Schattenblick →INFOPOOL →TIERE → REPORT

INTERVIEW/028: Nutztier, Mensch und Lebensraum - Schritt für Schritt aufs Ganze gehen ...    Jan Gerdes und Karin Mück im Gespräch (SB)


Über die Abgründe des Tierverbrauchs hinaus ...

Interview auf Hof Butenland in Butjadingen am 20. Oktober 2014



Hof Butenland wurde vom herkömmlichen, auf Leistung und Rentabilität getrimmten kleinbäuerlichen Agrarbetrieb in einen Lebenshof umgewidmet. Dessen Rinder können das Privileg, nicht mehr für Milch- oder Fleischproduktion bewirtschaftet zu werden, sondern den Rest ihres Lebens in einem Kuhaltersheim zu verbringen, dank der Einsicht des Landwirtes Jan Gerdes in die Inakzeptabilität der Tierausbeutung in vollen Zügen genießen. Er ist auf diesem Hof aufgewachsen, hat dort lange Milchwirtschaft betrieben und weiß daher aus eigener Anschauung und Erfahrung, wie leid- und schmerzerfüllt das kurze Dasein einer konventionellen Milchkuh ist.

2001 hat der gelernte Landwirtschaftsmeister die wirtschaftliche Nutzung von Tieren wie den persönlichen Verbrauch von Tierprodukten aufgegeben. Zusammen mit der Tierrechtlerin Karin Mück hat Jan Gerdes den Hof unter das Dach einer Tierschutzstiftung gebracht. Beide sorgen seitdem für den Unterhalt zahlreicher Rinder, Schweine, Pferde, Gänse, Hühner und anderer nicht mehr unter dem Verbrauch durch den Menschen leidender Tiere. Zugleich klären sie im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit über die Bedingungen und Hintergründe der Nutztierhaltung auf. Bei einem Besuch auf Hof Butenland konnte der Schattenblick Karin Mück und Jan Gerdes einige das Thema vertiefende Fragen stellen.

Auf der Weide - Foto: © 2014 by Schattenblick

Karin Mück und Jan Gerdes
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Ihr haltet auf eurem Hof unter anderem auch aus der Tierproduktion befreite Tiere, die hier bis zu ihrem natürlichen Tod leben können, ohne einer Nutzung unterworfen zu werden. Wie steht ihr generell zur Tierbefreiung?

Karin Mück (KM): Wir als Stiftung haben damit nichts zu tun, aber machen durchaus öffentlich bekannt, daß wir Tiere, die befreit wurden, aufnehmen, wenn sie jemand abgeben möchte. Ich persönlich finde Tierbefreiung nur dann in Ordnung, wenn man auch selber die Verantwortung für die befreiten Tiere übernimmt. Das passiert leider nicht immer. Wenn man zum Beispiel Nerze einfach aus Käfigen entläßt, nur damit sie später wieder eingefangen werden, frage ich mich allen Ernstes, wo der Nutzen liegen soll. Das muß man professioneller machen und die Tiere gegebenenfalls Hunderte von Kilometer entfernt aussetzen, am besten in kleinerer Anzahl jeweils an verschiedenen Orten, damit sie eine echte Chance haben. Alles andere ist blinder Aktionismus. Tierbefreiung ist für das einzelne Tier ein Glück, aber es sollte immer in Verbindung mit Recherchen gemacht werden. Nur dann ist es sinnvoll. Auf diese Weise haben Tierrechtler zum Beispiel ans Licht gebracht, was alles bei Wiesenhof passiert oder daß Schweine einfach totgeschlagen werden.

SB: Tierbefreiung in einem umfassenderen Sinne geht natürlich weiter als die konkrete Befreiung von in Käfigen gehaltenen Tieren. Man kommt um die grundsätzliche Auseinandersetzung von Tieren als Produktionsmittel in der herrschenden Wirtschaftsordnung nicht herum.

KM: Tierbefreiung ist Abschaffung des Nutzungsverhältnisses, in das Tiere eingebunden sind. Darunter fallen letztlich auch Haustiere.

Jan Gerdes (JG): Vor allem muß man mit dem Züchten und damit dem bedenkenlosen Tierkonsum aufhören. Da führt kein Weg dran vorbei. Die Weltbevölkerung wächst und wächst. Wo sollen die Ressourcen dafür herkommen? Wenn alle Menschen so leben würden wie wir in den Industriestaaten, bräuchten wir sieben Planeten. Zum Ausstieg aus der Tierhaltung gibt es keine Alternative.

SB: Wenn es um eine entschiedene Position im breiten Spektrum des Tierverbrauchs von der industriellen Mast über die Biovermarktung bis hin zur völligen Abkehr von der Tierausbeutung geht, seid ihr für viele Journalisten die erste Adresse. Woran liegt das?

JG: Das hängt damit zusammen, daß ich vom Fach bin. Ich bin hier auf dem Hof großgeworden und habe nach meiner Ausbildung zum Landwirt zusammen mit meinem Vater Landwirtschaft betrieben. Später habe ich auf Biolandwirtschaft umgestellt. Ich kenne daher beide Seiten der Medaille und weiß, wie es vorher war, als die Tiere in einem dunklen Stall gehalten wurden. In der Biohaltung soll es den Tieren dagegen gutgehen. Mir sind also die ganzen Argumente, die für die artgerechte Tierhaltung vorgebracht werden, bestens bekannt.

Jan Gerdes auf der Weide - Foto: © 2014 by Schattenblick

Unbeirrbar gegen Tierleid
Foto: © 2014 by Schattenblick

Aber im Laufe der Jahre habe ich dann gemerkt, daß man mit der Absicht, den Tieren etwas Gutes zu tun, eigentlich nur das Gewaltproblem umgeht. Ich will dazu einmal ein Beispiel aus der Kälberaufzucht geben: Wenn man das Kalb bei der Mutter trinken läßt, so wie es von den Biofachleuten gefordert wird, dann scheint das im ersten Moment tiergerechter zu sein. Aber wenn eine Mutter ihr Kalb kennengelernt hat und beide dann getrennt werden, ist das viel grausamer, als wenn das Kalb gleich nach der Geburt weggenommen wird. Im letzteren Fall schaltet sich bei der Mutter im Kopf ein Hebel um: Mein Kind ist gestorben. Das nächste kommt in zwölf Monaten.

Wenn unser Nachbar in der Nacht keine Lust zum Aufstehen hat, und die Kälber werden in dieser Zeit geboren, dann sind Kalb und Mutter ein paar Stunden zusammen. Am nächsten Tag werden sie dann getrennt, und dann hören wir die Kälber schreien. Karin hat manchmal das Radio den ganzen Tag auf voller Lautstärke an. Anderthalb Kilometer von hier hat ein anderer Bauer 50 Mutterkühe. Sie kriegen im März, April ihre Kälbchen und laufen dann bis Mitte Oktober zusammen auf die Weide. Das sieht alles sehr harmonisch aus, aber dann kommt der brutale Augenblick der Trennung. Der Bauer trommelt dazu all seine Freunde zusammen. Die Kühe werden mit Treckern oder Geländewagen in die Ecke getrieben und von ihrem Kälbern getrennt. Die Straße hier ist dann gesperrt, bis der Tiertransporter kommt und die Kälber für den Schlachthof einlädt. Die Kühe werden dann wieder laufengelassen und fragen sich: Wo sind unsere Kinder? Und dann geht das Trompeten los.

KM: Drei Wochen lang, ich habe das einmal aufgenommen.

JG: Tagsüber geht es noch, weil sie dann friedlich am Grasen sind, aber am Abend rufen die Kühe nach ihren Kälbern und sie kommen nicht. Dieses Geschrei ist grausam. Drei, vier Tage ist es nicht auszuhalten. Dann wird es etwas ruhiger.

SB: Bei den sogenannten Laktationszyklen werden die Kühe auf Milchproduktion getrimmt. Wie oft würden die Kühe, wenn sie nicht künstlich besamt werden, ansonsten tragen?

JG: Die Natur gibt vor, daß die größeren Säugetiere theoretisch einmal im Jahr Nachwuchs bekommen. Bei Rehen und Hirschen geschieht das im Frühjahr. Solange das Futter wächst, wird der Nachwuchs gestillt und im Herbst, wenn das Futter nicht mehr so frisch ist, wird abgestillt. Im nächsten Frühjahr sind die Muttertiere dann wieder trächtig.

SB: Bedeutet das bei einer Lebenserwartung von 25 Jahren, daß die Kuh zehn bis fünfzehn Kälber auf die Welt bringt?

JG: Wer will das wissen. Die Kühe sind schließlich auf Leistung gezüchtet, und wenn sie die Leistung nicht mehr erfüllen, kommt der Schlachter. Im Prinzip kann eine Kuh durchaus noch mit 15, 16, 17 Jahren ein Kalb bekommen.

KM: Die Gisela hatte 14 Kälber geboren.

JG: Sie war eine Ausnahme und hat in ihrem Leben 100.000 Liter Milch gegeben. Sie muß schon eine wahnsinnige Vitalität gehabt haben. Erstaunlich genug, daß sie bei all dem Melken durch die Maschinen keine Mastititis (Entzündung der Milchdrüsen) bekommen hat.

Karin Mück auf der Weide - Foto: © 2014 by Schattenblick

Streitet seit Jahrzehnten für Tierrechte
Foto: © 2014 by Schattenblick

KM: Über die permanente Trennung von Freundschaften wird unterdessen nicht gesprochen. Kühe haben ein ganz intensives Sozialverhalten. Eine Kuh, die keine Leistung mehr bringt, kommt zum Schlachter, und zurück bleibt eine Kuh, die eine Freundin verliert. Ich war lange Zeit Vegetarierin, weil ich nicht wollte, daß ein Tier für mich sterben muß. Ich hatte angenommen, daß eine Kuh immer Milch gibt. Als ich erfuhr, daß eine Kuh, die ein Kalb bekommen hat und dann Milch gibt, spätestens nach drei Monaten wieder schwanger wird, war das für mich der Hauptgrund, vegan zu werden. Das heißt, so ein Körper ist dauerschwanger und muß auch noch Milch produzieren. Das ist doch pervers.

JG: Im Idealfall soll die Zwischenkalbezeit (ZKZ) von einem Kalb zum nächsten zwölf Monate betragen. Nach der Geburt eines Kalbes hat sich nach ungefähr drei Monaten die Gebärmutter wieder soweit zurückgebildet, daß die Kuh für die nächste Besamung bereit ist. Drei Monate nach dem Kalben erfolgt also die Besamung, dann trägt sie das Kalb neun Monate aus. Das heißt, nach zwölf Monaten kommt das nächste Kalb. Eine ZKZ von 12 Monaten ist normal. Manchmal klappt es jedoch schon nach zehn oder elf Monaten. Damit das Euter wieder regeneriert, versuchen die Bauern, die Kuh die letzten sechs oder acht Wochen vor dem Kalben nicht mehr zu melken. Sie wird dann trockengestellt, auch wenn sie dann immer noch je nach Leistung bis zu 20 Liter Milch erzeugt. Aber eigentlich sollte sie nicht mehr gemolken werden, damit die volle Milchleistung nach dem Kalben wieder einsetzt. Teilweise wird in dieser Phase in jede Zitze eine Antibiotika-Paste hineingedrückt, damit Keime, die sich möglicherweise gebildet haben, abgetötet werden. In einem Intensivbetrieb wird grundsätzlich nach einer ungefähr zehnmonatigen Melkphase Antibiotika ins Euter gerieben.

SB: Selbst wenn alle Menschen kein Fleisch mehr essen würden, stellte sich die Frage, was mit den Rindern geschehen soll, die für die Milchproduktion nicht gebraucht werden?

JG: Rein theoretisch müßte für meine Milch kein Tier getötet werden. Die Kühe werden gemolken, und wenn sie nicht mehr genügend Milch geben, dürfen sie auf Gnadenhöfen weiterleben. Und die Bullen, die nicht gebraucht werden, müßte man kastrieren, weil es sonst viel zu gefährlich wäre. Damit sich das aber weiterhin wirtschaftlich rechnet, müßte die Milch das Zehn- oder Zwanzigfache kosten.

KM: Bei dem ganzen Thema wird aber völlig außer acht gelassen, daß sich keine Kuh freiwillig melken läßt. Irrigerweise wird immer angenommen, daß die Kuh froh wäre, wenn sie gemolken wird. Aber eine Kuh, die ihr erstes Kalb bekommen hat, geht keineswegs freiwillig in den Melkstand. Da muß schon sehr massiv nachgeholfen werden. Bei der Kuh Uschi, die inzwischen auf unserem Hof lebt, ging man dabei so rabiat vor, daß ihr der Schwanz gebrochen wurde. Sie ist eine sehr eigenwillige Kuh, die nie freiwillig in den Melkstand gegangen ist. Daher wurde ihr unter Zwang der Wille gebrochen. Bei anderen Kühen versucht man es mit Tricks, indem man sie mit Kraftfutter anlockt, bis sie in den Melkstand gehen. Wenn bei uns Kühe zur Behandlung in den Klauenstand müssen, ist ihnen anzumerken, daß es für sie eine echte Bedrohung darstellt. Für ein Fluchttier ist es absoluter Streß, in so ein Gerät zu gehen.

JG: Mit der Zeit gewöhnen sich die Tiere natürlich daran, genau wie ein junges Pferd, das geritten werden soll, sich nicht sofort einen Sattel umbinden und einen Reiter aufsteigen läßt. Das wird immer mit mehr oder weniger Gewalt durchgesetzt.

SB: Ist euer Land jagdbefriedet?

JG: Teilweise. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat vor zwei Jahren einen Beschluß gefaßt, demzufolge natürliche Personen ihre Privatgrundstücke befrieden dürfen. Aber der Besitzer dieser Flächen hier stellt, weil es inzwischen eine Stiftung ist, eine juristische Person dar, und für eine Stiftung gilt diese Regelung nicht.

KM: Wir haben aber noch zehn Hektar privat gehalten, falls wir einmal in eine finanzielle Schieflage kommen. Und darauf können wir den Beschluß anwenden, aber für die 30 Hektar Stiftungsland eben nicht. Leider hat man in dem Urteil versäumt, auch Stiftungen und Vereine, deren Satzungen dem Tierschutz verpflichtet sind, mit einzubeziehen. Jetzt müssen wir durch die Instanzen bis zum Europäischen Gerichtshof gehen, um das nachtragen zu lassen.

SB: Im ländlichen Raum hatte die Jagd immer eine große Bedeutung für das Leben im Dorf. Wie ist es um das Schießen von Wildtieren in eurer Region bestellt?

JG: Als ich Kind war, ist mein Vater zur Jagd gegangen. Das galt auch für die Nachbarn. Schon mein Großvater hat das so gemacht. Im Grunde sind alle Grundeigentümer Jäger gewesen und hatten sich drei- oder viermal im Jahr zur Treibjagd getroffen, um beispielsweise Hasen zu schießen. Das hat sich inzwischen aber geändert. Auch ich habe das jahrelang mitgemacht, bis ich vor zwölf Jahren aus dem Jagdklub ausgetreten bin. Auch unser Nachbar hat damit, allerdings aus Zeitgründen, aufgehört. Und die anderen Bauern sind inzwischen verstorben. Deren Kinder sind nicht mehr Jäger geworden.

Mittlerweile gehen hier im Kreis eigentlich nur noch Fremde zur Treibjagd. Darunter sind auch zwei Pächter. Der eine hat zwar noch ein paar Hektar Land, ist aber Bürgermeister in einer Nachbargemeinde, und der andere ist ein Stadtverdrängter aus Bremen. Dort hat er Riesenflächen als Bauland verkauft und hier vor Jahren einen kleinen Hof erworben. Diese Jagdpächter veranstalten vier, fünfmal im Jahr Treibjagden und laden sich dazu Freunde und Bekannte ein. Aber die Minister, Doktoren und Richter, die dann kommen, haben keinen Bezug mehr zu Land und Leuten. Auch ein paar Großbauern aus der Nachbargemeinde und einige Tierärzte sind dann im Troß aus 20 bis 30 Leuten, der dann mit einem Haufen Hunde und ein paar Geländewagen ins Revier zieht. Generalstabsmäßig organisiert steht alle 50 Meter einer und sichert die Flanken. Dann wird richtig brutal bejagt, denn einer muß schließlich Jagdkönig werden, damit er nachher die Schnapsrunden schmeißt. Auf alles, was zu schießen ist, wird geschossen. Als ich mit dem Jagen anfing, hat jeder vielleicht zwei Hasen geschossen, die dann am nächsten Sonntag gegessen wurden. Wenn jeder genug hatte, wurde die Jagd abgeblasen. Und wenn in einem Jahr eine Seuche unter den Tieren gewütet hatte, wurde gar nicht gejagt, damit sich der Jagdtierbestand wieder erholt. Darauf haben die Einheimischen geachtet, aber heutzutage spielt das keine Rolle mehr. Da wird die Jagd angesetzt und auf alles geballert.

Karin Mück krault den Ochsen Mattis - Foto: © 2014 by Schattenblick

Freundschaften ...
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Für die Auftaktsendung seiner SWR-Reportagereihe "Diezemanns Reisen", die der Frage "Fleisch essen ohne Reue?" gewidmet war, hat Kai Diezemann auch Hof Butenland besucht. Ein anderes Ziel seiner Rundreise durch Deutschland war der schwäbische Rinderzüchter Hermann Maier, der seine Tiere, um ihnen den Streß der langen Anreise bis zum Schlachthof zu ersparen, mit einem schallgedämpften Jagdgewehr tötet. Gibt es für euch im Rahmen des Tierverbrauchs Unterschiede in der Art und Weise, wie Tiere getötet werden, oder ist es stets das Gleiche?

KM: Für mich ist es das Gleiche. Wenn man die Lebensdauer eines Tieres, die es hätte erreichen können, verkürzt, macht die Art, wie dies geschieht, für mich keinen Unterschied. Es ist auf jeden Fall Gewalt. Aber der Mensch greift bereits über die Zucht ins Leben der Tiere ein, die auf schnelles Wachstum und hohe Leistung ausgerichtet ist. Bei uns sind auch einige Tiere aus Mastbetrieben gelandet. Wenn ihre Lebensdauer über das, was der Mensch für sie bestimmt hat, hinausgeht, zeigen sich bei all diesen Tieren körperliche Schäden. Ich kann auch Hermann Maier nicht verstehen, der einerseits wie wir für eine Ohrmarkenbefreiung kämpft und sich fürchterlich aufregt, daß seine Rinder Ohrmarken tragen müssen, weil das mit Schmerzen verbunden ist, aber andererseits seine Tiere dann erschießt.

JG: Natürlich gibt es einen Unterschied, ob die Kälber von den Müttern getrennt und in ein Gatter gepfercht werden, bis sie auf einen Lastwagen kommen und mehrere Stunden auf der Autobahn zum Schlachthof gekarrt werden. Das ist immer mit viel Streß verbunden. Oder ob man mit seiner Schalldämpferwaffe zu dem Tier geht, es streichelt und dann erschießt. Der Unterschied ist nicht zu leugnen, aber trotzdem ist man derjenige, der über Leben und Tod entscheidet. Das hat wenig mit Gewaltfreiheit, Frieden oder Liebe zu tun.

KM: Zumal ein Schlachter auf dem Schlachthof mit Sicherheit ohne Emotionen an die Sache herangeht. Für ihn ist das Tier anonym. Wahrscheinlich ist er auch noch besoffen; man weiß ja, daß die Schlachter viel trinken, weil sie die Arbeit sonst nicht aushalten würden. Aber wenn jemand wie Hermann Maier erst eine Beziehung zu den Tieren aufbaut und sie dann tötet, ist das ziemlich schizophren.

SB: Die Beispiele für humanes oder ethisches Schlachten fallen mitunter grotesk aus. In einem Radiobeitrag [1] wurde berichtet, daß der Halter eines Schweins mit dem Namen Peter immer das Bolzenschußgerät dabeihatte, wenn er in den Stall ging. Der Eber hat nach einer Weile mit Freude auf das Gerät reagiert, weil es damit an der Stirn gestreichelt wurde. Als das Tötungsinstrument schließlich zum Einsatz kam, fiel er um, ohne einen Laut von sich zu geben. Nachher stand Peters Name auf der Wurst.

JG: Vor einigen Jahren hatte ich Karin, weil sie noch nicht lange hier war, mit dem Auto die Gegend gezeigt. Wir sind Wege gefahren, die man normalerweise nicht fährt. So kamen wir hinten am Deich zu einem Ferienhaus, wo im Garten zwei Schweine liefen. Wir trafen dort auf eine Frau und ihren dreijährigen Enkel. Sie sagte uns, daß die Schweine Namen tragen und streichelte eines. Dieses hier frißt unsere Abfälle, erzählte sie. Als ich sie fragte, was sie im Winter mit dem Tier machen, antwortete sie: Im Herbst wird es geschlachtet.

KM: Das ist wieder diese Geschichte des Nutzens. Ich mache mir den Sommer schön mit einem Schwein, es läuft im Garten herum, und ich bringe meinen Enkelkindern die Tiere näher. Ich kenne das aus meiner eigenen Kindheit. Aber wenn es ums Schlachten geht, fangen die Eltern immer an, ihre Kinder zu belügen. Dann wird gesagt, das war schon immer so, und die Tiere merken das gar nicht. Auch in Bilderbüchern wird immer eine Bauerhofidylle präsentiert, wo die Welt noch in Ordnung ist, aber keiner spricht über das Töten. Dann wird einem beigebracht, daß Katzen, Hunde und Hamster niedlich sind, aber der Rest eben Nutztiere seien.

SB: Der Kampf gegen Massentierhaltung hat in der Bundesrepublik hohe Wellen geschlagen, und viele Leute engagieren sich darin aus ethischen oder Tierrechtsgründen. Dabei wird der Verbrauch der Tiere eher selten hinterfragt, meist geht es um die industriellen Bedingungen der Fleischproduktion. Wäre die ethische Tötung von Tieren, wie sie beispielsweise Hermann Maier auf seinem Freilandhof praktiziert, ein realistischer Ansatz, mit der Tiermast zu brechen?

JG: Hermann Maier schießt die Tiere nicht selber tot, weil er sie liebt, sondern weil er ein wirtschaftliches Interesse hat. Aber wenn man sich zum Ziel setzt, daß Tiere nur noch auf humane oder ethische Weise geschlachtet werden dürfen, muß man sich vor Augen führen, daß in Deutschland 80 Millionen Menschen leben, die dann rein theoretisch Fleisch aus Biohöfen oder Freilandhaltung essen würden. Wie soll das gehen? Man denke da an das Kobe-Steak in Japan, wo ein Kilo Fleisch mehrere 1000 Euro kostet. Das können sich nur ganz wenige Menschen leisten. Wieviele Kunden hat Hermann Maier? Selbst wenn er jeden Tag ein Tier schlachtet, könnte er damit die Menschen im Ruhrgebiet, in Berlin oder Hamburg schon von der Menge her niemals ernähren. Das ist eine Nische für ein paar Bauern, aber keine Lösung für die Allgemeinheit.

Neulich wurde im Fernsehen in einer Sendung über den chinesischen Wachstumsmarkt geschildert, daß die Chinesen uns Europäern oder den Amerikanern nacheifern und genauso viel Fleisch essen wollen. Das wäre eine Katastrophe. Das kann man nur bremsen, indem ihnen gesagt wird: Leute, uns geht es viel besser ohne Fleisch. Wir sind viel gesünder, intelligenter und freier, wenn wir es lassen. Natürlich können wir ihnen das nicht verbieten, weil wir es selber machen, aber wir können ihnen etwas anderes vorleben.

Eingang ins Wohnhaus mit Rampe - Foto: © 2014 by Schattenblick

Barrierefrei auch für Tiere
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Hof Butenland ist ein Kuhaltersheim. Ist das für euch etwas Exemplarisches, um überhaupt auf das Problem aufmerksam zu machen, und würdet ihr euch wünschen, daß mehr Leute ihre Höfe in dieser Weise umwandeln, um eine Transformation in der Gesellschaft, weg vom Fleischkonsum, zu initiieren?

JG: Man muß das realistisch sehen. Selbst wenn unsere Ideale und Ziele von heute auf morgen verwirklicht und keine Tiere mehr gezüchtet würden, müßten die bestehenden Bestände an Tieren, die nicht mehr geschlachtet werden sollen, übergangsweise auf solche Höfe kommen. Natürlich würde ich mir wünschen, daß das ganz viele machten, bis sich das Problem von selbst erledigt, weil ja keine weiteren Tiere mehr gezüchtet würden.

SB: Da die bei euch lebenden Tiere aus Mastbetrieben, Legebatterien oder Tierversuchslabors kommen, brauchen sie viel medizinische Versorgung. Habt ihr hinsichtlich der Medikamente besondere Prioritäten oder nehmt ihr das, was auch ein Tierarzt in solchen Fällen verschreiben würde?

JG: Wir nehmen das, was uns der Tierarzt empfiehlt, natürlich unter der Voraussetzung, daß es unsere Tiere gesund macht. Wenn ein Tierarzt zu einem normalen Bauernhof geht, lautet die erste Frage immer: Gibt die Kuh noch Milch? Wenn ja, dann darf er nämlich keine Antibiotika spritzen bzw. dürfte die Kuh soundso viele Tage nicht gemolken oder geschlachtet werden. Bei uns heißt es: Macht alles nach eurem Wissen, damit das Tier möglichst wenig leidet, es soll nicht funktionieren, sondern gesund werden. Und wenn es Schmerzen hat, dann verabreicht Schmerzmittel, egal, ob damit eine Wartezeit verbunden ist oder nicht, weil unsere Tiere ohnehin nicht geschlachtet werden.

SB: Verwendet ihr neben pharmazeutischen auch klassische Naturheilmittel?

JG: Weil wir auf Facebook Kontakt mit vielen Leuten haben, wird uns immer wieder die Frage gestellt, warum wir die Tiere nicht homöopathisch behandeln. Ich würde es gerne machen, wenn ich wüßte wie. Wir hatten hier in der Region aushilfsweise eine Tierärztin, die sich eigentlich fest anstellen lassen wollte, aber jetzt in der Praxis gekündigt hat, weil ihr das Geschäft mit den Bauern zu brutal war. Sie war einmal wegen einer Kuh hier, die noch nie gekalbt hatte, aber plötzlich mit einem prallen Euter herumlief, wobei aus den Zitzen seit Tagen Milch tropfte. Nach ihrer Diagnose litt die Kuh an einer Zyste am Eierstock, wodurch der Kuh vermittelt wird, daß sie ein Kalb bekommen hat, so daß Hormone freigesetzt werden, die die Milchbildung vorantreiben. Auf meine Frage, was mit der Zyste geschehen sollte, sagte sie, meine Kollegen würden hineingreifen und sie abdrücken, aber ich würde vorschlagen, Sepia C 100 zu geben. Ich habe sofort eingewilligt, zumal ich den Eindruck hatte, daß sie etwas von der Homöopathie versteht. Wenn sie länger hier geblieben wäre, hätte ich sie für jedes Tier geholt, aber ich kann jetzt nicht verschiedene homöopathische Präparate in meinem Schrank lagern, ohne zu wissen, wie ich sie anwenden muß. Homöopathie ist eine Welt für sich mit all den Potenzen und Verdünnungen. Da kenne ich mich einfach nicht aus.

SB: Ihr betreibt den Lebenshof seit vielen Jahren. Könntet ihr vor dem Hintergrund eurer Erfahrungen Beispiele dafür geben, was das Individuelle an den Tieren, die bei euch leben, ausmacht, und damit den Unterschied zum Tier als Ware verdeutlichen?

KM: Wir lernen uns ja hier kennen. Wenn zum Beispiel etwas passiert, können wir darauf wetten, welche Kuh zuerst angerannt kommt. Oder wenn Jan den Trecker anwirft, ist das um die Jahreszeit herum ein Signal dafür, daß wir anfangen, mit Heu zuzufüttern. Dann können wir genau sagen, welche fünf Kühe zuerst im Stall sind. Und genauso ist es dann. Oder wenn die Kühe abends auf den Hof kommen und Frieda ist zuerst da, dann sage ich immer, gleich dahinter kommt Rosalie. Und genauso ist es. Wir kennen die Tiere und wissen, wer mit wem befreundet ist. Die Kuh Uschi zum Beispiel ist von ihrem Bauern mißhandelt worden. Sie läßt keinen Mann an sich heran. Das kann nur ich. Wenn ich bestimmte Sätze sage oder Hallo Uschi besonders betone, dann weiß ich an der Art, wie sie guckt, heute nicht, und wenn sie anders guckt, weiß ich, ich muß bei ihr hinten sauber machen. Denn sie hat eine Blasen- und Darmlähmung, weil der Bauer das Kälbchen herausgerissen hat.

Es gibt Kühe, die wir noch nie angefaßt haben, weil sie das nicht möchten. Das tun wir dann auch nicht. Wir haben hier vier Kuhmütter mit Kindern. Da gibt es eine, die vor drei Jahren hochtragend vom Nachbarbauern abgehauen ist und zwei Tage später bei uns ihr Kälbchen bekommen hat. Da macht es einen Unterschied, ob wir, weil die Kuh uns kennt, zu ihr gehen oder ob wir mit fremden Leuten kommen. Dann sehe ich sofort, ich muß aufpassen, weil sie ihr Kalb beschützt. Das kann manchmal ziemlich mulmig werden. Wir kennen auch die Vorlieben der Kühe. Ich weiß, daß die eine nur Möhren und die andere nur Äpfel mag. Wir sehen auch, wenn eine Kuh oder ein Rind stirbt, wie die anderen trauern.

Rinderherde auf Hof Butenland - Foto: © 2014 by Schattenblick

Miteinander ...
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Für den Tierethiker Peter Singer gibt es hinsichtlich des Schlachtens eine Ordnung, in der Primaten unbedingt geschützt werden müssen und Rechte besitzen, während etwa Hühner, weil sie angeblich nicht genügend Persönlichkeit oder Individualität besitzen, bedenkenlos verzehrt werden können. Welche Erfahrung habt ihr mit Hühnern gemacht?

JG: Das Huhn Merle von Hilal Sezgin und zwei andere kommen ins Haus, wenn die Tür offen ist, alle anderen nicht. Merle mußten wir am Anfang pflegen, weil sie völlig nackt war. Wir haben sie in unserer Wohnung aufgepäppelt. Das hat sie beibehalten und kommt immer wieder. Die anderen beiden kommen ab und zu und gehen dann auch wieder. Wenn ich Lust habe, nehme ich Merle auf den Schoß und gebe ihr etwas zu picken. Ich kann mit ihr genauso viel anfangen wie mit einem Hund. Letzten Endes kann ich mit einer Henne genauso kuscheln wie mit einer Katze oder einem Hund, einem Schwein oder einer Kuh. An viele Hühner kann ich bis auf einen Meter herangehen, ehe sie flüchten. Das ist bei Kühen genauso. Nur wenige lassen sich von uns anfassen.

SB: Hilal Sezgin hat bei einer Lesung in Hamburg [2] berichtet, daß sie häufig gefragt werde, ob es überhaupt Sinn mache, einzelne Tiere zu retten, wenn sie ohnehin ohnehin massenhaft verbraucht werden. Ich gebe diese Frage an euch weiter: Was macht das einzelne Tier aus im Verhältnis zu dieser Massenverwertung?

KM: Wir haben hier eine Kuh, die aus einer Tierversuchsanstalt kommt. Dort hat sie vier Jahre mit einem geöffneten Bauchraum gelebt. Als sie hier ankam, kannte sie nichts: keinen Wind, keine Sonne, kein Gras. Es war tagelang der reinste Horror, weil diese Kuh völlig überfordert war und nur weinte, schrie und hektisch herumlief. Oder wenn Hühner das erste Mal Gras sehen und dann lernen, es zu genießen, oder spüren, was Wind ist, dann denke ich immer, was für uns Menschen so selbstverständlich ist, das zeigen sie uns. Die Gegenseite behauptet gerne, unseren Tieren geht es gut, weil sie artgerecht gehalten werden.

JG: In der Mastanlage haben die Enten Wasser nur zum Trinken, und dann auch nur tröpfchenweise. Aber wenn man hier sieht, wie sie das Wasser genießen, nochmals und nochmals eintauchen, sich putzen, gründeln und den Schwanz hochhalten, dann begreift man, daß ihnen dort die natürlichsten Grundbedürfnisse genommen werden.

SB: Ich danke euch für das ausführliche Gespräch.


Fußnoten:


[1] http://www.deutschlandradiokultur.de/die-fleischesser.1005.de.html?dram:article_id=261968

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/tiere/report/trbe0008.html

11. November 2014