Schattenblick →INFOPOOL →TIERE → TIERSCHUTZ

TIERHALTUNG/507: Artgerechte Haltung von Fleischkaninchen in Freilaufgruppen (PROVIEH)


PROVIEH Heft 1 - März 2010
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Reine Privatsache! Artgerechte Haltung von Fleischkaninchen in Freilaufgruppen

Von Verena Bechen


Kaninchen werden in Deutschland als Kuscheltiere, ihrer Schönheit oder auch ihres Fleisches wegen gehalten. Die einen lieben die Mümmler als possierliche Hausgenossen und schaudern beim leisesten Gedanken daran, einem "Hasen" das Fell über die Ohren zu ziehen. Andere wiederum mästen Kaninchen in industrieller Intensivhaltung als Massenprodukt für die Fleischtheken der Discounter. Doch es gibt auch Menschen, die Kaninchen extensiv in privater Zucht halten, weil ihnen das zarte Fleisch gut schmeckt.

Kaninchenzucht und -mast ist in Deutschland ein weit verbreitetes Hobby. Rund 180.000 Rassezüchter sind in Kaninchenzuchtvereinen organisiert. Die meisten halten ihre Mast- und Zuchtkaninchen nach wie vor in stapelbaren Holzboxen, sogenannten Buchten. Das allerdings ist für die Bewegung liebenden, hoch sozialen Tiere alles andere als artgerecht.

Wie man es besser machen kann, zeigt eine Hobbylandfrau im Schwarzwald. Frau M. hält zum Eigenverzehr auf ihrem Gestüt Deutsche Riesen Schecken, eine gängige, schwarzweiß gescheckte Fleischkaninchenrasse. Die auf dem gepflegten Anwesen munter frei herumlaufenden Schecken sind eine Attraktion für Besucher und Kunden. Der Hof der Gutsherrn-Familie M. ist von weitläufigen Wiesen und Pferdekoppeln umgeben. An schönen Tagen während der Vegetationsphase sieht man die Freilaufkaninchen direkt neben der Hofeinfahrt grasen. 20 bis 30 Tiere leben zusammen auf der Wiese vor dem Haupthaus.

"Für Hofbesucher sind unsere prächtigen Schecken immer ein Hingucker. Viele wollen gleich ein Häschen mitnehmen." berichtet Frau M., die ihre Tiere den ganzen Sommer mit frischem Gras und Kräutern füttert. Medikamenteneinsatz wie in der industriellen Mast gibt es nicht. So hart es klingt: "Zeigt ein Tier Krankheitssymptome, wird es getötet. Eine spezielle Behandlung einzelner Tiere kann allein aus zeitlichen Gründen nicht stattfinden." Auch Kaninchen, die im Freiland Tunnel zu graben anfangen, werden aus der Gruppe entfernt. Zudem gibt es hin und wieder ausgesprochen angriffslustige Tiere, die tödliche Bisse in Bauch und Genitalien austeilen, oder extrem ängstliche Kaninchen, deren Panik die gesamte Gruppe in Stress versetzt. Auch diese müssen raus. Wichtig für die Halter ist, solche ernsthaften Störungen von den üblichen, ungefährlichen Revier- und Rangordnungsstreitigkeiten in der Freilaufgruppenhaltung zu unterscheiden. Dazu gehört viel Erfahrung.

Die Kaninchen leben in einer großen Scheune in einer ehemaligen Pferdebox von vier mal vier Meter und einem angeschlossenen 400 m² großen Freigelände. Ein Weidewechsel findet nicht statt. Der Boden der Pferdebox ist leicht mit Stroh eingestreut. Das Inventar besteht aus einer Futterkrippe, wie sie auch Rehen im Wald angeboten wird. Dort und in der gesamten Pferdebox werden Frischgras, Heu, Karotten und Äpfel ausgelegt. Eine weitere Strukturierung des Raumes, zum Beispiel durch verschiedene Ebenen, ist in diesem Offenstall nicht vorhanden.

Das Freigelände ist mit einem 140 cm hohen Maschendrahtzaun eingegrenzt. Ein Marder könnte sich allerdings am Zaun oder den gemauerten Pfosten mühelos hoch hangeln. Dieses Sicherheitsdefizit wird dadurch etwas abgemildert, dass das Freigelände zwischen dem Hof und einer Straße liegt. Frau M. erzählt: "Es ist sehr selten, dass sich ein Marder oder ein anderer wilder Räuber tagsüber hier blicken lässt, aber eine Garantie gibt es nicht. Bevor die Kaninchen vor drei Jahren in das Freigelände direkt zwischen Hof und Straße gezogen sind, waren die Tiere in einem abgelegenen Teil unterhalb der Hofgebäude Richtung Wald untergebracht. Eines Tages kam ein Fuchs und hat alle "Häschen" geholt, eines nach dem anderen."

Die Nacht verbringen die Schecken von Frau M. in der sicheren Scheune. "Morgens öffne ich die Scheune, so dass die Kaninchen nach draußen auf die Weide können. Bei Einbruch der Dämmerung hoppeln die Kaninchen wieder rein, und ich schließe das Tor. Das klappt gut, weil die Tiere am Abend ihre Getreideration bekommen. Früher hatte ich nur die Häsinnen (Zibben) mit ihren Jungen im Freilauf. Der Rammler war in einer Bucht allein untergebracht. Seit Kurzem darf er zusammen mit den Häsinnen hinaus. Ich bin überrascht, wie harmonisch das abläuft. Einmal haben fünf Zibben gleichzeitig in einem Strohberg in der Mitte der Pferdebox ein kollektives Nest angelegt. Da lagen dann ca. 25 Kaninchenbabys auf einem Haufen. Alle haben sich gut entwickelt, wobei ich nicht sagen kann, wie sich die Häsinnen das mit dem Säugen aufgeteilt haben, weil ich die Nestruhe nicht stören wollte."

Kaninchen derart tiergerecht in einer integrierten Stall- und Freilandhaltung aufzuziehen ist leider noch die Ausnahme bei den rund 180.000 Züchtern in Deutschland. Bis sich das ändert, wird der Verzehr von artgerecht erzeugtem Kaninchenfleisch bleiben müssen, was er für Familie M. ist: Reine Privatsache.


*


Quelle:
PROVIEH Heft 1, März, 2010, Seite 40-41
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0
Telefax: 0431/248 28-29
E-Mail: info@provieh.de
Internet: www.provieh.de

PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. April 2010