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POLITIK/776: Fazit der Grünen Woche 2016 - Exportorientierung bis in den Tod? (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 1/2016
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Fazit der Grünen Woche 2016: Exportorientierung bis in den Tod?

Von Sabine Ohm


Die Milchkuh- und die Schweinehalter in Deutschland stecken aufgrund niedriger Erzeugerpreise in tiefen Krisen. Ein Grund dafür ist die deutsche und europäische Handels-, Entwicklungs- und Agrarpolitik, die seit Jahren auf eine Steigerung unserer Tierproduktion und Agrarexporte ausgerichtet ist. Trotzdem beharren Politik und Wirtschaft weiter auf diesem Agrarmodell und einer exportorientierten Politik, die den Tieren kein artgemäßes Leben und den Bauernfamilien kein angemessenes Einkommen bringt. Sie schadet stattdessen der Umwelt und zerstört die Lebensgrundlagen der Bauern und Bevölkerungen in vielen Ländern. Kein Wunder also, dass die Kritik aus weiten Teilen der Gesellschaft an der konventionellen Agrarindustrie nicht abreißt - deutlich zu sehen auch an der Massendemonstration anlässlich der Internationalen Grünen Woche (IGW) in Berlin unter dem Motto "Wir haben es satt" am 16. Januar in Berlin (siehe Bericht in diesem Heft).


Mythos: globale Wettbewerbsfähigkeit

Der Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt, der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, und der EU-Agrarkommissar, Phil Hogan, sangen auch auf der diesjährigen IGW wieder das Hohelied auf die Agrarexporte als Lösung für die Probleme unserer Bauern. Sie spornen die Landwirte dazu an, sich "für den Wettbewerb auf dem Weltmarkt zu rüsten" und ihre angeblichen Vermarktungschancen, zum Beispiel in Asien, zu nutzen. Diese wichtigen Entscheider predigen den deutschen Tierhaltern Massenproduktion zu Weltmarktbedingungen, also Wettbewerbsfähigkeit über den Preis. Aber kann man von deutschen Erzeugern überhaupt globale Wettbewerbsfähigkeit und gleichzeitig höhere Umwelt- und Tierwohlstandards verlangen?

Die Voraussetzungen dafür sind denkbar schlecht: Auf die vielgepriesene Auslandsnachfrage ist kein Verlass. Sie schwankt extrem. Das zeigte in jüngster Vergangenheit nicht nur das Russlandembargo (seit Januar 2014), sondern auch der Nachfragerückgang in China, teilweise bedingt durch den Werteverlust der chinesischen Währung Renminbi gegenüber dem Euro (2015), der unsere Produkte verteuerte und teilweise zu Importrückgängen in China führte.

Die ungebremste Produktionsausweitung in Deutschland und in anderen Exportnationen hat drastische Folgen für die heimischen Landwirte. Jeden Tag geben in Deutschland mindestens 15 Bauern ihre Betriebe auf. Denn sie können kaum mit ihren ausländischen Kollegen mithalten, die von günstigeren Standortbedingungen wie billigeren Futter-, Personal- und Bodenpreisen sowie teilweise höheren Subventionen profitieren und dadurch billigere Massenware anbieten können.


Ausländische Billigkonkurrenz

Vor allem kleinere und mittlere Betriebe fallen diesem ruinösen Preisdruck zum Opfer. Beispielsweise liegt der deutsche Milchpreis im langjährigen Mittel seit 2003 weit unter 35 Cent pro Liter. Für die meisten Milcherzeuger sind solche Preise nicht annähernd vollkostendeckend. Tiergerecht halten können sie ihre Tiere für dieses Entgelt schon gar nicht. Einige überleben dank alternativer Einnahmequellen wie Biogasanlagen, Solarzellen und Flächenprämien aus dem EU-Agrarsubventionstopf. Dauerhaft hält das jedoch kaum einer durch. Gewinne erwirtschaften meist nur noch große Agrarfabrikanten (siehe Infobox). Trotzdem beschloss die EU 2008, die Milchmengenbegrenzung für die europäischen Erzeuger, die sogenannte Milchquote, ab April 2015 abzuschaffen. Gleichzeitig weiteten Länder wie Neuseeland mit riesigen Grünlandflächen ihre günstige Weidemilchproduktion aus und drängten mit wachsenden Milchexporten in den Weltmarkt.

Aber nicht nur der Milchmarkt ist von billiger ausländischer Konkurrenz betroffen: In Chile werden seit gut fünf Jahren in einer isolierten Urwaldregion an der Westküste des Kontinents riesige Schweinefabriken mit ganzjähriger Käfighaltung für 250.000 Zuchtsauen sowie sechs Millionen Mastplätze für unbetäubt kastrierte und ringelschwanzkupierte Tiere gebaut. Die Schweine werden mit Gentechniksoja aus den Nachbarländern gemästet, vor Ort in neugebauten Schlachthöfen getötet und das Fleisch direkt aus dem ebenfalls neuen Hafen nach Asien und in die ganze Welt exportiert. Wer kann da glauben, dass unsere bäuerlichen Familienbetriebe mit solchen industriellen Tierfabriken konkurrieren können und sollen?


Politik mit fatalen Folgen

Die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten - allen voran Deutschland - wollen landwirtschaftlichen Erzeugern in Europa dabei helfen, "neue Märkte zu erschließen und ihre Absatzmengen zu steigern". Dazu stellt die EU-Kommission für das Jahr 2016 Exportfördergelder in Höhe von 111 Millionen Euro für alle Produkte von Blumen über Obst und Gemüse bis Fleisch bereit. Hinzu sollen neue Stützungsprogramme für Milch und Schweinefleisch in Milliaredenhöhe kommen, die europäische Steuerzahler allein im vergangen Jahr bereits über 500 Millionen Euro kosteten.

Aus Sicht von PROVIEH können diese Fördergelder gegen die Billigkonkurrenz aus dem Ausland aber nichts ausrichten. Zudem lösen sie nicht die wahren Probleme der Überproduktion und Exportorientierung. Im Gegenteil: In Kombination mit bilateralen Handelsabkommen, die den uneingeschränkten Marktzugang für die billig subventionierten EU-Agrarprodukte in Schwellenländern erzwingen, hat diese Politik fatale Folgen. Insbesondere Schwellen- und Entwicklungsländer können sich dadurch keine heimische Landwirtschaft und Verarbeitung ihrer Agrarrohstoffe aufbauen und hängen zunehmend von den Importen ab, anstatt eigene Kapazitäten zur Ernährungssicherung aufzubauen.


Ohne Rücksicht auf Verluste

Auf der IGW 2016 propagierten der Bauernverbandspräsident, der Bundeslandwirtschaftsminister und der EU-Agrarkommissar unterdessen weiter, dass die EU und ganz besonders Deutschland mehr produzieren und eine zentrale Rolle bei der Lösung des Hungerproblems auf der Welt spielen müssen. Dabei ignorieren sie die bereits im Weltagrarbericht (IAASTD) 2010 eindrücklich erläuterten Fakten: Über 600 renommierte Wissenschaftler belegten, dass verbesserte bäuerliche, ökologische Landwirtschaft und nicht teure industrielle Agrarindustrie und unsere Exporte das Hungerproblem der Welt lösen könnten. Unsere Entscheider nehmen indes billigend in Kauf, dass die Umwelt und das Klima durch die agrarindustrielle Intensivtierhaltung in Europa Schaden nehmen. Auch die völlig unzureichenden Haltungsbedingungen unserer "Nutz"tiere, der frühe Tod von Milchkühen und Zuchttieren sowie der hohe Medikamentenverbrauch bewegen sie nicht zum Umdenken. Selbst der neueste Bericht des Umweltbundesamtes vom Dezember 2015 scheint sie nicht zu interessieren. Der Bericht mahnt die Umweltverschmutzung und die Klimagefährdung durch Treibhausgase aus der Landwirtschaft an, und fordert ein Umsteuern bei der Produktion und dem Konsum von Fleisch.


Was zu tun ist

PROVIEH setzt sich dank Ihrer Unterstützung mit Kampagnen, Lobby-, und Projektarbeit auf allen Ebenen gegen die Hochleistungszucht und die Ausrichtung auf Billigproduktion für den Export ein. Deutschland und die EU müssen den Entwicklungsländern Hilfe zur Selbsthilfe für nachhaltige landwirtschaftliche Erzeugung leisten, statt EU-Exporte zu forcieren (siehe Infobox II).

PROVIEH arbeitet zudem auf die Einführung der sogenannten "Haltungskennzeichnung" für Fleisch hin, nach dem bewährten System bei frischen Eiern (vgl. Heft 3/2015). Diese Kennzeichnung würde insbesondere in Kombination mit einer umfassenden Herkunftskennzeichnung für Fleisch den Tieren, den Landwirten und den Verbrauchern endlich ganz konkret nützen. Denn Transparenz ist eine notwendige Voraussetzung für den Umbau zu einer nachhaltigen und tiergerechten Haltung in Deutschland.

Gleichzeitig müssen mit staatlicher Hilfe dringend und in großem Umfang die Haltungsbedingungen den arteigenen Bedürfnissen der Tiere angepasst werden. Dies könnte durch eine verpflichtende Tierwohlabgabe schnell und in der Breite vorangebracht werden. Die Tierwohlabgabe müsste zusätzlich zu den bestehenden, aber offenbar noch nicht ausreichenden Förderinstrumenten für nachhaltige Tierhaltung eingeführt werden (siehe Heft 4/2015). Sie würde den Landwirten ermöglichen, ihre Tiere künftig unversehrt ohne viel Medizin, gesund und mit guter Lebensqualität zu halten. Dann könnten unsere tierischen Erzeugnisse als "Qualität Made in Germany" fair vermarktet werden und damit auch den heimischen Erzeugern ein angemessenes Einkommen sichern.

Dafür will PROVIEH die Politik und die Landwirtschaft in Deutschland gewinnen. Wir werden nicht locker lassen, bis nachhaltige Landwirtschaft mit artgerechter Tierhaltung in Deutschland Wirklichkeit geworden ist. Bitte helfen Sie uns bei dieser umfangreichen Aufgabe.


INFOBOX I
 
Die Wachstumsfalle

Die Wachstums- und Exportstrategie führt in den Ruin: Je mehr Landwirte ihre Produktion ausweiten, umso größer das Überangebot und umso mehr fallen die Erzeugerpreise. Die Milch ist ein trauriges Paradebeispiel: Je kleiner der Verdienst pro verkauftem Liter Milch, desto mehr Milch muss jeder Milchbauer produzieren, um davon leben zu können. Also schafft er mehr Kühe an, braucht größere Ställe und benötigt dafür meist einen Kredit, der von den Banken nur noch für große Erweiterungen gewährt wird. Die Zinsen und Rückzahlungen steigern seine Kosten, zwingen ihn zur Hochleistungsproduktion. Weidegang ist bei Herden mit mehreren Hundert Kühen kaum möglich. Immer häufiger sind Landwirte überfordert mit ihren großen Herden. Mensch und Tier leiden darunter, Burnout und Depressionen unter Tierhaltern häufen sich. Bei Aufgabe droht der Verlust von Haus und Hof.


INFOBOX II
 
Tierexporte = Tierleid

PROVIEH kritisiert die Lebendtierausfuhren, deren Steigerung die EU-Agrarminister im Februar 2016 als Erfolg der EU-Exportpolitik feierten. Viele Dokumentationen zeigen die Missachtung der EU-Gesetze und das extreme Tierleid auf Langstreckentransporten (wir berichteten).
Die Exporte aus der EU in den Nahen und Mittleren Osten (inklusive Türkei) und nach Nordafrika, wo die Schafe und Rinder nach der Transport-Tortur meist qualvoll geschächtet werden, stiegen von 2013 bis 2015 von circa 2,2 auf über 2,6 Millionen, aus Deutschland von circa 28.400 auf knapp 40.000 Tiere.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 1/2016, Seite 12-15
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
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Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
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Telefax: 0431/248 28-29
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Schutzgebühr: 2 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juni 2016

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