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TIERHALTUNG/707: Verbindliche staatliche Kennzeichnung für alle tierischen Produkte (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2017

Verbindliche staatliche Kennzeichnung für alle tierischen Produkte
Ein erster Schritt zum Umbau der Tierhaltung

von Katrin Wenz


Jährlich werden in Deutschland über 700 Millionen Tiere gemästet, größtenteils in intensiv wirtschaftenden Betrieben. Im Jahr 2016 wurde in deutschen Schlachthöfen erneut mehr geschlachtet als im Vorjahr und bereits 2015 war ein Rekordjahr gewesen. Insgesamt wurde die Fleischproduktion 2016 auf 8,25 Millionen Tonnen(1) gesteigert. Die Exporte nahmen zu. Die Ausfuhrmenge der Europäischen Union (EU) stieg gegenüber 2015 um 27 Prozent und überwand mit 1,05 Millionen Tonnen erstmals die Millionenmarke. Die Zahl der Schlachtschweine stieg auf 59,3 Millionen an. Deutschland blieb damit der größte Produzent von Schweinefleisch in der EU. Intensivtierhaltung ist die vorherrschende Form. Sie führt zu erheblichen Problemen im Bereich Umwelt- und Tierschutz.


Mit der Produktion steigt auch der Bedarf an Eiweißfutter, das neben weiteren Futtermitteln wie beispielsweise Getreide in der Intensivtierhaltung eingesetzt wird. Weltweit werden etwa 33 Prozent der Anbauflächen für die Produktion von Futter verwendet. In der EU landen sogar 60 Prozent des angebauten Getreides in Trögen.(2) Die große Zahl an Tieren wird mit immer mehr Sojaschrot gemästet. Europa importiert inzwischen jährlich über 35 Millionen Tonnen Soja - häufig gentechnisch verändert.(3) Deutschland hat dabei einen Anteil von etwa 4,5 Millionen Tonnen. Vor allem der Anbau von Gentech-Soja führt zu einem immer stärkeren Einsatz von Ackergiften mit massiven ökologischen und sozialen Problemen im Globalen Süden. Gleichzeitig werden mit dem Eiweißfutter riesige Nährstofffrachten nach Deutschland importiert. In der Intensivtierhaltung entstehen große Mengen Gülle. Diese werden auf viel zu wenig Fläche ausgebracht, wodurch die Nitratwerte im Grundwasser an vielen Messstellen alarmierend hoch sind. Der größte Teil der Tiere wird auf Hochleistung gezüchtet und bekommt Antibiotika, da das System der Tierhaltung sie krank macht. Die Tierhaltung in Deutschland ist seit einigen Jahren massiv in die Kritik geraten.


Verbindliche staatliche Kennzeichnung ist notwendig

Weitermachen wie bisher ist keine Option, denn diese Tierhaltung ist gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert. Bei KonsumentInnen findet ein Bewusstseinswandel statt. Der Fleischkonsum geht zurück - insbesondere der Konsum von Schweinefleisch. Pro Person aßen die Deutschen 2016 etwa 60 Kilogramm Fleisch, während es 1996 noch 68 Kilogramm waren.(4) Inzwischen wird nicht nur weniger gegessen, sondern VerbraucherInnen wollen laut BMEL auch mehr Tierwohl. Die Mehrzahl der KonsumentInnen (88 Prozent) sind bereit, mehr zu bezahlen, wenn die Tiere besser gehalten werden.(5) Doch bisher können sie sich nur selten an der Ladentheke für mehr Tierschutz entscheiden. Im konventionellen Bereich wird kaum differenziert. Eine verbindliche staatliche Haltungskennzeichnung fehlt, auch wenn laut Ernährungsreport 2017 Dreiviertel der Befragten ein staatliches Tierwohllabel wichtig finden. Zwar können KonsumentInnen zum Beispiel zu Bio- oder Neulandfleisch greifen, doch sind diese Produkte entweder nicht überall erhältlich oder noch nicht bekannt.


Freiwilliges staatliches Tierwohllabel mit laschen Kriterien angekündigt

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt hat im Januar 2017 ein Tierwohllabel angekündigt. Geplant sind 2 Stufen - diese sind zwar staatlich geregelt, aber nicht verpflichtend. Eine dritte Stufe könne, wenn es hierfür eine Nachfrage gibt, noch zusätzlich eingeführt werden. Sein Vorschlag ging jedoch über einen grafischen Entwurf eines Logos nicht hinaus. Inzwischen hat er die Kriterien für die Schweinehaltung offengelegt: eine Eingangsstufe mit 12 Kriterien und eine Premiumstufe mit 13 Anforderungen. Die Kriterien sind aber zu lasch. In der Eingangsstufe soll beispielsweise das Schwein jetzt 30 Prozent mehr Platz haben. Das bereits geltende Gesetz schreibt vor: Ein Schwein von 110 kg muss lediglich eine Stallfläche von 0,75 Quadratmetern zur Verfügung haben. Zwar soll das Schwein in der ersten Stufe Raufutter bekommen - doch ist Einstreu nicht verpflichtend. Das Kupieren der Schwänze ist ebenfalls nicht verboten. Betäubungslose Kastration bei Ferkeln ist ab 2019 in Deutschland ohnehin verboten. Für die Teilnahme am Label dürfen auch Ferkel, die aus anderen Ländern hierhergebracht werden, nicht betäubungslos kastriert worden sein. Die Transporte zum Schlachthof dürfen 8 Stunden dauern - kein Unterschied zum geltenden Recht. In der zweiten Stufe hat das Schwein 100 Prozent mehr Platz inklusive Auslauffläche - außerdem Beschäftigungsmaterial. Das geltende Gesetz schreibt vor: Schweine müssen Zugang zu Beschäftigungsmaterial haben. Der Unterschied zur gesetzlichen Regelung besteht im ständigen Zugang zu Raufutter (z. B. Stroh, Heu usw.) und darin, dass das Material mit Wühlmöglichkeit angeboten werden muss. Das Kupieren der Schwänze ist in der Premiumstufe verboten. Auch für die Teilnahme an der Premiumstufe dürfen Ferkel, die aus anderen Ländern hierhergebracht werden, nicht betäubungslos kastriert worden sein. Die Transporte zum Schlachthof müssen auf 6 Stunden begrenzt werden. Die Standards sind also kaum höher als die gesetzlichen Vorgaben.


Verpflichtende Kennzeichnung aller tierischen Produkte am besten geeignet

Die Kriterien des Tierwohllabels sind noch weit von einer tier- und umweltfreundlichen Haltung entfernt. Aus Sicht des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) ist eine verpflichtende staatliche Kennzeichnung am besten geeignet, um Transparenz zu schaffen. Sie könnte für alle tierischen Produkte gelten. Der BUND empfiehlt die Einführung der bereits bekannten Einstufung von 0 bis 3, wie bei Eiern. Die Einstufung könnte sich für Fleisch an bereits existierenden Standards orientieren, wie beispielsweise 0 für Bio und 1 für den Neuland-Standard. Diese Klassifizierung könnte z. B. für das Mastschwein bedeuten: 0/Bio: Ein Mastschwein in einem Biobetrieb hat 1,3 Quadratmeter zur Verfügung, zudem ist hier Auslauf vorgeschrieben und auch der Boden ist ohne Spalten. Betrieben ist Einstreu vorgeschrieben und es ist nicht erlaubt, die Schwänze der Tiere zu kupieren. Obergrenzen für den Schweinebestand gibt es nicht. 1/Neuland: Neuland-Betriebe haben eine Bestandsobergrenze von 950 Tieren. Außerdem haben die Schweine 1 Quadratmeter Platz im Stall und der Auslauf ist vorgeschrieben. Spalten sind verboten und Einstreu ist vorgeschrieben. Schwänze zu kupieren ist grundsätzlich nicht erlaubt.

Die Stufe 2 existiert bislang nicht. Das Schwein sollte in dieser Stufe mehr Platz haben, als es gesetzlich vorgeschrieben ist, beispielsweise eine Stallfläche von mindestens 1 Quadratmeter. Einstreu sollte vorgeschrieben sein, ebenso wie Beschäftigungsmaterial. 3/Gesetzlicher Rahmen: Mastschweine müssen mit sehr wenig Platz auskommen. Auf den Betrieben gibt es keine Obergrenzen, wie viele Tiere im Stall gehalten werden dürfen. Zwar legt die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung fest, dass Schweine gleichzeitig ungehindert liegen, aufstehen, sich hinlegen und eine natürliche Körperhaltung einnehmen können müssen, doch stehen für ein Schwein von 110 Kilogramm lediglich eine Stallfläche von 0,75 Quadratmeter zur Verfügung. Der gesetzliche Standard schreibt keinen Auslauf vor. Auch dürfen die Tiere auf Spalten gehalten werden. Einstreu ist nicht vorgeschrieben. Grundsätzlich ist es erlaubt, Eingriffe am Tier, wie das Kupieren von Schwänzen, vorzunehmen.

Beschriebene Kennzeichnung würde es VerbraucherInnen ermöglichen, sich aktiv für mehr Umweltschutz zu entscheiden, indem sie z. B. zu Fleisch aus Weidehaltung greifen. Die staatliche, verpflichtende Kennzeichnung beim Ei hatte enormen Einfluss auf das Kaufverhalten - ein Erfolgsmodell.

In der wachsenden Nachfrage nach umwelt- und tiergerecht hergestellten Produkten liegt ein wichtiger Hebel zum Umbau der Tierhaltung. VerbraucherInnen leisten durch ihr Kaufverhalten einen Beitrag zum Umweltschutz und sie erfahren an der Ladentheke, wie die Tiere gehalten wurden. LandwirtInnen, die über dem gesetzlichen Mindeststandard produzieren, haben gegenwärtig keine Vorteile, da VerbraucherInnen den darüber hinaus geleisteten Tierschutz meist nicht erkennen können und daher auch nicht vermehrt zu diesen Produkten greifen. Durch eine verbindliche Kennzeichnung aller tierischen Produkte hätten LandwirtInnen zukünftig einen Vorteil am Markt, wenn sie in ihren Betrieben auf mehr Tierschutz setzen.


Die Autorin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für Agrarpolitik beim BUND.


Anmerkungen

(1) https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Wirtschaftsbereiche/LandForstwirtschaftFischerei/TiereundtierischeErzeugung/AktuellSchlachtungen.html.

(2) https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/landwirtschaft/landwirtschaft_bodenatlas_2015.pdf.

(3) https://www.topagrar.com/archiv/Heimisches-Eiweiss-statt-Import-Sojafuettern-1066677.html.

(4) https://www.topagrar.com/news/Hometop-News-Deutsche-essen-8-kg-weniger-Fleisch-als-vor-20-Jahren-8059347.html.

(5) http://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Broschueren/Ernaehrungsreport2017.pdf;jsessionid=B186DDA91B1A62E8418FC229A1A55F32.1_cid296?__blob=publicationFile.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 2/2017, Seite 28-29
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. August 2017

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