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BERICHT/067: Hauptsache Frei-Festival 2016 - nur Träume kosten nichts ... Die andere Vernunft (SB)


Hauptsache Frei-Festival der darstellenden Künste Hamburgs vom 27. bis 30. April 2016


Wir glauben, dass Klagen falsch ist. Du weinst, gehst traurig nach Hause, sagst: Wie habe ich schön geweint und schläfst erleichtert ein. - Nein wir wollen Euch zum Lachen bringen. Es öffnet sich nicht nur der Mund beim Lachen, sondern das Gehirn. Und in das Gehirn können die Nägel der Vernunft eintreten. Ich hoffe, dass heute Abend einige Leute mit Nägeln im Kopf heimgehen.[1] Franka Rame


Plakat des Hauptsache Frei-Festivals 2016 - Foto: © 2016 by Schattenblick

Foto: © 2016 by Schattenblick

Seit der Mitteilung der neuen Förderergebnisse für die Spielzeit 2016/17 durch die Kulturbehörde Anfang Februar muss die freie Theaterszene als Boxbirne der Kulturlandschaft Hamburgs wieder einmal Nehmerqualitäten beweisen. Die Fördermittel für die Freien sollen allen politischen Zielsetzungen entgegen um 60.000 Euro gekürzt werden. Der erste Satz des Grußwortes der parteilosen Hamburger Kultursenatorin Barbara Kisseler für das vom 27. bis zum 30. April in vier Spielstätten der Elbmetropole stattfindende Hauptsache Frei-Festival liest sich vor diesem Hintergrund wie eine fadenscheinige Beruhigungsfloskel: "Hauptsache Frei ist eine, in diesen Zeiten, ideologisch angehauchte Forderung, ist ein ambitioniertes Lebensmotto, ist ein Ziel - ist ein Festival."[2] Denn allein schon die konsequente Missachtung der meisten Empfehlungen aus der dem Senat seit 2011 bekannten Potentialanalyse 2010 der freien Tanz- und Theaterszene Hamburgs, die die Kulturbehörde dem Institut für Theaterforschung der Universität Hamburg in Auftrag gegeben hatte, beweist, wem eigentlich ein ideologisches Vorgehen im Sinne der Wortbedeutung einer "Immunität für Argumente von außen" bescheinigt werden kann.

"Die Unsichtbaren" nennt die Potentialanalyse 2010 jene Künstler, die sich dazu entschließen, auf jegliche Förderung für ihre Stücke zu verzichten. Sie schaffen es scheinbar, auf welchen Wegen auch immer, eine Idee von Theater zu leben, die sich adelnder Förderbewilligungen und gesinnungspolitischen Vorabbewertungen Hamburgischer Kulturexperten entzieht. Die sogenannten Unsichtbaren knüpfen dabei an eine alte Tradition freier Theatergruppen an, ihren Zuschauern die staatlich organisierten Hierarchien als viel zu enges Korsett für die freien Künste - und damit für Jedermann - zu entlarven.

Dass ausgerechnet die Potentialanalyse 2010 den sogenannten Unsichtbaren die Sichtbarkeit abspricht, trägt bereits einen verräterischen Beigeschmack, der den Analysten zwar keine Parteilichkeit unterstellen soll, jedoch einen Hinweis auf schon von der Szene selbst unhinterfragt übernommene defizitäre Begrifflichkeiten geben könnte. Besonders, wenn im Weiteren ausgeführt wird, dass zu den "Unsichtbaren" auch die "noch Unsichtbaren" zu zählen seien, "Nachwuchskünstler, die erste Gehversuche im Bereich der freien Szene machen und dort zunächst auf zahlreiche Blockaden stoßen, weil sie mit den Gepflogenheiten der Antragstellung nicht vertraut sind und einer persönlichen Beratung oder eines Mentorings bedürften, um ihre Projektideen in Erfolg versprechende Anträge zu verwandeln".[3]

Für alle "sichtbaren" Theaterschaffenden der freien Szene, die sich "frei" nennen, weil sie außerhalb von festen Produktionsstrukturen arbeiten, sind diese Bedingungen normal, sie sind von oben festgelegte Elemente, die den künstlerischen Prozess von unten bereits früh prägen und der kreativen Ideenfindung der jungen "nicht mehr Unsichtbaren" mit in die Wiege gelegt werden, bis kein Platz mehr da ist, die im Wachstum befindlichen Glieder in die ursprünglich gewünschte Richtung zu strecken. Das konventionelle, von Restriktionen für die freie Szene und ihre Verbündeten durchtränkte Programm einer kulturpolitischen Ordnung, die sich in Hamburg auf prestigeträchtige Leuchtturmprojekte wie die Elbphilharmonie verlegt und ausgerechnet die lebendigsten und changierendsten Bereiche kultureller Innovation mit Missachtung straft, demontiert sich auf lange Sicht selbst, wenn es glaubt, es könne auf seine kreative Basis verzichten.

Das Hauptsache Frei-Festival, das von Sarah Theilacker und Anne Schneider nur aufgrund der Auslobung eines über drei Jahre verteilten Fördertopfes der Kulturbehörde von insgesamt 180.000 Euro 2015 gegründet werden konnte, ist als Forum von der freien Theaterszene für die freie Theaterszene mit einigem Erfolg gestartet. Unter dem Motto "Ermächtigungsstrategien" soll das Festivalrahmenprogramm im zweiten Jahr verdeutlichen, wie wichtig es ist, dass der Finanzknebel endlich gelockert wird und zeigen, dass künstlerischer Freiheit kein Zaumzeug angelegt werden kann. - Aber trifft das auf die von Fördergeldern abhängigen Freien wirklich zu? Stellt sich das erleichternde Gefühl, wenn wir in der Potentialanalyse von 2010, die nach sechs Jahren sicherlich längst einer Aktualisierung bedürfte, von hierarchieimmunen "Unsichtbaren" lesen, auch ein, wenn wir von Sarah Theilacker hören, dass aufgrund der unzureichenden Förderung des Festivals durch Stadt und Stiftungen vor allem eine Menge "Herzblut" aller Beteiligten in die Festivalarbeit geflossen ist? Wird das Hauptsache Frei mit Unterstützung der Zuschauer 2016 der Möglichkeit näherkommen, dieses Bluten endlich zu stillen?


Das Festivalteam hat sich gemeinsam im Bühnenraum des Lichthoftheaters aufgestellt - Foto: © 2016 by Schattenblick

Das Festivalteam, bestehend aus (von links) Ulrike Steffel, Francoise Hüsges, Maria Isabel Hagen, Kerstin Evert, Matthias Schulze-Kraft, Clara Bosse, Sarah Theilacker, Anne Schneider und Susanne Reifenrath
Foto: © 2016 by Schattenblick

Dem kulturpolitischen Subventionszwang ein Schnippchen schlagend, bietet das Festival zum ersten Mal bislang unbekannten Nachwuchskünstlern wie Leo Hofmann, Jivan Frenster oder der Sticky Trace Company, die noch nie eine Förderung erhalten haben, mit dem neuen Format "Schaufenster" ein Forum, das zwar bedauerlicherweise nur auf jeweils zehn Minuten Spielzeit angelegt ist - aber immerhin. Ausgelotet werden außerdem die "Sicht- und Herangehensweisen erotisch aufgeladener Tanzstile" in "Temptress" von Angela Kecinski oder die Vielschichtigkeit vogelhafter "Balztänze" von Annika Scharm und Hannah Wischnewski. Den "Eintritt in eine neue Realität" ermöglichen die Spielberaterin Sarah Klöfer, die Kommunikationsstrategin Kathia von Roth und der Installationskünstler Torben Spieker mit ihrer Performance für nur einen Besucher oder eine Besucherin im Monsun Theater und das Theaterstück "Gier" von Sarah Kane findet unter Regie von Julius Jensen im Tiefbunker am Steintorwall statt. Dass drei der elf Wettbewerbsproduktionen, die allesamt Wiederaufnahmen bereits geförderter und auf die Bühne gebrachter Werke sind, am Ende des Festivals entweder mit dem Publikumspreis, dem Nachwuchspreis oder dem Jurypreis in Höhe von jeweils 1500 Euro ausgezeichnet werden, wirkt für Außenstehende zwar etwas irritierend, da es den Kampf um die Fördermittel auch auf das Festival auszudehnen scheint, ist aber im Programmzusammenhang möglicherweise eher als Spannungsspiel zu verstehen, bei dem auch das Publikum ein größeres Wörtchen als sonst mitzureden hat.


Das Lichthof Theater von außen - Foto: © 2016 by Schattenblick

Das Lichthof Theater - neben Kampnagel, Monsun Theater und Sprechwerk eine der Spielstätten des Hauptsache Frei Festivals 2016
Foto: © 2016 by Schattenblick

Die Beharrlichkeit der Macher des Hauptsache Frei-Festivals, trotz allem an ihren Kommunikationsversuchen und Diskussionsrunden mit den kulturpolitischen Vertretern der Parteien und den Mitgliedern der Expertenjurys festzuhalten und immer weiter an das Verständnis des Hamburger Senats zu appellieren, doch mehr Fördermittel an die freie Szene umzuverteilen, ist bewundernswert. Ihre möglicherweise größte Fessel aber ist der Glaube an den von der Kulturpolitik vorgegaukelten Zwang, die freie Szene müsse ständig ihre unbestreitbar wichtige Existenz rechtfertigen. Zu hoffen bleibt, dass diese Gespräche das Rebellionspotential der Freien nicht befrieden, sondern, im Gegenteil, anfachen, dass sie das bestehende Kommunikationsproblem als Kommunikationsverweigerung erkennen und benennen, dass sie sich ihrer störerischen Ursprünge entsinnen und es wagen, den aufoktroyierten Hierarchien wieder mit der konsequenten Entschlossenheit und opferlosen Dreistigkeit des "Da bin ich!"-Sprungs eines Harlekins zu begegnen, damit endlich die Nägel einer anderen Vernunft in das Gehirn der Kulturpolitik getrieben werden können.


Anmerkungen:

[1] http://www.thealozzi.de/stahlhausen-enterprises.html, Abruf am 18.04.2016.

[2] Programmheft Hauptsache Frei-Festival 2016, S. 2.

[3] Potentialanalyse 2010, S. 28.


23. April 2016


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