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BERICHT/026: Die Komödianten mit Saint-Exupérys "Der Kleine Prinz" beim Sommertheater in Kiel (SB)


Der Kleine Prinz als transglobaler Spieler

Vorsichtige Annäherung: Antje Otterson (lks.) als der Kleine Prinz und Ivan Dentler als Fuchs - Foto: © 2011 by Schattenblick

Vorsichtige Annäherung: Antje Otterson (lks.) als der Kleine Prinz und
Ivan Dentler als Fuchs
Foto: © 2011 by Schattenblick

Wie kommt es, daß ein Stück, das mehr als 60 Jahre und mithin Generationen von Schülern im Französisch- wie im Deutschunterricht gequält und unter die Knute pädagogischer Moral gezwungen hat, auf eine kleine Freilichtbühne gebracht, auch im 19. Jahr noch Zuschauer weit über die Grenzen der Landeshauptstadt hinaus im Rahmen des Kultursommers 2011 nach Kiel zieht?

"Ohne den Kleinen Prinzen wär's eigentlich kein Kieler Sommer", zitiert Christian Enner, der in der Rolle des Erzählers in der 6. Saison dabei ist, die Stimmen von Kieler Bürgern, "die kommen jedes Jahr wieder." Aber auch viele Touristen besuchen die Vorstellung. Manche bleiben auf dem Transit von oder nach Skandinavien extra einen Tag länger, um das Stück zu sehen, weiß Markus Dentler, Theaterchef der Komödianten, zu berichten, die immer von Anfang Juli bis Ende August im Innenhof des Kieler Rathauses gastieren.

Sicherlich ist es die ganz besondere Atmosphäre dieser Freiluftkulisse, die, an alte Theatertraditionen anknüpfend, mit einer brillanten Akustik, die alle technischen Hilfsmittel überflüssig macht, die Zuschauer mit auf die Reise des Kleinen Prinzen durch das Universum nimmt, mit ihm Freunde sucht, schonungslose Fragen stellt, an der Liebe und anderen offenbar kosmisch verbreiteten Unzulänglichkeiten verzweifelt, über verbohrten Geiz, fatale Trunksucht, unbeirrbare Eitelkeit und sinnentleerte Routine räsoniert. Die Sehnsucht danach, aufzulösen, was andere Wesen und Dinge fremd und unnahbar macht, ohne zu wissen wie, ist das Thema des Kleinen Prinzen, der nach einer Antwort auf das tragische Scheitern seiner Bemühungen um die einzige Rose seines Planeten sucht. Auf seiner Reise begegnet er dem autoritär regierenden, aber einsamen König, dem nach Bewunderung heischenden Eitlen, dem Trinker, der vor der Scham über sein Trinken auf der ständigen Flucht ist, dem Geschäftsmann, der die Irrationalität des Geldes auf überraschend aktuelle Weise demonstriert, dem rastlosen Laternenanzünder, der immer nur einer Weisung folgt und endlich dem Geographen, der das Wissen als Besitzstand hütet, aber eigentlich gar nichts weiß. Der empfiehlt dem Kleinen Prinzen, auf die Erde zu gehen, die habe "einen guten Ruf". Dort lernt er vom Fuchs, daß man zur Freundschaft Geduld braucht und die Bereitschaft, Verantwortung für den anderen zu übernehmen, und - daß man das Wesentliche nicht mit den Augen sieht.

Haben Spaß an der Zusammenarbeit (von lks.): Benno Schmitz (Saxophon), Antje Otterson (der Kleine Prinz), Christian Enner (Erzähler) und Christoph Munk (Regie) - Foto: © 2011 by Schattenblick

Haben Spaß an der Zusammenarbeit (von lks.): Benno Schmitz (Saxophon),
Antje Otterson (der Kleine Prinz), Christian Enner (Erzähler) und
Christoph Munk (Regie)
Foto: © 2011 by Schattenblick

Die Inszenierung, seit Jahren unter der erfahrenen Leitung von Christoph Munk, weiß das einhundert Jahre alte Gemäuer gekonnt einzubeziehen. Der Torbogen und ein Fenster dienen auch als Bühnenaufgang. Die Akteure brauchen keinen Vorhang, sie schlüpfen durch den Rahmen und sind mitten im Geschehen. Der sparsame Umgang mit Requisiten erzwingt oder ermöglicht die volle Aufmerksamkeit auf den Text und seine Umsetzung durch die Darsteller. So wird eine Trittleiter bei Bedarf zum Berg oder zur Laterne oder eine Truhe zum Globus. Die Theaterfassung der Kieler Komödianten ist, so ihr Direktor, wohl die einzige von den Erben Saint Exupérys autorisierte Fassung für eine Aufführung unter freiem Himmel und bleibt dabei ganz dicht am Original. Nur die Wüste habe man weglassen müssen, sagt Markus Dentler, die könne man nicht nach Schleswig-Holstein bringen. "Wir können doch keine Wüste spielen, wenn's doch dauernd regnet." Denn gespielt wird auch bei Regen, solange es keine Sturzbäche sind. "Die Zuschauer sind hart im Nehmen", hat Benno Schmitz festgestellt, der als musikalischer Begleiter des Stückes den Komponisten und Saxophonisten Markus Schmidt-Relenberg bisweilen vertritt. "Und sie sind wetterfester geworden über die Jahre", ergänzt Petra Bolek, Pressesprecherin des Theaters.

Nicht zuletzt macht die Spielfreude der Komödianten, die auch nach 18 Jahren nichts von ihrer ansteckenden Intensität eingebüßt hat, das Stück auch in diesem Jahr zu einem Erlebnis. Vom Schattenblick anläßlich der Generalprobe am 7. Juni danach befragt, was diesmal vielleicht anders oder gar neu sei, antwortet Markus Dentler: "In diesem Jahr spiele ich ganz besonders intensiv", um gleich zu relativieren: "Das mache ich aber eigentlich immer." Und so präsentiert er sich mit keckernder Stimme und lautem, polterigem, fast clowneskem Spiel auf einer Rathaus-Fensterbank in der ersten Etage erhaben als König, der sich alles und jeden untertan macht, seine Weisheit preist und Befehle gegen die eigene Einsamkeit zu geben versucht, gibt den geizenden Geschäftsmann, dem die Zahlen alles, ihr Inhalt aber nichts bedeuten und spielt mit Hingabe den verbohrten Geographen.

Befehle gegen die Einsamkeit: Markus Dentler als König - Foto: © 2011 by Theater Die Komödianten

Befehle gegen die Einsamkeit: Markus Dentler als König
Foto: © 2011 by Theater Die Komödianten

Gerade weil dieser Inszenierung jeder moralische Zeigefinger fehlt, läßt sie viel Platz für Interpretationen. Man kann das Stück als Märchen für Erwachsene verstehen, als Geschichte über Liebe und Freundschaft bzw. das, was sie verhindert oder ganz aktuell als kritische Bestandsaufnahme einer atomisierten Gesellschaft. Antoine de Saint-Exupéry, zeitlebens ein leidenschaftlicher Pilot im zivilen Leben wie im Krieg, schreibt in seinem letzten Brief: "Falls ich abgeschossen werden sollte, verschwinde ich, ohne das zu bedauern. Mir graust vor einer Zukunft der Menschheit als Termitenhügel. Ich hasse ihre Roboter-Tugenden."

"Jeder nimmt was eigenes mit", freut sich Markus Dentler, und so hat auch jeder der Mitwirkenden einen eigenen Schwerpunkt, eine eigene Erkenntnis oder einen eigenen Spaß am Stück. "Hier in diesem Stück sieht man das alles viel globaler, auch über den Planeten Erde hinüber und das ist natürlich für mich schon immer hochinteressant gewesen, weil ich hab's auch nicht so eng gesehen", sagt der Chefkomödiant.

Sohn Ivan Dentler, der die Bühne gleich in vier Rollen als der Eitle, als Säufer, als hektischer Laternenanzünder und als Fuchs betritt, der sich vom Kleinen Prinzen "zähmen" lässt (frz.: apprivoiser, auch: jemanden weniger scheu machen, jemandem die Feindlichkeit oder Vorbehalte nehmen!) und ihm das vielzitierte Geheimnis verrät, daß man nur mit dem Herzen gut sieht, interessiert besonders "diese Darstellung von diesen bestimmten Charakteren und die Überzeichnung, weil es dann doch sehr viele Ähnlichkeiten gibt mit dem Normalen." - "Daß man gucken soll, was man hat und nicht immer danach, was man nicht hat", bringt für "Kleine Prinz"-Darstellerin Antje Otterson den Sinn des Stücks auf den Punkt. Und: "Das finde ich schon auch wichtig, daß man versucht, Leute so zu nehmen, wie sie sind und nicht groß rumbiegen möchte."

Den anderen lassen, wie er ist - Der Kleine Prinz (re.) mit Ivan Dentler als Der Eitle - Foto: © 2011 by Schattenblick

Den anderen lassen, wie er ist - Der Kleine Prinz (re.)
mit Ivan Dentler als Der Eitle
Foto: © 2011 by Schattenblick

Christian Enner als Erzähler verwebt in Wort und Spiel die Fragmente der Geschichte, hilft dem Publikum, Sprünge zwischen Gegenwart und Erinnerung zu vollbringen und hält so das Stück am roten Faden. Für die Fugenlosigkeit der Aufführung sorgt der Kieler Musiker Markus Schmidt-Relenberg mit seinem Saxophon. Er hat eigens für diesen "Kleinen Prinzen" die Musik komponiert und spielt sie zu jeder Vorstellung live auf der Bühne. Sie bindet einzelne Episoden, trennt Gedankengänge, verschafft dem Publikum Raum, Gesagtes sacken zu lassen oder kurz gedankliche Abwege einzuschlagen.

Jeweils am Freitag und Sonnabend um 20 Uhr und am Sonntag um 15 Uhr fokussiert der Kleine Prinz die Erde als einen Punkt unter vielen anderen Planeten und Sternen und läßt mit einem Hauch von Wehmut die Weite des Universums und die Unerreichbarkeit menschlicher Nähe und Freundschaft spürbar werden. Eine Lösung bietet er nicht an. Wohl aber, gerade in der Einfachheit des Stückes, jede Menge Stoff zum Nachdenken.

Der Kleine Prinz vor dem Eingang zum Kieler Rathaus - Foto: © 2011 by Schattenblick

Foto: © 2011 by Schattenblick

12. Juli 2011