Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → MEINUNGEN

KOMMENTAR/163: Moralschlacht - erst Wiesenhof, dann Heckler & Koch (SB)




Die großen internationalen Sportorganisationen und -verbände, die humanistische Ideale im Schild führen, aber Schwert und Streitwagen kapitalistischer Profitmaximierung sind, lassen auf ihre Sponsoring-Partner aus Wirtschaft und Industrie nichts kommen. Trotz einer Vielzahl internationaler Proteste, Demonstrationen und Boykottdrohungen im Vorfeld der Olympischen Spiele in London hat das Internationale Olympische Komitee (IOC) am Sponsoringvertrag mit dem Giftgasproduzenten Dow Chemical festgehalten. Der US-amerikanische Chemieriese, Hersteller von Agent Orange und Napalm im Vietnam-Krieg, "hat Tod, Verwüstung und unsägliches Leid über Millionen von Menschen gebracht - ein Verhalten, das dem olympischen Gedanken zutiefst widerspricht" [1], heißt es in einem Offenen Brief der Vietnamesischen Freundschaftsgesellschaft an das IOC. Alle Proteste und Appelle, auch von aktiven wie ehemaligen Athleten, verpufften wirkungslos. Sie gingen unter im Meer des professionellen, in London Party feiernden Schönschreibgewerbes, das die steigende Armut und soziale Ungerechtigkeit innerhalb der britischen Gesellschaft ebenso aus der Wahrnehmung drängte wie die beispiellose Militärisierung der Olympischen Spiele.

"Vor den Spielen waren Bilder von einem waffenstarrenden London an die Wand gemalt worden. Von einem Sportfest, abgeriegelt von Soldaten und schwerem Kriegsgerät. Gesehen hat man nichts davon", resümierte der neue Sportchef der FAZ, Anno Hecker, mit somnambuler Leichtigkeit. Und als hätte es weder die drakonischen Werbe- und Verkaufsverbote für olympische Nicht-Sponsoren in der Londoner Innenstadt noch die lila gekleideten Markenpolizisten gegeben, die verhindern sollten, daß außer den olympischen Sponsoren jemand mit den Spielen und ihren Symbolen wirbt, fabulierte der FAZ-Schreiber: "Selbst der Zugriff der Wirtschaft blieb weitgehend unsichtbar." [2]

Tatsächlich ist der Zugriff von Wirtschaft und Industrie auf den Sport so omnipräsent, daß sich die Lohnschreiber, auch im Angesichte der eigenen Teilhaberschaft, lieber in die Dissoziation flüchten. Der mit Maulkörben gegen interne Sponsorenkritik gesicherte Sport dient den Unternehmen und Konzernen nicht nur als Kommunikationsplattform für verkaufsträchtige "Imagetransfers", sondern auch zur Befestigung von Marktgläubigkeit und Konsumismus. Dabei verfahren die Sportverwerter im Zusammenspiel mit den Sponsoren durchaus mehrgleisig. Wo Kritik trotz sorgsam vorbereiteter Marketing-Kampagnen hochkocht, lassen sie diese wie im Fall von Dow Chemical entweder abperlen, oder, das zeigt das umstrittene Sponsoring des Geflügelproduzenten "Wiesenhof" beim Fußball-Bundesligisten Werder Bremen, sie wird in das Werbekonzept integriert. Der Geflügelkonzern, der bis März in seinem Schlachthof Möckern bei Magdeburg täglich 160.000 Tiere durch die messerscharfen Zerlegemaschinen jagte, war u.a. wegen Tierquälerei, mangelnder Hygiene und Lohndumping in die Schlagzeilen geraten. Als vor kurzem das auf fünf bis acht Millionen Euro per anno geschätzte Sport-Sponsoring bekannt wurde, mit dem "Wiesenhof" sein schlechtes Image auf den Werder-Trikots reinwaschen will, löste das einen Shitstorm in Fanforen und auf Facebook aus. Auch Vereinsaustritte wurden angekündigt und vollzogen - die wohl ehrlichste Antwort auf den Deal, den die Vereinsführung mit Händen und Füßen verteidigt.

Sekundanz bekam der Profiklub vom Wirtschaftsethiker Prof. Ingo Pies von der Universität Halle-Wittenberg, der im Deutschlandfunk [3] die These vertrat, durch das öffentlichkeitswirksame Sponsoring würden "moralische Verstöße unwahrscheinlicher". Die Verantwortlichen des Unternehmens Wiesenhof seien offensichtlich der Meinung, "daß sie so skandalresistent wirtschaften können, daß es sich für sie gelohnt hat, diese Investition zu riskieren". Wiesenhof habe alle Anreize im eigenen Interesse dafür zu sorgen, daß diese skandalisierungsfähigen Mißstände nicht mehr passieren werden, so der Wirtschaftsethiker. Abstumpfungseffekte in der Öffentlichkeit könne er nicht erkennen, es gebe ja auch entsprechende Bilder, die im Internet kursieren. Der Nachfrage des Interviewers, wo die Schmerzgrenze liege und ob auch Werbung auf dem Trikot von Bayern München für den Waffenproduzenten Heckler & Koch denkbar wäre, wich der Professor mit dem wohlfeilen Hinweis aus, daß Werbung für Kondome, wie sie der FC Homburg in der Saison 1987/88 betrieb, im Zeitalter der Aidsprävention "gesellschaftliche Lernprozesse anregen und unterstützen" könne.

Pies' Vermutung, "daß wir in Zukunft noch viel phantasievollere Sponsoring-Verträge sehen werden", sollte bald Nahrung erhalten. Der Geschäftsführer des BVB Dortmund, Hans-Joachim Watzke, antwortete auf die Frage der taz [4], ob der BVB mit dem Logo eines Rüstungskonzerns wie EADS auflaufen würde: "Ein Rüstungskonzern ist für mich nicht per se schlecht. Einen Sponsor nur deshalb abzulehnen, fände ich albern."

In Zeiten, da die Bundeswehr von der Verteidigungsarmee zur global operierenden Interventions- und Besatzungsarmee umstrukturiert wird und die Bundesrepublik darum kämpft, ihren Platz als drittgrößter Waffenexporteur der Welt zu behaupten, reichen Bundeswehr-Werbelogos auf den Trainingsanzügen der Sportsoldaten nicht mehr aus, um die Bürger auf die künftigen Kriegseinsätze einzustimmen. Die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft bedarf auch der moralischen Schützenhilfe durch das Sportsponsoring - um "gesellschaftliche Lernprozesse" anzuregen und zu unterstützen, um es mit den Worten Prof. Pies' zu sagen. An marktwirtschaftlicher Logik und Anreizen mangelt es dabei nicht: Während die Bundesligavereine durch das Military-Sponsoring wettbewerbsfähig bleiben, dürfen sich die Fans darüber freuen, daß ihnen die Konzern-VIPs weiterhin die billigen Stehplätze finanzieren. Zugleich wird dem Volk die beruhigende Botschaft vermittelt, daß deutsche Rüstungsunternehmen, mit deren Waffen nicht nur Deutschland am Hindukusch, sondern auch "unsere" Arbeitsplätze und Marktzugänge verteidigt werden, allen Grund haben, ihr Investment in den Sport mit einer moralisch und ethisch sauberen Kriegsführung zu untermauern, wo ihnen doch jetzt die "kritische Öffentlichkeit" bei ihren "Friedens- und Stabilisierungseinsätzen" genaustens auf die Finger schaut. Auf diese Weise geht Sterben und Töten marktgerecht: Dem Federvieh wird in den von Tierbefreiern "Hühner-KZs" genannten Geflügelschlachtfabriken massenhaft der Garaus gemacht, während deutsche Waffen auf den Schlachtfeldern der Welt Tod und Verderben bringen. Das eine mit dem Segen des Tierschutzgesetzes, das andere entweder per UNO-Mandat oder im Einklang mit den Rüstungsexportrichtlinien im deutschen Außenwirtschaftsgesetz.

Wer sich indessen als Fußballfan über das Werderaner Wiesenhof-Sponsoring aufregt und beispielsweise als Veganer die Qual und Ausbeutung von "Nutztieren" von Grund auf ablehnt, der sollte auch die Befreiung des warenförmigen "Spielermaterials" nicht aus dem Blick verlieren. Nicht nur Tierkörper werden den Bedürfnissen des Marktes angepaßt und auf gewinnträchtige Konsumierbarkeit getrimmt, sondern auch das Fleisch der Sportler. Die Befreiung der Tiere ist ohne die Befreiung des Menschen nicht denkbar.

Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/sport/brenn/sbsp0002.html

[2] Momente für die Ewigkeit. Von Anno Hecker. 13.08.2012.
http://www.faz.net/aktuell/sport/olympia-2012/olympia-2012-momente-fuer-die-ewigkeit-11853791.html

[3] "Wiesenhof wird in die Pflicht genommen". Prof. Ingo Pies im Gespräch mit Philipp May. 18.08.2012
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/sport/1843312/

[4] H.-J. Watzke zur 50. Bundesliga-Saison. Interview: S. Reinecke und T. Haselbauer. 24.08.2012.
http://www.taz.de/H-J-Watzke-zur-50-Bundesliga-Saison/!100275/

29. August 2012