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KOMMENTAR/053: BMI-Preis für Toleranz und Fair Play - Kanther läßt grüßen! (SB)



Der alljährlich vom Bundesinnenministerium (BMI) ausgelobte "Preis für Toleranz und Fairplay im Sport", diesmal vergeben beim "Fest der Begegnung" der Stiftung Deutsche Sporthilfe in der Handelskammer Hamburg, bestätigt das Gegenteil dessen, für was er nach schwebenden Übereinkünften steht. Nicht "Toleranz und Fairplay" sind die Handlungsmaximen im konkurrenzgetriebenen Spitzensport, sondern Leistung und Erfolg. Darüber können auch von der Regel abweichende Einzelbeispiele für integre Moralhandlungen nicht hinwegtäuschen, mögen die Apologeten des "humanen Leistungssports" auch noch so sehr bestrebt sein, sie als leuchtende Beispiele "für die Werte des Sports", so Dr. Christoph Bergner, in den Himmel zu loben. Um diese Werte "einmal neben den sportlichen Leistungen und Erfolgen sichtbar zu machen, ist vor zehn Jahren dieser Preis eingeführt worden", erklärte der Parlamentarische Staatssekretär beim BMI vor 700 geladenen Gästen auf fast schon entlarvende Weise. Werte wie Tolerenz und Fairplay, die man erst "sichtbar" machen muß, damit man sich ihrer Gültigkeit im honorigen Kreise feierlich versichern kann, können keine Selbstverständlichkeit sein. Welchen sozialen Übereinkünften und Projektionen sich die Standesvertreter aus Sport, Wissenschaft und Politik auch immer hingeben mögen, hinter dem Glorienschein des Leistungssports verbergen sich vor allem die Ideologie des Marktes sowie die Normen maschineller und industrieller Produktion, die sich Sportlerinnen und Sportler auf leidenschaftliche Weise ins Fleisch zu treiben haben. Allerdings bedarf es schon hehrer Werte, Tugenden und Ideale, um das in der Sport-Spiel-Arbeit fest verankerte Ausbeutungsprinzip mit dem schönen Schein zu bemänteln.

In Sachen Doppelmoral weiß auch das Bundesinnenministerium zu glänzen, vielleicht wurde deshalb auch der Leistungs- und Spitzensport in Deutschland dem Innenressort zugeschlagen. Sicherlich nicht zufällig vergaß das BMI auf seiner Internetseite, wo vom diesjährigen Toleranz-und-Fairplay-Preis mit Datum des 16. Oktobers in sechs Beiträgen bzw. Interviews ausführlich berichtet wurde, zu erwähnen, welch edlem Spender der Sport den Tugendpreis zu verdanken hat. Überall dort, wo darauf hingewiesen wird, daß der Preis seit 1998 vom Bundesinnenminister zusammen mit der früheren Skirennläuferin Rosi Mittermaier-Neureuther verliehen wird, die ein Jahr zuvor - ebenfalls vom Innenminister und in Absprache mit dem Sport - zur "Nationalen Botschafterin für Sport, Toleranz und Fair Play" berufen worden war, klafft eine seltsame Namenslücke.

Kein geringerer nämlich als der "schwarze Sheriff" Manfred Kanther war es, der Rosi Mittermaier-Neureuther ins Amt verhalf und 1998 den Tugend-Preis des BMI initiierte. Im Jahr 2000, als ihn die Spendenaffäre der hessischen Christdemokraten einholte, wurde der CDU-Politiker allerdings selbst zum Negativ-Vorbild für Fairplay: Kanther soll gegen das Parteispendengesetz verstoßen haben, indem er 1983 Schwarzgelder in Höhe von 20,8 Millionen D-Mark heimlich erst in die Schweiz und dann nach Liechtenstein transferierte. Politisch profiliert hatte sich der inzwischen vorbestrafte Law-and-Order-Mann u.a. durch seine Forderung, Privatwohnungen von Bürgern zum Hort von Verbrechen zu erklären ("Gangsterwohnungen"), weshalb sich der Staat fortan auch die Vollmacht herausnahm, Wohnräume akustisch zu überwachen. Der Große Lauschangriff, für den 1998 eine Allianz aus CDU/CSU, FDP und Teilen der SPD die gesetzliche Grundlage geschaffen hatte, wurde 2004 durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts lediglich teilweise eingeschränkt. Unter bestimmten Auflagen ist die akustische Wohnraumüberwachung weiterhin erlaubt. Damit wurde ein Dammbruch vollzogen und die absolute Norm der grundgesetzlich geschützten Privatssphäre bzw. der Unverletzlichkeit der Wohnung durch einen relativierenden Schutz persönlicher Gesprächsinhalte ersetzt, über deren Verwendung im Falle "strafrechtlich relevanten Inhalts" nun Polizei und Jurisdiktion nach ihrem Ermessen befinden können.

Die Umwidmung des eigenen Heims zur Gangsterwohnung und die Demontage kontrollfreier Wohnräume, in denen die Vertraulichkeit des privaten Gesprächs absoluten Vorrang vor staatlichen Strafverfolgungsinteressen genießt, waren entscheidende politische Weichenstellungen für entsprechende Akzeptanzhaltungen in der Gesellschaft, so auch im Subsystem des Leistungssports. Was Kanther, der die Republik sogar mit einem "Sicherheitsnetz" aus Verdächtigung und Bespitzelung der Bürger überziehen wollte, sowie sein Wiedergänger im Innenministerium Otto Schily, der 1998 Verhandlungsführer der SPD in Sachen Großer Lauschangriff war, säten, können nun Sportfunktionäre wie der Vorsitzende der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA), Armin Baumert, mit vollen Händen ernten, ohne daß ihnen ein scharfer Wind des Protestes entgegenbläst. Im Spitzensport werden im Grundgesetz verankerte Rechte wie die "freie Entfaltung der Persönlichkeit" und der sich daraus ableitende Schutz der Privat- und Intimssphäre nicht nur relativiert, sondern zu reinen Begriffshülsen degradiert.

"Wenn Türchen geöffnet werden sollen durch Begriffe wie Privatsphäre, Urlaub oder Regeneration, dann müssen wir sagen, ist dieser Anti-Dopingkampf nicht mehr glaubwürdig", insistierte Armin Baumert schon vor geraumer Zeit gegenüber dem ZDF, nachdem sich der Profifußball nicht vollends den strengen Meldepflichten des WADA-Codes unterwerfen wollte. Pausen von Kontrollen, ob stundenweise oder für ein paar Wochen, werden von den Sportfunktionären und ihren Hofberichtern - analog zu den Kantherschen "Gangsterwohnungen" - kurzerhand zu "Freiräumen für Doper" uminterpretiert. "Wenn man weiß über die Abbauzeiten von Substanzen, die zum Missbrauch im Sport herangezogen werden, dann weiß man, dass es teilweise Stunden nur sind, die alles vertuschen, was der Körper als Zusatz bekommen hat, und deswegen gibt es keine andere Lösung. Wir müssen diese Regel aufrechterhalten, dass es keine zeitlichen Fenster gibt, die beim Anti-Doping-Kampf ausgeblendet werden", so Baumerts Behauptung im Deutschlandfunk, die einem Plädoyer für den totalen Überwachungsstaat im Sport gleichkommt. Bald könnte es nicht mehr um Stunden, sondern um Minuten gehen, was für Athleten eigentlich nur einen Sport unter den Betriebsbedingungen der Isolationshaft bedeuten kann, wollten sie ihre "Glaubwürdigkeit" retten. Da braucht nur einmal ein ARD-Dopingjäger die gegenwärtigen Zeitfenster und Kontrollintervalle anzuprangern, schon können weitere "Türchen" der Privatssphäre geschlossen werden.

Auch Otto Schily hatte sich als wahrer Kämpfer für den "sauberen Sport" profiliert ("Der Einsatz von Dopingmittel steht im krassen Gegensatz zu Toleranz und Fair Play im Sport."), ohne daß in der Berichterstattung auch nur im Ansatz der politische Konnex zwischen der Verschärfung der inneren Sicherheit unter dem Deckmantel des sogenannten Anti-Terror-Kampfes und den zunehmenden Freiheitseinschränkungen im Zuge des Anti-Doping-Kampfes kritisch reflektiert worden wäre.

Das sicherheitsstaatliche Credo von Kanther wurde sogar noch von Schily übertroffen, der mit seinen berühmt gewordenen "Otto-Katalogen" neue Höhen bei der Durchsetzung des autoritären Sicherheitsstaates erklomm. Nebenbei fand der frühere Grünen-Politiker, der sich zeitweilig damit brüstete, "Deutschlands stärkster Sportminister" zu sein, auch noch Zeit, sich vehement für die Gründung der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) und seines nationalen Ablegers, die Nationale Anti-Doping Agentur (NADA), einzusetzen, deren umstrittene Sanktionsmechanismen er bei der Gelegenheit sogar noch verschärfen wollte.

Unter Schilys Nachfolger Wolfgang Schäuble (CDU) haben kürzlich das BMI und die Sportministerkonferenz der Länder in Kooperation mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und der NADA einen Nationalen Dopingpräventionsplan in Kraft gesetzt. Kanthers Konzept des "Sicherheitnetzes", das sich stark an der "Zero-Tolerance"-Strategie der New Yorker Polizei anlehnte, und zur Kriminalprävention engste "partnerschaftlich vernetzte Kooperationen" von Polizeien, Ordnungsbehörden und Sozialträgern vorsah, scheint sich nun in abgewandelter Form im "sauberen Sport" krakenartig auszubreiten. "Durch die Bildung von Netzwerken und einer intensiven Abstimmung zwischen den Institutionen sollen Ressourcen besser ausgeschöpft und Arbeit effektiver verteilt werden", heißt es. Vor allem der präventive Ansatz des Planes fand bei NADA-Chef Armin Baumert große Anerkennung: "Um die Sportlerinnen und Sportler mit ihrem gesamten Umfeld zu erreichen, ist die Netzwerkbildung mit Sport und Staat unumgänglich."

Damit wird der doping- bzw. kriminalpräventive Ansatz, der nur antiaufklärerischen und desinformativen Charakters sein kann, solange das strafbewehrte "Null-Toleranz-Prinzip" von Sport und Politik jedes Denken, Handeln und Reden in nonkonformen Bahnen sanktioniert, immer tiefer in den Sozialkörper hineingetrieben. Wer nach solchen Vorgaben erzogen wird, lernt zu funktionieren, nicht aber kritisch die immer schärfer werdenden Regeln zu hinterfragen.

"Kämpfen bis zum Umfallen - und das mit fairen Mitteln" lautet darum auch das Credo, das das BMI aus einem Interview mit der diesjährigen Toleranz-und-Fairplay-Preisträgerin Wiebke Kethorn herausfilterte und als Botschaft an alle ausgab. Die Handballerin des VfL Oldenburg hatte in einer Situation, in der nach Angaben ihres Trainers 99 Prozent aller Handballer werfen würden, auf einen sicheren Torerfolg verzichtet, weil die gegnerische Torhüterin nach einem im Handball nicht ungewöhnlichen Kopftreffer am Boden liegen blieb.

Solange die Knochen, Bänder und Muskeln noch halbwegs funktionstüchtig sind, so daß sie bis zum Anschlag belastet werden können, hat der Staat überhaupt kein Problem damit, wenn die Leistungssportler ihre Gesundheit ruinieren - Hauptsache sie buckeln sich auf "faire" Weise und mit "legalen" Mitteln krumm, etwa mit dem Schmerzmittel Voltaren. Mit dem Medikament werden insbesondere angeschlagene oder verletzte Handballer zum Teil regelrecht "vollgepumpt", eben damit sie bis zum Umfallen kämpfen und Leistung bringen können.

Noch vorbildlicher im Sinne einer privaten Refinanzierung sportlicher Fördergelder in das Wettkampfmaterial agierte der zweite Preisträger Michael Teuber, der zu den erfolgreichsten Radsportlern im deutschen Behindertensport zählt. Im November vergangenen Jahres hatte er unter dem Motto "Leistung. Fairplay. Miteinander." ein Benefizprojekt durchgeführt und den Projekterlös von fast 19.000 Euro an die Stiftung Deutsche Sporthilfe überwiesen. Damit hatte er den Betrag, mit dem er einst gefördert wurde, fast vollständig zurückgezahlt - ein Reinvestitionsmodell, das der Sporthilfe schon lange für alle Spitzenathleten vorschwebt, allerdings nicht freiwillig, sondern als Förderbedingung. Weil indessen die Geldquellen rückläufig sind, will sich die Sporthilfe als "Bürgerbewegung" noch tiefer in der Bevölkerung verankern - damit "wir unsere Athleten noch besser und intensiver fördern - und international konkurrenzfähig halten" können, wie der neue Sporthilfe-Chef Werner E. Klatten sagte. Ihm schweben Kleinspenden von drei oder fünf Euro im Monat aus der Bevölkerung vor.

Internationale Wettbewerbsfähigkeit war auch immer das Argument von Innenminister Wolfgang Schäuble, mit dem er den Steuergelderfluß in den Leistungssport rechtfertigte. Auch Otto Schily wünschte sich stets, "daß wir möglichst weit nach vorne kommen und daß wir möglichst viele Medaillen erringen". Was Schily und Schäuble noch eint: Beide bekamen den Negativ-Preis "Big Brother Award" für ihr "Lebenswerk" verliehen - Schily 2005, Schäuble 2009. Exakt an dem Tag, als das BMI in Hamburg den Tugendpreis an die Sportler vergab, wurde Wolfgang Schäuble in Bielefeld für seine obsessiven Bestrebungen geehrt, den demokratischen Rechtsstaat in einen präventiv-autoritären Sicherheitsstaat umzubauen. Schäuble zog es vor, sich beim Fest der Deutschen Sporthilfe vertreten zu lassen - böse Zungen behaupten, um dem Widerspruch zwischen wohlfeiler Sportlermoral und bürgerfeindlicher Politmoral im BMI möglichst wenig öffentliche Resonanzfläche zu bieten.

26. Oktober 2009