markenmanagement aufgeht. CSR-Strategien, die sogar von Umweltschutzorganisationen verfochten werden, laufen auf die Perfektionierung der kapitalistischen Ausbeutungsordnung hinaus, da sie positiv besetzte Werte wie "Nachhaltigkeit", "gesellschaftliche Verantwortung", "Soziales" oder "Umwelt" als strategische Elemente der Renditewirtschaft und zur Beschwichtigung elementarer sozialer und ökonomischer Widerspruchslagen einsetzen.

Um sich das Wohlwollen und die Akzeptanz der Bevölkerung buchstäblich zu erkaufen, sponsert der Vattenfall-Konzern zahlreiche Kultur- und Sportveranstaltungen in Deutschland - bevorzugt in jenen Regionen, wo der Energieversorger - auch gegen den teilweise massiven Widerstand der Bevölkerung - seine Projekte durchzusetzen gedenkt. Umweltschutzorganisationen und Bürgerinitiativen prangern Vattenfall als einen der größten "Klimakiller" an, der durch seine Bauvorhaben die Umwelt mit Millionen von Tonnen CO2 belasten würde und damit für den Klimawandel mitverantwortlich sei. Mit 890 Gramm Kohlendioxid pro produzierter Kilowattstunde Strom liege der Konzern deutschlandweit an der Spitze, heißt es in dem von Greenpeace veröffentlichten "Schwarzbuch Vattenfall". Darin kritisiert die Organisation unter anderem auch, daß der Energiekonzern kaum in erneuerbare Energien investiere. Weniger als ein Prozent des von Vattenfall erzeugten Stroms stamme aus Windenergie.

Vattenfall behauptet wie seine Gegner, sich für den Klimaschutz einzusetzen und veranstaltet selbst Promotion-Aktionen, etwa das Sammeln von Unterschriften für eine sogenannte Klimaerklärung. Kritiker werfen dem Energieriesen indes vor, mit dieser Kampagne "Greenwashing" zu betreiben, der Unternehmenspolitik also einen grünen Anstrich zu geben, den Ausstoß von CO2 aber nicht zu vermindern.

Was Hamburg betrifft, so soll dort im Stadtteil Moorburg ein Kohlekraftwerk aus- und neugebaut werden. Geplant ist ferner, das Kraftwerk "so bald wie möglich" mit einer Anlage zur CO2-Abscheidung (CCS) nachzurüsten, so daß der Ausstoß von CO2 in die Atmosphäre - laut Betreiber - auf ein Minimum reduziert werden kann. Ob allerdings diese massiv subventionierte Technologie, die den Wirkungsgrad des Kraftwerks stark reduziert, jemals funktionieren wird, steht in den Sternen. Auch die Speicherung und Endlagerung von COS ist höchst umstritten.

Profiklubs sind aufgrund ihrer chronisch überspannten Etats, mit denen sie nicht selten am Rande der Insolvenz wandeln, leichte Beute für Unternehmen, die auf Kultur- und Sportsponsoring setzen. Als vor zwei Jahren der dänische Energieriese Dong Werbung für sein geplantes Steinkohlekraftwerk in Lubmin machen wollte, fand er beim Greifswalder Fußballverein sowie beim Handballklub HSV Insel Usedom rasch neue "Partner". Die klammen Klubs konnten das Geld gut gebrauchen. Trotz kontroverser Diskussionen in den Fan-Blogs hieß es am Ende "Geld stinkt nicht".

Die Unternehmen nutzen die Zwangslage des staatlicherseits nur unzureichend oder gar nicht unterstützten Kultur- und Sportbetriebes für ihre Zwecke aus und finden insbesondere im gleichermaßen entpolitisierten wie kommerzialisierten Sport dankbare Fürsprecher. Um seine Unternehmensziele "zu kommunizieren", fördert Vattenfall im Handball als Hauptsponsor auch den Frauen-Bundesligisten Buxtehuder SV. Darüber hinaus stehen zahlreiche Klubs und Veranstaltungen des Profi- und Breitensports auf der Geldliste: Hertha BSC, HSV Hamburg, Energie Cottbus, Streetball-Turnier im Industriepark Schwarze Pumpe (alles Fußball); Alba Berlin (Basketball); Hamburg Freezers, Lausitzer Füchse (Eishockey); Weltcuprennen "Vattenfall Cyclassics", Jedermannrennen "neuseen Classics - Rund um die Braunkohle" (Radsport); Wasserfreunde Spandau 04 (Wasserball); Berliner Halbmarathon, Vattenfall City-Nacht Berlin, Bärenbrücker Frühjahrs-Crosslauf (Leichtathletik), Betriebsoffene Meisterschaften im Volleyball und im Kegeln in Weißwasser/Oberlausitz. Auch bei der kommenden Leichtathletik-WM in Berlin ist Vattenfall nationaler Sponsoring-Partner.

Diese Liste, die nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, erstreckt sich auch auf Kultur- und Sozialbereiche. So unterstützt Vattenfall an diversen Orten u.a. Freiwillige Feuerwehren, Schul- und Unterrichtsprojekte, Schulsportveranstaltungen, den Ideenwettbewerb "Jugend forscht", Ferien- und Freizeitprogramme von Kindern und Jugendlichen, das Kinderhilfeprojekt World Childhood Foundation oder den Kinderzirkus Cabuwazi. Der Konzern setzt sich für die Erhaltung des Brandenburger Tors ein, sponsort den Kulturpreis "die quadriga", vergibt jedes Jahr den Journalistenpreis "Ostenergie", fördert Kunst- und Kulturprojekte wie das Filmfestival Cottbus und vieles mehr.

Zur Strategie der Corporate Social Responsibility gehört, bei allen Werbe-Projekten, die oft mit Spendenaktionen für soziale Einrichtungen verbunden sind, den "guten Zweck" herauszustreichen. "Die Gesundheit der Menschen liegt uns besonders am Herzen. Deshalb ist Vattenfall Europe im Breitensport sehr aktiv", betont und dokumentiert der Konzern permanent seine "gesellschaftliche Verantwortung". Mit Hilfe ausgesuchten Sponsorings spinnt der Energiekonzern ein engmaschiges Netz von wirtschaftlichen Abhängigkeiten sowie sozialen und politischen Einflußnahmen, dem sich kaum jemand entziehen kann. Die zunehmende Vereinnahmung der Alltagskultur durch Unternehmensziele führt dazu, daß am Ende jeder glaubt, Energiekonzerne seien die reinsten Wohltäter. Vattenfall wird nicht mehr mit Umweltverschmutzung, Landschaftszerstörung und der energiepolitischen Verkohlung der Bevölkerung in Verbindung gebracht, sondern als bürgernahe Sozialstation wahrgenommen.

Der Perfidien nicht genug: Sowohl den Almosenempfängern als auch den Spitzenverdienern des Sports ist es untersagt, in der Öffentlichkeit Kritik am Sponsor oder an seinen Produkten zu üben. Wer gegen diesen etablierten Maulkorberlaß verstößt, riskiert wegen "vereinsschädigenden Verhaltens" empfindliche Strafen, die im Profibereich bis zum Jobverlust reichen können. Sollte es da noch verwundern, daß der Sport in den letzten gut 20 Jahren von den Unternehmen immer intensiver als Plattform für deren "Kommunikationsbotschaften" genutzt wurde und die gesellschaftlichen Eliten ständig die "Vorbildfunktion" von Sportlern propagieren?

14. Juni 2009