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BERICHT/105: Whiskey & Sugar, Premiere im Theater Die Komödianten in Kiel - im Auge der Verstorbenen ... (SB)



Einbildung und Erfindung machen mehr als drei Viertel unseres wirklichen Lebens aus. (Simone Weil)

Was bleibt von einem Menschen nach seinem Tod? Ein Erbe im glücklichen Fall, um das seine Nachfahren sich streiten, persönliche Gegenstände, die doch irgendwann im Müll landen, vor allem aber Erinnerungen - so vielfältig und verschieden wie ihre Urheber. Denn was ein Mensch ist oder war, bestimmen nach seinem Tod am allermeisten die Übriggebliebenen. Die Deutungshoheit über das Leben, sollte es je in den eigenen gelegen haben, ist längst in andere Hände übergegangen, die sich weniger an den Tatsächlichkeiten, als an den eigenen Interessen an einem ganz besonderen Verhältnis zum Toten spiegeln. Je berühmter der Verstorbene war, umso lohnenswerter scheint es, die eigene Beziehung zu ihm als eine ganz einmalige aufleben zu lassen. Denn die Asche, heißt es, kann sich nicht wehren.


Bühnenbild mit leerem Urnengrab und Holzkreuz mit Inschrift 'Margot' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Kurz vor der Premiere
Foto: © 2019 by Schattenblick

Solch eine Thematik in den räumlichen Rahmen einer Bühne und den zeitlichen eines Theaterabends zu bringen, stellt eine Herausforderung dar, die neugierig macht. Wer hat die Deutungshoheit über unser Leben? Können Erinnerungen lügen und gibt es falsche Wahrheiten? Diese Fragen wirft die Einladung zu Heike Falkenbergs und Marion Elskis' schwarzer Komödie Whiskey and Sugar auf, die am 26. September 2019 die neue Spielzeit im Theater der Komödianten in Kiel einläutete.

Nie habe sie eine Rolle so sehr mit nach Hause genommen wie hier, sagte Anke Pfletschinger, eine der Akteurinnen im 2-Personen-Stück, dem Schattenblick, und auch für ihre Partnerin auf der Bühne, Rafaela Schwarzer, ist es keine klassische Komödie, sondern ein Stück, "wo das wahre Leben mitspielt".

Zwei Frauen, die sich noch nie begegnet sind, treffen sich am offenen Grab der berühmten Schauspielerin Margot Fürstenberg. Bruno Giurini und Haiko Schöttke ist ein auf das Wesentliche konzentrierte Bühnenbild sehr gelungen. Die eine ist ihre Tochter Carolin, die zu ihrer Mutter schon lange keinen Kontakt mehr hatte, die andere, Sonja, behauptet, ihre engste Vertraute zu sein. Da sich die Beerdigung verspätet, kommen die Frauen ins Gespräch.


Die Schauspielerinnen mit zusammengekniffenen Gesichtern auf einer Bank am offenen Grab, zwischen sich die Whiskyflasche - Foto: © 2019 by Thomas Eisenkrätzer

Whisky mit Zucker - Rafaela Schwarzer als Carolin (lks.) und Anke Pfletschinger als Sonja
Foto: © 2019 by Thomas Eisenkrätzer

Konflikte sind vorprogrammiert bei so grundverschiedenen Charakteren im Kampf um die Zuwendung und Wertschätzung der Verstorbenen. Dabei geht es von Anfang an weniger um die Tote als um die jeweils eigenen Belange und Beschwernisse, die Schwierigkeiten mit der Anfahrt zur Beerdigung etwa und daß die Urne nicht die ist, die die Tochter bestellt hat. Der Streit entzündet sich an Fragen, wie man ein Grab schmückt und ob es pietätlos ist, bereits angebrannte Kerzen aus der Arbeit im Altenheim aus Nachhaltigkeitsgründen noch einmal zu verwenden. Ob es legitim war, Margots Plüschtiere auf dem Sperrmüll zu entsorgen. Ob Carolin sich nicht um ihre Mutter gekümmert hat, wie Sonja die Tote zitiert - "liebevoll ist meine Tochter nur mit anderen" - oder ob die Mutter die Tochter zugunsten der eigenen Karriere vernachlässigte. Hat Margot einen Selbstmordversuch gemacht oder nicht? Ist sie mit Sonja baden gegangen oder hat sie eher das Wasser gescheut?

Zwischen gegenseitiger Ablehnung und Zwist, der bis zur Androhung körperlicher Gewalt mit Spaten und Harke reicht, gibt es aber in der geteilten Unfähigkeit, das Begräbnis zu gestalten, bei Whisky und Zucker auch immer wieder Momente der Annäherung und Ergänzung der jeweiligen Erinnerungen.


Christian Lugerth im Porträt - Foto: © 2019 by Schattenblick

Regisseur Christian Lugerth
Foto: © 2019 by Schattenblick

Regisseur Christian Lugerth, der aus eigenem Erleben weiß, wie unterschiedlich Geschwister den eigenen Vater (die eigene Mutter) in Erinnerung haben und welche Konflikte daraus entstehen, gefiel diese Mischung aus Komik und "wahnsinniger Traurigkeit", wie er dem Schattenblick nach der Premiere verriet. "Wenn ich und mein Bruder, da sind wir schon seit dreißig Jahren im permanenten Konflikt, versuchen, uns an unseren Vater zu erinnern, der seit ewigen Jahren nicht mehr lebt, sind das zwei komplett verschiedene Menschen, und das entzweit uns immer wieder, bis wir mal an den Punkt kommen, wo wir sagen: So, jetzt akzeptiere doch mein Bild, dann akzeptiere ich dein Bild und umgekehrt. Ich glaube, das ist normal, es ist absolut normal."

Den Schauspielerinnen Anke Pfletschinger und Rafaela Schwarzer bot das Stück jede Möglichkeit, im Wust widerstreitender Gefühle die ganze Bandbreite ihres schauspielerischen Könnens auszufahren, Wut und Witz, Trauer und Hilflosigkeit, Nachdenklichkeit und Sarkasmus, bei einer deutlich stärkeren zweiten Hälfte nach der Pause, die Rollen und Spielerinnen zunehmend ineinander aufgehen ließ.


Die Autorin vorm Eingang des Theaters im Halbporträt - Foto: © 2019 by Schattenblick

Marion Elskis in Begleitung im Gespräch mit dem Schattenblick
Foto: © 2019 by Schattenblick

Das Stück von Heike Falkenberg und Marion Elskis, 2016 im Hamburger Theater im Zimmer mit den Autorinnen als Akteurinnen uraufgeführt, entstand, so Marion Elskis, die sich die Premiere bei den Komödianten nicht hatte entgehen lassen, auf dem Friedhof, wo sich die beiden immer wieder trafen, Erinnerungen und eigene Erlebnisse austauschten und dann zu Szenen zusammenschrieben.

Tatsächlich ist Whiskey and Sugar eher eine Aneinanderreihung von zum Teil witzigen und skurillen Ideen, aber auch abschweifigen Dialogen, die wenig zur Stringenz des Stückes beitragen. Minutenlang spielen die Protagonistinnen, Sonja in Kleid und Perücke der berühmten Mimin, eine Szene aus Schnitt mit Herz nach, der Serie, die Margot in der Rolle der Conny berühmt gemacht hat, und auch der Disput um das hinterlassene Geld, das in den Plüschtieren versteckt war und jetzt auf dem Müll liegt, gerät langatmig. Insgesamt bleibt die Figur der verstorbenen Margot blass, das Stück bei großartiger spielerischer Leistung hinter den geweckten Erwartungen und den Möglichkeiten des Stoffes zurück.

Am versöhnlichen Ende steht ein Lied von Hildegard Knef - auch dies eine Hinzufügung von Christian Lugerth - "So oder so ist das Leben, so oder so ist es gut". Die Quintessenz, so der Regisseur: "Du hast nicht recht, ich hab auch nicht recht, also hast du recht, habe ich auch recht." Whisky und Zucker lassen sich eben durchaus zusammen konsumieren.


7. Oktober 2019


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