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POLITIK/562: Europäer wollen Verankerung von Nutztierschutz in der Agrarpolitik (PROVIEH)


PROVIEH Heft 2 - Juni 2010
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Europäer wollen Verankerung von Nutztierschutz in der Agrarpolitik

Von Sabine Ohm, Europareferentin


Im Auftrag der Europäischen Kommission wird seit 1973 jedes Jahr durch standardisierte "Eurobarometer"-Befragungen die öffentliche Meinung zu aktuellen politischen Themen in den EU-Ländern erforscht. Im März 2010 wurden die Ergebnisse einer Ende 2009 durchgeführten Umfrage zum Thema Landwirtschaft und Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) veröffentlicht. Es ging um die Einschätzung von Erfolgen und Misserfolgen der GAP und um Wünsche, wie die Ziele und Maßnahmen künftig ausgerichtet sein sollen. Die Bilanz der Umfrage fällt eher bescheiden aus: Knapp die Hälfte der Befragten befand, die Agrarbeihilfen würden faire Einkommen für Bauern, den Erhalt bäuerlicher Familienbetriebe, akzeptable Verbraucherpreise und Umweltschutz nur ungenügend sichern. Allein bei der Sicherung der Lebensmittelversorgung sah eine satte Mehrheit (59 %) die Ziele der GAP als erreicht an.

Dabei besteht für die Europäer (56 %) - und ganz besonders für die Deutschen (63 %) - der wichtigste Grund für die Aufrechterhaltung der EU-Agrarförderung darin, dass sichere Lebensmittel auf umwelt- und tierfreundliche Art zum Nutzen der gesamten Gesellschaft produziert werden sollen. Und 47 % der EU-Bürger (55 % der Deutschen) meinen, dass die GAP die Wirtschaft der ländlichen Räume fördern sollte. Beides geschieht derzeit nur unzureichend. Deshalb ist eine Neuausrichtung der EU-Agrarpolitik dringend erforderlich. Die Diskussion hierzu ist auf EU-Ebene und in Deutschland bereits in vollem Gange, weil der neue Finanzrahmen für die Periode ab 2013 geplant werden muss. Agrarkommissar Ciolos bat alle interessierten Europäerinnen und Europäer, bis zum 2. Juni 2010 Vorschläge im Internet einzureichen. Ciolos will sie einfließen lassen in seinen Vorschlag zur Ausgestaltung der GAP, den er November 2010 vorstellen will.

In der Zwischenzeit hat der Agrarausschuss des Europäischen Parlaments (EP) den Bericht der liberalen Abgeordneten Marrit Paulsen über die Entwicklung und die Umsetzung angemessener Maßnahmen zur Verbesserung des Tierschutzes in der EU verabschiedet. Laut Bericht gab es zwar wichtige Fortschritte im Tierschutz durch den Tierschutzaktionsplan 2006-2010. Angemahnt wurde eine bessere Umsetzung des geltenden Rechts in die Praxis (z.B bei Tiertransporten oder auch in der Schweinehaltung, vgl. dazu auch Heft 1/2009 und 1/2010) sowie die Beibehaltung des Batteriekäfigverbots für Legehennen ab 2012. Die Kommission wurde im Bericht aufgefordert, unverzüglich einen Anschlussplan für 2011-2015 auszuarbeiten und mit den nötigen finanziellen Mitteln zu versehen, um künftig die Umsetzung und Einhaltung der Gesetze besser kontrollieren zu können. Die Europaabgeordneten (MEPs) befürworteten im Agrarausschuss die Einrichtung eines Tierschutzreferenzzentrums, für das sich allein die deutsche Stadt Celle fristgerecht als Standort beworben hat. Und sie forderten, dass importierte Waren künftig die gleichen Tierschutzstandards wie EU-Erzeugnisse erfüllen müssen.

Verbraucherschutzkommissar Dalli äußerte sich bei seinem USA-Besuch Ende April 2010 ganz ähnlich. Nach seinem Amtsantritt war er Anfang März 2010 zunächst wegen der heftig umstrittenen Anbauzulassung für die Genkartoffel Amflora in die Kritik geraten. Deren Industrieabfälle dürfen auch an Nutztiere verfüttert werden, obwohl sie ein Antibiotikaresistenz-Markergen enthalten, das mit Risiken für die Gesundheit von Mensch und Tier verbunden ist. In den USA machte Dalli jetzt aber deutlich, dass Tierschutzaspekte in der EU einen sehr hohen Stellenwert genießen. Dies werde Konsequenzen für den Handel haben, sollten die US-Exporteure die EU-Standards nicht einhalten. Das gilt künftig nicht nur für Kosmetika, die derzeit noch mit Hilfe von Tierversuchen getestet werden (Ausnahmen laufen in der EU in 2012 aus). Er ließ auch Pläne für eine Art Tierschutzkennzeichnung durchblicken, wenn auch nur vage. Schon bei seiner Anhörung im Februar durch das EP hatte Dalli eine umfassende Verbraucheraufklärung zum Ziel erklärt, um die Möglichkeit der "Abstimmung mit dem Portemonnaie" zu schaffen (vgl. Heft 1/2010). Was die Zulassung des in den USA bereits erlaubten Verzehrs von "Klonfleisch" angeht, so betonte Dalli, dass die Überlegungen hierzu in der EU noch nicht abgeschlossen seien. Aus diesem Grunde stimmte der Umweltausschuss des EP Anfang Mai dafür, Klonfleisch aus dem derzeit debattierten Gesetz über "neuartige Lebensmittel" auszugliedern, um Zeit für notwendige - auch ethische - Reflexionen zu gewinnen, ohne das gesamte Gesetzesvorhaben zu blockieren.

Handelskommissar Karel de Gucht nahm im Rahmen eines Seminars mit Vertretern verschiedenster Nichtregierungsorganisationen Ende März 2010 in Prag teil und forderte die verstärkte Einbindung der Zivilgesellschaft in die Diskussionen um die Handelspolitik der EU. De Gucht bezeichnete den Tierschutz als wichtiges Instrument zur Erreichung nachhaltiger Entwicklungsziele. Gemeinsam mit seinen europäischen Partnerorganisationen wird sich PROVIEH auch weiterhin vehement dafür einsetzen, dass die Welthandelsorganisation (WTO) Tierschutzaspekte nicht mehr als irrelevant einstuft, sondern als handelspolitisches Argument zulässt. Wie wichtig transnationales Denken und Handeln ist, zeigt sich am Beispiel McDonald's: Die Fastfood-Kette setzt nach erfolgreicher Kampagnenarbeit einer breiten Koalition aus Nutztierschutzorganisationen in Europa (darunter PROVIEH) zunehmend auf käfigfreie Eier, weigert sich laut Bericht in der amerikanischen Zeitung New York Times aber bisher, ähnliche Standards auch in den USA einzuführen. Marktführer wie McDonald's, die öffentlichkeitswirksam sind und eine hohe Nachfrage nach tierischen Erzeugnissen haben, können wichtige Produktionstrends setzen. Deshalb zielen PROVIEH-Aktionen wie die Kastratenburgerkampagne (vgl. Heft 3/2009) auch darauf ab, solche Marktteilnehmer als Vorreiter für mehr Tierschutz zu gewinnen.


Quellen:

[1] Siehe http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/eb_special_en.htm

[2] Vgl. Ergebnisse der Agrarministerkonferenz in Plön vom 30.4.2010

[3] Die Entscheidung des EP-Plenums über die endgültige Fassung musste wegen der Vulkanaschewolke auf Mai verschoben werden und stand bei Redaktionsschluss noch aus.

[4] Wir berichteten, siehe http://www.provieh.de/s3359.html. Gegen die Anbauzulassung für die Gen-Kartoffel reichte das aus 40 Verbänden und Firmen bestehende Bündnis "Aktion Gen-Klage" inzwischen Klage ein

[5] Vgl. Bericht in der New York Times
http://www.nytimes.com/2010/04/27/business/global/27dalli.html

[6] Mehr dazu unter
http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/10/354&format=HTML&aged=0&language=DE&guiLanguage=en

[7] Der europäische Dachverband der Tierschutzorganisationen Eurogroup for Animals gründete z.B. am 29.04.2010 mit der US-Organisation The Humane Society den Transatlantic Animal Welfare Concil als Forum für die Zusammenarbeit im Tierschutz
http://www.eurogroupforanimals.org/tawc/index.htm


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Quelle:
PROVIEH Heft 2, Juni, 2010, Seite 38-40
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2010