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KOMMENTAR/270: USA Sport - Mittel zum politischen Zweck ... (SB)



Langsam wird es peinlich für die hiesigen Apologeten der Sportlerkriminalisierung, die immer noch glauben, es könnte so etwas wie einen von politischen und wirtschaftlichen Interessen unabhängigen "Anti-Doping-Kampf" geben. Ausgerechnet die USA, zu deren Feindbildern unterdessen auch Europa zählt und deren aggressive "America-First"-Politik sich immer unverhohlener gegen alles richtet, was keinen "fairen Deal" zu eigenen Gunsten verspricht, haben sich zum Vorreiter einer repressiven Anti-Doping-Politik gemacht. Wer nicht den Kurs der "militärisch stärksten Nation auf der Erde", wie Donald Trump in Siegerpose bei seiner jüngsten Rede zur Lage der Nation abhob, mitgeht, dem wird es schlecht ergehen, so die Botschaft an den Rest der Welt.

Als gelte es, den niemals beendeten Kalten Krieg mit der Keule der Dopingkriminalisierung fortzuführen, haben Demokraten und Republikaner am 29. Januar dieses Jahres im Kongreß das "Grigori-Rodchenkov-Gesetz" in beide Kammern eingebracht, wonach der Betrug an US-Athleten strafrechtlich verfolgt werden soll. Wird es verabschiedet, ist es künftig strafbar, internationale Sportwettbewerbe "durch verbotene Substanzen oder Methoden" zu beeinflussen. Dieser Passus gilt "für alle wichtigen internationalen Sportwettbewerbe, an denen US-Athleten teilnehmen", die Organisatoren Sponsorengeld von Unternehmen erhalten, die wirtschaftlich in den Vereinigten Staaten aktiv sind, oder bei denen die Veranstalter finanziell vom Verkauf von Übertragungsrechten in die USA profitieren. Je nach Straftat können Geldstrafen von bis zu einer Million Dollar (für Unternehmen) oder Freiheitsstrafen (für Einzelpersonen) von bis zu zehn Jahren ausgesprochen werden. Die Gesetzgebung erlaubt auch zivilrechtliche Klagen wegen Dopingbetrugs und gibt US-Athleten, die bei Wettbewerben betrogen wurden, sowie Unternehmen, die als Sponsoren fungieren, das Recht, vor dem Bundesgericht Klage auf Schadenersatz von Personen zu erheben, die des Dopings überführt wurden.

Die Initiative zum ersten amerikanischen Anti-Doping-Gesetz wurde von der "Kommission über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa", auch "Helsinki-Kommission" genannt, eingefädelt, einer vermeintlich unabhängigen Behörde der amerikanischen Regierung, die sich im Februar und Juli 2018 in Washington auf geradezu oscarreife Weise mit Doping im internationalen Sport, vornehmlich in Rußland, beschäftigt hatte.

Das sogenannte Rodchenkov Anti-Doping Act (RADA) ist effektsicher nach dem ehemaligen WADA-Kontrollaborleiter in Moskau, Dr. Grigori Rodchenkov, benannt, der von 2005 bis 2015 bei der Entwicklung, Verteilung und Vertuschung von Dopingapplikationen für Hunderte von russischen Olympioniken half, ehe ihm der Boden zu heiß wurde und er Anfang 2016 in die USA floh. Seine Kronzeugenaussagen über staatlich geförderte Dopingmanipulationen, die zu schweren Sanktionen des russischen Spitzensports führten, sind von den US-Behörden nach allen Regeln der Kunst ausgeschlachtet worden und zielen eindeutig gegen Rußland - einer der erklärten Hauptfeinde des US-Imperiums im Ringen um weltweite Vorherrschaft. Als Hebel dient den US-Senatoren die vornehmlich von westlichen Medien, lobbyierenden Anti-Doping-Agenturen und blauäugigen Vorzeigeathleten geschürte Empörung, daß das WADA-Exekutivkomitee die Suspendierung der Russischen Anti-Doping-Agentur (RUSADA) wieder aufgehoben hat und russische SportlerInnen nicht hart genug abgestraft wurden. Der Geist des Kalten Krieges spiegelt sich auch in der Wortwahl wider, mit der US-PolitikerInnen das international einmalige Gesetz verteidigen:

"Wir wissen aus Erfahrung, daß man dem schlimmen Verhalten von Rußlands korrupter Regierung mit Strenge begegnen muß. Weniger als dieses Gesetz würden sie nur als Ermunterung begreifen. Die Reaktionen der WADA und des Internationalen Olympischen Komitees sind elendig weit hinter den notwendigen Maßnahmen zurückgeblieben", erklärte der demokratische Senator Sheldon Whitehouse in einer Pressemitteilung. "Es ist an der Zeit, harte Strafen gegen Rußland für seinen Betrug zu verhängen und ein Signal zu senden, daß Rußland und andere Förderer staatlichen Dopingbetrugs ihre korrupten Methoden nicht länger für ihre Außenpolitik benutzen können." [1]

Politik und Medien in den USA scheinen alles in das Füllhorn der Anklage geworfen zu haben, was seit Jahren an Verschwörungstheorien, halbgaren (Geheimdienst)-Behauptungen und geopolitischen Bedrohungsszenarien kursiert. Der aggressive Tonfall des Todesstrafenbefürworters Sheldon Whitehouse wird noch von seiner Parteikollegin Sheila Jackson Lee übertroffen, die das "Putin-Regime" beschuldigt, mit dem Mittel der "strategischen Korruption" die "friedliche Zivilgesellschaft, demokratische Institutionen und die Allianzen zu destabilisieren, die seit über 70 Jahren die Grundlage für transatlantischen Frieden und Wohlstand sind". [1]

Es bedarf nicht der Rede, daß zur Popularisierung des Rodchenkov Anti-Doping Act, das auch auf einen verbesserten Schutz von Informanten gegen Vergeltungsmaßnahmen zielt, die bis heute nicht aufgeklärte Gift-Affäre um den ehemaligen russischen Doppelagenten Sergej Skripal herangezogen wurde sowie mutmaßlich russische Hackerangriffe auf US-amerikanische und internationale Anti-Doping-Agenturen, die angeblich die Berichterstattung im Sinne Rußlands beeinflussen und den Ruf von Athleten in fast 30 Ländern schädigen sollten. In der Vergangenheit hatte die Hackergruppe "Fancy Bears" vertrauliche Unterlagen geleakt, die nahelegen, daß mit Hilfe von ärztlichen Ausnahmegenehmigungen (u.a. in den USA) sowie im Sport eigentlich verbotenen Substanzen ganz legal die Leistungen gesteigert werden.

Sollte Donald Trump diesen Gesetzentwurf unterschreiben, berichtete die angesehene spanische Tageszeitung El País im Dezember 2018, würden die USA eine Waffe bekommen, mit der sie als "Weltgendarmen im Kampf gegen Doping" agieren könnten. Athleten aus aller Welt, die bei einem internationalen Wettkampf in den USA antreten und deren Dopingtest positiv ausfällt, könnten in den Staaten zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt werden. Überdies werde das US-Strafjustizsystem in der Lage sein, Rechtshilfeausschüsse und Auslieferungsersuchen zur Durchsetzung des Gesetzes zu organisieren, schrieb El País weiter, obwohl in sehr wenigen Ländern Doping als Verbrechen angesehen und in noch weniger Ländern ein Athlet nur wegen Doping verfolgt werde. [2]

Es liegt auf der Hand, daß "Doping-Mastermind" Grigori Rodchenkov, der sich vollständig in den Händen seiner neuen Schutzmacht befindet und von der Öffentlichkeit streng abgeschirmt wird, die Einführung eines solchen Gesetzes begrüßt. Unter Ausblendung all der juristischen Einwände sowie hegemonialen Implikationen wird in den deutschen Medien, die seinerzeit auch das von zahlreichen Anwälten und Richtern abgelehnte Anti-Doping-Gesetz in Deutschland gutgeheißen hatten, Werbung für die Kriminalisierungspolitik à la "America first" betrieben. Als ob die USA keinen nationalkonservativen Rechtsschwenk in Politik und Justiz vollzogen hätten, der einem die Haare zu Berge stehen läßt, käute der Deutschlandfunk die Worte des Rodchenkov-Anwalts Jim Walden wieder, wonach die USA eine Führungsrolle im Kampf gegen Doping einnehmen müßten, auch weil Doping Teil der organisierten Kriminalität sei. Die Eloge mündet in die Feststellung des Rodchenkov-Anwalts, daß das geplante Gesetz ein "Game changer" sei, laut Deutschlandfunk "ein großer Durchbruch im Kampf gegen Doping". [3]

Um die WADA zu diskreditieren und Stimmung für das neue Gesetz zu machen, scheute Jim Walden nicht davor zurück, den WADA-Präsidenten Craig Reedie mit dem römischen Kaiser "Nero" zu vergleichen, der seine Geige spiele, während Rußland den sauberen Sport bis auf den Boden niederbrenne, wie selbst die vermeintlich unabhängige Polizeibehörde INTERPOL, die ihre Gelder auch aus der Sport- und Privatwirtschaft bezieht, in einem Bulletin zur "Integrität des Sports" (11-24 December 2018) berichtete. Die wenigen Stimmen aus dem prowestlichen Lager, die sich nicht am dumpfen WADA- bzw. Rußland-Bashing beteiligten, wurden in den deutschen Medien, die sich aufgrund exklusiver ARD-Enthüllungen über russisches Staatsdoping offenbar selbst in der Rolle des Kronzeugen sehen, fast vollständig ignoriert oder verschwiegen. Auch die des WADA-Gründungspräsidenten Richard Pound, weithin als Kritiker des IOC um Präsident Thomas Bach und einer zu laschen Dopingbekämpfung bekannt. Der kanadische Anwalt hatte ein Großteil der negativen Reaktionen auf die Tatsache, daß Rußland es versäumt habe, den Zugang zu den ehemaligen Moskauer Labordaten innerhalb der vom Exekutivkomitee der WADA im September 2018 gesetzten Frist zu gewähren, mit denen eines "Lynchmobs" verglichen und Rechtsstaatlichkeit angemahnt. [4] Bereits im vergangenen Jahr hatte Pound den "Feuersturm negativer Kommentare" auf die Wiedereinsetzung der russischen Anti-Doping-Agentur, "angeführt von einer Gruppe nationaler Anti-Doping-Organisationen (NADOs), die es besser wissen sollten, und von Athleten, die falsche oder nur teilweise Informationen erhalten haben", mit deutlichen Worten verurteilt. [5] Zur erwähnten Gruppe zählt auch die Nationale Anti-Doping-Agentur (NADA) in Bonn.

Zu den prominenten Claqueuren aus Deutschland gehört ferner die SPD-Politikerin Dagmar Freitag, deren Fraktion sich seinerzeit ebenfalls für die Sportlerkriminalisierung stark gemacht hatte. Die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag war Gast der Helsinki-Kommission in Washington, wo sie u.a. das deutsche Anti-Doping-Gesetz vorstellte und die Verdienste hiesiger Medien bei der Aufdeckung des russischen Dopingskandals herausstellte.

Als seinerzeit in Deutschland die Kriminalisierung von Doping durchgesetzt werden sollte, um Athleten daran zu hindern, unbelastet von juristischer Schuldhaftigkeit über die Zwänge und Widersprüche des Spitzensportgewerbes im allgemeinen und des Dopingkonstruktes im besonderen zu reden, waren die vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) vorgebrachten Einwände von Politik und Medien als Beleg dafür ins Feld geführt worden, daß die Sportverbände offenbar kein Interesse an einer "effektiven Dopingbekämpfung" haben - es also allen begründeten Einwänden zum Trotz nur gut sein kann, wenn jetzt der Staat zum Strafrechtsknüppel greift. Der gleiche Trick wiederholt sich nun abermals, indem die Sorge des IOC, "dass es die Absicht des Gesetzesvorschlags ist, Athleten aus allen 206 Nationalen Olympischen Komitees weltweit, die bei internationalen Wettkämpfen starten, unter amerikanisches Strafgesetz zu stellen" [6], als typische Verweigerungshaltung der Sportfunktionäre ausgelegt wird und mithin nicht ernst zu nehmen sei - "eine typische IOC-Reaktion eben", wie Dagmar Freitag, zugleich Aufsichtsrätin in der deutschen, knallharte Kriminalisierungspolitik betreibenden NADA, in der FAZ kundtat. [7]

Entschiedener Protest gegen das US-Gesetz ist allerdings auch vom IOC nicht zu erwarten, das sich bislang nur zu einer eher sarkastischen Erklärung durchringen konnte, wonach die Amerikaner doch bitte erst einmal vor der eigenen Türe kehren mögen: "Wir schätzen und begrüßen Bemühungen in den Vereinigten Staaten, den Kampf gegen Doping zu verstärken, und wir nehmen an, dass die sehr besorgniserregenden Probleme mit einigen der Profi-Ligen in den Vereinigten Staaten als dringende Fälle angegangen werden." Zudem hatte das IOC vorgeschlagen, daß die Amerikaner lieber der Initiative "International Partnership against Corruption in Sports" (IPACS) beitreten sollten. [6]

So sicher wie das Amen in der Kirche dürfte indessen sein, daß sich das IOC auf keinen Fall das Amerikageschäft verderben will: Die USA, die zahlreiche Topsponsoren beherbergen, sind einer der größten Absatzmärkte für die Medien- und Vermarktungsrechte des IOC, zudem wurden die Olympischen Sommerspiele 2028 nach Los Angeles vergeben. In seinem Grundopportunismus verhält sich der Olympiakonzern im Grunde nicht anders als viele andere große Wirtschaftsunternehmen, die zwar die rechtsförmig abgesicherte Sanktions- und Drohpolitik der USA kritisieren, sich dann aber doch den Diktaten aus Washington beugen, um keine wirtschaftlichen Nachteile zu erleiden, wie u.a. das Beispiel des Nuklearabkommens mit dem Iran, das von der Europäischen Union noch aufrechterhalten wird, auf mustergültige Weise lehrt.

Überdies ist die unterbliebene, laue oder verstohlene Kritik der Sportverbände (und ihrer Juristen) an den rechtlichen und gesetzlichen Verschärfungen dem Umstand geschuldet, es auf keinen Fall dazu kommen zu lassen, den kommerziellen Olympismus als Ganzes auf den Prüfstand zu stellen und seine Leistungs- und Verwertungsimperative zu hinterfragen. Davor scheuen auch gewerkschaftsorientierte Athletenvertretungen zurück, die zwar die Einhaltung von Menschen- und Arbeitsrechten fordern oder auf die Gewährung von Berufsfreiheit und -ausübung pochen, doch unter der Stärkung von Athletenrechten offenbar verstehen, sich immer weitreichender in die Disziplinarapparate des Sports einzubringen und eine harte Gangart mit Dopingsündern zu fordern. Das macht die karrierebewußten Eliteathleten nützlich für den immer mehr Überwachungs- und Polizeifunktionen freisetzenden Hochleistungssport, weshalb AthletenvertreterInnen, die ihren Platz in den Big-Brother-Agenturen eingenommen haben und von einer "unabhängigen" Weltdopingpolizei träumen, auch von der schwarz/rot/gelb/grün/braunen Politik protegiert und sogar gesponsert werden. Sollten autokratische und demokratische Gesellschaftssysteme bei der repressiven Sicherung des "sauberen Sports" (Rußland hat Doping per Gesetz inzwischen auch strafbar gemacht, China plant ein solches für dieses Jahr) irgendwann "compliant" sein - müßte das nicht alle freiheitsliebenden Menschen zutiefst nachdenklich stimmen, welcher Entwicklung der von geschäftlichen, politischen und herrschaftlichen Interessen vollkommen durchdrungene "Anti-Doping-Kampf" Vorschub leistet?

Fußnoten:

[1] https://www.whitehouse.senate.gov/news/release/whitehouse-wicker-jackson-lee-burgess-introduce-rodchenkov-act. 29.01.2019.

[2] https://elpais.com/deportes/2018/12/24/actualidad/1545657303_536029.html. 27.12.2018.

[3] https://www.deutschlandfunk.de/anti-doping-kampf-der-erhoffte-durchbruch.1346.de.html?dram:article_id=424076. 28.07.2018.

[4] https://www.insidethegames.biz/articles/1073925/richard-pound-whats-really-going-on. 06.01.2019.

[5] https://www.insidethegames.biz/articles/1070521/richard-pound-condemnation-of-world-anti-doping-agency-is-misdirected. 29.09.2018.

[6] https://www.faz.net/aktuell/sport/sportpolitik/doping/usa-wollen-anti-doping-gesetz-ioc-schlaegt-zurueck-15711476.html. 28.07.2018.

[7] https://www.sport.de/news/ne3309571/freitag-kritisiert-ioc-reaktion-auf-rodtschenkow-gesetz/. 31.07.2018.

26. Februar 2019


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