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BERICHT/032: Drought and Rain, Destillierte Authentizität - doch wo ist der Funke geblieben? (SB)


Drought and Rain

Destillierte Authentizität - doch wo ist der Funke geblieben?
Eine Arbeit von Ea Sola

Sadler's Wells London 19. und 20. September 2011

von Britta Barthel


Vietnam, ein Land im fernsten Osten - Asien. Denkt man einen Moment länger nach, fällt einem auf, dass es ja weiß Gott nicht das einzige Land dort ist, aber bei weitem eines der fremdesten, wirklich in jeder Weise weit weg. Das mag wohl daran liegen, dass auch und gerade die Sozialistische Republik Vietnam ihren Platz hat in dem verbitterten Kampf, den wir uns alle unter dem Stichwort Kalter Krieg leicht wieder in Erinnerung rufen können.

So der Status Quo. Nun geht es ins Theater. Ungemein aufregend ist die Vorstellung, Zeuge einer Arbeit zu werden, die von einer vietnamesischen Ausnahme- und Außenseiterkünstlerin entwickelt wurde.

Die vietnamesisch-französische Ea Sola floh in jüngster Kindheit mit ihrer Mutter vor dem Krieg in ihrem Heimatland nach Paris. Doch das Mädchen fühlte sich hier nicht richtig. Von der Ruhe, Eigenart und Heimat des vietnamesischen Landlebens hineingesetzt in diese europäische, fremde Stadt im Überfluss, protestierte das Mädchen, indem sie einfach aufhörte, sich zu bewegen. Stundenlang stand sie still in den Pariser Straßen: Sie gehörte nicht hierher.
In Folge gingen die Dinge sehr schnell, sie wurde entdeckt, als darstellende Künstlerin bezeichnet und bekam die Möglichkeit, in ihr Heimatland zurückzukehren, gesponsert vom französischen Kultusministerium.

Hier traf sie auf eine veränderte Heimat. Sie war zerstört. Stück für Stück spürte sie Erinnerungen auf, sprach mit Menschen und entwickelte schließlich ein Bühnenstück mit sehr alten Kriegsveteraninnen; tatsächlich jene Frauen, die zu jener Zeit als Teil des Widerstandes eine Waffe bei sich trugen.
Das war 1995. Etwa 16 Jahre später - im September 2011 - bringt sie 'Drought an Rain' erneut auf die Bühne. Nun arbeitet sie mit anderen Frauen zusammen, mit jenen nämlich, die an der Front für Unterhaltung, etwas Wärme gesorgt haben.

Kriegerische Menschen aus allen Schichten der Bevölkerung - Foto: © Sadler's Wells

Foto: © Sadler's Wells

'Drought and Rain' beginnt mit dem Klang traditioneller Trommeln. Aus den Schatten der Bühne schälen sich Figuren aus Pappe. Gehalten erst wie Masken, dann wie Gefährten von Frauen, alle im Alter irgendwo zwischen vierzig und siebzig, sehen sie aus wie verschiedenen Epochen und Schichten entsprungen.
In einer Art Unterhaltung zwischen Musikern und Darstellern geht das Stück voran mit einem großen Gewicht auf vietnamesische Gedichte, die in Originalsprache gesungen auf Bildschirmen an beiden Seiten der Bühne übersetzt werden. Ist das Sadler's Wells Theater in London auch sehr bekannt für seine Tanz Perfomances, so ist dieses Stück bewusst stärker von den Mitteln des Schauspiels geprägt. Während die Kostüme irgendwo zwischen traditionell und symbolisch sind - Sonnenbrillen und weiße, sackartige Gebilde wechseln sich mit Strohhüten und Gewändern ab - sind Bewegungen und Geschichte, sehr klar, sich wiederholend.

Tänzer mit traditionellen Strohhüten, kniend - Foto: © Sadler's Wells

Foto: © Sadler's Wells

Als das Stück sich seinem Höhepunkt nähert, treffe ich ganz plötzlich meine Entscheidung, finde meinen Standpunkt an diesem Ort: Die Bühne ist gefüllt mit Frauen, sie tragen weiße Hemden. Gehen kontinuierlich, vor und zurück, vor und zurück. Jede kommuniziert mit klaren sich wiederholenden Gesten von Liebe und Wut, Schmerz und Angst. Nach und nach holen sie Fotos hervor. Fotos von Menschen, Portraits der Erinnerung: die Opfer.

Hatte ich mich doch sehr gefreut, vietnamesische Authentizität auf der Bühne verfolgen zu können und war umso mehr gespannt, diese Perspektive auf diesen unfasslichen Krieg zu sehen, wurde ich in kleinen Portionen langsam mit dem Wermutstropfen konfrontiert. Denn egal, welches Land, welche Kultur und welche Sprache: ich denke, wir Menschen spüren instinktiv, wann wir mit einem Mahnmal und wann mit einem Klagelied konfrontiert sind. Ein Mahnmal benötigt große Gesten, denn es hebt den Zeigefinger, will uns etwas lehren. Ein Klagelied will überhaupt nichts, es steht für sich oder mit anderen, es spricht auch ohne Zuhörer. Es ist losgelöst und kann so mit freiem Atem tatsächlich kommunizieren. Ein Klagelied erkennen wir sofort, denn in uns beginnt unmittelbar eine Seite ganz leise zu schwingen.
An diesem Abend war ich leider auf ein Mahnmal gestoßen. Und denen - ganz gleich welcher Kultur und sogar trotz dessen, dass sie mit Sicherheit ihre Berechtigung haben - traue ich nicht über den Weg.

Sadler's Wells Theatre London - Foto: © 2011 by Schattenblick

Foto: © 2011 by Schattenblick

29. September 2011