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GENTECHNIK/017: Knockout-Mäuse - auf Krankheit programmiert (tierrechte)


tierrechte Nr. 52, Mai 2010
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

Knockout-Mäuse - auf Krankheit programmiert

Von Cristeta Brause


Seit 20 Jahren ist es möglich, mit der sogenannten Knockout-Technik in Mäusen gezielt Gene zu deaktivieren und so genetisch definierte Mäuse mit Krankheitsbildern zu generieren, die denen des Menschen ähneln sollen. Mittlerweile gibt es mehr als 10000 Knockout-Maus-Stämme, von denen über 500 als 'Krankheitsmodelle' in der biomedizinischen Forschung eingesetzt werden.


Etliche Erkrankungen des Menschen haben auch genetische Ursachen. Daher werden Knockout-Mäuse zunehmend verwendet, weil sich die Forscher davon versprechen, Rückschlüsse auf die Bedeutung bestimmter Gene bei Entstehung und Verlauf von Krankheiten ziehen zu können und entsprechende Therapiemöglichkeiten zu entwickeln.


Für jede Krankheit eine Knockout-Maus

Versuchstierzucht und Wissenschaft geben sich stets wechselseitig neue Nahrung. Denn möglichst für jede zu erforschende Krankheit soll ein neues 'Tiermodell' erzeugt werden, und jede neue 'Mauskreation' ist für die Wissenschaft ein willkommenes 'Objekt' für genetische und klinische Studien einschließlich der ausführlichen Charakterisierung der neuen Knockout-Maus, die in der Realität oft Merkmale zeigt, die ursprünglich nicht geplant waren. Dies führt dazu, dass die Tiere nicht wie vorgesehen in Tierversuchen eingesetzt werden. Nicht selten gelingt es gar nicht, Tiere zu erzeugen, bei denen das gewünschte Gen deaktiviert ist. Denn durch die Ausschaltung eines Gens können lebenswichtige Funktionen des Organismus blockiert werden, so dass er bereits im Embryonalstadium abstirbt oder abortiert wird. Bei anderen Säugetieren als Mäusen gelingt es bis auf wenige Ausnahmen bislang überhaupt nicht, Tiere mit der Knockout-Technik zu erzeugen.


Konditionierte Knockouts

Inzwischen stehen für Mäuse außerdem Technologien zur Verfügung, die eine Gen-Ausschaltung zu genau definierten Zeitpunkten oder nur innerhalb bestimmter Gewebe eines Tieres ermöglichen. Dies wird als 'konditionierter Knockout' bezeichnet. Je nach Art der angewendeten Technik soll ein bestimmtes Gen z.B. durch Zufüttern bestimmter Substanzen deaktiviert werden. Das bedeutet, das Tier wird in noch größerem Ausmaß als bisher zum bloßen Objekt herabgestuft, bei dem man die Aktivität eines Gens - und damit bestimmte Funktionen des Organismus - nach Bedarf 'abschalten' kann.


'Krankheitsmodelle'

Knockout-Mäuse zeigen diverse körperliche und psychische Beeinträchtigungen aller Schweregrade. Hierzu zählen Missbildungen, Entzündungen, Stoffwechsel-, Immun-, und Tumorkrankheiten, Verhaltensstörungen und vieles mehr.

Mäuse, bei denen z.B. das Gen für das Muskelwachstum begrenzende Eiweiß Myostatin inaktiviert wird, entwickeln im Vergleich zu ihren konventionellen Artgenossen ein Vielfaches an Muskelmasse mit Auswirkungen auf das gesamte Skelettsystem einschließlich des Kauapparates. Die Sehnen dieser wesentlich kräftigeren Muskeln sind jedoch kleiner und brüchiger als bei normal entwickelten Mäusen. Dies führt zu Veränderungen des gesamten Bewegungsapparates einschließlich Deformationen der Schädelknochen und des Kauapparates, was Schmerzen und Leiden auslösen kann.

Von den Knockout-Mäusen, die das Eiweiß Interleukin 2 nicht produzieren können - ein sogenannter Botenstoff zur Kommunikation der Zellen untereinander - stirbt die Hälfte der Tiere im Alter von vier Wochen an einer Anämie (Blutarmut). Die übrigen Tiere entwickeln eine schwere Darmentzündung mit Geschwüren und Abszessen in der Dickdarmschleimhaut.

Mäuse ohne eine bestimmte Struktur auf der Oberfläche der Nervenzellen (sogenannte Cannabinoid-1-Rezeptoren) entwickeln vermehrt Krämpfe, reagieren auf eine medikamentös erzeugte Darmentzündung hochempfindlich und zeigen eine verstärkte Angstreaktion, die auch durch Gewöhnung an den auslösenden Schreckreiz nicht abgebaut werden kann. Diese Tiere wurden u. a. in der Stressforschung bei Schwimm-Experimenten eingesetzt. Solche Versuche sind sehr belastend. Die Tiere werden dabei für eine bestimmte Zeit in ein Wasserbecken gesetzt, in dem sie den Grund mit den Pfoten nicht erreichen können und schwimmen müssen, bis sie sich nach einiger Zeit treiben lassen. Diese Reaktion kann so interpretiert werden, dass die Tiere die Ausweglosigkeit ihrer Situation erkennen und sich aufgeben.

Andere Knockout-Mäuse zeichnen sich durch erhöhte Schmerzempfindlichkeit bei Berührung aus. Ihnen wurde u.a. für den Einsatz bei Schmerztests der Ischiasnerv vorgeschädigt.


Problematik aus Tierschutzsicht

Aus Tierschutzsicht ist die Herstellung von gentechnisch veränderten 'Labortieren' als hoch problematisch einzustufen. In der Entwicklungsphase des 'Tiermodells' wie auch bei der weiteren Erzeugung einer Knockout-Maus müssen viele Tiere als 'Ausschuss' bereits im Vorfeld ihr Leben lassen, weil sie den erwünschten Gen-Defekt nicht aufweisen oder lebensunfähig sind.

Die überlebenden gentechnisch veränderten Tiere jedoch durchleiden die in ihnen künstlich erzeugten Krankheitserscheinungen zusätzlich zu den vielen Belastungen des 'Versuchstier'-Daseins wie industrielle Produktion, sterile Haltungsform im Labor, lange Transporte und das eigentliche Tierexperiment mit anschließender Tötung.

Durch gentechnische Manipulation werden leidensfähige Tierindividuen vorsätzlich und tiefgreifender als je zuvor verändert und zu standardisierten, reproduzierbaren 'Laborwerkzeugen' degradiert.

Mit diesem gnadenlosen Vorgehen, das nur einer Zweck- und Machbarkeitsethik folgt, hat die industrielle Tierausbeutung durch uns Menschen eine ganz neue Dimension erreicht.

Zudem ist der vermehrte Einsatz gentechnisch veränderter Tiere für die seit Jahren steigenden Tierversuchszahlen mitverantwortlich. Bislang zeichnet sich leider keine Änderung dieses Trends ab. Der Bundesverband setzt auf die Entwicklung und Anwendung tierfreier Verfahren auch in diesem Forschungszweig.


Knockout, Knockdown und Ersatzverfahren

Das Grundprinzip der Knockout-Technik besteht darin, einzelne Gene 'abzuschalten'. Gene stellen im Organismus die 'Bauanleitung' für Proteine, also Eiweiße, dar. Wenn sie nicht mehr funktionieren, können bestimmte Eiweiße in der Zelle nicht gebildet werden. Je nach Gen, welches deaktiviert wurde, können die Folgen für das Tier dramatisch sein (z. B. tödliche Immunschwäche) oder auch nur wenig einschränkend.

Das Ziel dabei ist herauszufinden, welche Funktion ein bestimmtes Gen hat bzw. was passiert, wenn es deaktiviert wird. Ein weiteres Ziel ist die Erstellung von Knockout-Mäusen mit definierten 'abgeschalteten' Genen, um diese Tiere in Versuchen einzusetzen. Mäuse, bei denen z. B. ein 'Tumor-Suppressor-Gen' als natürlicher Abwehrmechanismus gegen die Entstehung von Krebs nicht mehr funktioniert, entwickeln Tumoren und werden in der Krebsforschung eingesetzt.

Um Knockout-Mäuse zu erzeugen, werden Stammzellen von wenige Tage alten Maus-Embryonen verwendet. In einer solchen Zelle wird dann das Ziel-Gen mit gentechnischen Methoden deaktiviert. Nach Reinjektion der veränderten Zelle in einen (anderen) Maus-Embryo und durch Weiterzucht der auf diese Weise erzeugten Mäuse erhält man die Knockout-Tiere.

In vielen Fällen klappt der Knockout nicht wie gewünscht. Die Mäuse sind nicht lebensfähig oder tragen die gewollte Veränderung nicht im Erbgut. Solche Tiere werden meistens getötet. Wie hoch die Zahl dieser 'Fehlversuche' ist, wird nirgends erfasst. Bei anderen Säugetieren als Mäusen misslingt der Knockout fast immer.

Knockdown-Technik
Ein Verfahren, das ebenfalls die Produktion bestimmter Eiweiße im Organismus verhindern soll, ist die Knockdown-Technik. Hierbei wird nicht die 'Bauanleitung' - also das Gen - für das entsprechende Eiweiß blockiert. Sondern spezielle Substanzen (sogenannte siRNA -small interfering RNA), die dem Tier injiziert werden, sollen an verschiedenen Stellen in den Herstellungsprozess des Proteins in der Zelle eingreifen und die Herstellung unterbinden. Da die injizierten Substanzen vom Organismus abgebaut werden, müssen sie regelmäßig gegeben werden, sonst ist der Knockdown zeitlich begrenzt. Dieses Verfahren funktioniert in der Praxis je nach Eiweiß, das unterbunden werden soll, in unterschiedlichem Maß.

Ersatzverfahren
Um wissenschaftliche Fragen zur Funktion von Genen zu beantworten oder um in Testreihen die Wirksamkeit neuer Therapien zu überprüfen, sind Tiere nicht notwendig. Humane Zellen und Gewebe können gentechnisch verändert und Gene 'ausgeknockt' werden. So arbeiten z.B. Wissenschaftler im Gründerzentrum und im Plazenta-Labor der Friedrich-Schiller-Universität Jena daran, die Knockdown-Technik mit siRNA auch in humanen Gewebemodellen anzuwenden. Ein Organ, das in großen Mengen verfügbar ist und z. B. in der Grundlagenforschung, aber auch für Versuche mit siRNA eingesetzt werden kann, ist die menschliche Plazenta (Mutterkuchen oder Nachgeburt), die für einige Stunden nach der Geburt verwendbar ist. Innovative und intelligente Zell- und Gewebemodelle können so auch in der Genforschung Tierversuche ersetzen.


Dr. Cristeta Brause ist Tierärztin und befasst sich seit vielen Jahren mit dem Thema Tierversuche aus Sicht des Tierschutzes und der Tierrechte.

Quellen und Literaturhinweise sind auf Nachfrage bei der Redaktion erhältlich:
redaktion@tierrechte.de oder Telefon 05237-23197 90


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Quelle:
tierrechte - Nr. 52/Mai 2010, S. 10-11
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2010