Schattenblick →INFOPOOL →TIERE → TIERSCHUTZ

ETHIK/026: Nutztierschutz aus islamischer Sicht (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 03 / 2009
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Nutztierschutz aus islamischer Sicht

Von Mahmut Gül
(Islamkundelehrer und Islamwissenschaftler)


Als Nutztiere gelten im Islam traditionell domestizierte Last-, Reit-, Zug-, Zucht- und Jagdtiere, aber auch Bienen, Seidenraupen und andere domestizierte Tiere. Die Intensivhaltung großer Tierbestände seit Beginn der Industrialisierung im 20. Jahrhundert hat im Islam ethisch neue Fragen aufgeworfen, für die fachmännische Lösungsansätze noch fehlen, auch in islamischen Rechtsbüchern über Versuchstiere. In den traditionellen Rechtsbüchern gibt es jedoch Vorschriften für die artgerechte Haltung von Tieren.

Viele Propheten des Islam waren Schafhirten, das Schaf hat daher einen besonderen Stellenwert. Im Islam herrscht das Opfergebot. Wie in den anderen Abrahamitischen Religionen gilt das Tieropfer als wesentlicher Bestandteil des besonderen Bundes zwischen Allah und dem Menschen und ist daher mehr wert als das Ernteopfer. Zum Brudermord zwischen Kain und Abel kam es wegen der Darbietung eines besseren Opfers (eines Nutztieres) für Allah.

Opfer heißt auf Arabisch Kurbân und bedeutet wörtlich Annäherung. Die Annäherung an Allah, die Bereitschaft zum Opfer, die Hingabe zu Allah und Dankbarkeit werden mit diesem Wort zum Ausdruck gebracht. Als eine der wichtigsten Weisungen des Islam fordert das Opfergebot (arab. hukm) jeden Muslim zur Darbringung der Opfergabe auf [Koran 108:2; 22:36; 37:107]. Wenn ein Muslim trotz der Möglichkeit des Opfers dieses nicht bringt, so kann dieses Versäumnis durch nichts gerechtfertigt werden und gilt als Sünde gegen Allah. ll


Das Nutztier und seine Rechte im Koran und weiteren islamischen Schriften

Im Koran sind einige wichtige Suren nach Nutztieren betitelt, wie etwa die Kuh [Al-Baqarah: Sure 2], das Vieh [Al-Anám: Sure 6], die Biene [An-Nahl: Sure 16] und der Elefant [Al-Fíl: Sure 105]. In diesen Suren wird der Umgang mit den Tieren allegorisch und praktisch-alltäglich beschrieben. Der Koran betont die soziale Autonomie von Tieren und vergleicht ihr Leben in und Streben nach Gemeinschaft mit den sozialen Bedürfnissen der Menschen [Koran 6:38], denn Tiere werden wie die Menschen von Allah versorgt [Koran 29:60].

Jedoch stehen Tiere dem Menschen - als Stellvertreter Allahs - zu Diensten, d.h. sie sind dem Menschen untergeordnet [Koran 16:5-6]. Weiter heißt es: Allah ist es, der für euch die Tiere gemacht hat, damit ihr auf den einen reiten und von den anderen essen könnt [Koran 40:79]. Und Allah hat euch in euren Häusern einen Ruheplatz gemacht, und Er hat euch aus den Häuten der Tiere Wohnungen gemacht, die ihr leicht findet zur Zeit eurer Reise und zur Zeit eures Halts, und aus ihrer Wolle, ihrem Pelz und ihrem Haar (gab Er euch) zu Hausbedarf und Gerätschaft für eine Zeitlang [Koran 16:80].

Ausdrücklich wird das Maßhalten in der Tiernutzung betont: grundloses Schlachten - ohne Bedarf an Fleisch oder anderen tierischen Produkten - ist verboten [Koran 7:31]. Wenn ein Tier geschlachtet werden soll, darf es dabei nicht gequält werden. Diesbezüglich gibt es in den muslimischen Rechtsbüchern Hinweise auf ein fachmännisches Schlachten (arab: abl, nahr und takiya).

Der Theologe und stellvertretende Leiter des Islamischen Zentrums Hamburg, Dr. Seyed Mohammad Nasser Taghavi, behandelte in einem Vortrag das Verhältnis zwischen Nutztier und Mensch in Verbindung religiöser und ökologischer Aspekte auf treffende Weise:

"In einer umfassenderen Perspektive ist [der] Nutzfaktor des Tieres in gewissem Maße auch Teil seiner Vervollkommnung, denn es wächst, geschlachtet, dient dem Menschen als Nahrung, wird dadurch Teil des Fleisches. Damit hat dieses Tier in der Kette der Entwicklung Weg zurückgelegt. Wird ein Tier jedoch grundlos getötet und wird Gebrauch von ihm gemacht, dann ist es von diesem Kreis der ausgeschlossen. Es verhält sich also ebenso wie im gesamten Ökosystem, wo Tiere den Fortbestand anderer Arten garantieren und damit die Tiere selbst und die Natur fortbestehen".

Zweckentfremdeter Gebrauch und Missbrauch von Tieren, z.B. als Zielscheibe für Schießübungen, sind grundsätzlich verboten (Sahih Muslim 3616). Bei (göttlicher) Strafe ist auch Tierquälerei verboten. Auch für Nutztiere gilt ein besonderer Schutz hinsichtlich der Erhaltung der Gattung. Der Koran verbietet explizit ein Aufschlitzen der Ohren, Brandmarkung sowie die Manipulationen bzw. Veränderung der Gattung [Koran 4:118-119].

Ein Muslim hat gegenüber jeglichem Lebewesen Erbarmen als Zeichen der Barmherzigkeit Allahs zu üben. Nahrung für Tiere und Menschen zur Verfügung stellen, wird als eine gute Tat bezeichnet [Sahih Muslim 2904]. Die Tiere werden ihre Rechte am Tage des Gerichts einfordern, wenn ihnen diese im irdischen Leben vorenthalten wurden. Dieses Grundprinzip gilt sowohl für Haus- und Nutz-, als auch für Wildtiere [Sahih Muslim: 4401].

Die Vorschriften zum Umgang mit Nutztieren sind in den Hadithen (Sprüchen) des Propheten Muhammad kodifiziert und ergänzen die Vorgaben im Koran. Im spätosmanischen Rechtskodex (Mecelle-i Ahkâm-i Adliye, erlassen 1868-1878) gibt es Bestimmungen über den Gebrauch der Nutztiere und der Gewährung eines Ruhetages für Lasttiere. Muhammad wurde gefragt:

"O Gesandter Allahs, und was ist der Fall mit den Kamelen? Er sagte: Jeder, der Kamele besitzt und ihren Anteil nicht gibt - dazu gehört, etwas Milch am Tag ihres Tränkens zu spenden - wird am Tag der Auferstehung zu einem Boden geworfen, der am weitesten ist. Alle seine Kamele werden ihn mit ihren Hufen treten und mit ihren Mündern beißen.

O Gesandter Allahs, was ist der Fall mit Kühen und Schafen? Da sagte er: Jeder, der Kühe oder Schafe besitzt und ihren Anteil nicht gibt, wird am Tag der Auferstehung zu einem Boden geworfen, der am weitesten ist. Alle seine Kühe und Schafe werden ihr natürliches Aussehen wiedererlangen als Gerechtigkeit Gottes, und mit ihren Verteidigungsorganen wie Hörnern und Hufen werden sie ihren irdischen Besitzer bestrafen.

O Gesandter Allahs, was ist der Fall mit Pferden? Er sagte: Pferde sind in drei Gruppen eingeteilt: Sie können für ihren Besitzer eine Bürde oder eine Sicherheit sein oder ihm Lohn einbringen. Der Mann, dessen Pferde ihm eine Bürde sind, hält sie sich aus Gründen der Wichtigtuerei, des Stolzes und der Feindschaft gegen die Muslime. Der Mann, dessen Pferde für ihn eine Sicherheit sind, hält sie auf dem Weg Allahs, vergisst nicht, seinen Pflichten gegenüber Allah nachzukommen, und überanstrengt sie nicht. Der Mann, dessen Pferde ihm Lohn einbringen werden, hält sich diese Tiere um der Sache Allahs willen für die Muslime. Er bindet sie auf der Weide oder im Garten an, dass sie fressen können, und alles, was sie von dieser Weide oder diesem Garten fressen, wird dem Besitzer als gute Taten angerechnet. Auch werden ihm ihr Dung und ihr Mist als gute Taten angerechnet. Und wenn die Pferde ihren Strick zerreißen und über ein oder zwei Anhöhen hinweggaloppieren, so werden ihre Spuren und ihr Dung dem Pferdehalter als gute Taten angerechnet. Und wenn sie von ihrem Besitzer zu einem Fluss geführt werden und er sie trinken lässt, wird auch das ihm zugute geschrieben.

O Gesandter Allahs, was ist denn der Fall mit Eseln? Er erwiderte: Über Esel wurde mir nichts offenbart außer dem folgenden, allgemeingültigen Koranvers: Wer auch nur eines Stäubchens Gewicht Gutes tut, der wird es dann sehen, und wer Böses im Gewicht eines Stäubchens getan hat, wird es ebenfalls sehen" [Koran 99:7-8 und Sahih Muslim:1647].

Für die Einhaltung der Tierrechte gibt es viele Sprüche
(Hadithe) des Propheten Muhammad, z.B.:

"O Gesandter Allahs, erhalten wir auch einen Lohn (von Allah) wegen der Tiere? Der Prophet erwiderte: Wegen jedes Lebewesens gibt es Lohn!" [Sahih Muslim: 4162].

Laut islamischer Tradition waren nahezu alle Propheten als Hirten tätig, bevor sie zu Propheten berufen wurden. Wenn sie Schäfer waren, wird dies besonders hervorgehoben. Hierin ist ein Hinweis darauf zu sehen, dass man Schafen unter den Nutztieren einen besonderen Platz einräumt und den Umgang mit Schafen als besondere Ehre betrachtet.

Die Einhaltung des Gleichgewichts des Menschen mit der Natur und somit mit den Tieren, die Allah ihm anvertraut hat, muss als wichtiger Wesenszug des Islam betrachtet werden. Dass Tierethik als ein elementarer Glaubensbestandteil des Islam anzusehen ist, zeigt sich in den mannigfaltigen Weisungen des Korans und in den strengen religiösen Gesetzen zur Wahrung der Tierrechte. Es ist den Menschen verboten, Tiere als Sachen zu sehen und sie als Objekt ihres weltlichen Vergnügens zu missbrauchen. Ein Muslim ist verpflichtet, mit sämtlichen Geschöpfen Gottes, insbesondere mit seinen schutzbefohlenen (Nutz-)tieren, respektvoll, liebevoll, und artgemäß umzugehen.


QUELLEN:

Schregle, Götz, Deutsch-Arabisches Wörterbuch, Wiesbaden 1977.

Taghavi, Hojjatoleslam, Dr. Seyyed Mohammad Nasser; Tierrechte im Islam. Vortrag im Hegelsaal des Philosophischen Seminars der Universität Heidelberg 05. Juli 2007.

Samil Islam Ansiklopedisi, Istanbul 1990.

Die angegebenen Hadithe in deutscher Sprache in: hadith.al-islam.com.

Fikhu's Sîre, Muhammed Gazali, transl. Resul Tosun, Risale, Istanbul 2000.

Eine deutsche Übersetzung des Korans findet sich auf der Internetseite:
www.ahmadiyya.de/der/heiligekoran/deutsche-ubersetzung/

Weitere Informationen zu Opfergebot und anderen islamischen Ritualen und Glaubensinhalten:
www.muslimehelfen.org/fragen.html


*


Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 03/2009, Seite 40-43
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0
Telefax: 0431/248 28-29
E-Mail: info@provieh.de
Internet: www.provieh.de

PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. November 2009