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KOMMENTAR/093: IOC kollaboriert mit Giftgas-Produzent Dow Chemical (SB)



Wer meint, daß das Internationale Olympische Komitee (IOC) die empörten Reaktionen der bürgerlichen Presse auf den jüngsten Deal, den us-amerikanischen Chemie-Giganten Dow Chemical als "TOP-Sponsor" ins Boot zu holen, nicht in allen Aspekten einkalkuliert hätte, der sollte langsam anfangen, sich den Schlaf aus den Augen zu reiben. Das wirklich Erschreckende ist nicht, daß das global aufgestellte Profitunternehmen die abzusehenden Negativschlagzeilen wie "Ein Giftgas-Produzent als IOC-Sponsor" (ZDF.de), "Napalm für die olympische Flamme" (DiePresse.com) oder "IOC wirbt mit Lieferant von Waffen" (www.tt.com) in Kauf nimmt, sondern daß es über den Punkt, wo bürgerliche Kritik am verlogenen Sponsoring des kommerziellen Olympismus noch verfängt, längst hinaus ist. Am Beispiel des IOC zeigt sich der Pferdefuß jeder auf Moralität abstellenden Diskussion auf mustergültige Weise: Sie dient vor allem dem Zweck, die Macht- und Interessenspolitik der "Weltregierung des Sports" so zu vernebeln, daß am Ende nur kopfschüttelnde Tolerierung der herrschenden Verhältnisse übrigbleibt.

Rein materiell gesehen sollen dem IOC durch den neuen "TOP-Sponsor" geschätzte 100 Millionen Euro in die Kasse fließen, wodurch sich die Gesamteinnahmen des Olympiaunternehmens durch Sponsoring auf 3,66 Milliarden Dollar (2,8 Milliarden Euro) erhöhen. Mit dem Einstieg von Dow Chemical erzielt das IOC allein in den vier Jahren bis zu den Olympischen Sommerspielen in London das Rekordeinnahmeergebnis von einer Milliarde Dollar. Gleichzeitig konnte das IOC seine Rücklagen auf derzeit rund 500 Millionen Dollar steigern.

"Der immaterielle Preis für das Geschäft mit Dow ist allerdings hoch", reklamierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) [1], nachdem IOC-Präsident Jacques Rogge die Aufnahme des Chemieunternehmens als zehnten Großförderer in die "Sponsorenfamilie" bekanntgab. Dasselbe Blatt, das noch im vergangenen Jahr Rogges eigenhändiger Bauchpinselung eine PR-Plattform geboten hatte (Rogge in seinem Gastbeitrag: "Die Organisation, die vor 115 Jahren gegründet wurde, um die olympischen Werte zu verbreiten, ist stärker als je zuvor. 205 Nationale Olympische Komitees auf allen Kontinenten halten ihre Ideale hoch." [2]), gibt sich nun als Bedenkenträger: "Das IOC, das sich als philantropische Bewegung sieht und immer wieder auf ethisch-moralische Werte beruft, hat sich mit einem Unternehmen eingelassen, das einst der amerikanischen Armee für den Vietnamkrieg den geächteten Kampfstoff Napalm und das Entlaubungsmittel Agent Orange geliefert hat."

Der Vietnamkrieg war einer der Auslöser der Studentenbewegung in den 1960er Jahren. Schon damals, als politisch wache Menschen noch mit großer Entschiedenheit gegen die grausamen Vernichtungsfeldzüge des amerikanischen Militärs in Südostasien protestierten (im Gegensatz zu heute in Anbetracht des nicht minder grausamen Krieges in Afghanistan unter deutscher Beteiligung), stand die konservative FAZ dem Business näher als der Protestbewegung. Das hat sich bis heute nicht geändert, wie ihre Alibi-Kritik am IOC sowie die Sorge um dessen wirtschaftliches Wohl, die im völligen Widerspruch zur tatsächlichen Prosperität des Global Players steht, verraten: "Das IOC, von der UNESCO ausgezeichneter 'Umwelt-Weltmeister', hat das Geld dringend nötig. Die Olympier haben in der Wirtschaftskrise vier ihrer zwölf Großsponsoren verloren. Außerdem läuft das Geschäft mit den Fernsehrechten so schlecht wie lange nicht. Dow Chemical kann sich nun bei seiner weltweiten Werbung mit den Olympischen Ringen schmücken."

Bei soviel wirtschaftsliberaler Weichzeichnung fällt kaum noch auf, was die Ehrenmänner und -frauen im Ringekonzern seit Jahrzehnten wirklich betreiben: Das IOC wäscht regelmäßig das Image von Sponsoren rein, die durch Steuerhinterziehung, Bestechungsaffären oder andere Vergehen belastet sind, oder, wie im Fall von Dow Chemical deutlich wird, den Opfern von Umweltkatastrophen angemessene Entschädigungszahlungen verweigern. Dow hatte 2001 das US-Unternehmen Union Carbide geschluckt, welches 1984 in Indien für einen Giftgasunfall verantwortlich war, bei dem etwa 20.000 Menschen starben und bis zu 500.000 zum Teil schwerste chronische Schädigungen davontrugen. Medienberichten zufolge lehnt es Dow Chemical bis heute ab, Entschädigungen, die Opferverbände über einen Vergleich mit Union Carbide hinaus fordern, zu zahlen. Wie "umweltfreundlich" der neue IOC-Großsponsor wirklich ist, kann ausführlich auf der olympiakritischen Website nolympia.de nachgelesen werden [3].

Das IOC läßt sich auch regelmäßig die Klima- und Umweltbilanzen seiner Megaveranstaltungen schönrechnen, um sich im Glanz moderner Nachhaltigkeitspostulate zu sonnen. Unterstützt wird das IOC dabei von Politikern und prominenten Ex-Leistungssportlern, die die gesellschaftlichen Folgeschäden der Prunkolympiaden ignorieren (siehe aktuell die Olympiabewerbung von München), oder von Sozialwissenschaftlern, die beispielsweise die Olympischen Jugendspiele dazu nutzen, um ihre für pädagogisch und kulturell wertvoll erklärten Konzepte am leistungssportlichen Kindmaterial ausprobieren zu können. Auch dieses vom IOC komplett gesponserte Leuchtturmprojekt der Jugendspiele dient dazu, das olympische Geschäftsmodell für die Zukunft abzusichern.

Zudem ist es dem IOC gelungen, unter dem Label des "Antidopingkampfes" ein weltweites Kontroll- und Überwachungsregime zu etablieren, das die Athleten zu entrechteten Sklaven ihrer "sauberen" Funktionäre und Sponsoren macht, ohne daß dies im öffentlichen Diskurs noch auf nennenswerte Kritik stößt. Daß sowohl die kommerzielle Verwertung des Sportlers unter dem Leistungsprimat als auch seine legalistische Zurichtung, die bis in die letzte Faser seiner Leiblichkeit getrieben wird, aus dem gleichen Holz geschnitzt sind, fällt den meisten Menschen, denen von morgens bis abends die euphorisierende Marketingsprache der Sportverkäufer und -funktionsträger in den Ohren klingt, kaum noch auf.

Zu den von Jacques Rogge maßgeblich vorangetriebenen Prestigeprojekten gehörten nicht nur die Jugendspiele, sondern auch die Erlangung des Beobachterstatus' in der UNO-Vollversammlung. Seit Anfang des Jahres hat das IOC die Möglichkeit, an der UN-Generalversammlung in New York teilzunehmen und sich dort einzubringen. "Dieser Beobachterstatus ist eine Anerkennung der Rolle, die der Sport spielen kann, wenn es darum geht, eine friedlichere und bessere Welt zu bauen", so Chefolympier Jacques Rogge, sich selbst in seiner neuen Rolle als Demiurg schmeichelnd. Die olympischen Werte seien in perfektem Einklang mit der Philosophie der UNO. Wenige Wochen zuvor auf der IOC-Vollversammlung in Kopenhagen hatte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon erklärt: "Die Olympischen Grundsätze sind auch die der Vereinten Nationen."

Langsam wird es haarsträubend - weniger mit Blick auf das IOC, das sich in eine Position manövrieren konnte, die einzunehmen andere transnationale Sportunternehmen mit Weltverbesserungsagenda sich vergeblich bemühten, um globalgesellschaftlich hoffähig zu werden. Es gibt wohl kaum ein besseres PR-Standing, als unter dem Schirm einer so renommierten Institution wie der UNO sowie ihrer Unterorganisationen UNICEF oder UNESCO die weltweite Vermarktung der olympischen Ringe vorantreiben zu können. Nachdem es dem IOC gelungen ist, das Plazet von der UNO-Vollversammlung für den Beobachterstatus zu bekommen und von der UNESCO als "Umwelt-Weltmeister" geadelt zu werden, können die Chefverkäufer des IOC alle Hemmungen fallenlassen. Der ehemalige Napalm- und Agent-Orange-Hersteller Dow Chemical, dessen Rolle auch im Zusammenhang mit gesundheitsgefährdenden Pestiziden sowie gentechnisch veränderten Nutzpflanzen höchst umstritten ist, fügt sich vorzüglich ins Portfolio des IOC ein und demonstriert das wahre Motto der "olympischen Familie": Ist der Ruf erst einmal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. Zumal nun auch die UNO, um sich nicht selbst an den Pranger zu stellen, was für ein Kuckucksei sie sich da ins Nest gelegt hat, schützend die Hand über das IOC halten wird. Perfekt!

Anmerkungen:

[1] www.faz.net. Stimmt die Chemie? 21. Juli 2010

[2] www.faz.net. Gastbeitrag von IOC-Präsident Rogge. Der immerwährende Kampf um unsere Werte. 28. September 2009

[3] http://www.nolympia.de/kritisches-olympisches-lexikon/ dow-chemical. Erstellt von Dr. Wolfgang Zängl, Gesellschaft für ökologische Forschung e.V.

10. August 2010