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TIERHALTUNG/563: Wie artgemäße Tierhaltung auch Menschen gesünder macht (PROVIEH)


PROVIEH Ausgabe 02/2012
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Abenteuer Selbstversorgung

Wie artgemäße Tierhaltung auch Menschen gesünder macht.

von Stefan Johnigk nach einem Gespräch mit Kerstin Pillkahn



Hart, aber heilsam ist das Leben auf dem Sonnenhof Hainewalde in der Oberlausitz. Wer sich selbst und seine Tiere von dem ernähren will, was das eigene Stück Land hergibt, muss sich mühen. Zwischen 10 und 16 Stunden arbeitet Kerstin Pillkahn täglich auf dem Feld und in den Ställen, bei der Heuernte oft noch länger. "Echt anstrengend" lacht die Bäuerin, "aber genau dieses Leben hat mich zum Gesundwerden begleitet." Erst seit Januar 2009 ackert sie im doppelten Sinne auf ihrem eigenem Hof: Gemeinsam mit ihrem Partner müht sie sich ab, baut Gemüse an, und hält Schafe, Hühner, Schweine, Laufenten sowie Pferde. Davor führte Frau Pillkahn ein ganz normales Angestelltendasein mit festem Acht-Stunden-Tag und geregeltem Einkommen. Bis sie vor knapp sechs Jahren eine erschütternde Nachricht erhielt: Sie war an Krebs erkrankt.

"Ich kann meinen damaligen Gefühlszustand gar nicht in Worte fassen", erzählt sie. Schon ihr Vater war an Krebs verstorben. Der Angst, dasselbe Schicksal zu erleiden, folgte zunächst der verzweifelte Versuch, die Diagnose zu verdrängen und schließlich die quälende Frage "warum ausgerechnet ich?" Eigentlich habe sie total gesund gelebt, meint Frau Pillkahn, mit viel Sport und sehr bewusster Ernährung. Nun erfuhr sie, ihr Krebs sei "Hormonrezeptorpositiv". Für solche Tumore sind die Geschlechtshormone Östrogen und Testosteron wichtige "Nährstoffe", die das Wachstum des Krebses und der Metastasen fördern. Frau Pillkahn stellte ihre ganze bisherige Lebensweise in Frage. Jahrelang hatte sie die Anti-Baby-Pille geschluckt und sich wenig darum gesorgt, dass Hormone auch in der industriellen Tiermast eingesetzt werden. Nun aber begann sie, sich zu informieren und erfuhr, wie sträflich leichtsinnig und verantwortungslos mit Antibiotika, Medikamenten, Hormonen oder gepanschtem Tierfutter in der Intensivtierhaltung oft umgegangen wird. "Die Menschen, die darüber nicht nachdenken möchten und denen es egal ist, wie die Massentierhaltung so läuft, sollten wenigstens einmal darüber nachdenken, dass sie mit diesem schnell und billig produzierten Fleisch auch alle dort gefütterten Hormone und Medikamente selber essen", gibt sie zu bedenken. "Wir haben jedenfalls für uns entschieden, dass wir das so nicht mehr wollen." Das Paar beschloss, sich fortan selbst um die Erzeugung ihrer Lebensmittel zu kümmern.


"Selbstversorgung"

Das klingt romantisch, abenteuerlich und sagt sich leicht daher. Wer aber als Stadtmensch gewohnt ist, mit seinem regelmäßigen Gehalt all seinen Lebensbedarf aus dem Supermarkt nebenan zu decken, für den ist dieser Schritt gewaltig. Mancher Mensch fühlt sich heutzutage schon überfordert, selbst zu kochen anstatt Fertiggerichte zu verzehren. Für Frau Pillkahn und ihren Partner begann ein großes Umdenken. Zunächst suchten sie nach einem passenden Lebensraum, der auch bezahlbar sein musste. Im Januar 2009 entdeckten sie in der Oberlausitz im äußersten Südosten Sachsens ein wunderschönes Fleckchen Erde am Rande des Zittauer Gebirges. Darauf ein alter Dreiseitenhof, der seit 15 Jahren nicht mehr bewohnt war. "Eigentlich haben wir nur das Land gekauft, die Ruine stand eben noch so da", erzählt Frau Pillkahn. "Wir haben dann die Sicherheit der geregelten Arbeit aufgegeben und uns ins Abenteuer "Selbstversorgung" gestürzt."

In eine Bauernhofruine einzuziehen ist kein Spaß, weder für Menschen noch für Tiere. Die frisch gebackenen Kleinbauern kümmerten sich erst einmal um eine anständige Unterkunft für ihre tierischen Mitbewohner. "Der Pferdestall war als erstes fertig, denn die Pferde haben wir beim Umzug schon mitgebracht", erzählt die passionierte Reiterin Pillkahn. "Ich habe mein Leben mit Pferden verbracht und kann sie mir auch nicht wegdenken." Der Stall wurde so tiergerecht wie möglich gestaltet, mit ständigem Freilauf und Gruppenhaltung statt Einzelboxen. Dann kamen die Hühner und die Schafe an die Reihe. Nur zur Geburt der Lämmer kommen die drei Mutterschafe in einen windgeschützten Stall, den Rest des Jahres grasen sie im Freien. Das tut ihnen sichtlich gut, wie sich auch an den vielen gesund geborenen Lämmern im Frühling erkennen lässt. Das Federvieh übernachtete zunächst in einem der alten Ställe. Erst Mitte 2011 war endlich das neue Hühnerhaus fertig. "Über Tag haben unsere fleißigen Eierleger freien Ausgang und laufen auf der Pferdekoppel oder im angrenzenden Wald herum, so weit wie sie wollen", freut sich die Hühnerfreundin. "Wir machen bei den Hühnern nur über Nacht den Stall zu."

Hühner haben Frau Pillkahn auch mit PROVIEH bekannt gemacht. Als sie für ihre Herde ein paar Wyandotten-Hühner anschaffen wollte - eine sehr hübsche Zweinutzungsrasse, die wegen ihrer kurzen Kämme auch die harten sächsischen Winter ohne Erfrierungen im Freiland verbringen kann - schickte ihr der Hühnerzüchter und engagierte PROVIEH-Mitstreiter Mathias Güthe einige Magazine mit Berichten über die PROVIEH-Kampagnenarbeit. "Ich wusste gar nicht, dass es so eine Organisation gibt, und ich kann nur sagen, wir haben uns echt gefreut", schrieb sie in ihrer Antwort begeistert zurück.

Kurz nach den Schafen kamen die ersten Schweine auf den Hof. Auch sie leben fast ganzjährig draußen, wo sie nach Herzenslust stöbern und wühlen können. "Die ruinieren zwar das ihnen zugewiesene Stück Land total, sind aber definitiv glücklich und leben bei uns im Schnitt zehn bis zwölf Monate. Wir setzen kein Leistungsfutter ein, da braucht ein Schwein mehr Zeit zum Wachsen", weiß die Selbstversorgerin. "Die Schweine verwerten auch alle Gartenabfälle und passen somit gut ins System." Grünfutter gibt es auf dem kleinen Bauernhof zur Genüge. Ein 500 Quadratmeter großer Nutzgarten liefert zudem alles, was die Hofbewohner an Gemüse und Obst brauchen. Die empfindlichen Gewächse wie Tomaten und Paprika reifen in einem großen Gewächshaus. Im Garten wird kein künstlicher Dünger eingesetzt, sondern nur der Stallmist von eigenen Tieren. Laufenten halten die Schneckenschar klein. Ein idealer Kreislauf für eine umweltgerechte Landwirtschaft.

"In dubio pro animali" (lat. "Im Zweifel für das Tier") lautet der selbstgewählte Wahlspruch der beiden Menschen auf dem Sonnenhof. Ihre Tiere artgemäß und verhaltensgerecht aufzuziehen ist ihnen so wichtig, dass der eigene Wohnbereich immer wieder hintenan stehen musste. Seit der Ankunft lebt das Bauernpaar provisorisch in einem einzigen Zimmer mit Holzofen. Mehr als drei Jahre nimmt die Renovierung des Wohngebäudes bereits in Anspruch. Bis vor einem Jahr gab es noch nicht einmal eine Küche, sondern lediglich eine Spülschüssel und einen Kocher mit zwei Platten. "So macht Einkochen richtig Spaß", lacht Frau Pillkahn. "Aber dieses Jahr werden wir hoffentlich die untere Etage endlich beziehen können." Im Rückblick ist das eine bewundernswerte Geschichte, die sich gut mit einem Lachen erzählen lässt. Aber ist das neue Leben nicht auch eine gewaltige Belastung für die vom Krebs genesende Frau und ihren Lebensgefährten? Ihre klare Antwort: "Sicher kann ich auch von Zeiten berichten, in denen wir dachten, wir schaffen das nicht. Aber an solchen Tagen setze ich mich oben auf unsere kleine Koppel und schaue unseren Tieren zu. Dann mag ich mir kein anderes Leben mehr vorstellen."

"Ich weiß, dass wir mit unserer kleinen Oase nicht die Welt retten werden, aber viele aus unserem Bekanntenkreis haben durch uns eine neue Einstellung zum Tier und zu dem daraus gewonnenen Fleisch bekommen", sagt Kerstin Pillkahn. "Aber was noch viel wichtiger ist, ich bin trotz der oft 16 oder mehr Stunden Arbeit viel zufriedener als früher und obendrein auch wieder kerngesund." Ein erfolgreicher, aber harter Weg, um Lebensmittel mit gutem Wissen und Gewissen essen zu können.


INFOBOX

Hormone

Hormone sind körpereigene Botenstoffe, die von Drüsen in den Blutkreislauf abgegeben werden und so ihre Wirkung im ganzen Körper entfalten. Sie wirken bereits in kleinsten Konzentrationen. Hormone zur Wachstumsförderung in der Tiermast einzusetzen ist innerhalb der EU verboten. Nach einer wissenschaftlichen Risikobewertung haben das Europäische Parlament und der Europäische Rat am 14. Oktober 2003 eine entsprechende Richtlinie verabschiedet. Sauen oder Milchziegen in intensiver Haltung dürfen aber weiterhin legal und regelmäßig Hormone verabreicht bekommen, zum Beispiel um ihren Brunstzyklus zu synchronisieren und die Tiere damit besser an die Produktionsbedingungen anzupassen.


Hormonskandale

Hormonrückstände im Fleisch sind bei Lebensmittelkontrollen oft nur schwer aufzuspüren. In den Jahren 1980 und 1988 kam es in Deutschland zu Skandalen, als das wachstumsfördernde Sexualhormon Östrogen in Kalbfleisch nachgewiesen wurde. Im Jahr 2002 gelangte das synthetische Sexualhormon Medroxy-Progesteron-Acetat (MPA) unerkannt ins Fleisch von 7.000 Schweinen, weil ein irisches Pharmaunternehmen Flüssigabfälle aus der Produktion von Anti-Baby-Pillen als "Zuckerwasser" deklariert an Futtermittelhersteller geliefert hatte. Die illegale Hormonbeigabe wurde nicht bei einer Lebensmitteluntersuchung aufgedeckt, sondern erst nachdem Sauen in einem Mastbetrieb nicht mehr trächtig werden konnten. Außerhalb Europas werden auch heute noch oft Hormone zur Verkürzung der Mastdauer verabreicht. Im März 2010 verbot die EU den Import von brasilianischem Schweinefleisch, solange dort bei der Produktion das Hormon Ractopamin als Wachstumsbeschleuniger eingesetzt wird. Ractopamin ist in der EU und zum Beispiel in China und Japan verboten, weil es die Schweine aggressiv macht und sich gesundheitsschädlich auf Menschen auswirken kann. In den Hochburgen der Industriemast wie den USA und Brasilien wird es bis heute frei verwendet. Im März 2011 wurden in den chinesischen Provinzen Henan und Nanjing Tochterfirmen des größten chinesischen Fleischerzeugers dabei erwischt, dem Futter ihrer Schweine die Wachstumshormone Ractopamin und Clenbuterol (in China noch erlaubt) beigemischt zu haben. Sie sollten das Fleisch magerer und rosiger machen. Clenbuterol ist in vielen Ländern verboten. Es gilt als illegales Dopingmittel im Leistungssport und kann zu starken Gesundheitsproblemen führen. Diese Liste ist nicht vollständig, aber sie gibt einen Eindruck über die Leichtsinnigkeit, mit der das "Produktionsmittel Tier" auf industrielle Hochleistung gedopt wird.

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Quelle:
PROVIEH Ausgabe 02/2012, Seite 36-39
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. September 2012