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BERICHT/075: Ports - Theaterschiff trifft Hafenträume ... (SB)


Geheimagentur: Ports - Vom Recht auf Meer
Auf der "MS Stubnitz" am 09.11.2016

Performance des freien Theaterkollektivs "Geheimagentur" im Hamburger Baakenhafen auf dem alten Fischereischiff "MS-Stubnitz"


Wer in Hamburg lebt und arbeitet, kommt nicht umhin, sich früher oder später mit dem konstanten Wachstumsprozess der Stadt auseinanderzusetzen. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist dabei das spürbarste Symptom, mit dem man sich als Endnutzer herumschlagen muss. Ein wichtiges Mittel, um mit diesem Problem umzugehen, ist die Verdichtung innerstädtischer Flächen und die Erschließung brachliegender Hafengebiete für neue Wohn- und Gewerberäume. Nach dem Vorbild der Londoner Docklands entsteht seit den frühen 2000er Jahren in Hamburg die HafenCity, die planquadratisch, würfelförmig und monumentalarchitektonisch die Hamburger Skyline prägen soll. Nach exakt definierten Kriterien wird hier eine Wohn- und Arbeits- Erlebniswelt produziert, in der sich jeder Anwohner und Besucher wohlfühlen soll. Wer das Abenteuer auf sich nehmen will, einmal selbst zu erleben, wie gut diese Top-Down-Nutzbarmachung des städtischen Raumes funktioniert, sei eingeladen, die Straßen der HafenCity nach 17:00 Uhr zu begehen. Alternativ kann man auch einige Studierende der HafenCity Universität fragen, wo sie nach ihrer letzten Vorlesung üblicherweise hingehen.


Ein zweigeteiltes Bild, oben ein Ausschnitt aus der sich noch im Bau befindenden Hafen City mit einer Hauptstraße in der Bildmitte, unten eine amerikanische Landstraße in der Wüste mit einem vorbeirollenden Gestrüppknäuel - oben Foto: © By MartinDieter (Own work) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons (Bildausschnitt) - unten Foto: © By Jez Arnold (Tumbleweed) [CC BY-SA 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons (Bildausschnitt)

"Verwechselungsgefahr: Oben Hafen City nach Feierabend, Unten Ruthenisches Salzkraut"
oben Foto: © By MartinDieter (Own work) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0
(http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons (Bildausschnitt)
unten Foto: © By Jez Arnold (Tumbleweed) [CC BY-SA 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons (Bildausschnitt)

Die Hauptakteure bei der Entwicklung des Hafengebietes sind zum einen die HafenCity GmbH, und zum anderen die Hamburger Hafenbehörde, die seit 2005 als "Hamburg Port Authority" (HPA) auftritt. Das Aufgabenspektrum der HPA umfasst die Verwaltung sämtlicher logistischer und wirtschaftlicher Belange des Hafengebietes und den Ausbau der Infrastruktur. Eine kulturelle und selbstständige Nutzung der Flächen durch die Stadtbewohner und Initiativen wird von beiden Institutionen bestenfalls geduldet, sofern die Projekte nicht mit den wirtschaftlichen und planerischen Interessen der Stadt konkurrieren. Bemerkbar macht sich dies auch im Baakenhafen. Dessen bisher brachliegende nördliche Halbinsel soll bis 2021 mit einer "rhythmisierten Blockbebauung" in den südlichsten Ausleger der Hafen City verwandelt werden.

Inmitten dieser Ödnis findet man derzeit ein kleines Fort aus rostigem Stahl und klapprigen Brücken: Die MS-Stubnitz liegt vertäut am Kirchenpauerkai und versucht, eine Fläche zu bieten, auf der Bottom-Up Kultur ihren Raum finden darf. Das in den 1960er Jahren gefertigte Fischereischiff wurde bis 1992 zu einem schwimmenden Event-Zentrum umgebaut und hat seither schon in den verschiedensten Häfen Europas angelegt, um Künstlern und Kulturschaffenden die Möglichkeit zu geben, diese spezielle Kulisse für ihre Zwecke zu nutzen. An einem nebelverhangenen Mittwochabend im November hat uns das freie Theaterkollektiv "Geheimagentur" an diesen Ort eingeladen, um eine Reise in einen "anderen Hafen" anzutreten.

Zu diesem Zweck wurde ein ganz eigener Hafen-Verband ausgerufen: die "Hamburg Port Hydrarchy" (HPH), die sich als Gegenbewegung zur Hamburg Port Authority versteht. Die HPH hat ihre Mitglieder in alle Welt geschickt, um Ideen für die Umsetzung einer alternativen Hafennutzung zu sammeln, die nicht ausschließlich nach Gesichtspunkten der Wertschöpfung ausgerichtet ist. Die Erkenntnisse dieser Forschungsreise wurden in verschiedenen Performances auf allen Decks der MS-Stubnitz präsentiert, so dass die Besucher selbstständig die Reihenfolge und den Betrachtungswinkel auf die einzelnen Reisestationen wählen konnten.

Die Forschungsabteilung "Paralogistics" führte die Besucher über die Brücke des Schiffes in eine andere Art des Reisens ein, bei der man Raum und Zeit überbrückt, ohne den Ort zu wechseln und den Hafen aus einer neuen Perspektive wahrnimmt: Über Funkkopfhörer wurden wir an ein live gelesenes Radioprogramm angeschlossen, in dem wir Versatzstücke eines Reiseberichtes hörten, begleitet von stummen, statuenhaft agierenden "Reiseführern". Die Performance-Künstler waren bis nach Lagos gereist und haben Gespräche mit Piraten und Händlern geführt, die über das knackende und fiepende Funkgerät ins Ohr der Besucher gelangten. Verbunden wurde diese Inszenierung mit einem konkreten Handlungsvorschlag: Das seit 2014 leerstehende Lagerhaus des Afrika-Terminals im Baakenhöft könnte als infrastruktureller Knotenpunkt für afrikanische Einwanderer und Händler fungieren, um diesen die Möglichkeit einer wirtschaftlichen Unabhängigkeit zu bieten. Die Fläche südlich des Baakenhafens, auf der einmal ein Teil des olympischen Dorfs stehen sollte, wird derzeit von der HPA für eine noch unbestimmte Nutzung freigehalten. Die Hamburg Port Hydrarchy wird im Rahmen des "Theater der Welt Festivals" im Mai und Juni 2017 Workshops geben, um dieser Idee mit konkreten Handlungsansätzen Leben einzuhauchen.


Seitliche Ansicht des Schiffes MS Stubnitz bei Nacht - Foto: © 2016 by Schattenblick

Kulturstätte im Brachland - das ehemalige Fischereischiff MS Stubnitz
Foto: © 2016 by Schattenblick

Im Bauch des Schiffes präsentierte die Abteilung "Radical Seafaring" ihre Reise zum "Battle for Mau Mau Island" in Queens, New York, einem jährlich stattfindenden Event, bei dem Theatermacher, Künstler und Besucher aus aller Welt mit selbstgebauten Booten anreisen und für einen begrenzten Zeitraum eine schwimmende Stadt schaffen. Mit Leinwand, Kamera und Fotoschnipseln, die als lebendige Collage projiziert wurden, vermittelten die HPH Aktivisten, verpackt in einem die Grenzen der Realität beugenden Reisebericht, mit welchen Mitteln die Wasserflächen in Städten als öffentlicher Raum eingenommen werden können und wie eine Nutzung abseits von Transportlogistik aussehen kann. Im Zuge dieser Performance enthüllte die Geheimagentur ihre alternativen Pläne zur Gestaltung des Baakenhafens: der ungenutzte Raum auf dem Wasser, der für die moderne Hafennutzung kaum mehr eine Rolle spielt, könnte mit auf Booten schwimmenden Stadtgärten versehen werden. Angelehnt ist diese Idee an die Londoner "Narrowboat Wohnkultur", in der bezahlbarer Wohnraum in den Kanälen der Stadt auf schmalen Hausbooten geschaffen wird.

Etwas weiter oben fand man sich ein, um die Geschichte des Schiffes "Sky Luck" zu hören: Die Sky Luck war ein Frachter, der 1979 mit 2700 Vietnamesischen Flüchtlingen vor Hongkong ankerte. Fast fünf Monate lang verweigerten die Behörden den Menschen die Erlaubnis, das Land zu betreten, bis diese die Ankerketten losschnitten und das Schiff auf der Lamma Insel vor Hongkong auf Grund laufen ließen, wo sie schlussendlich an Land gehen konnten. Auch die Geschichte der "New Imperial Star" wurde erzählt, einem Casino Kreuzschiff, welches von Hongkong aus in internationale Gewässer fährt, um dort Glücksspielgeschäfte zu betreiben.

Monatelang zahlte der Betreiber des Schiffes den Angestellten keine Löhne und hielt sie mit Knebelverträgen gefangen, nach denen Ihnen jeglicher Anspruch auf Zahlung entginge, sobald sie das Schiff verlassen. Die Geschichten der Sky Luck und der New Imperial Star verweisen auf eine Situation, in der nur wenige Meilen von einem Hafen entfernt in der "Extraterritorialität" von internationalen Gewässern illegale Geschäfte getätigt werden können, weil hier Orte ohne feste Regeln existieren.


Ein Mann im weißen Overall kniet vor einem Blech, auf dem ein brennender Zettel liegt - Foto: © 2016 by Schattenblick

Performance unter Einsatz aller Elemente
Foto: © 2016 by Schattenblick

Die Geheimagentur und die von ihr ausgerufene "Hamburg Port Hydrarchy" haben es geschafft, mit ihrer Darbietung unter geschickter Einbindung des Spielortes einen spannenden und informativen Abend zu gestalten. Am Ende der Geschichten hatte man Lust, den gegebenen Eindrücken nachzugehen und weiter zu forschen. Leider fehlte für die Betrachter häufig der Zusammenhang zwischen den einzelnen Versatzstücken. Damit verpassten die Künstler eine Gelegenheit, die inhaltliche Tiefe der Thematik wirkungsvoll zu vermitteln. Es entstand der Eindruck, dass der Aktivismus zu alternativen Nutzung des Hafengebietes als Stilmittel eingesetzt wurde, um damit Theater zu machen, was auf einer Unterhaltungsebene durchaus funktioniert. Es bleibt abzuwarten, ob die HPH in späteren Performances und Workshops tatsächlich an den vorgeschlagenen Projekten mitwirkt. Nichtsdestotrotz ist es gelungen, die Fläche im Baakenhafen für eine Veranstaltung zu nutzen, die einen kritischen und wenigstens im Ansatz widerständigen Präzedenzfall für weitere Aktionen jenseits des kulturellen Leerstands im neu erschlossenen Hafengebiet schafft.

21. November 2016


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