Magazin tierrechte - Ausgabe 3/2019
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V
Kükentötung bleibt (vorerst) legal
von Christina Ledermann
Im Juni urteilte das Bundesverwaltungsgericht, dass das Töten von jährlich 45 Millionen männlichen Küken vorerst erlaubt bleiben soll. Aus ethischer Sicht unfassbar. Doch bei genauerem Hinsehen entpuppt sich das vermeintliche Skandalurteil möglicherweise als Fortschritt.
Nach dem lange erwarteten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
(BVerwG) am 13. Juni 2019 dürfen Brütereien männliche Küken weiterhin
gleich nach dem Schlüpfen töten, bis sie ein Verfahren zur
Geschlechts-Früherkennung im Ei eingeführt haben. Nach fast 50 Jahren
Tierschutzgesetz und 17 Jahren Staatsziel Tierschutz scheint dies aus
ethischer Sicht unfassbar. Der Rechtsanwalt und ehemalige Vorsitzende
des Bundesverbandes, Dr. Eisenhart von Loeper, sieht darin zu Recht
ein abgründiges, erbärmliches Versagen gegenüber denen, die sich
selbst gegen die Arroganz der Macht des Menschen nicht wehren können.
Doch es lohnt, sich die Urteilsbegründung genauer auszusehen. Denn das
BVerwG ist im Gegensatz zum Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster, das
im Mai 2016 im Ergebnis ähnlich entschied, zu einer weit
differenzierteren Urteilsbegründung gelangt.
Zum einen bezieht das BVerwG die Bedeutung des Staatsziels Tierschutz mit ein. Abwägungen, die vor Inkrafttreten der Staatszielbestimmung zu Lasten des Tierschutzes vorgenommen wurden, müssen demnach heute ein anders Ergebnis haben. Zum anderen hat sich das Gericht erstmals mit den konkreten Anforderungen an einen "vernünftigen Grund" im Sinne des Tierschutzgesetzes (§ 1 Satz 2) auseinandergesetzt. Der "vernünftige Grund" gilt als unbestimmter Rechtsbegriff und führte bisher dazu, dass Tiernutzer diese schwammige Formulierung stets in ihrem Sinne auslegten. Dies ist nach dem Urteil nicht mehr möglich. Denn nach Ansicht des Gerichtes gibt es für das Töten der männlichen Küken, vor dem Hintergrund des Staatsziels Tierschutz und der veränderten gesellschaftlichen Wertvorstellungen, keinen vernünftigen Grund mehr. Außerdem sei dies mit dem Eigenwert der Tiere nicht zu vereinbaren. Die Belange des Tierschutzes wögen schwerer als das wirtschaftliche Interesse der Brutbetriebe.
Doch das Gericht machte eine entscheidende Einschränkung: Das Tierschutzgesetz verbiete zwar das Töten von Tieren ohne vernünftigen Grund", da jedoch die Praxis jahrzehntelang hingenommen worden sei, könne von den Brutbetrieben keine sofortige Umstellung verlangt werden. Das Töten sei jedoch nur noch übergangsweise zulässig, bis Alternativen zur Verfügung stünden. Dies kritisiert von Loeper scharf: "Die staatlichen Organe hätten die Massentötung männlicher Küken schon ein halbes Jahrhundert lang versagen müssen. Dem Bundesverwaltungsgericht hätte klar sein müssen, dass nicht der geringste Grund bestand, die schreckliche rechts- und verfassungswidrige Praxis - noch - für "zulässig" zu erklären!"
Der ehemalige Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) hatte schon 2015 angekündigt, das Kükenschreddern zu beenden. Ende 2018 stellte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) ein neues Verfahren vor, das mithilfe eines Lasers das Geschlecht im Ei bestimmen soll. Doch trotz millionenschwerer Förderung sind die versprochenen Verfahren zur Geschlechts-Früherkennung bis heute nicht praxisreif. Mitte Juli forderte Klöckner von der Geflügelbranche einen Zeitplan zum Ausstieg. Diskutiert wurden Ausstiegsdaten bis Ende 2020 oder 2021. Der Haken: Die Branche soll das Töten freiwillig beenden.
Doch diese jahrelange Hinhaltetaktik ist mit dem aktuellen Urteil Geschichte. Die Groko hat im Koalitionsvertrag vereinbart, das Kükentöten bis 2020 zu verbieten. Sie muss diese Ankündigung umsetzen und zwar nicht erst, wenn die Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei wirtschaftlich oder gar kostenneutral sind. Wenn der Ausstieg nach mehreren Verschiebungen 2020 immer noch nicht erfolgt, kann sich Klöckner nicht mehr auf den vernünftigen Grund berufen. Die Landwirtschaftsministerin muss die Brütereien endlich in die Pflicht nehmen. Sie könnte beispielsweise verlangen, dass die Unternehmen in die Technik zur Geschlechts-Früherkennung investieren.
Die Geschlechtsbestimmung im Ei könnte zwar die skandalöse Kükentötung beenden, doch dies löst nicht das grundsätzliche Problem der Eierproduktion: Wenn die Legeleistung der Hennen nach circa einem Jahr abnimmt, werden auch sie als Suppenhühner geschlachtet. Tatsächlich stellt sich die radikale Frage nach dem vernünftigen Grund viel früher: Ist es ein vernünftiger Grund, Tiere in Massen zu produzieren und unter tierquälerischen Bedingungen zu halten, nur weil der Mensch das Bedürfnis hat, Eier und Fleisch zu essen?
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Quelle:
Magazin tierrechte - Ausgabe 3/2019, S. 18
Menschen für Tierrechte
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Dezember 2019
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