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HIPPOS/81: Vielseitigkeit, ein anderes Wort für Extremsport (SB)


Von Alleskönnern...

... wird auch das Letzte verlangt


Der Name birgt ein Versprechen, das der Sport nicht halten kann. Das Attribut "vielseitig" läßt einen sofort an die gleichmäßige Ausbildung und Förderung der sportlichen Möglichkeiten eines Pferdes denken, ohne es in einer bestimmten Richtung überzubelasten, wie wir es in den Beiträgen zum Springsport "HIPPOS/79" oder Galopprennsport "HIPPOS/46" gesehen haben. Und es erscheint logisch, daß man von einem "Alleskönner" nicht die gleichen Leistungen erwarten kann wie beispielsweise von einem talentierten Springpferd. Doch das Gegenteil ist der Fall: Das Vielseitigkeitsreiten stellt die höchsten Anforderungen an das Leistungsvermögen eines Pferdes und zwar in allen drei Disziplinen: Dressur, Springen und im Gelände. Da sich die Prüfung in der Regel auch noch über den Zeitraum von drei Tagen erstreckt, bedeutet das für ein Turnierpferd in der Kategorie Vielseitigkeit, drei Tage eingepferchtes Pferdeboxdasein im Wechsel mit Extrembelastungen, die nur mit bester Kondition zu bewältigen sind.

Nicht einmal im Galoppsport wird von den Tieren so viel verlangt. Dort läuft ein Pferd bestenfalls ein Rennen an einem Tag und dann gibt es erstmal mindestens ein paar Tage normales Training in vertrauter, streßarmer Umgebung.

Wie schon in früheren Berichten erwähnt, gibt es beinahe in jeder Disziplin Ausnahmetalente, die selbst Extrembelastung souverän aushalten, gut und einfühlsam athletisch austrainiert wurden und vielleicht sogar Spaß an der Herausforderung haben. Diese Tiere aber bilden das Maß aller Dinge in diesem Sport. Das Gros der Pferde die im Vielseitigkeitssport verschlissen werden, vor allem in den Anfängerklassen sind jedoch normale Pferde mit mittelmäßigen Anlagen, die es weder im Dressurviereck noch in Springprüfungen geschafft haben, sich als besonders vielversprechend hervorzutun und nun dem sportlichen Ehrgeiz ihrer ebenfalls mittelmäßigen Reiter genügen sollen. Die startenden Massen - Pferde wie Reiter - sind kurz gesagt überfordert.

In England hat das Militaryreiten eine lange und grausame Tradition, die auf das Jagdreiten zurückgeht, dem wiederum lange Zeit nur Adel und Landadel frönten. Inzwischen reitet jeder Engländer, der bei einem Pferd vorne und hinten unterscheiden kann und auf dem Land wohnt, wenn er sich denn einmal als Landjunker fühlen möchte, bei diesen Ritten mit. Um seinem vermeintlichen Ruf als Land besonders harter Sportsleute gerecht zu werden, ist hier auch heute noch das Jagdreiten nicht nur für die Pferde eine gefährliche, verletzungsreiche Sportart, sondern fordert von den Reitern auch noch einen geradezu an Dummheit grenzenden Mut.

Im scharfen Galopp müssen hohe, unnachgiebige Steinwälle, wenig einladend gebaute, feste Koppeleinzäunungen in Steilsprüngen und viele andere sinnlose Hindernisse übersprungen werden, ohne daß es eine Möglichkeit gibt, sie zu umreiten. Die vielen Unfälle in jeder Jagdsaison beweisen, daß die meisten Tiere diesen Anforderungen nicht gewachsen sind. Und für den zweifelhaften Ruhm, sich zur furchtlosen Gilde wilder Jagdreiter zu zählen, nicht nur das eigene Leben, sondern auch die Gesundheit und das Leben seines Pferdes zu riskieren, ist einfach ein zu hoher Preis.

Aus dieser Gilde halsbrecherischer "Horsemen" rekrutieren sich aber die britischen Militaryreiter, die schon seit vielen Jahren in der internationalen Vielseitigkeitsreiterei tonangebend sind. Die deutschen Vorstellungen vom Vielseitigkeitsreiten sind zwar schon etwas gemäßigter, doch auch hier gibt es neben Dressur und Springen die mit Recht immer wieder umstrittene Geländeprüfung. Auf einer über 20 Kilometer langen Strecke müssen in der Geländeprüfung der Klasse "S" beispielsweise schon 25 bis 30 festgebaute Hindernisse und zusätzlich eine etwa 6 Kilometer lange Galoppstrecke in einer vorgeschriebenen Zeit überwunden werden.

Die Hindernisse stellen hohe Anforderungen an die Kondition der Pferde. Fest gebaut sind sie für die oft erschöpften und überforderten Tiere eine ernste Gefahr, was immer wieder durch dramatische Stürze und Todesstürze bewiesen wird. Es gibt nach internationalem Reglement aber anders als im englischen Jagdreiten die Möglichkeit, die Hindernisse zu umreiten, was wiederum das Zeitkonto belastet, und dann meist durch wildes Gehetze auf den Umgehungsstrecken aufgeholt werden "muß".

Gerade bei der Military sieht man dann auch immer wieder, wie aus dem ängstlichen Fluchttier Pferd Höchstleistungen mit Sporen und Peitsche herausgeprügelt werden, zu denen das Pferd im Normalfall nicht fähig ist.

Vor allem den noch nicht genügend trainierten Anfängern unter den Pferden fehlt oft die Kondition für die letzten schwierigen Geländehindernisse, bei denen der Aufsprung häufig tiefer liegt als der Absprung. Die Pferde müssen in Wasserläufe ein- und ausspringen, was durch einen kurz darauffolgenden Steilsprung nochmals erschwert wird. Massive Holzstöße und Mauern machen den Geländeritt auch nicht gerade einladender - und auf diese Weise entstehen die schrecklichen Szenen, die von Zeit zu Zeit über Kritiker dieses Sports an die Öffentlichkeit gelangen, und die man schlicht nur als brutale Tierquälerei bezeichnen kann: kopfüber fallende Pferde, Reiter, die aus dem Sattel geschleudert an den Zügeln hängen und den Pferden mit Kandaren (scharfen Gebissen) dabei auch noch furchtbare Schmerzen im Maul zufügen, gestreßte Reiter, die auf ihre Pferde einprügeln, wenn diese den Sprung an einem massiven Hindernis verweigern.

Knochen- und Genickbrüche sind bei diesem Extremsport keine Seltenheit, doch solange diese nur die vierbeinigen Athleten der Veranstaltungen betrifft, schlagen die vermeidbaren "Unfälle" keine hohen Wellen. Das geschieht erst, wenn ein Reiter selbst betroffen ist.

Dabei gibt es kaum eine Militaryprüfung, auf der nicht mindestens ein Pferd ganz einfach durch Herzversagen tot zusammenbricht. Um sich ein Bild zu machen, welchen Belastungen auf dieser letzten Strecke gerade Gelenke und Bänder ausgesetzt sind, sollte vielleicht jeder Vielseitigkeitsreiter mal einen Teil der Strecke (vielleicht die Querfeldeinstrecke) im schnellen Dauerlauf zurücklegen und anschließend ein paarmal von verschieden hohen Holzstapeln herunterspringen. Die gesundheitlichen Schäden, die die Pferde bei diesen Prüfungen davontragen, bleiben nach außen hin meist unsichtbar.

Zum Schutz der Pferde sind auch die tierärztlichen Kontrollen reine Augenwischerei, denn kein Veterinär hat die Möglichkeit, die Kondition, die Ausdauer und die erforderliche psychische Stärke der Pferde für einen schwierigen Parcour im voraus zu berechnen, zumal der Reiter dieser Gleichung immer eine weitere Unbekannte hinzufügt.

Doch allein die harten Aufschläge, die die feinen Gelenke des Tieres bei den ungewohnten Streck- und Weitsprüngen, aber auch beim wilden bergauf- und bergab-Klettern in unwägsamen Gelände unnatürlich stark mit dem Gesamtgewicht von Pferd und Reiter belasten, führen zu einem beständigen, nach außen nicht sichtbaren Verschleiß des Bewegungsapparates, den der Tierartz erst bemerkt, wenn Schwellungen oder gar unheilbare Dauerschäden auftreten.

Die Liebhaber dieses Sports vertreten die Ansicht, es könne auch anders gehen und sei nur eine Frage der Ausbildung und Aufklärung von Reitern und Publikum. Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache und nicht gerade von der Belehrbarkeit ruhmgeiler Reiter:

Das Grand National gilt in England als das brutalste Pferderennen der Welt, weil es geradezu dazugehört, daß höchstens die Hälfte des Teilnehmerfelds auch das Ziel erreicht. Doch die Schreckensbilanz einer deutschen Military-Meisterschaft sah nicht viel anders aus: Bei dem Geländeritt über 24 Kilometer, davon 6555 Meter Querfeldeinstrecke mit 28 schweren Hindernissen, erreichten von 85 Startern nur 54 das Ziel. 26 stürzten schwer, ein Pferd starb an Herzversagen, der Rest gab auf. Doch nur zwei Reiter wurden schwerverletzt.

Erstveröffentlichung 2001

7. März 2008