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JAGD/114: Jäger warnen - Achtung Vogelschutz! (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 3/2009

Jäger warnen: Achtung Vogelschutz!

Von Helmut Kruckenberg


Vor knapp einem Jahr novellierte der niedersächsische Landtag wenige Wochen vor der Wahl das Jagdgesetz. Bereits zuvor hatten die Minister Ehlen (Landwirtschaft) und Sander (Umwelt) in mehreren Auftritten vor Jägerschaften die Einrichtung von Jagdzeiten für die arktischen Gänse zugesichert. Im Januar begannen Vogelschützer, sich für eine neuerliche Kontroverse mit den Jägern zu rüsten. Das Landwirtschaftsministerium veröffentlichte einen Entwurf der Jagdzeiten-Verordnung. Zahllose Tier-, Natur- und Vogelschutzverbände nahmen im öffentlichen Beteiligungsverfahren zu einem Jagdzeiten-Entwurf Stellung und ließen kein gutes Haar an dem Entwurf. Dennoch setzte Staatssekretär Ripke die neue Jagdzeitenverordnung mit nur wenigen Veränderungen (keine Bejagung von Ringelgänsen, zudem keine Jagd auf Bläss- und Saatgänse in fünf namentlich aufgeführten Vogelschutzgebieten) Anfang Juni auf dem Landesjägertreffen in Kraft, nur zehn Tage nach der großen Biodiversitätskonferenz in Bonn.


Petitionen an den Landtag

Schon im Dezember 2007 rief das Vogelschutz-Komitee e.V. alle Gänsefreunde zu einer Online-Petition an den niedersächsischen Landtag auf, bei der bis heute mehr als 9400 Menschen unterzeichnet haben. Am 20. Mai 2008 übergab das Vogelschutz-Komitee gemeinsam mit dem NABU Niedersachsen die Petition im Landtag. Parallel dazu hatte auch der AK Feuchtwiesenschutz Westniedersachsen eine eigene Petition gegen die Gänsejagd eingebracht. Diese kam im Juli sogar ins Plenum, und letztlich wurden beide Petitionen von der Regierungsmehrheit abgewiesen.


Die Jagd beginnt

Am 1. November begann die Jagd in Niedersachsen. Und gleich am ersten Tag konnte das Komitee gegen den Vogelmord aus Bonn am Dümmer (nördlich von Osnabrück) zahllose Jagdverstöße feststellen und zur Anzeige bringen. Ebenfalls gleich zu Beginn der Jagdsaison wurde ein Jäger ertappt, der im Biosphärenreservat Elbtalaue verbotenerweise eine Blässgans schoss. Am Großen Meer in Ostfriesland konnten intensive Gänsejagden während der Dunkelheit und bei Nebel festgestellt werden.


Die Gänsewacht

So entstand bei den Gänsefreunden im Nordwesten eine neue Vogelschutz- idee: die Gänsewacht. Namensgebend war dabei eine Nutzerinitiative aus dem letzten Winter, die als "Gänsewehr" versucht hatte, die Wildgänse aus der Hunteniederung zu vertreiben. Ziel der Gänsewacht hingegen sollte es sein, die Jagd zu überwachen und Straftaten der Jägerschaft zur Anzeige zu bringen. Gerade das Jagdrecht ist es, welches in großem Maße die rechtlichen Möglichkeiten der Gänsejagd einschränkt. So verbietet z. B. die Bundesjagdzeitenverordung in Paragraf 1 Abs. 3 ausdrücklich die Jagd auf jagdbare Arten, wenn die Gefahr einer Verwechslung mit geschonten oder geschützten Arten besteht. Wer jemals an einem Gänseschlafplatz beim Ein- oder Abflug gestanden hat, weiß, dass dies während der Wintermonate stets der Fall ist: Immer sind Nonnen-, Kurzschnabel-, Zwerg- oder Rothalsgänse in den großen Trupps. Selten kann man in der Dämmerung einzelne Vögel wirklich sicher identifizieren. Mitte November veröffentlichte der NABU Regionalverband Ostfriesland eine Pressemeldung über die Gründung der Gänsewacht.


Stasi-Spitzel" unter den Jägern

Die Jägerschaft reagierte allerdings auf diese Meldung überraschend nervös; intern rüstete man sich zur Auseinandersetzung mit den Vogelschützern auf bemerkenswerte Weise: Am 27. November 2008 berichtete die TAZ Nord über eine "Schwarze Liste" der Jägerschaft Aurich, auf der knapp hundert Unterzeichner der Gänsefreunde-Petition aufgelistet wurden. "Anbei zu Eurer Info aus der Jägerschaft Aurich! Vorsicht ist geboten an der Gänsefront, die Front formiert sich! Spione sitzen überall! Waidmannsheil", so überschrieb die Öffentlichkeitsbeauftragte der Auricher Jägerschaft diese Liste. Doch auch gegenüber der Presse "schoss" die Jägerschaft verbal aufs Heftigste: Ihr Vorsitzender Claas Janssen warnte öffentlich vor "Stasi-Methoden" (TAZ 27.11.2008). Dass eine "private Gänsepolizei" jetzt systematisch die Jäger kontrolliere, sei "privates Denunziantentum", verteidigt Janssen ausdrücklich seinen Stasi-Vergleich. Die Liste sei zusammengestellt worden, "um mit den Leuten persönlich über ihre Einstellung zu sprechen", so Janssen gegenüber der Presse (ON 28.11.2008). Dass die wahllos aus den Unterzeichnern der Gänsefreunde-Petition herauskopierten "Zwangs"mitglieder der "Schwarzen Liste" keineswegs gleichzeitig Mitglieder der Gänsewacht oder des NABU sein müssen, ficht Janssen nicht an. Nahezu störrisch verweigerte er den Betroffenen jede Form der Entschuldigung. Die Gegenseite - Normalbürger, Naturschützer, aber auch Mitarbeiter von Behörden und selbst Kreis- und Landtagsabgeordnete - rüsten derweil zum juristischen Gegenschlag und lassen rechtliche Schritte prüfen. Ein wenig lenkt auch der Vorsitzende der Jägerschaft gegenüber der dpa am 30.11. ein: "Das ist ein bisschen schief gelaufen.", so Janssen.

In der Hunteniederung bei Oldenburg wurden Spaziergänger von Jägern heftig angegangen, weil man diese versehentlich für Gänsewächter hielt. Zeitgleich warnt die Jägerzeitschrift "Wild und Hund" (23/2008) unter der Überschrift "Achtung Vogelschutz" die Jäger vor den Aktivitäten der Gänsefreunde. Hier heißt es "das Bonner Komitee gegen den Vogelmord liegt in Niedersachsen auf der Lauer, um angebliche Missstände bei der Gänsejagd aufzudecken. [...] Ihre Beobachtungen halten die Vogelschützer mit Videoaufnahmen fest".

Inzwischen beschäftigte das Thema auch den Landtag in Hannover. Aufgrund einer Anfrage der Grünen musste Landwirtschaftsminister Ehlen die Verordnung rechtfertigen. Am Abend zuvor hatte sich Claas Janssen recht halbherzig in der Lokalpresse für seine Vorwürfe entschuldigt.


Berechtigte Sorge: mangelnde Kenntnis und "Fehlabschüsse"

"Es gibt etliche "schwarze Schafe" bei uns", räumt auch ein Jungjäger gegenüber der dpa ein, "Die besonnenen Kollegen verzichten im Zweifelsfall zwar lieber auf den Sonntagsbraten. Aber es kommt doch häufig zu Fehlschüssen." (EZ 1.12.2008) Im Gegensatz dazu verteidigt Claas Janssen die Gänsejagd auch in den folgenden Tagen: "Die Chance auf Fehlschüsse, etwa bei geschützten Zwerggänsen, ist so gering wie ein Treffer beim Lotto", sagte er am 30.11.2008 gegenüber der dpa. Allerdings irrt sich dabei der Jagdvorsitzende. Betrachtet man die Bestandszahlen von Wetlands International und des DDA (Dachverband Deutscher Avifaunisten) und rechnet die Wahrscheinlichkeit eines Zwerggansabschusses aus, so stellt man erstaunt fest, dass diese 2000 Mal höher ist als ein Sechser im Lotto. Und das zeigten die Publikationen der Jägerschaft selbst. So veröffentlichte der "Niedersächsische Jäger" im Oktober einen Bericht zur Gänsejagd und druckte ein Foto mit zwei Zwerggänsen als Blässgänse ab!

Verwechslungen sind bei der Gänsejagd an der Tagesordnung, das ist die Überzeugung von Gänseexperten. Bereits in ihrer Stellungnahme zur Jagdzeiten-Verordnung hatten sich daher NABU, BUND und die DO-G PG Gänseökologie gegen die Ausweitung der Jagdzeiten ausgesprochen. Bereits in den Vorjahren wurden in Niedersachsen immer wieder Weißwangengänse sowie Bläss- und Saatgänse, Brandenten oder auch Sing- und Zwergschwäne geschossen. Die Jägerschaft ist sich des Problems bewusst. So schrieb der Präsident des Landesjagdverbandes im August 2008, man solle sich "in Erinnerung rufen, dass man fliegende Gänse nur dann mit Schrot beschießt, wenn man ihre Augen sehen kann." Viele Vorfälle wurden auch in den letzten Jahren angezeigt und in einigen Fällen vor Gericht gebracht. Allzu oft wurden derartige Straftaten aber von den Justizbehörden gegen ein Bußgeld eingestellt.


Gänseschützer sehen keinen Grund zur Aufgabe

Dagegen verstehen die Gänseschützer vom NABU die Aufregung nicht. "Die Gänsewacht überwacht doch nichts weiter als die Einhaltung der geltenden Gesetze", so Rüdiger Wohlers, NABU Regionalgeschäftsführer in Oldenburg, "Die Aufgeregtheit der Jäger können wir überhaupt nicht verstehen." Offenbar müsse man die Gänsejagd intensiv überwachen. Der NABU und andere beteiligte Gruppen wollen daher die Aktion "Gänsewacht" fortführen. "Ziel ist die Rücknahme der Jagdzeitenverordnung und ein generelles Jagdverbot in Vogelschutzgebieten", so Wohlers. Besonders problematisch sieht er dabei die Gastjäger aus Süddeutschland, die teilweise noch nie im Leben eine arktische Gans gesehen haben. Wenig hoffnungsvoll stimmt da die Aufforderung des LJN Präsidenten an die niedersächsischen Jäger "Vielleicht wäre es hilfreich, die Unterscheidungsmerkmale insbesondere Gastjägern vor Augen zu führen, damit wir nicht in Rechtfertigungsnot geraten".


Gänsewacht - das Fazit Generell stufen die beteiligten Gruppen die Gänsewacht als großen Erfolg ein. Bekannt wurde der Abschuss einiger Nonnengänse sowie einer Blässgans in Vogelschutzgebieten. In mehreren Fällen wurde Anzeige gegen Gänsejäger wegen verbotener Nachtjagd oder anderer Verstöße erstattet. Andererseits blieb es in vielen Gänserastgebieten auffallend ruhig: Die massive Kontrolle hatte hier offenbar Erfolg.


Weiterführende Internet-Links
Hinweise zum Jagdrecht und Problemen der Gänsejagd: www.gaensewacht.de
Online-Petition gegen Gänsejagd in Niedersachsen: www.gaensefreunde.de
Bilder von der Gänsejagd: www.arktische-wildgaense.de


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 3/2009
56. Jahrgang, März 2009, S. 105-107
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2009