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INTERVIEW/010: Tierrechte human - Mit Beispiel voran, David von der Gruppe Hilarius im Gespräch (SB)


Solidarisch handeln in der Sprache des Hip-Hop

Interview am 8. November 2013 in Hamburg-Eimsbüttel



Auf dem Podium der denkwürdigen Veranstaltung, bei der am 8. November im Magda-Thürey-Zentrum in Hamburg über Verbindendes und Trennendes zwischen der Tierbefreiungsbewegung und der antikapitalistischen Linken diskutiert wurde [1], saß mit David auch ein Vertreter der Düsseldorfer Gruppe Hilarius [2]. Ihr Namenspate Hilarius Gilges wurde am 20. Juni 1933 von der SS als Kommunist und Sohn eines Afrikaners verschleppt, brutal mißhandelt und ermordet. Sein Name ist den Aktivistinnen und Aktivisten der Gruppe antifaschistisches Programm und Bekenntnis, und die Erinnerung an Hilarius Gilges strahlt auch auf die Zusammenarbeit mit migrantischen Jugendlichen aus. Wie dies erfolgt und welche Rolle Hip-Hop dabei spielt, erzählte David dem Schattenblick im Anschluß an die Diskussion.

Im Gespräch - Foto: © 2013 by Schattenblick

David
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick: David, wie ist es dazu gekommen, daß du zu dieser Podiumsdiskussion eingeladen wurdest?

David, Gruppe Hilarius: Ich bin Mitglied der Gruppe Hilarius. Wir haben uns nach einem der ersten NS-Opfer in Düsseldorf - Hilarius Gilges, ein schwarzer Kommunist - benannt. Wir sind eine Jugendgruppe und machen niederschwellige basisnahe Arbeit, vor allem in der Hip-Hop-Subkultur. Wir versuchen, eine politische Bewußtwerdung bei Jugendlichen zu erreichen und sie darüber an die marxistische Theorie heranzuführen. Bei der Frage, wie man sich als kommunistische oder klassenbewußte Bewegung organisiert, setzen wir allerdings tiefer an als die meisten anderen Organisationen.

SB: Wie erreicht ihr die Jugendlichen?

D: Der Hauptpfeiler unserer Arbeit ist eine Hip-Hop-Kneipe, die wir einmal im Monat machen. Wir gehen dabei ganz basic über die Hip-Hop-Subkultur vor. Hip-Hop ist für uns immer eine klassenbewußte und kämpferische Subkultur gewesen. Es ist mehr als nur eine Musikrichtung, auch wenn sie über die Jahrzehnte bis heute zu einer kulturindustriellen Musik verkommen ist, die dementsprechend alle Höhen und Tiefen mitgenommen hat und teilweise sehr plump und sexistisch daherkommt. Wir setzen beim Hip-Hop an, weil es immer noch ein paar Rapper und Rapperinnen gibt, die trotz alledem fortschrittliche Inhalte in ihren Texten haben. Genau das versuchen wir herauszustellen. In Rahmen dieser Hip-Hop-Kneipe spielen wir erst einmal alles an Hip-Hop-Musik und versuchen uns kritisch damit auseinanderzusetzen. Natürlich ist da auch einmal der eine oder andere Werbetrack dabei, aber auch darüber wird kritisch diskutiert.

SB: Kommen die Jugendlichen, die ihr ansprecht, vor allem aus schwierigen sozialen Verhältnissen mit Hartz-4-Hintergrund, oder sind auch Mittelstandskids darunter?

D: Das ist soziologisch ganz interessant. Zunächst einmal haben wir alles dabei, von Jugendlichen, die selbst von Hartz-4 betroffen sind und deren Eltern eine Hartz-4-Biographie aufweisen, bis hin zu den klassischen Aufsteigern, die aus einer Arbeiterfamilie kommend einen akademischen Weg eingeschlagen haben. Wir sind ein bunter Haufen. Ich glaube, wir haben den meisten sogenannten roten Gruppen voraus, daß wir uns wirklich zu einem großen Prozentsatz aus migrantischen Jugendlichen zusammensetzen.

SB: Kommt es außerhalb eurer Zusammenhänge zu Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Ethnien wie Rußlanddeutschen, Arabern, türkisch- oder kurdischstämmigen Jugendlichen?

D: Zunächst einmal möchte ich vorwegnehmen, daß wir mit unserer Hip-Hop-Kneipe tatsächlich auch überregional Jugendliche anziehen. Da kommen Leute aus Köln, aus Gelsenkirchen, aus Hagen und Lüdenscheid. Tatsächlich haben wir damit einen Nerv getroffen. Unser Motto lautet in Anlehnung an einen Hip-Hop-Song: "It's bigger than Hip-Hop". Es geht um mehr als Hip-Hop, und daher kommen Leute von überall her zu unserer Kneipe. Zu deiner Frage: Ja, es gibt Konflikte, die sich an nationalistischen Linien entlangziehen. Nur weil Leute nach Deutschland geflüchtet sind, heißt das nicht, daß sie einer fortschrittlichen Ideologie anhängen. Teilweise kommen sie aus nationalistischen Verhältnissen. Viele serbische Jugendliche sind ultranationalistisch und ultrarassistisch. Dann gibt es türkische Jugendliche, die den Grauen Wölfen nahestehen. Aber auch darüber muß man unserer Ansicht nach reden.

'It's Bigger Than Hip-Hop' - Banner: Gruppe Hilarius

"From Rap to Resistance"
Banner: Gruppe Hilarius

Die Leute sind zwar einerseits in ihrer Ideologie verhaftet und sagen beispielsweise, wir sind Großtürken und daher besser als ihr. Aber andererseits sind sie natürlich auch massiv von Rassismus hier in Deutschland betroffen. An dieser Bruchlinie versuchen wir das zum Teil auch auszuhebeln, indem wir den Leuten genau diesen Zusammenhang klarmachen. Kurioserweise gibt es dann die Situation, daß der türkische Jugendliche einen riesigen Halbmond und Sterne an seiner Kette hat und neben ihm steht der kurdische Jugendliche mit einer KCK-Flagge als Anstecker. Das funktioniert nebeneinander, weil man darüber diskutiert.

SB: Kommt es hin und wieder auch zu Fällen von körperlicher Gewalt, und wie geht ihr dann damit um?

D: Intern haben wir das nicht.

SB: Habt ihr mit Nazis oder anderen Gruppierungen, die euch feindselig gesonnen sind, solche Erfahrungen gemacht?

D: Nein, es ist ja auch nicht so, daß wir mit dem Manifest am Straßenrand stehen und gegen irgendwelche Leute Stimmung machen. Natürlich haben wir ganz klar eine Front gegen Nazis. Weil die Jugendlichen allesamt selbst massiv von Rassismus betroffen sind, wird das untereinander geklärt. Meistens kommt es nicht zu körperlicher Gewalt, denn es hat sich gezeigt, daß die Nazis in aller Regel nur ein großes Maul haben. Bekommen sie eine klare Ansage, läuft meistens alles gut. Körperliche Gewalt ist jedenfalls kein großes Thema. Wenn man eine große und bunte Truppe ist, wirkt das natürlich auch nach außen. Dann muß man zum Glück nicht viel machen. Das ist ja das Schöne daran, daß man tatsächlich durch seine Präsenz auf das letzte Mittel verzichten kann.

SB: Seit ihr unabhängig oder werdet ihr von der Stadt gefördert, etwa aus einem Topf für Migrationsinitiativen?

D: Nein, wir sind ganz klar marxistisch orientiert und von daher unabhängig. Natürlich haben wir strategische Verhältnisse zu anderen linken Gruppierungen wie jetzt aktuell, weil wir unsere Hip-Hop-Kneipe in Düsseldorf im linken Zentrum im Hinterhof aufmachen. Perspektivisch möchten wir da gerne raus, denn das Zentrum hat so einen autonom-linksradikalen Charakter. Wir würden das lieber ein wenig neutraler aufziehen, ohne dabei Abstriche von unserer Theorie zu machen. Wir hatten einmal eine Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Da gab es intern schon sehr wilde Diskussionen, weil es eine parteinahe Stiftung ist und die Befürchtung im Raum stand, daß wir unser Anliegen damit vielleicht verkaufen würden. Letztendlich haben wir uns jedoch dafür entschieden, weil wir kein Eingeständnis in irgendeine Richtung machen mußten. Alles lief nach unseren Spielregeln. Wenn es einen Zweifel gegeben hätte, hätten wir uns anders entschieden. Wir haben durchaus auch schon Durststrecken durchlaufen und mußten bei unseren Leuten ein paar Euros einholen. Aber so können wir unabhängig bleiben, was uns sehr wichtig ist.

SB: Habt ihr die Erfahrung gemacht, daß Jugendliche auf eine Politisierung ansprechbar sind und sie darüber begreifen, daß der andere kein Futterrivale und Konkurrent um den Arbeitsplatz ist, sondern der Feind ganz woanders steht? Schließlich leben sie in einer Gesellschaft, in denen sich der Gedanke an solidarischem Zusammenhalt nahezu verflüchtigt hat.

D: Witzigerweise überwiegt nicht die Rivalität, sondern die Solidarität, auch wenn sie sich anders artikuliert. Linksintellektuelle behaupten mit Blick auf die Unterschichten gerne, daß es so etwas wie Freundeskreise nicht gäbe, aber tatsächlich ist es so, daß die Jugendlichen geradezu riesige Freundeskreise bilden, die bunt sind und auch Widersprüche vereinen. So ist es keineswegs unmöglich, daß der türkische nationalistische Jugendliche mit dem kurdischen separatistischen Jugendlichen zusammen in einer Gruppe ist. Denn sie nehmen sich in der deutschen Mehrheitsgesellschaft erst einmal als Ausgegrenzte und Ausländer wahr. Sie halten zusammen und schützen sich gegenseitig vor der Polizei. Wenn sie verhaftet werden, machen sie keine Aussage. Da läuft nichts. Und wenn Nazis kommen, werden Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, damit das Pack keinen Fußbreit gewinnt. Solidarität ist vorhanden.

Wir müssen uns aber fragen, an welchen Lebensrealitäten sich das artikuliert? Wenn der eine Kollege, der fünfzehnmal beim Schwarzfahren erwischt wurde, weil er sich keine Fahrkarte leisten kann, in den Knast geht, ist das ganz klar eine ökonomische Frage. Die Rote Hilfe als politische Organisation wird darin natürlich keinen politisch bewußten Akt sehen und ihn deshalb nicht unterstützen. Wir sagen aber, daß der Kollege in den Knast gehen mußte, liegt daran, daß der Nahverkehr so teuer geworden ist und die Kapitalisten mit unserem Recht auf Beförderung Geld verdienen wollen. Deshalb unterstützen wir ihn, schreiben Briefe in den Knast und holen ihn ab, wenn er wieder rauskommt. Das gehört alles zur Solidarität.

Es gibt ganz viele Sachen, anhand derer man praktisch ansetzen und zeigen kann, daß es sich dabei um einen solidarischen Akt handelt. Statt dessen wird in der linksradikalen Szene immer behauptet, das wären Kriminelle und Macker. Nein, die Leute haben sehr wohl politisches Bewußtsein, nur daß sie das nicht in den Worten, die wir benutzen, artikulieren; sie artikulieren es anders. Man muß nur genau zuhören. Ich glaube, wir haben mit unserer Einstellung innerhalb des linken Zentrums in Düsseldorf einen Diskurs angestoßen Am Anfang haben die Leute über uns gelacht oder waren uns feindselig gesonnen: Mit dem ganzen Hip-Hop-Zeug öffnet ihr Sexisten und der Mackerscheiße Tür und Tor. Aber jetzt, anderthalb Jahre später, sagen sie: Eure Hip-Hop-Kneipe ist supercool, können wir auch kommen?

Transparent 'Gegen Integration und Ausgrenzung' - Foto: © by Gruppe Hilarius

Bruchlinien im alltäglichen Rassismus
Foto: © by Gruppe Hilarius

SB: Gab es auch schon Resonanz von Eltern, weil sich ihre Kinder verändern, oder spielt sich das außerhalb eures Horizonts ab?

D: Das ist ein interessantes Thema. Ich persönlich würde gerne einmal Mäuschen spielen, um mitzubekommen, was die Eltern darüber reden. Ich glaube schon, daß die Veränderungen wahrgenommen, aber oftmals als jugendliche Flause abgetan werden. Früher gab es Reibereien mit der Polizei, und das war eine negative Flause. Jetzt gibt es eine politische Ausrichtung, und das ist eher eine positive Flause. Aber ein wirkliches Feedback der Eltern hatten wir noch nicht, doch ich würde es mir wünschen.

SB: Du selber ißt keine tierische Nahrung und lebst vegan. Auf dem Podium heute abend hast du jedoch unterstrichen, daß deine Ernährungsweise für deine politische Arbeit nicht von Belang ist. Ist das Thema schwierig zu vermitteln oder ist es für dich nicht so wichtig?

D: In unserer Hip-Hop-Kneipe bieten wir unser Essen immer als vegan-halal an. Wir bereiten es grundsätzlich nach moslemischen Richtlinien zu, und weil wir auf tierische Produkte verzichten, ist es zudem vegan. Jeder kann bei uns essen. Darüber gibt es keine Diskussionen. Niemand würde sagen, ich möchte auch einmal Fleisch haben. Ganz im Gegenteil finden es alle richtig lecker, wenn wir Soja-Barbecue machen. Auch daß ich Veganer bin, wird total toleriert. Wenn wir irgendwo zu Besuch sind, denken die Leute daran, mir nichts Tierisches aufzutischen. Wenn wir in eine Dönerbude gehen, dann essen viele schon aus Respekt Falafel, weil es genauso günstig ist und auch lecker schmeckt.

Nur muß man sich tatsächlich die Frage stellen, wie man den Kampf um die Befreiung der Tiere in die Lebensrealitäten der Leute einbaut. Auf diesen Punkt habe ich mit meiner Bemerkung auf dem Podium hinweisen wollen. Denn das Hauptargument der Leute lautet doch: Das ist erst einmal so. Mit dieser Einstellung muß ich erst einmal klarkommen. Aber solange man Bioprodukte nur in Bioläden, die sich fast wie Boutiquen ausnehmen, kaufen kann, wird sich die Hartz-4-Mutti mit ihren zwei Kindern das nicht leisten können. Und solange können wir diese Frage niemals auf die Agenda bringen, eben weil es an den Lebensrealitäten der einfachen Leute vorbeigeht. Bis dahin müssen wir damit halt umgehen.

SB: Es ist tatsächlich ein Problem, daß vollwertige Bioprodukte einfach teuer sind, zumindest wenn man nicht viel Zeit zum Kochen hat und seinen Eiweißbedarf so decken will, wie es der normale Konsument tierischer Nahrung tut.

D: Ja, und dann kommt immer das Argument von Tierrechtlern, wie ich es in Diskussionen schon oft gehört habe, daß man sich mit dem Leid der Tiere auseinandersetzen müßte. Nein, denn es ist schon ein Luxus, sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen zu können. Ich habe selbst eine handwerkliche Ausbildung gemacht und in einem Betrieb gearbeitet. Der normale Arbeiter, der seine 40, 50 und bis zu 60 Stunden die Woche arbeiten geht, hat keinen Bock, sich mit Tierrechten auseinanderzusetzen oder sich Gedanken darüber zu machen, wo er was, wann und wie einkauft. Auf der Mensa bei der Arbeit gibt es auch nichts Veganes, sondern Schnitzelbrötchen in allen Farben und Formen, und der Salat ist nur Beilage für die Schnitzelbrötchen. Wo begegnet uns heute veganes Essen? In Luxusläden in gentrifizierten Stadtvierteln als veganer Burger oder veganer Latte macchiato. Das wird jedoch als bourgeois wahrgenommen. Bestenfalls begegnet uns vegane Nahrung noch in Uni-Mensen, aber in der Hauptschule bekommt man es nicht. Auch in Betrieben gibt es kein veganes Essen. Ich glaube, wenn man konkret mehr Angebote schaffen würde, könnte eine größere Auseinandersetzung damit stattfinden und viel mehr Leute würden tatsächlich umsteigen.

David - Foto: © 2013 by Schattenblick

Düsseldorf in Bewegung
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Düsseldorf ist ein ziemlich reiches Pflaster. Wie nimmst du die Stadt mit ihrem arrivierten bürgerlichen Status und großen Kunstbetrieb im Verhältnis zu den umliegenden Städten wahr? Wir haben neulich mit Sylvia Brennemann [3] gesprochen, die uns aus Duisburger Sicht erzählt hat, daß Duisburg die Müllkippe für Düsseldorf sei. Könntest du Düsseldorf einmal aus deiner Sicht kurz charakterisieren?

D: Dazu eine kleine Anekdote: Wir sind einmal nach Duisburg gefahren, um vegan zu essen, weil es in Düsseldorf nichts vernünftiges Veganes gibt. Düsseldorf erfüllt jedes Klischee. Es ist eine Bonzenstadt, und durch diesen bourgeoisen Wasserkopf in Form von Kunst und Kultur werden natürlich die an den Rand gedrängten und marginalisierten Leute unsichtbar gemacht. Wir haben auch eine Unterschicht und soziale Brennpunkte. Aus den Innenstadtteilen wurden die ärmeren Leute fast vollständig in die Randbezirke verdrängt. In Düsseldorf-Reisholz mit den Hochhaussiedlungen wurden Security-Dienste eingerichtet, damit dort Ruhe herrscht. Dort sind 2004 zwei Jugendliche unter ominösen Umständen ums Leben gekommen. Darüber hat man nirgendwo etwas gehört, dafür hat sich auch keine linke Bewegung interessiert.

SB: Kannst du dir vorstellen, daß in Düsseldorf einmal der Funke explodiert wie in den französischen Vorstädten oder in London?

D: Das ist eine interessante Frage. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich mir so etwas überhaupt für Deutschland vorstellen kann. In Düsseldorf als dem Herzen der Bestie wohl eher nicht, obwohl es Symbolcharakter hätte. Aber an der Kö und Umgebung wohnen im Umkreis von zwei Kilometern keine armen Leute. Dort ist der Mietspiegel bundesweit mit am höchsten. Auch wohnen dort keine Leute, die Krawalle schieben wollten. Dort gibt es bestenfalls den Aufstand der Anständigen, Grünbürger, die ökologisch, vegan und abgesichert leben wollen und sich um die Miete keine Gedanken machen müssen. Für Düsseldorf kann ich mir eine Jugendrevolte wie in Frankreich oder England nicht vorstellen, tatsächlich eher noch in Duisburg, das ja direkt an Düsseldorf angrenzt.

SB: Seid wann gibt es die Gruppe Hilarius, und wie funktioniert eure Zusammenarbeit?

D: Das Projekt gibt es seit 2011. Von der Rohidee bis heute hatten wir viel Personalwechsel. Auch ich habe mich manchmal störrisch gezeigt, weil ich gewisse Sachen genauso haben wollte, wie ich sie mir vorgestellt habe. Aber im Ergebnis geht es schon auf. Wenn man mit Jugendlichen arbeitet, muß man sich darüber im klaren sein, daß das nicht so funktioniert wie in der Kommunistischen Partei. Sie kommen nicht, lesen drei Bücher und sind dann revolutionär und kämpfen vorne mit. Es funktioniert anders. Du mußt dich um alle möglichen Sachen kümmern und bist manchmal eher Sozialarbeiter. Wir haben einen harten arbeitenden Kern und ein größeres Umfeld.

SB: Und dieses Umfeld hilft auch organisatorisch mit?

D: Auf der Hip-Hop-Kneipe haben wir schon bis zu 200, 250 Leute gehabt. Wir hatten einmal einen Vortrag zu Symbolen und Erkennungszeichen von Nazis gehalten, als Wuppertal - Wuppertal ist auch ein Spektrum von uns - mit Nazis überlaufen war. Da waren 60 Jugendliche gekommen, die nie etwas mit linker Politik zu tun hatten. Das haben wir als vollen Erfolg gewertet.

SB: Glaubst du, daß Hip-Hop sich in besonderer Weise dazu eignet, politische Inhalte rüberzubringen, wie das früher oder vielleicht auch heute noch teilweise für das politische Lied gilt? Kann man Jugendliche heutzutage mit politischen Liedern nicht mehr erreichen?

Transparent 'In Gedenken an Hilarius Gilges und alle Opfer faschistischen Terrors' - Foto: © 2013 by Schattenblick

Nichts und niemand wird vergessen ...
Foto: © 2013 by Schattenblick

D: Das ist eine sehr spezielle Klientel. Hip-Hop ist das, was das politische Lied für die ArbeiterInnenbewegung war. Hip-Hop kommt aus den schwarzen Ghettos der USA und hat dort die gleiche Funktion wie das politische Lied gehabt. Man hat sich darüber artikuliert. Den Rapper Tupac Shakur kennt man bis in die bürgerlichen Kreise hinein. Seine Tante war die Black-Panther-Revolutionärin Assata Shakur. Von ihr hat Tupac seinen Namen und ein gewisses Maß an politischer Bildung mitbekommen. Die Black Panther und Hip-Hop waren immer eng verknüpft. Die Spaltungsstrategie durch die Counterintelligence-Programs sind leider aufgegangen, was sich dann auch in der Musik widergespiegelt hat. Daraufhin wurde Hip-Hop für eine relativ lange Zeit sehr unpolitisch und oberflächlich. Man könnte sagen, daß eine Durchkapitalisierung des Hip-Hop stattgefunden hat. Ausdruck davon war, daß plötzlich dicke Ketten, dicke Ringe und dicke Autos im Vordergrund standen.

Aber mittlerweile gibt es zum Beispiel im deutschen Hip-Hop wieder Einschläge, die sehr viel bewußter werden und sich in einer Straßensprache artikulieren, die zuweilen sehr vulgär und politisch unkorrekt klingt. Aber wenn man einmal die Ohren spitzt, hört man die kritischen Elemente durchaus heraus. So hat ein Rapper einmal ein Lied über das Leben mit Hartz-4 geschrieben. Das klingt jetzt ziemlich naiv und ist an manchen Stellen auch sehr platt und vulgär, aber er beschreibt einfach einen jungen Menschen, der in einem Plattenbau wohnt, wenig Geld zur Verfügung hat und überleben muß. Er benutzt dabei eine Sprache, die man nicht so ohne weiteres verstehen kann, weil sie einen ganz eigenen Soziolekt hat, der sehr klassenbewußt ist.


Fußnoten:

[1] https://www.schattenblick.de/infopool/tiere/report/trbe0005.html

[2] http://gruppehilarius.blogsport.de/

[3] https://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0199.html


27. November 2013