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KOMMENTAR/132: Datenschutz und Anti-Doping-Gesetz - Scharfmacher wittern ihre Chance (SB)



"Das im Tätigkeitsbereich der NADA praktizierte Melde- und Testverfahren ist aus datenschutzrechtlicher Sicht unzulässig", fällte kürzlich Dr. Peter Wedde, Direktor der Europäischen Akademie der Arbeit in Frankfurt/Main, ein für die deutsche Anti-Doping-Agentur vernichtendes Urteil. "Besonders bedenklich ist, dass einige der Eingriffe sogar aus verfassungsrechtlicher Sicht unzulässig sind und zu einer arbeitsrechtlichen Totalkontrolle führen." Nach Einschätzung von Wedde gingen die Rechtsverstöße "weit über das hinaus, was wir in den letzten Jahren an Datenschutzskandalen hatten". Athleten müßten durch die Angaben ihres Aufenthaltsortes möglicherweise ihr Sexualleben offenbaren. Zudem seien die Sichtkontrollen bei der Urinabgabe "weder datenschutzrechtlich noch verfassungsschutzrechtlich zulässig" und "sittenwidrig". Auch die von den Sportfunktionären gebetsmühlenartig verbreitete Mär, die Kaderathleten in Deutschland würden sich freiwillig dem Kontrollsystem unterwerfen, schmetterte Wedde als rechtlich unzulässig ab: "Ein Sportler, der sich nicht den Anti-Doping-Vorgaben unterwirft, bekommt Startverbot." [1]

Der anerkannte Arbeitsrechtler war von der Basketballer-Gewerkschaft SP.IN mit der Erstellung des 156seitigen Gutachtens beauftragt worden. Die Spielervertretung, die die Vereinigung europäischer Basketball-Spielergewerkschaften UBE hinter sich weiß, welche 25.000 Athleten vertritt, gehört dem Bündnis EU Athletics an, dem wiederum 25 Spielergewerkschaften aus ganz Europa angeschlossen sind. Wie Sylvia Schenk (SPD), Ex-Präsidentin des deutschen Radsportverbandes und Vorsitzende von Transparency International Deutschland, im März bestätigte, hatte SP.IN schon vor zwei Jahren den Bundesdatenschutzbeauftragten angeschrieben, der in der Sache dann an den für die NADA Bonn zuständigen Landesschutzbeauftragten von Nordrhein-Westfalen verwiesen habe. Die Juristin, die neben SP.IN auch die Interessen der Handballspieler-Gewerkschaft GOAL vertritt, schloß damals noch eine Klage der Spielergewerkschaften gegen das Antidopingsystem aus: "Das Problem ist, wir haben ja nicht einmal eine richtige Rechtsgrundlage für das derzeitige Antidopingsystem. Auch davor hat sich die Politik bisher gedrückt." [2]

Sylvia Schenk bestätigte, daß sowohl der Bundesbeauftragte als auch die Landesbeauftragten für Datenschutz die Problematik der äußerst bedenklichen Eingriffe von WADA/NADA in die grundgesetzlich garantierten Schutzrechte von Athleten regelrecht "verschlafen" haben. Ob diese Einschätzung zutrifft, mag vor dem Hintergrund, daß die Datenschützer in vielerlei Hinsicht auch eine gesellschaftliche Moderatorenrolle einnehmen, die eigentlich unvereinbare Interessensgegensätze zu vermitteln sucht und Kompromisse schließt, wo das konsequente Eintreten für eine Seite unabdingbar wäre, bezweifelt werden. So stellen die Datenschützer weder das legalistische Doping-Konstrukt noch das repressive Antidopingsystem als solches in Frage. Damit befinden sie sich voll auf der Linie der herrschenden politischen Interessen, die das weltweite Antidopingsystem, beginnend in den 1990er Jahren, Zug um Zug verschärft haben - und zwar ungeachtet warnender Stimmen, die schon frühzeitig die ausufernde Dynamik und totalitäre Programmatik des Anti-Doping-Kampfes monierten.

Erst als sich betroffene Athleten vornehmlich in Europa gegen die tief in ihre Persönlichkeitsrechte eingreifenden Reglementierungen zu wehren begannen, traten auch die Datenschützer auf den Plan. Im April 2009 machte die Datenschutzgruppe der EU in einem Bericht darauf aufmerksam, daß nach ihrer Auffassung Teile des WADA-Codes gegen EU-Recht verstießen. Die WADA nahm daraufhin einige vor allem den Datenschutz betreffende Nachbesserungen vor, doch die drakonischen Überwachungsmaßnahmen und Meldeauflagen blieben weiterhin bestehen. Nach wie vor verlangt die WADA von SpitzensportlerInnen einer bestimmten "Gefährdungsstufe", sich u.a. täglich eine Stunde lang in eine Art Administrativhaft zu begeben, in der sie für eine unangemeldete Dopingkontrolle zur Verfügung stehen müssen. Außerdem sind die Verdachtspersonen verpflichtet, drei Monate im voraus dem Internetsystem ADAMS Mitteilung zu machen, wo sie sich an den einzelnen Tagen aufhalten, welchen regelmäßigen Aktivitäten sie nachgehen und vieles mehr. Änderungen des Aufenthaltsortes müssen von den Athleten zudem umgehend aktualisiert werden, ansonsten drohen Sanktionen.

Im Dezember letzten Jahres kritisierten Datenschützer mehrerer Bundesländer die "unerträgliche Verletzung der Privat- und Intimsphäre" und die "ausforschende Überwachung" der NADA und verlangten Änderungen. Im Juli diesen Jahres legten die Datenschutzbeauftragten der Länder Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein ein umfassendes Positionspapier [3] vor und erneuerten ihre Kritik an der Praxis des Antidopingkampfes. Darin fordern sie den deutschen Gesetzgeber auf, "zumindest im Einflussbereich des deutschen Rechts grundrechtskonforme Verhältnisse anzustreben. Hierzu wird der Erlass eines Gesetzes zum Anti-Doping-System vorgeschlagen, das zugleich die Persönlichkeitsrechte der Sportlerinnen und Sportler schützt". Vorrangige Zielsetzung müsse sein, so die Datenschützer, "dass das gegenwärtige Anti-Doping-System abgelöst wird und die damit verbundenen weitgehenden Eingriffe in die Rechte der Athleten mit massiven Grundrechtsverletzungen ein Ende finden". Ausdrücklich wiesen sie darauf hin, daß ihre Initiative nicht zu verwechseln sei "mit dem in der Vergangenheit immer wieder geforderten Anti-Doping-Gesetz, dessen Regelungsschwerpunkt in der Erweiterung der Strafbarkeit von Doping-Tatbeständen liegt". Bezeichnenderweise hielten sich aber die kritischer Radikalität eher unverdächtigen Datenschutzbeauftragten ein Hintertürchen offen und erklärten: "Selbstverständlich könnten beide Überlegungen miteinander verbunden werden, ohne dass dies aber zwingend wäre."

Spätestens hier sollten alle SportlerInnen sehr hellhörig werden, die sich weder wie potentielle Kriminelle behandeln lassen noch sich und ihre Familien einem polizeilichem Fahndungsapparat ausgesetzt sehen möchten, der Verdachtshinweise (z.B. häufige Änderungen des Aufenthaltsortes), Indizien auf Doping (siehe Blutpaßprogramm der WADA, das normabweichende Werte inkriminiert) oder positive Tests dazu nutzen könnte, um heimliche Überwachungen und die Ausspähung des sozialen Umfeldes von Sportlern (siehe "Hintermänner"-Verfolgung) in die Wege zu leiten. Denn ein Anti-Doping-Gesetz mit weitreichenden Befugnissen für die Strafverfolgungsbehörden, wie es seit Jahren von einer schwarzen Troika aus SPD-, Grünen- und CSU-PolitikerInnen gefordert wird, würde unweigerlich dazu führen, daß die Hexenjagd, die im Rahmen der Sportinstitutionen bereits unerträgliche Ausmaße angenommen hat, auf ein neues Niveau staatlich legitimierter Repression gehoben würde. Sollte beispielsweise die Gesetzesinitiative der bayerischen Justizministerin Beate Merk (CSU) Realität werden, würde auch der Besitz von geringen Mengen an Dopingmitteln (die kaum vom Besitz legaler Arzneimittel zu trennen sind) zum Verbrechen erklärt und der gemeine Dopingsünder (der möglicherweise seine Unschuld nicht beweisen kann) strafrechtlich verfolgt.

Es gibt eine starke Lobby aus Politikern, Wissenschaftlern, Juristen und Medienvertretern, die im irrlichternden Glauben an den von ihnen verabsolutierten "sauberen Sport" die Kriminalisierung der Athleten via Straftatbestand Doping anstreben und das Wasser der Datenschützer, die mit ihrem Vorstoß eine gesellschaftlich relevante Bugwelle erzeugt haben, auf ihre Mühlen leiten wollen.

Zu den Scharfmachern, die den Kalten Krieg im Sport weiterfechten und jedesmal den Teufel an die Wand malen, wenn der heilige Antidopingkampf geschwächt zu werden droht, gehört auch der Deutschlandfunk. Nachdem die Datenschützer mit einem 15seitigen Bewertungsentwurf des NADA-Systems an die Öffentlichkeit gegangen waren, führte die Leiterin der Sportredaktion, Astrid Rawohl, im Dezember vergangenen Jahres ein Interview mit dem Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung Thomas Kistner. Einleitend erklärte Rawohl: "Die Totalkontrolle von Spitzenathleten ist hierzulande ein wichtiger Baustein im Antidopingkampf." Kistner bestätigte im weiteren Gesprächsverlauf, daß der Antidopingkampf, so wie er bisher betrieben werde, "voll und ganz zu Lasten der Athleten" ginge und zählt einige der Zumutungen sowie Lücken im System auf. Entscheidend dann aber folgendes Resümee Kistners: "Also braucht es intelligente Kontrollen, und es braucht, daran führt kein Weg dran vorbei, ein Antidopinggesetz". [4]

Als dann im Juli 2011 Landesdatenschutzbeauftragte ihre Kritik am NADA-System in einem 14seitigen Papier erneuerten und die Bundesregierung aufforderten, ein Gesetz zu verfassen, das u.a. die Privatsphäre der Sportler schützt, hieß es in einer Sportsendung des Deutschlandfunks (26.07.2011) in der Anmoderation, daß andere Länder längst schon ein Antidopinggesetz hätten, sich in Deutschland aber der Sport gegen ein "effektives Anti-Doping-Gesetz" stemme.

Und nachdem kürzlich der Arbeitsrechtler Dr. Peter Wedde mit seiner vernichtenden Kritik am NADA-System an die Öffentlichkeit gegangen war, kam im Deutschlandfunk erneut Thomas Kistner zu Wort: "Die Attacken der deutschen Datenschützer (...) drohen in der neu geordneten politischen Landschaft starke Befürworter zu finden." Und um keine Zweifel aufkommen zu lassen, wem er die Stange in Sachen Anti-Doping-Gesetz hält, reklamierte Kistner "Hoffnung auf eine Zeitenwende: Baden-Württembergs neue grüne Sportministerin Theresia Bauer ist engagiert in der Dopingfrage, sie könnte zur Kombattantin von Bayerns Justizministerin Beate Merk werden. Merk rennt mit ihrem Entwurf für ein scharfes Anti-Doping-Strafgesetz seit Jahren in Berlin gegen verschlossene Türen. Diese Kräftebalance könnte sich bald ändern (...)". [5]

In der Tat. Kaum in Regierungsverantwortung erklärte Baden-Württembergs neue Ministerin Theresia Bauer, daß es gegenüber Doping keine Toleranz geben dürfe. Es gebe Bemühungen, für das Land bei der Staatsanwaltschaft Freiburg einen Schwerpunkt "Doping" einzurichten. Damit wolle man dem Vorbild Bayerns folgen. Winfried Hermann, Baden-Württembergs neuer grüner Minister für Verkehr und Infrastruktur und als Befürworter eines scharfen Anti-Doping-Gesetzes hinlänglich bekannt, konkretisierte, daß er unter einer solchen Abteilung "eine komplette Einheit, die sich in dem Bereich des organisierten Vertriebs von Dopingmitteln wie auch von Drogen auskennt", versteht. [6] Schon jetzt ist absehbar, daß Beate Merks Dauerlamento, "ihre" Staatsanwälte bräuchten für einen "effektiven Antidopingkampf" viel schärfere Instrumente (u.a. Hausdurchsuchungen, Überwachung der Telekommunikation, Beschlagnahmen sowie ein Gesetz zur strafrechtlichen Verfolgung von Dopern), irgendwann auch im Südwesten der Republik ertönen wird.

Die Ambivalenz grüner Doping- und Drogenpolitik ist wirklich frappant. Noch im März diesen Jahres hatte die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen "Realitätsverlust beim Chef des Bundeskriminalamtes" angemahnt und erklärt: "Strafverfolgung und Kriminalisierung von Drogenkonsumenten sind offensichtlich gescheitert. Schadensminderung und andere niedrigschwellige Hilfen gehören in den Mittelpunkt der Drogenpolitik." [7] Während es für die Grünen stets en vogue war, sich beispielsweise für die Entkriminalisierung von Cannabis einzusetzen, verfolgen sie in der Dopingpolitik einen gänzlich anderen Kurs. Obwohl sich herausgestellt hat, daß der weltweite "Krieg gegen Drogen" mit geradezu "terroristischen Mitteln" geführt werde, wie es der profilierte Sozialwissenschaftler und Drogenexperte Günter Amendt einmal formulierte [8], scheint den Grünen völlig abzugehen, daß unter dem Label des weltweiten Antidopingkampfes noch ein ganz anderer Krieg geführt wird. Vor kurzem warf ein Kommentator der Frankfurter Rundschau den angeblich "neunmalklugen" Datenschützern, die die Privatsphäre der Sportler verteidigen, vor, daß sie sich einer einfachen Einsicht verweigerten: "Es gibt keinen Mittelweg." Das kann man auch anders verstehen, nämlich, wie es der als scharfer Kritiker der "internationalen Piss-Polizei" WADA bekannte US-Skirennläufer Bode Miller einmal ausdrückte: "Wir können entweder eine freie Gesellschaft haben oder eine drogenfreie Gesellschaft, beides geht nicht." In welcher Gesellschaft möchten Sie leben?

Anmerkungen:

[1] http://newsticker.sueddeutsche.de. "Arbeitsrechtler: Doping-Kontrollsystem unzulässig". dpa. 20.09.2011.

[2] www.dradio.de/dlf. Gespräch mit Sylvia Schenk, Rechtsanwältin für Sportrecht aus Frankfurt am Main. 19.03.2011.

[3] www.datenschutzzentrum.de/allgemein/ 20110726-positionspapier-dopingbekaempfung.html. 26.07.2011.

[4] Deutschlandfunk. Sport am Sonntag. Sportjournalist Thomas Kistner im Gespräch mit Astrid Rawohl. 12.12.2010.

[5] www.dradio.de/dlf. "Frontaler Angriff. Gutachten zur Unzulässigkeit des Dopingkontroll-Systems der Nada unter datenschutzrechtlichen Aspekten. Von Thomas Kistner. 20.09.2011.

[6] www.badische-zeitung.de. "Land will Ermittler gegen Doping installieren". Von Andreas Strepenick. 03.05.2011.

[7] Pressemitteilung der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 24.03.2011: "Drogentote: Realitätsverlust beim BKA-Chef"

[8] Frankfurter Rundschau. "Der gescheiterte Krieg gegen die Drogen". Von Günter Amendt. 09.07.2004.

29. September 2011