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BERICHT/111: demut vor deinen taten baby - Wissen, das beim Denken schmilzt ... Theater Die Komödianten Kiel (SB)



Keiner im Publikum entkommt der Gewalt des hämmernden Rhythmus, der aggressiv und provozierend das sich anbahnende Drama ankündigt und der wiedergibt, wie sich Lore, Mia und Bettie (mit 'ie', wie sie betont), die einzig der Zufall zusammenbringt, fühlen.

Laura Naumann, der Autorin von "demut vor deinen taten baby", das am 20. Februar 2020 im Theater der Komödianten in Kiel Premiere hatte, gelingt es, ein brisantes Thema mit Leichtigkeit und ohne Moral auf die Bühne zu bringen. Der Regisseur Ivan Dentler prägte den Begriff der Action-Komödie für dieses Theaterstück, von dem man nicht weiß, wohin es sein Publikum führt.

Lore, Mia und Bettie sehen sich mit der Gewalt eines Terroranschlags konfrontiert und bewegen sich in einem dramatischen Handlungsrahmen, der eigentlich jeder Komik entbehrt. Laura Naumann gelingt etwas Außergewöhnliches. Indem sie das Stück ohne Punkt und Komma verfaßt, entsteht zum einen ein rasantes Tempo, zum anderen bietet es den Interpreten - Regisseur wie auch Schauspielerinnen - einen Freiraum zur Gestaltung. 75 Minuten ohne Unterbrechung halten diese die gesamte Spieldauer über, bei jeder Menge Action auf der Bühne, das Publikum in Atem. Sie sind Akteur, aber gleichzeitig auch Erzähler. Sie spielen sich die Bälle zu, von einer zur anderen, ein Schlagabtausch gegensätzlicher, aber auch gleicher Gedanken. Es ist das jedem auf ähnliche Weise vertraute Desaster der drei, welches einen Lachen macht.

Der Text, der anmutet, als wäre er für eine einzige Person geschrieben, habe schon beim Lesen ein gewisses Tempo und eine Einfachheit gehabt, ganz anders, als andere Stücke, sagt Ivan Dentler. Gereizt habe ihn, "die schnellen zeitlichen und räumlichen Sprünge mitzuvollziehen und die verrückte Geschichte irgendwie glaubhaft zu kriegen. Das war eine große Herausforderung für alle."

Unterschiedlicher Herkunft und sehr verschiedenen Charakters und aus jeweils anderen Gründen treffen die drei jungen Frauen auf einem Flughafens aufeinander. Lore (die eigentlich Hannelore heißt, sich aber dessen schämt) kommt aus einem ihr verhassten, weil verlogenen christlichen Umfeld, dem sie durch einen Asientrip versucht hat zu entkommen. Mia, die als Cowgirl ihr sprechendes Pferd als ihren einzigen Freund bezeichnet, ständig mit ihren Pistolen in die Luft ballert - oder Zielschießen auf andere übt -, schwelgt in ihren großartigen Taten. Bettie, die bemüht ist, sich mit den Sex-Allüren ihres Jungen (wie sie ihren Freund nennt) zu arrangieren und eigentlich sehr wohl weiß, daß ihr das mehr schlecht als recht gelingt.

Nichts verbindet die drei. Jede hängt ihren eigenen deprimierenden Gedanken nach. Doch plötzlich erreicht sie, ausgerechnet in der Damentoilette, eine Terrorwarnung. Von einer auf die andere Sekunde sind sie Gleichgesinnte, konfrontiert mit denselben Ängsten und Nöten, besessen vom Wunsch zu überleben. Als die Bombendrohung sich als fingiert erweist, erfahren sie ein nie gekanntes Glück. Der Drang, genau dieses spontan entstandene Hochgefühl in die Welt zu tragen, ist so groß, daß die drei, in neuer, wenn auch aus Not geborener Freundschaft eine gemeinsame Zukunft planen. Sich noch im Glückstaumel befindend, sind sie spontan, unüberlegt und verrückt genug, um fortan eigene Terroranschläge zu inszenieren.


Die drei Schauspielerinnen, fröhlich die Köpfe zusammengesteckt - Foto: © 2020 by Thomas Eisenkrätzer

Neu gewonnene Freundschaften
Foto: © 2020 by Thomas Eisenkrätzer

Die sehr einfache Bühnengestaltung, lediglich bestehend aus fünf versetzten, hellen, an ihren Rändern blinkenden Stellwänden, gibt Anke Pfletschinger (als Mia) Rafaela Schwarzer (als Bettie) und Marie Dollenberg (als Lore) alle Möglichkeit, die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu fesseln in einer ungewöhnlichen Mischung aus Schauspiel, Pantomime und Erzählung.

Die Autorin, Laura Naumann, die Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus studierte, sagte in einem Interview mit Litradio 2011, daß es ihr um ein Stück mit Frauenrollen gegangen sei, um Mut, Freundschaft und Utopien. Sachen, die sie schreibe, liefen Gefahr, extrem pathetisch und kitschig zu wirken, bierernst, übermoralisch und altklug. Wenn man das nicht breche oder den Humor nicht kriege, dann funktionierten ihre Texte gar nicht.

Bei der Inszenierung Ivan Dentlers funktioniert der Text. Es gibt viel zu lachen, der Anspruch des Regisseurs, einen unterhaltsamen Abend zu bieten, bei dem die Zuschauer einmal "kurz raus (aus dem Alltag) und sich einfach da hineinfallen lassen können", was natürlich immer das Schönste sei, ist gelungen.


Regisseur Ivan Dentler beim Interview nach schräg unten links blickend - Foto: © 2020 by Schattenblick

Ivan Dentler
Foto: © 2020 by Schattenblick

So amüsant das Stück bei aller Absurdität erscheint, so ernst ist es eigentlich. Denn die drei Frauen, die mit ihren fingierten Terroranschlägen bereits Bekanntheit erlangt haben, lassen sich von der Regierung samt ihres Konzepts anwerben. Versorgt mit eigenem Büro und eigener Sekretärin, registrieren sie den Verlust ihrer Eigenständigkeit nicht und nachdem andere den Verlauf bestimmen, geht, lapidar gesagt, alles schief. Als sich das Glücksgefühl der dem Terror Entkommenen mit Sorglosigkeit mischt und diese beginnen, Versicherungen zu kündigen, Kinder aus Kindergärten und Schulen zu nehmen, ihre Arbeitsplätze zu verlassen, erweisen sich die Aktivitäten von Mia, Bettie und Lore schließlich als die Wirtschaft schädigend. "Wenn nicht mehr alle mitspielen" so die Stimme von oben, dann breche das System zusammen. Zeit für was Richtiges, Ernstes.

Unweigerlich denkt der eine oder andere an die Anschläge von Hanau am Tag vor der Premiere.

Darf man lachen? Interessiert habe sie, so die Autorin, die sich 2011 nach einer Reihe von Anschlägen mit dem Thema auseinandergesetzt hat, wie Terror eingesetzt würde als Druck- und Machtmittel.


Die drei Schauspielerinnen hintereinander positioniert, von hockend bis stehend, im Fußballtrikot - Foto: © 2020 Thomas Eisenkrätzer

Zeit für was Richtiges - im Trikot ins Fußballstadion
Foto: © 2020 Thomas Eisenkrätzer

Ein Terroranschlag in einem Fußballstadion soll die Menschen dazu bringen, sich wieder normal zu verhalten. Mit der dramatischen Geiselnahme von Kindern wollen Mia, Bettie und Lore den Leuten zeigen, daß sie nicht ganz so sorglos sein können. Dabei läßt Lores aus der Verzweiflung geborenes, äußerst brutales Gebaren, auch und vor allem den Kindern gegenüber, die drei so richtig aneinandergeraten. Nichts ahnend, weil bisher immer mit fingierten Waffen zur Tat geschritten, endet das Ganze in einer Schießerei. Theatralisch stürzen alle zu Boden, um beim allerletzten Atemzug noch festzustellen, daß nun tatsächlich ihr eigenes Blut geflossen ist.

Stille herrscht auf der Zuschauertribüne des Fußballstadions. Der Schock hat gesessen. Alle merken, Waffen können doch töten. Und all die Versicherungen, die Bettie eben noch so wirkungslos angepriesen hat, Haftpflichtversicherungen, Lebensversicherungen, Unfallversicherungen, Krankenversicherung, Krankenzusatzversicherung und mehr, finden neue Abnehmer. Die Regierung hat ihr Ziel erreicht.

Tot in ihren Blutlachen liegend, resümieren die drei, daß Utopien wohl scheitern müssen, daß man vielleicht nichts machen und alles beim Alten belassen sollte. Doch sie kommen auch zu dem Schluß, daß sie ihren Kindern eine schöne Geschichte von wilden Zeiten zu erzählen hätten, und daß diese stolz auf ihre Mutter wären und - daß sie es genau so wieder machen würden.


Foto: © 2020 by Schattenblick Foto: © 2020 by Schattenblick Foto: © 2020 by Schattenblick

Die drei Schauspielerinnen: Anke Pfletschinger (li), Rafaela Schwarzer (Mitte) Marie Dollenberg (re)
Fotos: © 2020 by Schattenblick

Ein manchmal undurchschaubar und absurd erscheinendes Stück, das jede Menge Systemkritik birgt.


6. März 2020


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