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TIERHALTUNG/554: Medikamenteneinsatz - Wie das kranke System heilen? (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 356 - Juni 2012
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Wie das kranke System heilen?
Der Medikamenteneinsatz in der Tierhaltung muss vom Tier aus gedacht werden

von Claudia Schievelbein



Der Vorwurf des massiven Antibiotika-Missbrauchs in der Tierhaltung steht im Raum. Um im öffentlichen Ansehen nicht zu Steigbügelhaltern der Massentierhaltung zu werden, müssten Tierärzte sich eigentlich bewegen. Die zentrale Interessensvertretung der Tierärzteschaft, die Bundestierärztekammer, tut das, wenn überhaupt, nur vorsichtig, wenn sie die Debatte nur mit "einzelnen schwarzen Schafen" kommentiert. Bei der Suche nach Lösungsmöglichkeiten hält man sich dezent zurück, Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigners unkonkrete Minimierungsforderungen werden genauso unkonkret begrüßt. Lediglich der Bundesverband der beamteten Tierärzte, in dem alle die organisiert sind, die im öffentlichen Dienst arbeiten, lehnt sich etwas weiter aus dem Fenster. Er fordert eine bessere Verwaltung der sowieso von jedem Tierarzt bei jeder Behandlung erhobenen Daten, die dann in ein Ampelsystem münden sollen. Auffällige, weil viel Arznei verwendende Ärzte wie auch landwirtschaftliche Betriebe sollen zunächst einen gelben Vermerk im System und bei Nichtregulierung der Missstände einen roten und damit behördliche Überprüfungen auferlegt bekommen. Anita Idel als Vertreterin der Arbeitsgemeinschaft kritische Tiermedizin begrüßt diesen Vorstoß. Sie sieht die Notwendigkeit, Transparenz in ein bislang undurchsichtiges Dokumentationssystem zu bringen. "Die Daten werden alle erhoben, wann, welches Tier wieviel warum bekommt", so Idel, "aber die behandelnden Tierärzte hantieren mit Papier und die behördlichen Kontrollen beschränken sich später darauf zu überprüfen, ob die Formulare vollständig ausgefüllt sind." Es finde bislang keinerlei Zusammenfassung und Auswertung der Daten, geschweige denn daraus resultierende Überprüfungen oder Sanktionierungen statt.


Was tun?

Mit der Auswertung ließen sich die Missstände des Antibiotikaeinsatzes nachweisen. Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, wie man dem beikommt. Freunde schärferer Schnitte forderten nach dem Bekanntwerden jener Studien aus NRW und Niedersachsen, die einen massenhaften Einsatz von Medikamenten in der vermeintlich modernen Geflügelproduktion aufzeigten, die Abschaffung des Dispensierrechts für Tierärzte. Dieses 150 Jahre alte Privileg erlaubt den Tierärzten die Führung einer Hausapotheke und - anders als im Humanbereich - den Verkauf von Medikamenten. Kurioserweise wurden zwei Petitionen in den Bundestag eingebracht und werden dort bearbeitet - eine für den Erhalt und eine für die Abschaffung des Rechts. "Mit Medikamenten wird Geld verdient", konstatiert Elke Mayr, Tierärztin in Schleswig-Holstein. In ihren Augen sind es nicht nur wenige schwarze Schafe, die mangelnde Tierbetreuung und -behandlung mit der Abgabe von Medikamenten an die jeweiligen Tierhalter kompensieren und damit den besseren Schnitt machen. "Für ein krankes Schwein steht doch heute nachts keiner mehr auf", so Mayr, das habe auch damit zu tun, dass der Bauer das auch immer weniger anfordere, weil es sich für ihn nicht rechne. Darin sieht sie ein viel größeres Übel, zu der die tierärztlichen Berufsverbände betreten schwiegen und das mit der Abschaffung des Dispensierrechts nicht behoben werde. Das Argument, wenn die Tierärzte keine Antibiotika mehr verkaufen dürften, verordneten sie weniger, macht die Tiere nicht gesünder. Eine Strukturentwicklung hin zu größeren Praxen, die es sich leisten können, einen eigenen Apotheker zu beschäftigen, und dann kaum ihre Verordnungspraxis änderten, wäre eine Folge. Eine andere, dass Bauern und Bäuerinnen nachts und am Wochenende die vielleicht nicht ganz nahe notdiensthabende Apotheke unter Umständen dann eben nicht anfahren, um das benötigte Medikament zu besorgen, weil es sich nicht rechnet. "Das heißt für die Kuh doch: Nur wer ganz wertvoll ist bzw. noch jung wird behandelt. Am Ende sind wir also doch wieder bei Leid und Schmerz, der nicht behoben wird bzw. der zum 'Produktionsaus' führt", mutmaßt auch Kirsten Wosnitza, Milchbäuerin aus Schleswig-Holstein. Als Beispiel der Dispensierrechtsgegner gilt Dänemark. Dort wurde es 1995 abgeschafft. Der Verbrauch an Antibiotika ist niedriger als in Deutschland. Daran änderte sich aber nach 1995 auch nicht viel. Die Tierärzte müssen häufiger auf die Höfe, damit die Bauern und Bäuerinnen die Legitimation er- und behalten, ihre Tiere mit Medikamenten nach der Erstbehandlung durch den Tierarzt weiter zu behandeln. Das mag in manchen Fällen sinnvoll sein, in manchen nicht, auf alle Fälle kostet es die Bauern und Bäuerinnen mehr Geld.


Vernünftig halten

Große Tierzahlen, wenig betreuende Menschen mit wenig Geld - ein adäquater Umgang mit dem Mitgeschöpf sei heutzutage auch bei uns nicht mehr finanzierbar, so lautet Elke Mayrs bittere Erkenntnis aus fortschreitender Industrialisierung in der Landwirtschaft. Tierärzte würden sich klaglos von der heilenden Hälfte ihres Berufs verabschieden. Auch Anita Idel erinnert sich daran, schon vor zehn Jahren propagiert zu haben, als Tierärztin nicht der verlängerte Arm der Fleischindustrie sein zu wollen. Ein hoher Antibiotika-Verbrauch ist nur das Symptom einer kranken Entwicklung und deshalb nicht durch sein Verbot zu beheben. Zwar macht es Sinn wie der BUND beispielsweise Minimierungskonzepte mit konkreten Angaben (Halbierung bis 2015) zu diskutieren oder die Abschaffung der Mengenrabatte der Pharmaindustrie. Aber statt der Bundeslandwirtschaftsministerin drängt der AbL-Bauer und grüne Bundestagsabgeordnete Friedrich Ostendorff mit seinem Antrag im Bundestag darauf, endlich das Übel an der Wurzel zu packen und die Haltungsbedingungen der Nutztiere zu verbessern, ihnen mehr Platz zu verschaffen und eine artgemäße Umgebung. Das Neuland-Programm für artgerechte Tierhaltung macht es vor, als einziges Programm auch in der strukturellen Frage. Das Rad muss eigentlich nicht neu erfunden werden.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 356 - Juni 2012, S. 6
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2012