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BERICHT/056: Spirit - eine Frage der Herangehensweise (SB)


Spirit - eine Frage der Herangehensweise

Kritik eines Doppelprogramms von Sidi Larbi Cherkaoui & Saburo Teshigawara am 18. Dezember 2014, Kampnagel Hamburg
im Auftrag von Göteborgsoperans Danskompani

von Britta Barthel



Sidi Larbi Cherkaoui und Saburo Teshigawara sind beide feste Bestandteile der internationalen Tanzszene. Beide aus sehr unterschiedlichen Wiegen stammend - während der belgisch marokkanische Sidi Larbi bereits mit sieben Jahren beschloss, dass Tanz seine Sache sei und dies gegen seinen Vater durchsetzen musste und damit schon einen vielperspektivischen Blick auf die Kunst sozusagen in die Wiege gelegt bekam, kommt Teschigawara, dessen Laufbahn schon einige Jahre früher begann, aus zutiefst japanischen Verhältnissen und begann seine Kunst unter anderem mit der Ausübung des japanischen Butoh Tanzes, von dem er sich jedoch schon sehr bald distanzierte und seinen Weg bis hin zum gefeierten internationalen zeitgenössischen Choreographen ging - trafen sie sich nun in einer Auftragsarbeit der Göteborgsoperans Danskompani, die hinter dem Titel 'Spirit' zwei Choreographien verbirgt, die in ihrem Leitmotiv Fragen nach 'universalen Mustern und Gesetzen oder nach einer geteilten Matrix, die Mensch und Natur sowie die Ebene des Körpers und des Bewusstseins verbindet', nachgehen. Dies sind offensichtlich sehr weitgreifende Fragen, die den Künstlern mehr als nur Luft zum Atmen geben. Zumal es sich hier um zwei Choreographen handelt, denen diese Themen in ihrer Arbeit nicht neu sein dürften.

Den Abend eröffnet die Göteborgsoperans Danskompani also mit Sidi Larbis 'Noetic', bei welchem er mit skulpturalen Elementen des bildenden Künstlers Antony Gormley arbeitet.
Larbis Arbeit verkörpert ein weiteres Mal Kraft, Profession und Klarheit, ja sogar eine gewisse Kälte in ihrer Struktur der schwarz-weißen Kostüme und über tänzerische Perfektion hinausgehende Bewegungsarbeit. In einem Wechsel aus Trommeln, die live am rechten Bühnenrand mit Kraft einen Klangboden bilden und einen eher fließenden, bei Zeiten jedoch auch rhythmischen Klangteppich, der nicht live zugespielt wird, definieren sich die Tänzer bei ihrem Spiel miteinander maßgeblich über geometrische Formen. Jedoch sind in einzelnen Gruppenbildungen auch Themen wie Symbiose und Vereinzelung zu erkennen. Auffällig ist, dass Geschlechterrollen bewusst vernachlässigt werden. Das geschieht nicht etwa durch einheitlich neutrale Kostüme, sondern klare männliche Anzüge und weibliche Kleider sowie Pumps, die jedoch kommentarlos, wie nebenbei, bewusst auffallend scheinbar das Geschlecht nicht beachtend an die Tänzer und Tänzerinnen verteilt wurden. Die Fragestellung nach Symbiose drängt sich mir als Zuschauer auf, während ich dem Spiel der Tänzer zuschaue, welche lange biegsame Stäbe in verschiedenster Weise auf der Bühne nutzen, verbinden und trennen und ihnen einen Höhepunkt verleihen, indem sie eine gewaltige Stab-Kugel formen. Als dann in einem verbalen regelrechten Erguss aus Worten noch über die Faszination von Mustern, Verknüpfungen und einer Entwicklung des Netzes gesprochen wird, die es bald einem eigenen Organismus gleich macht, ergibt die kalte Struktur der Arbeit auf einmal einen Sinn, ob es nun daran liegt, dass in der Fusion aus außergewöhnlicher Bewegungskunst und Sprache so viel von Forsythes augenzwinkernder Strukturbissigkeit liegt oder dass einfach der Abstraktion in angemessener Weise das Konkrete folgt und eine Verbindung zur Emotion nicht nur direkt durch die außergewöhnlichen Einlagen einer Sängerin, sondern nun auch subtil durch die indirekte Kommunikation, welche Sprache fern von Worten zu kreieren vermag.

Foto: © GoteborgsOperans Danskompani Bengt Wanselius

Noetic
Foto: © GoteborgsOperans Danskompani Bengt Wanselius

Foto: © GoteborgsOperans Danskompani Bengt Wanselius

Noetic
Foto: © GoteborgsOperans Danskompani Bengt Wanselius

'Metamorphosis', von Saburo Teshigawara erarbeitet, sowohl in Bewegung als auch Lichtdesign, Bühnenbild und Kostümen, ist eine sphärischere, jedoch zugleich struktursimplere Arbeit. Die Kostüme, gehalten in erdfarbenem Beige, sollten ganz klar der Bewegung nichts an Blickfang nehmen. Alles ist sehr ruhig gehalten, und auch wenn es einen irren Moment der Wut, der Sprünge und des 'Impacts' gibt, sowohl in Musik als auch zeitgleich in Bewegung, dominiert in der Rückschau doch die Kontinuität im Wechsel aus Fluss, Stille in Ton und Bewegung sowie zeitweiser Plötzlichkeit. Der Fluss ist da. Ganz klar, in der Bewegung dem Klassischen abgewandt und mit japanischer Handschrift ist 'Metamorphosis', was symbolischen Ausdruck in den krummen, nach innen gerichteten Füßen findet. Diese Arbeit trägt ebenfalls die Handschrift eines erfahrenen Künstlers. Wohl auch dadurch möchte er sich mit der Thematik der kontinuierlichen Transformation in allem ohne viel Farbe, Lärm und Knall auseinandersetzen und im Fluss der Bewegung sprechen.

Foto: © GoteborgsOperans Danskompani Bengt Wanselius

Metamorphosis
Foto: © GoteborgsOperans Danskompani Bengt Wanselius

Foto: © GoteborgsOperans Danskompani Bengt Wanselius

Metamorphosis
Foto: © GoteborgsOperans Danskompani Bengt Wanselius

Das Publikum kostete diese zweite Arbeit offensichtlich Mühe, bedenke man die Zuschauer, die den Saal verließen, und die greifbare Spannung in den Momenten der Stille. Währenddessen wurde Sidi Larbis Werk mit anhaltendem Applaus quittiert.
Über den Vergleich dieser Arbeiten soll hier kein Wort verloren werden. Das Publikum war noch nie eine gute Messlatte für Qualität. Nur eines ist hier klar, der Spirit, mit dem man diesen beiden Arbeiten begegnen sollte, unterscheidet sich in jedem Fall fundamental.

Sidi Larbi Cherkaoui / Saburo Teshigawara /
Göteborgsoperans Danskompani
Spirit - Noetic & Metamorphosis
Dauer: ca. 130 Min inkl. Pause
Choreografie: Sidi Larbi Cherkaoui
Musik: Szymon Brzóska
Dramaturgie: Adolphe Binder
Künstlerische Leitung Göteborgsoperans Danskompani: Adolphe Binder

19. Dezember 2014