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KOMMENTAR/257: In naher Zukunft - Generalvollmacht ... (SB)



Hartnäckigen Gerüchten zufolge soll die Wahl Hamburgs als Gastgeber des G20-Gipfels eine Art Retourkutsche schwarz-roter Regierungsparteien gewesen sein, doch noch den Beweis dafür anzutreten, daß das politische Establishment über die Köpfe und Vorbehalte der Bevölkerung hinweg ein elitäres Großereignis von nachhaltiger Wirkung durchführen kann. Bekanntlich war es der Millionärsstadt Hamburg trotz stimmungsvoller Werbekampagnen nicht gelungen, ein politisch weniger aufgeladenes Megaevent wie die Olympischen Sommerspiele 2024 an die Elbe zu holen. Die Bevölkerung hatte den Braten rechtzeitig gerochen und den Profiteuren der teuren Olympiasause per Referendum einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Das Milliardengrab Olympische Spiele in Hamburg, einschließlich der gesellschaftlichen Kollateralschäden, konnte 2015 zwar verhindert werden, doch das jüngste Treffen der 19 Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer sowie der EU in Hamburg hat gezeigt, daß die Mächtigen dieser Welt auch ohne Unterhaltungszinnober auf ihre Kosten kommen. Offiziellen Angaben zufolge soll der zweitägige Gipfel mit über 130 Millionen Euro zu Buche geschlagen haben, kritische Schätzungen gehen sogar von bis zu 400 Millionen Euro aus. Das kommt dem Preis allein für die Sicherheit der Olympischen Spiele, so sie denn nach Hamburg vergeben worden wären, schon ziemlich nahe: Damals war offiziell zunächst von 461 Millionen Euro die Rede gewesen. Später sickerte dann aber durch, daß die Stadt mit Sicherheitskosten in Höhe von 1,38 Milliarden Euro rechne. Allein für den Ausbau einer "lückenlosen Videoüberwachung", wie sie für die Hansestadt geplant war, hatte die Polizei 130 Millionen Euro veranschlagt. "Die Welt", die Einblick in das Sicherheitskonzept der Spiele bekam, schrieb seinerzeit:

"Sicher ist: Mit Olympia wird auch die Infrastruktur der Polizei eine deutliche Aufwertung erfahren. Dann nämlich würden wohl der Führungsstab im Polizeipräsidium personell verstärkt, sowie die Polizeieinsatzzentrale und die Befehlsstellen etwa der Spezialeinheiten modernisiert und ausgebaut." [1]

Ob nun Olympische Spiele oder G20-Gipfel - jeder außergewöhnliche gesellschaftliche Anlaß - ob mit oder ohne Gewalteskalation - scheint nur recht und billig zu sein, um die innere Aufrüstung voranzutreiben. Eine "Gefangenensammelstelle" für rund vier Millionen Euro war für Olympia in Hamburg zwar nicht geplant, gleichwohl sollten aber große Teile der Stadt - ähnlich wie beim G20-Gipfel, wo rund 38 Qua­drat­ki­lo­me­ter in eine Demonstrationsverbotszone verwandelt wurden - in den Ausnahmezustand versetzt werden. Mindestens die 21 Sportstätten und etwa 67 Trainingsstätten wären zu Gefahrengebieten mit erheblichen Bewegungs-Einschränkungen für die Bevölkerung erklärt worden. Einmal ganz abgesehen von den Absperrzäunen, Überwachungssystemen und Kontrollposten, die überall installiert worden wären, sowie den Fahrspuren ("olympic lanes"), die sich das IOC während der rund dreiwöchigen Spiele für den Eigengebrauch reservieren lassen wollte. Ähnliche exklusive Wegerechte gab es auch für die TeilnehmerInnen des G20-Gipfels.

Die polizeilichen "Spezialeinheiten", von denen Die Welt damals berichtete, sind in Hamburg auch ohne Olympia mobilisiert worden: Mit automatischen Waffen im Anschlag stürmten SEK-Einheiten das Schanzenviertel, wo sich randalierende Personengruppen aufhielten, die in Polizei- und Medienberichten oftmals pauschal als "schwarzer Block" bezeichnet wurden. Um griffige Schuldzuweisungen vornehmen und massive Polizeimaßnahmen gegen Demonstranten rechtfertigen zu können, war schon im vorhinein des G20-Gipfels Stimmung gemacht und der "schwarze Block" zum Hort für Gewalt hochstilisiert worden. Wer dann später tatsächlich unter teils schwarzer Maskierung Sachbeschädigungen oder Geschäftsplünderungen beging, ist bis heute ungeklärt. Die pauschale Gleichsetzung von linksautonomen Aktivisten und Gewalttätern hat, läßt man Aussagen verschiedenster PolitikerInnen und MedienvertreterInnen Revue passieren, aber funktioniert. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), der erst kürzlich im Rahmen einer Festansprache für die "Hall of Fame des deutschen Sports" feurige Reden über die stählernde Wirkung von Spitzensport hielt [2], brachte als Konsequenz aus den Ausschreitungen beim G20-Gipfel strenge Meldeauflagen oder elektronische Fußfesseln für bekannte Verdächtige ins Gespräch. Die Krawallmacher sollten die Demonstrationsorte gar nicht erst erreichen dürfen, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe [3].

Der Innen- und Sportminister hat sich offenbar in seinen Ressorts umgetan. Meldeauflagen und Bereichsbetretungsverbote kommen bisher vor allem im Zusammenhang mit Fußballspielen zur Anwendung. In Nordrhein-Westfalen und anderen Ländern unterhält die Polizei Datenbanken, in der auch Fans registriert sind, die zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort waren. Einträge in die sogenannte SKB-Datenbank (Arbeitsdatei Szenekundiger Beamter) können dazu führen, daß als "potentielle Störer" kategorisierte Fans mit präventiven Polizeimaßnahmen "zur Gefahrenabwehr" überzogen werden, ohne je eine Straftat begangen zu haben. [4] Auch die unter Doping-Generalverdacht stehenden SpitzensportlerInnen sind einem Melde-, Überwachungs- und Kontrollregime unterworfen, das allen demokratischen Werten spottet. Was sich BMI-geförderte Athletinnen und Athleten der höchsten Gefährdungsklasse an präventiven, weit in die körperliche und informationelle Integrität eingreifenden Kontrollmaßnahmen alles gefallen lassen (müssen), geht noch über das elektronische Fußfesselsystem hinaus, wie es Thomas de Maizière für "Extremisten", "Gefährder" oder verdächtige Demonstranten vorschwebt.

Die im organisierten Sport oft zu hörende Forderung, es dürfe keine kontrollfreien Räume geben, weil sie eine Einladung zu Doping seien, entspricht dem im Zusammenhang des G20-Gipfels von Law-and-Order-Politikern häufig zitierten Satz von den "rechtsfreien Räumen", die es nirgendwo geben dürfe. Bei genauerer Betrachtung entpuppen sich diese Forderungen als Ermächtigungsmantra, keine Sozialräume mehr zuzulassen, in denen der Staat nicht optimale Verfügungsgewalt über seine verdächtigen, mit Hilfe des Präventiv-Vokabulars präjudizierten Bürger ausüben könnte.

Sportliche Großereignisse sind zwar nicht die Ursache für sicherheitsstaatliche Armierungsprojekte, doch sie werden stets als "Chance" oder "Katalysator" für polizeiliche oder militärische Aufwertungsmaßnahmen genutzt. Das würde auch der Fall sein, sollte der Olympiazirkus in Nordrhein-Westfalen Station machen. Dort hatte am 14. Juli Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) gemeinsam mit dem Sport- und Eventmanager Michael Mronz (FDP) ein Sportstättenkonzept für die Olympiabewerbung 2032 vorgestellt, das mit ähnlich populistischen Versprechungen und Lockangeboten operiert wie schon vergangene (gescheiterte) Bewerbungen in Deutschland. Nach aktuellem Stand sollen die Olympischen und Paralympischen Spiele in 13 nordrhein-westfälischen Städten (Aachen, Bonn, Dortmund, Duisburg, Düsseldorf, Essen, Gelsenkirchen, Köln, Krefeld, Leverkusen, Mönchengladbach, Oberhausen, Recklinghausen) stattfinden. Über den Kostentreiber und überwachungsstaatlichen Beschleuniger "Sicherheit" hat die "Rhein Ruhr Olympic City-Initiative" noch kein Wort verloren - sieht man einmal davon ab, daß dieser Milliardenposten ähnlich wie bei den Infrastrukturprojekten nicht durch die Privatwirtschaft, sondern durch den Steuerzahler getragen werden soll. Ansonsten wurde wie immer emotionale Begeisterung geschürt und Olympia in Marketingsprech als "Motor für Investitionsschub: Vernetzte Mobilität und Digitalisierung sind zentrale Themen über den Sport hinaus" beworben. [5]

Nun kann kein Mensch vorhersagen, von welch inneren sozialen Konflikten Deutschland im Jahr 2032 geschüttelt wird oder zu welchen kriegerischen Eskalationen hegemoniale Elitenprojekte, wie sie in Strategiepapieren wie "Neue Macht. Neue Verantwortung" (2013) oder im Weißbuch Bundeswehr (2016) zum Ausdruck kommen, führen werden. Bis vor wenigen Jahren hätten sich die meisten Menschen auch nicht vorstellen können, daß die geheimdienstliche Massenausspähung der Bevölkerung nach Vorbild der US-amerikanischen Sicherheitsbehörde NSA, daß "Staatstrojaner" zur heimlichen Überwachung von Privatcomputern oder die biometrische Gesichtserkennung mittels Videoüberwachung in Deutschland einmal legalisiert und die technischen Voraussetzungen dafür Zug um Zug installiert werden könnten. Doch all das geschieht, ohne daß es zu Massenprotesten kommt - was sich aber noch ändern kann, wenn nicht nur in den abgehängten Regionen Europas, sondern auch hierzulande die Krisenregularien durchzuschlagen beginnen und der Bürger schmerzhaft merkt, daß die affektive Befriedung der Gesellschaft mit Sport und Spielen den Hunger nach Brot und sozialer Gerechtigkeit nicht stillt.

Noch ist es jedoch andersherum: Kommerzielle Großereignisse sorgen für Stimmung im Land, erwecken feiergemeinschaftliche oder nationalpathetische "Wohlgefühle" in der Gesellschaft und erzeugen zumindest befristet den Eindruck einer sozialen Wohlfahrt. Zwar erklären selbst Wirtschaftswissenschaftler wie Prof. Wolfgang Maennig, der bei den Olympiabewerbungen Berlin 2000, Leipzig 2012 und München 2018 gutachterlich mitgearbeitet hatte, zahlreiche Studien zeigten inzwischen, daß sportliche Großereignisse keine volkswirtschaftlichen Effekte bringen. Doch auch er rekurriert auf "Wohlfahrt" oder "Wohlgefühle" (Maennig: "Wir nennen's heute gerne 'feelgood' im Englischen."), wenn er etwa die unter schwerem Korruptionsverdacht stehende Fußball-WM 2006 in Deutschland zu einem Ereignis erklärt, das allen als "wunderbare Zeit" gut in Erinnerung geblieben sei: "Wir waren ein stolzer, wir waren ein fröhlicher Gastgeber. Das ist das Entscheidende." [6]

Freude, Spaß und Unterhaltung ist das eine, mehr Kontrolle, Überwachung und Polizei das andere. Der G20-Gipfel war kaum vorüber, da kündigte der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) auch schon an, die Kennzeichnungspflicht für Polizisten, die in NRW erst vor wenigen Monaten eingeführt worden war, wieder abschaffen zu wollen. Die Begründung, die auch von der Polizeigewerkschaft sowie FDP und AfD geteilt wird, lautet: Mit der Kennzeichnungspflicht würden Polizisten als potentielle Straftäter diffamiert. Die Kennzeichnung sei ein Ausdruck von Mißtrauen gegenüber den Beamten. Die Polizei brauche aber Rückhalt statt Stigmatisierung. [7]

Wenn es jedoch um die autoritäre Staatsaufrüstung und Freifahrtscheine für "potentielle Polizeigewalt" geht, tauchen diese Argumente nicht mehr auf. Folgerichtig kündigten die gleichen NRW-PolitikerInnen, die die Olympiakampagne unterstützen, an, die Videoüberwachung ausweiten zu wollen. Sie soll künftig auch präventiv an öffentlich zugänglichen Orten erlaubt sein, wenn es dort Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten gibt. Außerdem plant die neue Landesregierung aus CDU und FDP die dauerhafte Einführung von Körperkameras (Bodycams) für Polizisten sowie den anlaßbezogenen Einsatz automatisierter Autokennzeichen-Erfassungssysteme. Weiter soll die Polizei ein "neues strategisches Fahndungsinstrument" bekommen, das eine "anlassbezogene und verdachtsunabhängige Anhalte- und Sichtkontrolle" ermöglicht, was Kritiker schlichtweg als eine schöngeredete Form der Schleierfahndung bezeichnen, die der verdachtsvollen Kontrolle weiter Bevölkerungskreise Tür und Tor öffnet. Die elektronische Fußfessel für unter dem Gefährder-Konstrukt subsumierte Personen, die in Bayern bereits zu einer zeitlich unbegrenzten Ingewahrsamnahmemöglichkeit ausgeweitet wurde, soll ebenfalls im NRW-Polizeigesetz verankert werden. [8]

Der "Innovationsschub", den Olympische Spiele für die dann prognostizierbar zum Gefahrengebiet erklärte Rhein-Ruhr-Region bringen soll, wird sich auch auf die Fortentwicklung sicherheitsstaatlicher Überwachungstechnologien und Repressionsapparate erstrecken. Unter diesem Vorzeichen bekommen ebenso die versprochenen Arbeitsplätze, die Olympia in der Digitalbranche schaffen soll, einen faden Beigeschmack, geht die schillernd als Modernisierungsoffensive beworbene Digitalisierung doch auch mit steigender Arbeitsplatzüberwachung, entgrenzter Leistungsstimulanz und verschärfter Konkurrenz auf den Stellenmärkten einher.

Fußnoten:

[1] https://www.welt.de/regionales/hamburg/article142548678/1-38-Milliarden-Euro-fuer-sichere-Spiele-in-Hamburg.html. 15.06.2015.

[2] http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Reden/DE/2017/07/rede-hall-of-fame.html. 10.07.2017.

[3] https://www.morgenpost.de/politik/article211251735/De-Maiziere-fordert-Fussfesseln-fuer-potenzielle-Krawallmacher.html. 15.07.2017.

[4] https://www.gdp.de/gdp/gdpnrw.nsf/id/64A50FE888F1B2AEC12580E200387867/$file/14.03.2017_Stellungnahme_Anhoerung_keine_geheimen_Datensammlungen_ueber_Fussballfans.pdf?open. 14.03.2017.

[5] https://www.duesseldorf.de/fileadmin/Amt13/presseanhang/170714Pressemitteilung_vom_14._Juli_RROC.pdf

[6] http://www.ard.de/download/3793096/index.pdf. "Fußball ist unser Tod". Radiofeature von Tom Mustroph.
Zitat Prof. Wolfgang Maennig: "Es gibt nun wirklich inzwischen sehr, sehr viele Studien, und praktisch keine Studie war in der Lage, im nachherein mit den offiziellen Daten von den statistischen Ämtern nachzuweisen, daß Olympische Spiele oder Weltmeisterschaften irgendwelche signifikanten, also spürbaren Wirkungen auf Einkommen, Beschäftigung, Steuermehreinnahmen oder auch nur Tourismus haben. Das wird immer wieder behauptet, aber es läßt sich einfach nicht zeigen."

[7] https://www.welt.de/politik/deutschland/article166653942/NRW-will-Polizisten-Kennzeichnung-sofort-wieder-abschaffen.html. 15.07.2017.

[8] http://www.rp-online.de/nrw/landespolitik/cdu-und-fdp-wollen-mehr-polizisten-in-nrw-einstellen-aid-1.6871528. 08.06.2017.

27. Juli 2017


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