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BERICHT/080: Überspitzte Kafkaeske ... (SB)


Das Schloss
Von Franz Kafka

Aufführung am 11.03.2017 im Thalia Theater Hamburg


An dem Versuch, Franz Kafkas Werke eindeutig zu interpretieren, scheitern nicht nur Deutschlehrer immer wieder kläglich. Kafka ist immer ein wenig zu vielschichtig und dabei gleichzeitig ein wenig zu nichtssagend um jemals eindeutig zu sein. Das ist vielleicht auch die Bedeutung der Worthülse "kafkaesk", bei der niemand wirklich erklären kann, was damit eigentlich gemeint sein soll. Je grotesker und unfreundlicher die Welt beschrieben wird und je abgeklärter die Erzählung, je weniger man versteht, desto kafkaesker.

"Das Schloss" wird in keinem Deutsch-Leistungskurs behandelt, obwohl auch darin die Welt grotesk und unfreundlich ist. Ein Kampf gegen einen undurchschaubaren Apparat aus Bürokratie, der nicht bezwungen werden kann, Feindseligkeit gegenüber Neuem und Andersartigem, Verzweiflung, Spitzfindigkeiten, Ablehnung, Sinnlosigkeit. Man kann Viel erkennen in diesem Roman ohne Ende, man kann darin etwas vermuten, dessen Existenz immer unklar bleiben wird.

Den Roman auf eine Bühne zu bringen ist genau so leicht, wie es schwer ist, hat man doch alle Freiheiten der Welt, und gleichzeitig die unfassbare Restriktion, einer Vorlage gerecht werden zu müssen, die ihrer Natur nach kaum greifbar ist. Diese Aufführung versucht, es niemandem Recht zu machen. Sie ist zugespitzt auf einen Bruchteil des Gefühlsspektrums der Geschichte. Zugespitzt auf Ekel, Perversion und Hässlichkeit. Es wird praktisch nur geschrien oder geflüstert, kaum Mitteltöne, nur Höhen und Tiefen. Die Körper der Darsteller sind mit Fettanzügen deformiert, ständig befummeln sie ihre Genitalien und misshandeln sich gegenseitig. Auf der schwarzen Bühne nur minimale Requisiten wie große, stählerne Türme, auf denen sich die Schauspieler bewegen.

Die Hässlichkeit der Dorfbewohner und ihre Unterwürfigkeit, die Verzweiflung im Kampf gegen das unbesiegbare System - alles in dem Stück ist zu viel. Es ist zu eklig, zu gewalttätig, zu pervers, es ist zu weit weg von der Romanvorlage und hinterlässt einen pelzigen Geschmack auf der Zunge. Ist es also kafkaesk? Es ist gut, wirklich gut. Es trifft einen speziellen, sehr unangenehmen Nerv. Ich will es auf gar keinen Fall ein zweites Mal sehen, doch dieses erste Mal würde ich es immer wieder sehen wollen.

12. März 2017


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