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TIERHALTUNG/497: Unter Eichen wachsen die besten Schinken ... (PROVIEH)


PROVIEH Heft 4 - Dezember 2009
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Unter Eichen wachsen die besten Schinken ...
Die Wiederbelebung der artgerechten Haltung von Schweinen im Wald

Von Hans Huss


Die Geschichte der Domestikation von Schweinen - also ihrer Züchtung und Haltung als Haustier - ist untrennbar mit ihrer Beweidung in Wäldern und Hainen verbunden. Denn durch die Verfütterung von Baumfrüchten, die für die menschliche Ernährung nicht oder kaum geeignet sind, konnte eine unmittelbare Nahrungskonkurrenz zwischen Mensch und Schwein im Wesentlichen ausgeräumt werden. Zudem war das Schwein für die menschliche Ernährung überaus wichtig, da es - wie kaum ein anderes Tier - eine große Menge an hochwertigem Fett lieferte, eine lebenswichtige Ernährungskomponente unserer Vorfahren, da leistungsfähige Pflanzen zur Ölproduktion noch nicht zur Verfügung standen. Deshalb hielt man Schweine im Frühjahr in den Auen, die durch die Überschwemmungen reich an tierischem Eiweiß (Amphibien) und pflanzlichem Futter waren. Im Herbst zog man mit den Tieren in die Wälder, um die Baumfrüchte zu nutzen. Die Mast der Tiere war damals so wichtig, dass der Wert eines Waldes bis ins 19. Jahrhundert hinein nicht in seinem Holzwert gemessen wurde, sondern sich an der Zahl der Schweine orientierte, die man darin mästen konnte.

Mit der Entwicklung von Verfahren zur industriellen Lebensmittelerzeugung, wie etwa der Molkereitechnik im 19. Jahrhundert und der flächendeckenden Einführung des Kartoffelanbaus, standen nun Futtermittel in großen Mengen zur Verfügung, die eine reine Stallhaltung ermöglichten. So verschwand allmählich die arbeitsintensivere Waldbeweidung in Mitteleuropa - lediglich in Spanien ("Dehesa") und Kroatien (Auenbeweidung an der Save) konnte sich diese Tradition bis heute in nennenswertem Umfang fortsetzen.

Mit der Waldweide verschwanden letztlich auch die Waldhirten und mit ihnen das - nahezu ausschließlich mündlich überlieferte - Wissen über diese spezifische Haltung und die besonderen Bedürfnisse der Tiere.

1999 versuchte ich im Rahmen meiner Diplomarbeit die wenigen vorhandenen, meist kulturhistorischen Quellen und Bilder hinsichtlich dieses Haltungssystems auszuwerten und aufzubereiten. Mein Ziel war dabei zu untersuchen, ob es aus heutiger Sicht sinnvoll sein könnte, das tiergerechte Haltungsverfahren "Schweinemast im Wald" zu reaktivieren. Die vorhandenen Quellen zeigten durchaus Ansätze für eine erfolgversprechende Waldhaltung. Allerdings fehlten noch einige praktische Erfahrungswerte, welche schließlich im Rahmen des Pilotprojektes "Hutewaldbeweidung mit Schweinen" auf einem 2,5 ha großen Waldstück mit knapp 20 Schweinen erbracht werden konnten. Die Ergebnisse waren zwar vielversprechend, allerdings zeigte sich, dass eine wirtschaftlich vertretbare Beweidung erst in größerem Umfang möglich sei. Zu diesem Zweck wurde 2006 ein Waldstück mit mehr als 20 ha gezäunt, auf dem heute bis zu 180 Schweine im Herbst weiden.


Saisonale Beweidung

Die Waldbeweidung erfolgt nur im Herbst. Zu anderen Jahreszeiten ist hier kaum geeignetes Futter für die Schweine vorhanden, so dass für eine ausreichende Versorgung in erheblichem Maße zugefüttert werden müsste. Somit ist die Beweidung innerhalb der Gehölze auf die Zeit von Ende August bis Mitte Dezember beschränkt. Die Fruchtbildung der Eichenbestände schwankt jährlich aufgrund verschiedener Einflüsse wie Witterung oder auch Schädlingsbefall. Dennoch ist auch in Jahren mit nur geringem Eichelertrag eine Zufütterung der Schweine lediglich als Ergänzung notwendig, da der wesentliche Teil der Futterration weiterhin von Waldprodukten wie Kräutern, Insekten, Würmern und Gräsern gedeckt wird.

Für die Waldweide sind nicht alle Tiere geeignet. Die Erfahrung zeigt, dass Tiere aus Stallhaltung starke Anpassungsprobleme haben und erst nach einiger Zeit in der Lage sind, die teilweise beträchtlichen Wegstrecken zu laufen. Sehr gut eignen sich für die Zucht alte Haustierrassen wie etwa Bunte Bentheimer, die für eine Freilandhaltung robust genug sind. Derzeit verwenden wir höchst widerstandsfähige, reinrassige Schwäbisch-Hällische Landschweine, welche für uns gezielt gezüchtet werden. Diese leben zunächst etwa sechs Monate im nördlichen Oberbayern auf einer Obstwiese mit Liegehallen. Nach dieser Vormast kommen die Schweine schlachtreif in unseren Wald und durchlaufen im Herbst eine Veredlungsmast bis zur Schlachtung im Dezember.


Praktizierter Tierschutz

Traditionell hatte die Haltung von Waldschweinen genau wie die allgemeine Schweinezucht wenig mit der heutzutage üblichen industriellen Mast, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Tiere, gemein. Die Schweine - sowohl Zucht- als auch Mastschweine - lebten im Freien, in Wäldern oder Auen in Gruppen mit natürlicher Herdenstruktur. Da hier noch keine industriellen Futtermittel zur Verfügung standen, mussten sie sich ihr Futter selbst suchen. Die Tiere konnten folglich ihre natürlichen Triebe beim Fressen, der Körperpflege und im Sozialverband bei Wind und Wetter mit viel Bewegung ausleben. Genau diese Grundbedingungen einer artgerechten Waldbeweidung konnten in einem Eichenwald in Franken wieder hergestellt werden, so dass die Schweine ihre ursprünglichen Verhaltensweisen wieder annehmen können.

Die Tiere begeben sich tagsüber auf Futtersuche, wühlen im Boden und nehmen dabei unterschiedlichste Nahrungskomponenten auf. So gehören neben Eicheln und Kräutern auch Insekten, Würmer, Mäuse, Baumrinde, Moose und Wurzeln wieder zum Speiseplan. Fressphasen werden durch Schlammbäder in der Suhle und Scheuern an den Bäumen zur Körperpflege unterbrochen. Dabei ziehen kleine Gruppen mit fünf bis fünfundzwanzig Tieren durch den Wald, was den ursprünglichen Verhaltensformen von Wildschweinrotten entspricht. Diese natürliche Lebensart ermöglicht den Waldschweinen entsprechend viel Freilauf und Bewegung und produziert zudem hervorragendes Fleisch, das insbesondere Spitzenköche zu schätzen wissen.


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Quelle:
PROVIEH Heft 4, Dezember, 2009, Seite 20-22
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2010