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KOMMENTAR/283: Sport als positive Kriegsnachsorge ... (SB)



"Sportliche Wettbewerbe sollten Frieden und Verständigung fördern. Die Invictus Games missbrauchen aber Kriegsverletzte zur Kriegsverharmlosung. Krieg tötet Soldaten und Zivilisten. Diejenigen, die mit dem Leben davonkommen, bleiben für immer vom Krieg gezeichnet. Das darf man nicht verherrlichen, indem man die Kriegsversehrten 'invictus', also 'unbesiegt' nennt."
(Angelika Kraft-Dlangamandla, Sprecherin der LINKEN Ratsfraktion Düsseldorf [1])


Kurz vor Eröffnung der Paralympischen Spiele in Tokio wurde eine globale Menschenrechtskampagne mit dem Titel "WeThe15" gestartet, die sich für die Rechte von Menschen mit Behinderung einsetzt. Die Ziffer 15 spielt auf die 15 Prozent der Weltbevölkerung an, zu der Menschen mit Behinderungen zählen. Zu den Trägern der Kampagne gehören nicht nur große internationale Sport-Dachorganisationen, sondern auch die "Invictus Games Foundation" für kriegsversehrte Soldatinnen und Soldaten, ohne dass dies in der politischen Behindertenbewegung - sofern es sie überhaupt noch gibt - kritisiert wird. Die "Invictus Games" gehen auf die vom US-Militär organisierten "Warrior Games" zurück und sollen demnächst auch in Deutschland stattfinden, um breitere Akzeptanzen für (Ex-)Bundeswehrsoldaten zu erwirtschaften, die im Sport heroisch um Respekt und Anerkennung kämpfen. Dieser kriegsnachsorgenden Veranstaltung, die darauf angelegt ist, dass sich die Bevölkerung an steigende Zahlen von noch sportgeeigneten Kriegsinvaliden gewöhnt, scheint es nunmehr gelungen zu sein, sich als Einkläger für Menschenrechte und Brecher von Behindertenbarrieren zu inszenieren.

Noch bis vor kurzem galt das Umfrage-Paradoxon, dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung zwar den Afghanistankrieg der Bundeswehr ablehnt, bei Wahlen jedoch die Stimmen zu rund 90 Prozent Pro-Kriegsparteien gibt. Erklärt wird das dadurch, dass die Bevölkerung offenbar den Krieg von der Heimat-Normalität abspaltet. Die bekannte Propagandafloskel, die Sicherheit Deutschlands werde auch am Hindukusch verteidigt, sorgte eben auch dafür, dass der Krieg als etwas wahrgenommen wird, das fern von der Heimat stattfindet. Erst wenn vorwandsreiche Militäreinsätze und hehre Evakuierungsaktionen in einer Katastrophe münden, tritt die hässliche Fratze des Krieges etwas ungeschminkter zum Vorschein. Von den Opfern und Verheerungen der Interventions- und Besatzungskriege im Ausland bekommt der Normalbürger gewöhnlich nur das zu sehen, was die Militär- und Medienfilter als politik- und sozialverträglich durchlassen. Um die nicht selten verstörenden Bilder von getöteten oder verwundeten Soldaten und Zivilisten zu verstecken und gleichzeitig die öffentliche Präsenz der Bundeswehr zu erhöhen, kündigte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) schon vor zwei Jahren an: "Wir werden die Sichtbarkeit der Bundeswehr in unserem Land, in unserer Gesellschaft erhöhen. Ob das das freie Bahnfahren in Uniform ist, oder Gelöbnisse oder Zapfenstreiche in der Öffentlichkeit." [2]

Inzwischen gelingt es den Kriegsparteien in Deutschland immer besser, die Folgen von Krieg und Zerstörung in die Mitte der Gesellschaft zu tragen und im Rahmen von Sportveranstaltungen zu einem heroischen Akt sportlicher Bewährung und rehabilitatorischer Leistungsschau zu verklären. So war Annegret Kramp-Karrenbauer persönlich nach London gereist, um als Gast von Prinz Harry der offiziellen Bekanntgabe von Düsseldorf als Austragungsort der "Invictus Games" im Jahr 2022 beizuwohnen. Die Bewerbung für die Spiele der kriegsversehrten Soldatinnen und Soldaten, die später wegen der COVID-19-Pandemie auf September 2023 verschoben wurden, geht auf einen positiven Beschluss des Bundestags zurück, dem sich lediglich die Linkspartei verweigert hatte. Als einzige Fraktion sah sie die Gefahr, durch solche Sportereignisse "Militäreinsätze zu normalisieren" und stellte die berechtigte Frage, ob es tatsächlich um die versehrten Menschen gehe "oder nicht doch eher um die Nutzung des Sports und der Sportler zur Rechtfertigung von Kriegen als Mittel der Politik". [3]

Medienberichten zufolge legen etliche Staaten aufwendige Sportprogramme für ihre verwundeten Soldaten auf. In den USA, die weltweit in zahlreiche Kriege verwickelt sind, sollen mehr als 15.000 ehemalige Militärangehörige mit einer Behinderung sportlich aktiv sein. "Ihr Netzwerk mit Veteranenverbänden und dem Verteidigungsministerium wächst, auch durch ihre jährlichen 'Warrior Games'", berichtete Neues Deutschland. "Das Paralympische Komitee der USA geht davon aus, dass künftig bis zu 15 Prozent der US-amerikanischen Paralympier aus Soldatenprogrammen kommen werden." [4]

2013 nahm Prinz Harry als Mitglied eines Teams britischer Soldaten an den Warrior Games in den USA teil. Schon ein Jahr später feierte mit den Invictus Games eine ähnliche Veranstaltung in London Premiere. Geld war aus unterschiedlichen Quellen in Hülle und Fülle vorhanden. Vor dem Hintergrund, dass auch Großbritannien an der Heimatfront ein "Darstellungsproblem" aufgrund der zahlreichen verwundeten, erkrankten oder traumatisierten Soldaten im Afghanistankrieg hatte, kam eine solche Veranstaltung, in der die sporttauglichen Kriegsversehrten im Agon als "unbesiegbar" (= invictus) bejubelt und gefeiert wurden, gerade recht. 300 Sportlerinnen und Sportler aus 13 Ländern nahmen daran teil, die meisten von ihnen wurden als Soldaten in Afghanistan verwundet, wo Großbritannien zusammen mit Partnerländern blutige Kriegstaten vollbracht hatte. Da nur NATO-Armeen und ihre Verbündeten an den Invictus Games teilnehmen, ist ausgeschlossen, dass sich im sportlichen Wettkampf Soldaten wiedertreffen, die sich zuvor an der Front gegenseitig das Leben zur Hölle gemacht hatten. Langfristiges Ziel von Prinz Harry, Captain a.d. des Army Air Corps, war es zudem, das Engagement britischer Truppen im Afghanistan-Krieg in Erinnerung zu behalten. Unheroische Berichte über durch NATO-Hubschrauber oder -Drohnen getötete, verwundete und zeitlebens gezeichnete Opfer aus der afghanischen Zivilbevölkerung tauchen in diesem Zusammenhang selbstverständlich nicht auf. Eben Sportschau. Die BBC übertrug die 1. Invictus Games im Fernsehen, hochrangige Gäste aus Politik und Showgeschäft gaben sich ein Stelldichein. Die Abschlusszeremonie, bei der bekannte Musiker wie die Foo Fighters, Kaiser Chiefs und James Blunt auftraten, fand vor über 25.000 Besuchern im ausverkauften Olympic Park in London statt.

Einen ähnlichen Erfolg wünschen sich auch die Kriegsparteien in Deutschland, wenn die 6. Invictus Games 2023 in Düsseldorf Station machen. Ob dann auch der frühere US-Präsident Barack Obama als Zuschauer vorbeikommt, der 2017 in Toronto zusammen mit seinem damaligen Vize, dem heutigen POTUS Joe Biden einige Wettbewerbe besucht hatte? Seine Frau Michelle hatte schon bei den 1. Spielen eine Videogrußbotschaft an die Themse gesandt, bei der zweiten Ausgabe in Orlando (Florida) nahm sie persönlich an den Feierlichkeiten teil. Die Obamas sind richtige Fans der Kriegsversehrtenspiele. Bekanntlich wurden während der Präsidentschaft Barack Obamas (2009-2017) Tötungen mit der Drohne zur Staatsdoktrin, jede Woche unterschrieb er die sogenannte "Kill List". Auf der standen Menschen, die ohne Gerichtsprozess zur Tötung freigegeben wurden. Bei diesen regelmäßigen Mordanschlägen der USA, die unter Obama dramatisch anstiegen, kamen nicht nur feindliche Kräfte, sondern in der großen Mehrzahl auch unschuldige Zivilisten ums Leben oder wurden schwer verletzt. Wenn also bei den Invictus Games einsatzgeschädigte Soldatinnen und Soldaten als Helden gefeiert werden können, auch im Andenken ihrer patriotischen Einsätze, dann schlichtweg deshalb, weil all die Menschenrechtsverletzungen und völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen, die untrennbar mit militärischen Auseinandersetzungen verbunden sind, im Unterhaltungsgewerbe des Sports ausgeblendet werden.

Die weltweite Behindertenbewegung tut sich keinen Gefallen damit, wenn sie es zulässt, dass sich das Militär z.B. im Rahmen einer Kampagne wie "WeThe15" immer mehr in zivilgesellschaftliche Institutionen und Strukturen einschleicht, um sich als wahrer Menschenrechtshüter und Kämpfer für Behindertenrechte darzustellen. Tatsächlich ist das Militär ein Hauptproduzent von körperlichen und seelischen Leiden oder Behinderungen, und es liegt natürlich in seinem urtümlichsten Interesse, diesen Zusammenhang im emotionalen Theaternebel des Sports verschwinden zu lassen.

Wer wie die USA und Großbritannien Hunderte von Milliarden Dollar im Afghanistankrieg verbrennen kann, die vielfach auch in hochkorrupte Kanäle geflossen sind, der ist auch in der Lage, eine weltweite Behindertenbewegung einzukaufen und in die militärische Propagandamaschinerie einzubetten. Dass deutsche RegierungspolitikerInnen nach dem schmerzhaften Desaster in Afghanistan nun um so vehementer die Kriegstrommeln schlagen - CSU-Chef Söder plädiert inzwischen für "robustere Einsätze der Bundeswehr" und neue Waffensysteme wie "bewaffnete Drohnen" [5] -, lässt befürchten, dass militärsportliche Nachsorgeveranstaltungen, die dem Krieg ein sozial fürsorgliches Gesicht geben sollen, gesellschaftlich immer bedeutsamer werden. Immerhin sind über 150.000 deutsche Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan in den Einsatz gegangen. 59 von ihnen sind dabei gestorben, Tausende wurden verwundet und traumatisiert. Der Blutzoll der afghanischen Streitkräfte war indessen um ein Vielfaches höher: Rund 67.000 getötete Soldaten und weit mehr noch an körperlich und seelisch Verletzten. Es mag zynisch klingen, doch für Nachschub bei den Paralympics oder den Invictus Games ist gesorgt. Und für Geld und Kampagnenunterstützung durch die Militärapparate der kriegführenden Länder auch.

Während nach zwanzig Jahren Krieg das Legitimationsgebäude vom Demokratie- und Menschenrechtstransport nach Afghanistan faktisch zusammengebrochen ist und immer deutlicher wird, welch ungeheurer Preis an getöteten und verletzten Menschen gezahlt wurde, sind die Kriegsparteien an der Heimatfront um so eifriger darum bemüht, ihren vermeintlich unbesiegbaren Soldatinnen und Soldaten im Rahmen von Invictus Games "Respekt und Anerkennung" zu zollen, um unbequeme Fragen nach der Hin- und Herkunft von Kriegen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Schon bei den Paralympischen Spielen in Tokio, an denen auch viele einsatzgeschädigte Soldatinnen und Soldaten aus allen Ländern teilnahmen, wurde das Thema Krieg in den Berichten und Interviews fast ausschließlich in einer die Streitkräfte positiv darstellenden Weise berührt. KriegsgegnerInnen oder auch Veteranen, von denen viele inzwischen eine ganz andere Einstellung zur Kriegspolitik und zum Soldatenberuf haben als bei Eintritt in die Armee, kamen überhaupt nicht zu Wort. Als Paradebeispiel für eine bundeswehrfreundliche Berichterstattung diente Tim Focken. Der Afghanistan-Veteran, der als erster deutscher kriegsversehrter Bundeswehrsoldat an den Paralympics teilnahm, war 2010 im Gefecht mit den Taliban angeschossen worden, sein linker Oberarm ist seitdem gelähmt. Der Leistungssport half dem heutigen Sportschützen, sich aus dem Loch, in das er nach der schweren Verwundung stürzte, zu befreien. "Nun kann er mit einer Medaille in Japan auch die Bundeswehr in ein positiveres Licht rücken. Und er kann zeigen, wie man den Krieg auch auf sportliche Art verarbeiten kann", berichtete der Deutschlandfunk. [6] Ein kleiner Vorgeschmack, mit welcher Bundeswehr-Propaganda in Düsseldorf zu rechnen ist, wenn die Invictus Games Foundation zusammen mit Schirmherr Prinz Harry unter dem Motto "A Home for Respect" ihren Auftritt hat. Dass das Land Nordrhein-Westfalen die Versehrtenspiele auch nutzen will, um sich als Bewerberkandidat für die Ausrichtung der Olympischen Spiele international zu empfehlen, wirft ein Schlaglicht darauf, wie weitreichend ziviler und militärischer Zweckopportunismus bereits verwoben sind, ohne dass dies noch Befremden, geschweige denn hörbaren Protest auslöst.

Fußnoten:

[1] https://www.linksfraktion-duesseldorf.de/nc/home/detail-home/news/invictus-games-die-linke-lehnt-militarisierung-des-sports-ab/. 11.01.2020.

[2] https://www.bmvg.de/de/aktuelles/regierungserklaerung-rede-annegret-kramp-karrenbauer-76920. 24.07.2019.

[3] https://www.das-parlament.de/2019/46/innenpolitik/667530-667530. 11.11.2019.

[4] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1155856.paralympics-tokio-krieg-und-spiele.html. 23.08.2021.

[5] https://twitter.com/Markus_Soeder/status/1431918359411675136. 29.08.2021.

[6] https://www.deutschlandfunk.de/verwundete-soldaten-bei-den-paralympics-durch-den-sport.892.de.html?dram:article_id=501872. 22.08.2021.

6. September 2021

veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 167 vom 11. September 2021


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