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TIERHALTUNG/441: Neuland beim Tabu im Sauenstall (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 311 - Mai 2008
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Neuland beim Tabu im Sauenstall
Das Markenfleisch-Programm für artgerechte Nutztierhaltung führt die Ferkelkastration unter Betäubung ein

Von Claudia Schievelbein


Es gibt Momente im landwirtschaftlichen Produktionsablauf, über die spricht man nicht so gerne. So ein Tabu ist das Thema der Kastration von Ferkeln für die Schweinemast. Sie darf in der EU bis zum siebten Lebenstag der Schweine ohne Betäubung durchgeführt werden. Und so sieht auch die gängige Praxis aus, Bauer oder Bäuerin klemmt sich die panisch quiekenden und strampelnden Ferkelchen unter den Arm und entfernt mit schnellen Skalpellschnitten die Hoden. Da die Wundheilung bei Jungtieren sehr gut ist, verklebt die Wunde schnell, kaum Blut fließt, meist ist das Ferkel nach dem Eingriff nur ganz kurz etwas angeschlagen. Alles nicht so schlimm? Gerade neuere Studien haben wieder belegt, was der gesunde Menschenverstand dennoch weiß. Natürlich erleiden die Ferkel Schmerzen, auch wenn die Angelegenheit kein blutrünstiges Elend ist. Viel stärker noch als bei uns wird im restlichen Europa schon länger darüber debattiert, wie man den Ferkeln diese Schmerzen ersparen kann. Auch eine Arbeitsgruppe der EU-Kommission befasst sich damit. Weiter voran geschritten sind allerdings zwei Nicht-EU-Länder: In Norwegen ist die Kastration von Ferkeln ohne Betäubung bereits verboten, in der Schweiz wird dies ab Januar 2009 so sein.

Besonders vor dem Hintergrund der Debatte in der Schweiz haben sich in Deutschland die Verantwortlichen beim NEULAND-Programm für artgerechte Nutztierhaltung mit dem Thema auseinander gesetzt und beschlossen, etwas zu tun. "Wir schreiben uns den Tierschutz besonders auf die Fahnen", sagt Bernd Kuhn, landwirtschaftlicher Berater der NEULAND-Betriebe, "und in diesem Bereich hat Tierschutz bisher nicht stattgefunden, das ist in keiner Weise dem Verbraucher nahezubringen." Deshalb gibt es einen einstimmigen Vorstandsbeschluss des NEULAND-Vereins, dass ab Mai 2008 NEULAND-Ferkel nur noch unter Betäubung und mit einer dem Eingriff nachwirkenden Gabe von Schmerzmitteln kastriert werden dürfen.


Option Ebermast?

Den Tierschutz ganz vorne anstellend, fragten sich die NEULANDER zuerst, ob man denn nicht ganz auf Eingriffe verzichten könnte, auf süddeutschen Betrieben wurden Ebermastversuche durchgeführt - mit niederschmetternden Ergebnissen. Der durch Hormonausschüttung im Körper des Schweins verursachte Ebergeruch, der das Fleisch unverkäuflich macht, trat bei einem Drittel der gemästeten männlichen Schweine auf, ein weiteres Drittel war mindestens mit geringen Geruchsbeeinträchtigungen behaftet - die Wahrnehmung des Ebergeruchs ist zum Teil subjektiv - und nur ein Drittel war ganz frei vom Männerduft der Schweine. In Spanien und Großbritannien, zum Teil auch in Dänemark hat Ebermast eine gewisse Tradition, dort werden die Tiere rund vier Wochen früher, noch bevor sie stinken, geschlachtet. Damit ist aber auch das Fleisch noch "jugendlich" und entspricht zumindest für NEULAND nicht den Qualitätsanforderungen. Hinzu kommt bei der Ebermast noch etwas Anderes: Da für viele Metzger der psychologische Faktor, die Angst vor faulen Eiern im Nest, nicht zu unterschätzen ist und es auch aus Tierschutzsicht nicht akzeptabel sein kann, einen bestimmten, nicht gerade geringen Prozentsatz an Tieren großzuziehen und zu schlachten, um dann das Fleisch verwerfen zu müssen, entschied NEULAND sich gegen einen Einstieg in die Ebermast.

Man ging also doch zurück zu einem Eingriff und sondierte die verschiedenen auf dem Markt vorhandenen Verfahren. In Australien und Neuseeland ist bereits die sogenannte Immunokastration relativ weit verbreitet, zwei Impfgaben innerhalb der Mastperiode (die letzte ca. vier Wochen vor der Schlachtung) führen zur Zurückbildung des Hodens. Das funktioniert wohl ganz zufrieden stellend, allerdings ist das Präparat der Firma Pfizer in der EU noch nicht zugelassen und darf deshalb zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht eingesetzt werden. Aber selbst wenn das anders wäre, zweifelt NEULAND-Berater Kuhn an der Eignung der Methode für NEULAND-Betriebe. Er vermutet starke Verbrauchervorbehalte gegenüber der medikamentösen Behandlung kurz vor der Schlachtung.


Doch der Schnitt

Wenn man also jetzt handeln will, ist man wieder beim Schnitt mit dem Skalpell. Gegen klassische Betäubungsspritzen oder auch eine Betäubung mit CO2 sprachen für die NEULÄNDER die zeitliche Dimension. Die Tiere wären mehrere Stunden ausgeknockt, Stunden, in denen sie in ihrem ja noch zarten Alter mehrmals an der Sau säugen müssten und zu stark an Körpertemperatur verlieren würden. Das andere Extrem wäre eine reine Schmerzmittelgabe oder örtliche Betäubungen. Untersuchungen haben ergeben, dass das für das Ferkel kaum weniger Stress, unter Umständen auch nicht weniger Schmerzen (Injektionsschmerz, falsche Dosierung, zu geringe Wartezeit) bedeutet als die unbetäubte Kastration.

Was bleibt, ist eine Schweizer Entwicklung, die dort gerade Eingang in die Praxis findet und für die sich nun auch NEULAND in Deutschland entschieden hat. Die Firma Agrocomp hat eine mobile Narkosestation entwickelt, in der parallel zwei Ferkel gleichzeitig in Halterungen fixiert werden und dann mit der Nase in Betäubungsmasken stecken aus denen sie das Gas Isofluran einatmen. Isofluran wird in der Tiermedizin als Narkosegas eingesetzt. Es versetzt die Ferkel schon nach etwas mehr als einer Minute in Schlaf, hält aber auch nur einige Minuten an, so dass die Tiere bereits zwei, drei Minuten nach der Kastration wieder munter sind.

Dieser Umstand ist für den NEULAND-Sauenhalter Jan Gerstenmayer das Beeindruckendste an dem System. Auf seinem Hof wurde die schweizerische Anlage von NEULAND ausprobiert. "Meine größte Sorge war, dass die Ferkel nicht wieder aufwachen, zwei, drei Stunden benebelt in der Bucht sitzen, außerdem dass alles so lange dauert", sagt Gerstenmayer. All dem war nicht so, deshalb kommt er zu dem Schluss, dass die Methode praxisgerecht sei. Hinzu kommt für den Bauern der positive Nebeneffekt der Ruhe im Stall. Das sei ein angenehmeres Arbeiten, wenn kein Ferkel quiekt und darauf die Sauen nicht in Unruhe geraten, so Gerstenmayer.


Neue Märkte erschließen

NEULAND wird nun mit vier Geräten, die über die Betriebe reisen, anfangen, auch wenn noch nicht alle Fragen geklärt sind "Wenn es erst alle machen, brauchen wir es nicht mehr", sagt Gerstenmayer. Getüftelt wird noch daran, wie das Gas, das zunächst gefiltert in die Außenluft entlassen wird, wieder recycled werden kann, auch weil Isofluran ein Klimakiller ist. Es wird ein Tierarzt mit dem Gerät unterwegs sein, was derzeit noch zwingend ist und die Sache verteuert. Mit 4 bis 5 Euro Kosten pro Ferkel rechnet Berater Kuhn, eine dreimonatige Versuchszeit, in der wahrscheinlich mit der Universität in Göttingen kooperiert wird, soll Fakten bringen. "Wir erhoffen uns damit auch die Erschließung neuer Marktsegmente", sagt NEULAND-Bundesgeschäftsführer Jochen Dettmer, so dass das Fleisch nicht zwangsläufig teurer werden muss. Entscheidender ist, dass NEULAND sehr bewusst in einer Frage vorangeht, die für die Glaubwürdigkeit von mit höherer Qualität werbenden Programmen essentiell ist und sogar auch für die breite Masse der Produktion eher über kurz als über lang Thema werden wird. In Holland, einem Absatzmarkt für 100.000 Tonnen deutsches Schweinefleisch, will der Handel ab 2009 nur noch betäubte Kastrationen, Mc Donalds und Burger King stecken dort jetzt schon nur solches Fleisch in ihre Burger. Und EU-Reglementierungen sind eigentlich nur noch eine Frage des Wann, kaum noch des Ob. Alles Grund genug für NEULAND, Neuland zu betreten und - zumal es eben auch eine Verbesserung der bäuerlichen Arbeitsqualität ist - wieder zu Pionieren einer guten Sache für Mensch und Tier zu werden.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 311 - Mai 2008, S. 3
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juni 2008