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KOMMENTAR/218: Nachwuchsdepot Sport ... (SB)


Versportlichung des Krieges: Mit Action, Teamwork und Kameradschaft auf Abenteuerreise ins Ausland



Bei der Transformation der Bundeswehr von der Verteidigungsarmee zu einer "Armee im Einsatz", die die wirtschaftlichen und politischen Hegemoninalinteressen Deutschlands in aller Welt durchsetzen soll, müssen Tabus gebrochen, Paradigmenwechsel vollzogen und jede Menge Anpassungsleistungen vollbracht werden. So ist der Krieg im Ausland immer auch ein Krieg um die Köpfe und Körper im Inland, abzulesen daran, daß die Bundeswehr alle ihre Möglichkeiten ausschöpft, um sich insbesondere bei Jugendlichen als attraktiver Arbeitgeber für das Militärhandwerk zu empfehlen.

Die Figur des "Staatsbürgers in Uniform" oder "Kämpfers im Wartestand", die auf den Säulen Wehrpflicht, Landesverteidigung und Abschreckung ruhte, ist unterdessen obsolet geworden und durch den Einsatzsoldaten in einer Freiwilligen- und Berufsarmee mit gänzlich neuem Anforderungsprofil ersetzt worden. Zwar wird noch so getan, als handele es sich beim neuen Soldatentypus um eine Art "kämpfenden Sozialarbeiter" oder "militärischen Ordnungshüter", der neben seinen Gewalthandlungen und Besatzeraufgaben auch noch Friedenswerke als Polizist, Schlichter und Diplomat vollbringt, doch die Realität der "kämpfenden Truppe" nicht nur in Afghanistan sieht anders aus. Der Bundeswehrsoldat muß wieder zum tötungswilligen Kämpfer gedrillt werden, der seine durch Friedenserziehung und zivile Sozialisation geprägten Werte suspendiert und durch soldatische Kämpfertugenden und Leitbilder ersetzt, die ihm in der "Schlammzone" des Krieges das effiziente Funktionieren, Dienen und Töten erlauben. Da die Bundeswehr gleichzeitig die Verortung des Einsatzsoldaten "in der Mitte der Gesellschaft" aufrechterhält, kann dies nur bedeuten, der kriegsentwöhnten Bevölkerung wieder die Früchte des Militarismus schmackhaft zu machen.

So investiert die Bundeswehr sehr viel Geld in die Nachwuchswerbung - allein 30 Millionen Euro im vergangenen Jahr, wie eine Kleine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion ergab. Der größte Teil (20,7 Mio.) floß in Anzeigen. Für sogenanntes Jugendmarketing - das sind Events, die Minder- und Volljährige mit Verheißungen auf Abenteuer, Action und Funsport anzulocken suchen - wurden 2,1 Millionen Euro ausgegeben. Auf der Liste der Geldempfänger stehen auch Sportvereine, die Werbekooperationen abgeschlossen haben. Neben dem Topmultiplikator Fußball kassieren auch Handball- und Basketballklubs. Die Werbung auf Banden, in Zeitschriften oder Programmheften sowie auf Stadionleinwänden läßt sich die Bundeswehr insgesamt 453.000 Euro (2013) kosten, fast 80 Prozent mehr als das Jahr davor. Spitzenreiter in der Empfängerliste ist der Fußballclub Hannover 96 (65.500 Euro). Die Fans des Erstligisten waren unlängst von der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Die Linke) aufgefordert worden, sich gegen das Sponsoring des Vereins durch die Bundeswehr zu wehren. "Ich fände es gut, wenn die Fans ihrer Vereinsführung klar machen würden, dass man nicht von jedem Geld nehmen muss. Auch Hannoveraner Jugendliche sollen ihre Kräfte lieber beim Sport messen, als im Auftrag der Bundeswehr zu verbluten", sagte die Politikerin. [1] 

Vor die Alternative gestellt, ist das Kräftemessen im Sport sicherlich dem militärischen Blutvergießen vorzuziehen. Allerdings sollte man sich auch klarmachen, daß die Bundeswehr den Sport nicht grundlos als Werbe-, Image- und Akzeptanzträger einzuspannen sucht. Denn er hält jede Menge Schnittstellen und Anknüpfungspunkte bereit, die sich die von Sozialwissenschaftlern, Meinungsforschern und professionellen Werbeagenturen beratenen Streitkräfte auf zeitgeistkonforme Weise zunutze machen. Das Fatale daran: Die Bundeswehr knüpft bei ihren Werbefeldzügen genau dort an, wo auch Ulla Jelpke verweilt, wenn sie den Sport als positiven Movens anpreist.

So fällt auf, daß sich die Armee in der Außendarstellung nicht nur zunehmend ein sportives Image zulegt, sondern auch immer zielgerichteter den "größten gemeinsamen Nenner" mit den sportbegeisterten Jugendlichen sucht, und zwar auf der Ebene der sogenannten Sekundärtugenden, welche trotz der radikalen Kritik insbesondere durch die 68er-Bewegung sowie ihrer allgemein beklagten Verfallstendenzen unverändert Fesselkraft besitzen. Die Rekrutinnen und Rekruten in spe werden gewissermaßen dort abgeholt, wo sich ihre durch Schule und Sport geprägte Erlebnis- und Erfahrungswelt mit den Interessen der Bundeswehr am leichtesten in Verbindung und Übereinstimmung bringen läßt.

Sportliche Tugenden oder Werte wie "Fairneß", "Charakter", "Moral", "Leidenschaft", "Selbstlosigkeit", "Teamgeist", "Disziplin", "Zusammenhalt", "Einsatz", "Selbstüberwindung", "Leistungsbereitschaft", "Durchhaltevermögen", "Willensstärke", "Überzeugung" oder "Kampfgeist" - die Reihe der Begriffe könnte man fortsetzen - eignen sich ob ihrer inhaltlichen Unbestimmtheit hervorragend, um unterschiedlichste Funktionserfordernisse sprachlich und sozial zu vermitteln und wertzuschätzen. Der politisch-instrumentale Hintergrund der Anforderungen und Verhaltensweisen bleibt auf diese Weise meist im Verborgenen - es geht um Gebrauchsfertigkeiten, um handwerklich-praktischen Arbeitsvollzug, der mit sozialen Mitteln angesprochen oder bestätigt wird. Beispielsweise bedienen sich TrainerInnen in Mannschaftssportarten ständig dieses Mittels, etwa wenn sie Appelle an Charakter, Ehre, Leidenschaft, Teamgeist oder Kampfbereitschaft ins Feld führen, um die Mannschaft heiß für den Wettbewerb zu machen, einzelne SpielerInnen mit direkten Ansprachen zu Höchstleistungen anzuspornen oder ganz allgemein zur Ordnung zu rufen. Die Kommandoverhältnisse im Teamsport haben nicht nur sehr viel Ähnlichkeit mit militärischen Handlungsstrategien, sie sind oft auch solchen entsprungen. Nicht von ungefähr war der große Vordenker und Vater der deutschen Sportbewegung, Prof. Carl Diem (1882-1962), ein glühender Militarist, der sportliche und soldatische Tugenden und Werte auf das Beste vereint sah. Man sollte sich nicht täuschen: Nur weil nach dem Zweiten Weltkrieg die Sprache der Sportreporter und -journalisten "entmilitarisiert" wurde, heißt das noch lange nicht, daß die männlich geprägten Härte- und Kämpfertugenden im Sport ihre Geltung verloren hätten. Sie werden meist nur überlagert vom Powerplay und Dauerthrill der Unterhaltungs- und Eventindustrie, die den "circus maximus" zu einem weltumspannenden Theater ausgebaut hat, dessen Inszenierungen sich praktisch niemand mehr entziehen kann.

Auch die Bundeswehr bedient sich der Tugendansprache, um sportgeprägte Jugendliche zu erreichen. Das wird besonders deutlich, wenn man sich die (Nach-)Berichte und die Videos zu den "BW-Adventure Camps 2014" bei den Gebirgsjägern auf der Winklmoosalm in den Chiemgauer Alpen und beim Taktischen Ausbildungskommando der Luftwaffe in Italien anschaut [2]. Auf den Action-Events durften ausgesuchte Jugendliche im Alter zwischen 16 und 19 Jahren die Bundeswehr "hautnah" erleben mit dem Ergebnis, daß genau das an werbeträchtigen Erfahrungsberichten herauskam, was beabsichtigt war.

Beide Camps standen im Zeichen des "Team-Challenge". "In verschiedenen Wettbewerben zeigten die Jugendlichen, was sie sportlich draufhaben und lernen direkt schon eine wichtige Lektion über die Bundeswehr, nämlich daß Teamwork super wichtig ist", heißt es in einem BW-Videoclip zum als Zeltlager konzipierten Sommercamp auf Sardinien. "Bei der Bundeswehr ist Kameradschaft sehr wichtig. Man hält zusammen und lässt niemanden allein", erklärt eine 18jährige Teilnehmerin. Alle wissen: "Jedes Team ist nur so stark wie sein schwächstes Mitglied!" Und auch das dürfte Eltern gefallen: Beim Einchecken in die Unterkunft "lernten die Jugendlichen gleich einmal, wie so eine Stube ordentlich bezogen wird. Betten machen, Ordnung halten".

Fast identische Aussagen beim Adventure Camp in den Bayerischen Alpen. "Ohne Teambuilding funktioniert auch die Bundeswehr nicht - bei uns heißt es Kameradschaft", weiß Heeresbergführer Michael Schmidt von seiner Arbeit mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu berichten. Und was haben die Jugendlichen im Wintercamp, wo schwere Aufgaben unter Extrembedingungen gemeistert wurden, noch über die Bundeswehr erfahren, fragt ein Sprecher im Videoclip. "Die zeitlichen Abläufe: Zeiten setzen, Zeiten halten. Und genauso auch die Ordnung und die Sauberkeit", so der Heeresbergführer. Fazit eines Teilnehmers: "Ich denke, ich bin noch ein Stück sportlicher geworden, denn man wurde hier eben sportlich sehr herausgefordert."

Sport, Teamwork, Kameradschaft, Ordnung, und das alles mit Beachfeeling oder winterlichem Naturerleben - die Bundeswehr weiß, wo sie anzusetzen hat. Von "Treue", "Gehorsam", "Pflichterfüllung", "Tapferkeit" oder "Opfermut" - gleichwohl soldatische Tugenden - sprechen die Bundeswehr-Strategen im Zusammenhang mit der Nachwuchsgewinnung im Sport lieber nicht - das kommt später hinzu.

Um das auf Sieg und Niederlage abonnierte Heldensystem des Sports in einer postheroischen Gesellschaft, die der Verherrlichung kriegerischer Gewalt entwöhnt wurde, für die Bundeswehr nutzbar zu machen, muß eine moderne Erlebnispädagogik her, die sich an den risikobereicherten Settings der Mountainbike- und X-Games-Generation orientiert und Auslandseinsätze wie sportliche Abenteuerreisen voller Herausforderungen und Nervenkitzel erscheinen läßt. Auf den "Kriseneinsätzen" wird der Gegner oder Feind dann kurzerhand plattgemacht - "brutal im sportlich fairen Sinne" eben, wie zu Hause beim Mannschaftsspiel oder in der Arena gelernt. Auch die Bereitschaft zum Todesrisiko und Dreckschlucken ist vorhanden, wie die wachsende Zahl von Extremsportlern belegt, die sich etwa beim Basejumping nach dem Motto "No risk, no fun" in Schluchten stürzen oder bei Extremläufen wie beim "Braveheartbattle" durch Drill- und Schlammparcours kämpfen. Die Lektion, daß es im organisierten Leistungs- und Spitzensport nicht mehr um zweckfreies, spielerisches Tun geht, sondern vorrangig um wirtschaftliche und politische Interessen (siehe die aktuelle Diskussion um die deutsche Spitzensportförderung, wo wieder aus vollen Backen zur Medaillenjagd und nationalen Standortbestimmung geblasen wird), hat das sportselige Volk ebenfalls längst gelernt. Warum also sollte der Freiwilligensoldat, der wie im Sport seinen Job mit "professioneller Einstellung" erledigt, Skrupel haben, wenn Deutschland wieder aus unverhohlen ökonomischen Interessen Kriege in aller Welt führt?

"Sie alle haben in uns Gefühle, Begeisterung, Emotionen entfacht und weckten unsere Leidenschaft", lobte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen vor einem halben Jahr die Art und Weise, wie die Sportler Deutschland, aber auch die Bundeswehr bei den Winterspielen in Sotschi vertreten haben. Die Leistungen der Sportsoldaten zeigten, daß die Bundeswehr "ein unverzichtbarer Partner des Sports in Deutschland ist". Als attraktiver Arbeitgeber fördere die Bundeswehr die Ausbildung der Athleten und unterstütze die Traineroffensive des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Den Sportsoldaten stehe der Weg zum Berufssoldaten - ob als Trainer und in einer anderen Funktion - offen. [3]

Kein Zweifel: Die Kriegs- und Propagandamaschinerie wird auch mit dem sozialen Schmiermittel Sport betrieben, und zwar genau dort, wo am wenigsten Widerstände zu erwarten sind.

Fußnoten:

[1] http://www.presseportal.de/pm/66865/2812020/neue-presse-hannover-jelpke-fordert-96-fans-zum-protest-gegen-die-ueppige-bundeswehr-werbung-auf. 20.08.2014.

[2] http://www.bw-adventure-camps.de/

http://www.youtube.com/watch?v=7o_UbjvQdU8. Zusammenfassung des BW-Adventure Camps 2014 auf der Winklmoosalm. Veröffentlicht am 30.03.2014.

http://www.youtube.com/watch?v=9KVishlUUxc&feature=youtu.be. Nachbericht des BW-Adventure Camps 2014 in Sardinien. Veröffentlicht am 17.09.2014.

[3] http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/!ut/p/c4/NYs9D8IwDET_kZ1MfGxEGWCFAcqWtlFkVCeVccrCjycZuJPecE-HT2zNYaMUlEoOCz5wmOg4fmDkLcGrVGkrMGV6axSqjPf-mSNMJUft1JiVGpMELQJrEV26qSLNAM04GOudseYf-z2cb27n99b4i7viynz6ATGTncg!/. 02.04.2014.

17. Oktober 2014