Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → MEINUNGEN

KOMMENTAR/074: Ehninger, Jelkmann & Co. verleihen Indiziennachweis wissenschaftlichen Heiligenschein (SB)



Verdachtsopfer Claudia Pechstein ist um ihre instrumentale Rolle im repressiven Antidopingkampf wahrlich nicht zu beneiden. Denn perverserweise wird die Eisschnelläuferin nicht nur von ihren Anklägern und Verurteilern zur Durchsetzung des indirekten Dopingnachweises bzw. des biologischen Passes von WADA und IOC benutzt, sondern auch von ihren namhaften Helfern, die sich für eine Revision des vom Internationalen Sportgerichtshof CAS erwirkten Urteils gegen sie einsetzen. Wie Prof. Gerhard Ehninger, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO), am 15. März auf einer zur Entlastung Claudia Pechsteins anberaumten Pressekonferenz in Berlin erklärte, gehe es seiner Gesellschaft nicht nur darum, eine unschuldige Athletin vor der Verurteilung zu bewahren, sondern, daß "dieses Instrument des indirekten Beweises geschärft" werde.

Noch deutlicher wurde Prof. Wolfgang Jelkmann, Direktor des Instituts für Physiologie der Universität Lübeck, der vor den Journalisten flehentlich bat, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten: "Ich fände es sehr schade, wenn die Bestrebung der WADA, den Blutpaß einzuführen für den indirekten Dopingnachweis, durch dieses unselige Verfahren Pechstein a priori in Mißkredit geriete." Die größte Sorge von Jelkmann ist ganz offensichtlich, daß "darunter für viele Jahre der indirekte Nachweis leiden" könnte. Welche Brille der auch als WADA-Gutachter tätige Jelkmann trägt, bewies er auf der Pressekonferenz, als er die WADA-Richtlinien unter "sportlichen, medizinischen und prozeduralen Gesichtspunkten" als "sehr gut ausgearbeitet" lobte. Ganz offensichtlich ist dem Professor der Blick dafür abhanden gekommen, daß der WADA-Code - nebst vielen anderen Schweinereien - massiv die Persönlichkeitsrechte von Spitzensportlern verletzt, und zwar in einer Weise, wie es sich die Schreibtischtäter selbst niemals gefallen lassen würden, es sei denn, sie hätten Gefallen daran, von WADA-Kontrolleuren jederzeit und allerorten auf die Lauterkeit ihrer Arbeit überprüft zu werden. Was den Athleten unter "sportlichen, medizinischen und prozeduralen Gesichtspunkten" zugemutet wird, läßt sich nicht mit ein paar Neujustierungen an den Laborautomaten, etwa weil sich neue Lehrmeinungen oder Forschungsergebnisse aufgetan haben, oder der Hinzuziehung mehrerer Blutbild-Parameter zum allgemeinen Wohlgefallen wegregulieren.

Wie der Schattenblick bereits frühzeitig prognostiziert hatte, machen sich die "kritischen" Wissenschaftler, die weit davon entfernt sind, Grundsatzkritik am totalitären Antidoping-Regime zu üben, damit zu Erfüllungsgehilfen von Blutpaß-Befürworter Jacques Rogge und seiner Lobbyistengruppen. Bekanntlich hatte der IOC-Präsident den Pechstein-Fall schon vor dem CAS-Urteil als "Lackmus-Test, ob das Langzeit-Profil von der internationalen wissenschaftlichen Gemeinde bestätigt wird", bezeichnet.

Somit liegt der begründete Verdacht nahe, daß dort, wo bislang die "selbsternannten Dopingexperten" und "fanatischen Dopingjäger", so die Wortwahl der DGHO-Vertreter, auf mitunter grobschlächtige und die Rechte der Athleten spottenden Weise hantierten, um den indirekten Dopingnachweis (und weiteres) durchzusetzen, nun die Fachgesellschafter mit feinerem Schleifstein für die Schärfung der Geißelinstrumente sorgen werden.

Die wegen eines schwankenden Blutwertes vom CAS mit zweijährigem Berufsverbot bestrafte Eisschnelläuferin Claudia Pechstein bekam von vier renommierten Blutexperten aus Deutschland - neben den genannten Professoren Ehninger und Jelkmann auch Winfried Gassmann, Chef der Hämatologie am Marienkrankenhaus Siegen, sowie Dr. Andreas Weimann, Oberarzt des hämatologischen Labors der Berliner Charité - veritable Unterstützung. Auf der von der DGHO einberufenen Pressekonferenz erklärten die Wissenschaftler/Mediziner/Forscher das Rätsel von Pechsteins schwankenden Blutwerten mit einer Beweiskraft von "99,99 Prozent" für gelöst. Die erhöhte Zahl von jungen, roten Blutkörperchen (Retikulozyten), die der Eislauf-Weltverband (ISU) gemäß WADA-Blutpaßprogramm als Indizien für Doping deutete, worauf die CAS-Schiedsrichter zum selben Urteil kamen, führen die Blutforscher auf eine erblich bedingte Krankheit zurück. Bei der "Blut-Macke", wie sich die auf Einladung ebenfalls anwesende Claudia Pechstein ausdrückte, soll es sich um eine milde Form der Kugelzellen-Anämie handeln. Angeblich leiden rund 800.000 Bundesbürger an dieser "hereditären Sphärozytose". Da die mehrfache Olympiasiegerin nur von einer leichten Form dieser Krankheit betroffen ist, kann sie trotz der Anomalie Leistungssport betreiben.

Die DGOH-Experten sparten nicht mit Kritik am CAS-Urteil und seinen Verteidigern aus der Medien- und Wissenschaftswelt. Prof. Ehninger forderte die Medienvertreter eingangs auf, den "geistigen Resetknopf zu drücken" und den Ausführungen vorurteilsfrei zu folgen. Den Fachleuten war ganz offensichtlich daran gelegen, den mit Verfälschungen, Unsachlichkeiten und Vorverurteilungen in Schieflage geratenen Antidopingkampf wieder auf jene Beine zu stellen, die sie nach ihren eigenen berufsständischen Interessen für "solide" halten.

Ohne den Heidelberger Molekularbiologen Prof. Werner Franke direkt beim Namen zu nennen, war klar, wen Ehninger mit seinem Hinweis, "Sippenhaft" sei auch, "wenn so Antidopingjäger sagen, wer in Hohenschönhausen Eisläufer ist, dopt", gemeint hatte. Franke, der vor sportlichen Großereignissen gerne alle Leistungssportler pauschal des Dopings zu bezichtigen pflegt und von dessen derber Meinungsmache zahlreiche Medien wie die Fliegen angezogen werden, hatte, als das Kartenhaus der Pechstein-Verurteiler immer mehr in sich zusammenfiel, gegenüber sid einen Zusammenhang zwischen DDR-Doping und Pechstein, die seit ihrer Kindheit in Berlin-Hohenschönhausen trainiert, hergestellt, ohne einen Beweis für seine willkürlichen Behauptungen zu liefern. Ehningers Spitze auf der Pressekonferenz war dazu: "Das sind einfach Dinge, die können wir uns in einer Gesellschaft nicht leisten, die transparent, ehrlich und offen umgeht."

Ehninger kritisierte das CAS-Urteil, seine Richter wie auch das ganze Verfahren: Stellungnahmen von Kollegen seien zum Teil ins Gegenteil gekehrt und tendenziös dargestellt, Gutachter seien mißinterpretiert worden, die Urteilsbegründung fange ab Punkt 195 an, "unerträglich" zu werden. Ihm gehe es um eine "saubere Sportgerichtsbarkeit", und zwar eine mit Professionalität und mit professionellen Richtern. "Nicht diese Ehrengerichte, die so Sportlerkarrieren zerstören können."

Auch Prof. Jelkmann wies auf Unkorrektheiten "von selbsternannten Dopingexperten in der vergangenen Zeit" hin. Wer ein bißchen Rechtsgespür habe und das CAS-Urteil lese, werde merken, "daß da irgend etwas faul ist". Er wies dabei auf die von ihm bereits veröffentlichten sachlichen Fehler hin und unterstrich: "Fehler bedeutet hier, daß Dinge fehlen. Das ist ein einseitiger parteiischer Bericht."

Nach der Pressekonferenz hatte die Anti-Doping-Journaille sofort die beiden "fanatischen Dopingjäger", Prof. Werner Franke und Prof. Fritz Sörgel, Direktor des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Heroldsberg, zu Statements heranzitiert. "Die haben mich überhaupt nicht überzeugt", erklärte Franke in einem FAZ-Interview (15.3.10), der sich auch über die "Rhythmik" in Pechsteins Anomalie lustig machte. "Zur WM in Hamar waren ja die Werte erhöht, eine Woche später lagen sie wieder im Normalbereich. Das ist also eine Anomalie, die besonders häufig bei wichtigen Wettkämpfen auftritt. Dass ich nicht lache! Wenn die Werte immer erhöht wären, könnten wir darüber diskutieren. Aber wie soll denn ihr Knochenmark wissen, wann sie große Wettkämpfe hat?" Auch der Pharmakologe Sörgel erklärte: "Ich glaube nicht, dass der Befund Frau Pechstein in irgendeiner Form entlastet, weil die hohen Retiklozyten-Werte dadurch nicht erklärt werden."

Im Kommentarteil von www.derwesten.de (16.3.10) korrigierte Prof. Winfried Gassmann den Leser Gerd Frakel eigenhändig mit den Worten: "Ihre Meinung, die Retikulozyten seien immer zu Wettkampfzeiten erhöht gewesen, ist falsch ... Vielmehr sind sie bei Top-Ereignissen, bei Weltcup-Veranstaltungen und bei Trainingskontrollen gleich hoch ... Sie haben diese Fehl-Information von Professor Franke. Dieser weiß, dass das nicht stimmt. Ich habe ihm die Auswertung zugemailt. Er sagt es aber trotzdem. Bitte überprüfen Sie diese Aussage und bezeichnen Sie entweder mich oder Prof. Franke als Lügner und Fälscher." Und Bezug nehmend auf "die Argumentationslinie des Apothekers Prof. Sörgel" sagte Gassmann: "Der hat vor einigen Wochen noch nicht einmal gewusst, wie die Krankheit heißt. Er hat in etwa wörtlich gesagt: Es komme eine Erkankung mit dem Namen Retikulozytose infrage ... Richtig gewesen wäre Sphärozytose. Dieser Mann will uns jetzt auch korrigieren. Demnächst wird er den Physikern sagen, die Relativitätstheorie müsste umgeschrieben werden."

Bei aller berechtigten Kritik am Verhalten der fanatischen Dopingjäger, deren inquisitorischer Trick auch darin besteht, daß sie Krankheitsdiagnosen, Gendefekte, Anomalien oder Vergleichbares zwar einräumen, dann aber behaupten, die Symptomatik könne auch durch supergeschicktes Doping erzielt worden sein (selbst unter Quarantäne-Bedingungen könnte man noch behaupten, das Doping sei über einen bislang noch unbekannten Schleichweg zugeführt worden!), geht es hierbei allerdings keineswegs nur um einen "Expertenstreit" oder um wissenschaftliche Deutungsmonopole. Die Menschenverachtung fängt auch nicht erst da an, wo Prof. Fritz Sörgel laut www.br-online.de (19.03.10) Fehler billigend in Kauf nehme und den abschreckenden Effekt der indirekten Beweisführung betone. Würde diese aufgeweicht, so Sörgel, sei man in Zukunft verloren. "Dann ist ja gar kein Angstpotential bei den Sportlern! Insofern müssen wir einfach da weitermachen. Auch wenn es völlig klar ist, dass wir immer wieder mal oder vielleicht am Anfang auch mal öfters Leute zu Unrecht sperren."

Die Menschenverachtung einer zur Etablierung des Indiziennachweises wissentlich über Sportler-Leichen gehenden Expertokratie ist auch dort zu Hause, wo anerkannte Blutexperten das gleiche Ziel wie die "bösen Cops" verfolgen, nur, daß sie sich als "gute Cops" herauszuputzen verstehen. Gemäß dem Adorno'schen Grundsatz "Es gibt kein richtiges Leben im Falschen" kann es auch keine "ehrlichen Dopingjäger" geben, die auf "anständige" Art ihre Instrumente am sportlichen Verdachtskörper schärfen wollen. Insofern trägt die Initiative der DGHO nicht zur Qualifizierung der Kritik bei, sondern sie verleiht der ungebrochenen Verdächtigung, Überwachung und Sanktion von Sportlern sowie der Kriminalisierung ihres sozialen Umfeldes auf der Basis bloßer Indizien lediglich einen wissenschaftlichen Heiligenschein. Entsprechend bekamen Ehninger & Co. für ihre Steigbügeldienste auch den Applaus von der richtigen Seite. "Der indirekte Doping-Nachweis wird sich aufgrund des WADA-Codes auf alle Fälle durchsetzen", gab sich DOSB/IOC/CAS-Funktionär Thomas Bach gut eine Woche nach dem Stelldichein der Blutexperten siegesgewiß. Sein Lobbyistenverein aus der Wirtschaft, die Großsponsorengruppe S20 ("Initiative Sportstandort Deutschland"), ging dieser Tage mit einer breiten Werbe- und Anzeigen-Kampagne unter dem Titel "Mit Doping ist alles umsonst" an die Öffentlichkeit, um Einwände und Zweifel, die am gesellschaftlich verabsolutierten Antidopingkampf sowie bei der "öffentlichen Glaubwürdigkeitsdebatte im Fall Pechstein" (dpa) wieder aufgetaucht waren, mit der Gewalt des medialen "Resetknopfes" mundtot zu machen.

29. März 2010