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TIERHALTUNG/509: "Bauernhahn statt Turbohuhn" - neue Kampagne von PROVIEH (PROVIEH)


PROVIEH Heft 2 - Juni 2010
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

"Bauernhahn statt Turbohuhn" - neue Kampagne von PROVIEH

Von Stefan Johnigk


Wir befinden uns im Jahre 2010 n. Chr.. Ganz Deutschland ist von der Geflügelindustrie besetzt... Ganz Deutschland? Nein! Eine wachsende Schar unbeugsamer Hühnerfreunde hört nicht auf, dem Imperium Widerstand zu leisten. Sie gehen mit gespornten Bauernhähnen und kräftigen Bürgerhennen gegen die Legionen schwächlicher Turbohühner vor. Und täglich werden es mehr...



Das Turbohuhn

Die Lust auf Eier und Hühnerfleisch wächst weiter. Die Hühnerhaltung ist fest in der Hand der Geflügelindustrie. Für die Hühner bedeutet das ein Leben in drangvoller Enge, bei Kunstlicht und ohne Möglichkeiten, ihre natürlichen Verhaltensweisen ausleben zu können. Außerdem leiden sie massiv an den Folgen der Hochleistungszucht. Für die Fleischproduktion gezüchtete Hühner wachsen so schnell, dass Knochen und Gelenke mit dem Zuwachs an Muskelmasse nicht mehr mithalten können. Wenn es dagegen ums Eierlegen geht, werden nur die Hennen gebraucht. Die männlichen Geschwister der Turbo-Legehennen sind für die industrielle Fleischproduktion unwirtschaftlich. Deshalb werden allein in Deutschland pro Jahr rund 40 Millionen Küken vernichtet. Der Markt verlangt billige, schnell wachsende oder extrem viele Eier legende Turbohühner.



Der Bauernhahn

Früher war es üblich, von derselben Hühnerschar die Hennen zum Eierlegen zu nutzten und die Hähne zum Braten. Einige dieser alten Hühnerrassen - so genannte Zweinutzungshühner - gibt es noch, doch sie sind vom Aussterben bedroht. Stolze Hähne sind selbst in der artgerechten Hühnerhaltung selten geworden. Dabei sind sie wichtig für die Hennen, denn sie schlichten Konflikte und erfüllen wichtige soziale Bedürfnisse. Angeborene Verhaltensweisen kann man nicht verdrängen. Das gilt auch für Hennen und Hähne. Glück ist für sie, sich im Sonnenlicht zu aalen, im Staub zu baden, nach Hühnerart zu ruhen und nach Herzenslust im Grünen zu scharren, zu picken und zu fressen. Wenn Menschen für ein gutes Leben Hühner nutzen wollen, dann müssen sie diesen Tieren auch ein glückliches, artgemäßes Leben bieten.

Jetzt erhältlich: Die Postkarte zur Kampagne

Jetzt erhältlich: Die Postkarte zur Kampagne


Glückliche Hühner - neue PROVIEH-Kampagne

PROVIEH sagt: "Wer glückliche Hühner will, muss sich selbst darum kümmern." Doch was heißt "sich zu kümmern"? Soll jetzt jeder wieder selbst Hühner halten? Sicher wäre das spannend - sogar in Hamburg und Manhattan werden wieder Hühner gehalten. Aber mit Rücksicht auf die Hühner, die Nachbarn, den Platz und den Geldbeutel sollte "sich zu kümmern" natürlich im Rahmen des Möglichen bleiben.

• "Sich kümmern" kann zum Beispiel einfach heißen, sich zu informieren. Viele Menschen ändern ihr Verhalten, wenn sie erst einmal einen Blick hinter die Kulissen werfen konnten. Dabei hilft PROVIEH ihnen gerne.

• "Sich kümmern" heißt auch, Produkte aus artgerechter Hühnerhaltung wertzuschätzen. Glückliche Hühner sind kostbare Hühner - und das in jeder Hinsicht, denn ihre artgerechte Haltung bedarf sehr viel mehr Hege und Pflege. PROVIEH will diese Wertschätzung fördern.

• "Sich kümmern" kann aber selbstverständlich auch bedeuten, wieder selbst Hühner zu halten. Etliche Menschen tun das schon und sind begeistert. Mit seiner neuen Kampagne will PROVIEH diese Begeisterung schüren und möglichst ansteckend machen. Unser Ziel ist:



Hühner raus aus der Industrie

Wir dürfen die Hühner nicht länger der Industrie überlassen. Wir wollen sie als Bauernhähne und Bürgerhennen zurück auf die Höfe und in die Gärten holen. Wie das geht und wo es schon gelebt wird, will PROVIEH in seiner neuen Kampagne zeigen und verbreiten.

Die Auftaktveranstaltung am 27. Mai 2010 fand daher auf dem Hof eines Hühnerzüchters statt, der in vielen Punkten weit über die in der Bio-Hühnerhaltung üblichen Standards hinausgeht. Den zahlreichen Gästen - darunter auch Bauern, Kommunalpolitiker und Vertreter von 10 Bürgerinitiativen - zeigte Niels Odefey aus Uelzen anschaulich, was Hühnern ein möglichst artgerechtes und gutes Aufwachsen ermöglicht.

Langsam wachsende Hühnerrassen gehören noch längst nicht zum 'alten Eisen'

Langsam wachsende Hühnerrassen gehören noch längst nicht zum "alten Eisen"

Der NEULAND-Bauer setzt ausschließlich langsam wachsende, robuste Hühnerrassen ein. Turbohühner, wie sie bei Wiesenhof und leider auch auf zahlreichen Biobetrieben üblich sind, kommen ihm nicht auf den Hof. Rund 100 Tage statt der üblichen 35 bei konventionellen oder 70-90 bei Biohaltern dürfen seine Hühner wachsen. Nur maximal 500 Hühner leben in einer Herde zusammen. Die selbst entwickelten transportablen Ställe suchen die Hühner für die Übernachtung auf. Die meiste Zeit verbringen sie im Freiland unter natürlichem Busch- und Baumbestand mit Futtersuche, Sonnenbaden und Gefiederpflege. Um anschaulich zu machen, dass Hühner ihren Bedürfnissen nach eher Waldvögel und keine Steppentiere sind, versetze er einen Maststall kurzerhand in die Deckung des hofeigenen Eichenwalds. Dort sind die "Bauerngockel" bestens vor dem Habicht geschützt. Auch bei der Aufzucht eigener Küken und bei der schonenden Hofschlachtung setzt Odefey eigene Maßstäbe - "besser als bio" lautet sein selbst gewählter Anspruch. Aus Protest gegen die immer größer werdenden Hühnerherden vieler Bio-Kollegen montierte er demonstrativ vor den Augen der Gäste das Bioland-Schild vom Hofeingang ab. Nach 23 Jahren als streitbarer Biobauer mag Odefey nicht länger offiziell bio-zertifiziert sein.

Hühner sind ihrem Ursprung nach eher Waldvögel und keine Steppentiere

Hühner sind ihrem Ursprung nach eher Waldvögel und keine Steppentiere

Als praxistaugliche Alternative für die artgerechte, gewerbliche Haltung von Legehennen stellte Iris Weiland das "Hühnermobil" vor. Hühner fressen für ihr Leben gerne Grünzeug. Hält man die Tiere im Freiland immer auf derselben Fläche, ist der Auslauf bald wüst wie eine Steppe. Zudem sammelt sich der Hühnerkot auf der Freifläche an. Er kann Krankheitserreger und Parasiten in der Herde verbreiten. Deshalb ist es für eine wirklich artgerechte Hühnerhaltung unabdingbar, die Weideflächen der Tiere regelmäßig zu wechseln. Nur so kann sich die Pflanzendecke regenerieren, der Kot verteilen und der Infektionsdruck wirksam verringert werden.

Nicht nur die Hühner sind glücklicher im mobilen Stall. Auch die Halter und ihre Kunden sind sehr zufrieden mit den "Camping-Hühnern" und ihren Eiern der Premium-Klasse. "Hühnermobil Eier schmecken besonders lecker und haben eine intensiv gelbe Dotterfarbe durch das viele Grünzeug, was die Tiere im Auslauf fressen.", freut sich eine Nutzerin. Ein anderer Halter berichtet: "Auf die Frage der Amtsveterinärin nach der Medikation der Tiere konnte ich ihr sagen, dass im gesamten Legedurchgang keine Medikamente eingesetzt werden mussten. Die Tiere waren und sind völlig gesund." Doch erfordert diese Haltungsform nicht viel zu viel Agrarfläche? Iris Weiland lacht: "Nicht, wenn man die mobile Legehennenhaltung in die Fruchtfolge auf den Ackerflächen integriert. Das ist auch gesund für den Boden."

Mobilstall

Mobilstall

"Give me five" - vier Hennen und ein Bauernhahn in jeden Garten.

Wer selbst Hühner bei sich zuhause hält, weiß aus Erfahrung: Entscheidend für ihr Wohlergehen ist nicht allein die Haltungsform oder der Stallbau, sondern wie gut für die Tiere gesorgt wird. Auch zuhause gehören Hühner ins Grüne, zum Beispiel auf eine Streuobstwiese oder in einen abwechslungsreich Deckung bietenden Garten. Mobile Kleinställe eignen sich sehr gut als Unterkunft für eine kleine Hühnergruppe von vier Hennen und einen Hahn. Wenn die Pflanzendecke im Auslauf abgeweidet ist, kann man den Stall leicht in einen frischen Auslauf versetzen. Der Stall selbst dient als Nachtlager, zur Eiablage und als Schutz vor schlechtem Wetter.

Mobiler Stall für den eigenen Garten

Mobiler Stall für den eigenen Garten

Zwei Beispiele konnten die Gäste bei der Kampagneneröffnung vor Ort begutachten. Ralf Müller, der selbst jahrelang als Biobauer aktiv war, will mit seinen nach Bioland-Richtlinien bemessenen, mobilen Hühnerhäusern das Huhn wieder salonfähig machen. Sein Stall im Schwedenstil ist mit allerhand technischen Raffinessen ausgestattet, zum Beispiel einem Licht gesteuerten automatischen Türöffner. Er ist leicht zu handhaben, gut zu säubern und bietet durch die Möglichkeiten zur Wasser- und Futterbevorratung ein hohes Maß an Autonomie. Das macht ihn auch für Schulen, Kindertagesstätten und soziale Einrichtungen interessant - vorausgesetzt, eine Auslauffläche ab 100 m² ist verfügbar. Ein weiteres Modell für einen gartentauglichen, mobilen Hühnerstall stellte Jens Henning von Manufactum vor. Im Innern des äußerst solide gebauten Stalls befinden sich gegenüber dem Fenster eine Sitzstange mit Kotbrett und ein Doppelnest. Über eine Hühnerleiter im Stallboden gelangen die Hühner zunächst in einen kleinen, verschließbaren Auslauf, durch dessen Tür sie weiter in die umzäunte Freifläche schlüpfen können. Auch dieser Stall ist als Unterschlupf für maximal 5 Hühner, nicht aber als Daueraufenthalt gedacht. Den Tag sollen die Tiere im Freiland verbringen und nur für die Eiablage oder die Nachtruhe den Stall aufsuchen. Beide Mobilställe werden von ihren Entwicklern nach den Erfahrungen der Hühnerhalter weiter entwickelt. PROVIEH steht ihnen dabei gerne mit Anregungen und Nutztierschutz-Fachwissen zur Seite.

Blick ins Innere eines Mobistalls

Blick ins Innere eines Mobistalls


Bürgerlicher Widerstand

Am Kampagnenauftakt nahmen auch Vertreter von zahlreichen Bürgerinitiativen (BIs) gegen Hühnermastanlagen teil. Eine Schlüsselrolle kommt dem bürgerlichen Aufbegehren gegen einen geplanten Großschlachthof für Mastgeflügel in Wietze zu. Die mittlerweile über 700 Mitglieder starke Initiative will das Aller-Leine-Tal erhalten und kämpft dafür, den Schlachthof der Firma Emsland Frischgeflügel mit seinen Folgen für die Region verhindern. Um in Wietze wie geplant rund 135 Millionen Masthühner pro Jahr zu schlachten, müsste der Geflügelindustrielle Rothkötter 150 Lohnmäster aus der Bauernschaft einwerben, die neue Intensiv-Mastanlagen in der Region errichten. Der BI Wietze kommt im Kampf gegen Agrarfabriken in der Hühnermast eine ähnliche überregionale Symbolkraft zu wie der BI Haßleben gegen die industrielle Sauenhaltung und Schweinemast. PROVIEH will mit seiner Kampagnenarbeit diesen Widerstand unterstützen.

'Husch, husch' unter'n Hollerbusch: Hühner wollen Deckung vor dem Habicht!

"Husch, husch" unter'n Hollerbusch: Hühner wollen Deckung vor dem Habicht!


Politischer Rückenwind notwendig

Bei der Auftaktveranstaltung und dem anschließenden Ausklang im Gasthof Meuchefitz - einem Zentrum der bundesweiten Anti-Atom-Bewegung - traf PROVIEH auch Mitglieder des Kreistages Lüchow-Dannenberg. In einem fraktionsübergreifenden Bündnis, der "Gruppe X", hatte sich dort eine Mehrheit der Kreistagsmitglieder gegen die Errichtung neuer Industrieställe im Landkreis ausgesprochen. Das ist ein ermutigendes Signal für die Mitglieder aller anderen Landkreise, in denen ebenfalls ein weiterer Ausbau der industriellen Intensiv-Tierhaltung droht. So hängt zum Beispiel im Kreistag Holzminden, wo der Frischkäse-Riese Petri eine gewaltige Ziegen- Massentierhaltung aufbauen will, die Zustimmung für das Industrieprojekt an einer hauchdünnen Mehrheit. PROVIEH will die Motive und Erfahrungen der Kreistagsmitglieder aus der "Gruppe X" für andere Kommunalpolitiker nutzbar machen und bietet an, entsprechende Kontakte zu vermitteln. Die wachsende Bürgerbewegung gegen Agrarfabriken braucht politischen Rückenwind von ihren gewählten Vertretern in den Parlamenten. Die Kampagne "Bauernhahn statt Turbohuhn" wird auch dazu einen Beitrag leisten.

Mitglieder, die bereits selber Hühner halten, sind herzlich eingeladen, sich bei PROVIEH zu melden und von ihren Erfahrungen zu erzählen.


© 2010 für Text und Fotos: PROVIEH


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Quelle:
PROVIEH Heft 2, Juni, 2010, Seite 6-11
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0, Telefax: 0431/248 28-29
E-Mail: info@provieh.de
Internet: www.provieh.de

PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2010